wie eitle Kinder. Luchu war glücklich, wenn ich ihm meinen Poncho lieh, und ging mit ihm und meinem Hut stolz wie der aufgeblasenste Geck auf dem Dorf- platz spazieren.
Bei der ethnographischen Schilderung der Kulisehu-Stämme werde ich auf das Thema Kleidung und Schamgefühl zurückzukommen haben; hier kann ich nur wahrheitsgetreu berichten, dass ich im Verkehr mit den Leuten von unserem Schamgefühl Nichts bemerkt habe, wohl aber von einem anders gearteten, uns durchaus fremden, über das ich sogleich berichten werde.
Beim Vokabelfragen bildeten die Körperteile einen wichtigen und leicht zu behandelnden Stoff. Die Bakairi fanden es sehr komisch, dass ich Alles wissen wollte, waren andrerseits aber sehr stolz, dass ihre Sprache so reich war und der Bakairi für jeden Teil ein Wort hatte. Sehr vergnügt wurden sie bei meinem Fragen da und liessen es an prompter Auskunft nicht fehlen, wo sie sich nach unsern Begriffen hätten schämen und womöglich lateinisch oder in Ausdrücken der Kindersprache hätten antworten sollen. Rücksichtsvoll -- denn ich natürlich schaute in diesem Moment durch meine Kulturbrille und sah, dass sie nackt waren -- hatte ich einen Augenblick abgewartet, als die Frauen aus der Hütte herausgegangen waren: ich wurde damit überrascht, dass die fällige Antwort plötzlich draussenher von einer sehr belustigten Mädchenstimme kam. Meine Vorsicht hatte keinen Sinn gehabt. Es war die Vorsicht etwa eines Arabers, der sich geniren würde, in das unverhüllte Antlitz einer Europäerin zu sehen, oder eines Chinesen, der in ängstliche Verlegenheit geriete, wenn ihm der Zufall ihr strumpfloses Füsschen zeigte. Es ist wahr, das bei uns anstössig erscheinende Thema bereitete den Bakairi, Männern und Frauen, entschiedenes Vergnügen, und wenn ein pedantischer Grübler, der die Schamhaftigkeit in unserm Sinn um jeden Preis als angeborenes Erbgut der Menschheit gewahrt wissen will, nun gerade aus diesem gesteigerten Mass der Heiterkeit folgern möchte, dass sich das böse Gewissen eines von höherer Sittlichkeit herabgesunkenen Stammes geregt habe, so vermag ich ihm nur zu erwidern, dass ihr lustiges Lachen weder frech war noch den Eindruck machte, als ob es eine innere Verlegenheit be- mänteln sollte. Dagegen hatte es unzweifelhaft eine leicht erotische Klangfarbe und ähnelte, so sehr verschieden Anlass und Begleitumstände bei einem echten Naturvolk sein mussten, durchaus dem Gelächter, das bei unseren Spinnstuben- scherzen, Pfänderspielen oder andern harmlosen Spässen im Verkehr der beiden Geschlechter ertönt. Ist doch aus dieser selben natürlichen Freude, wie wir später sehen werden, eins der häufigsten Ornamente ihrer Malerei, das auf zahl- reichen Gerätschaften als die Urform des Dreiecks dargestellte Uluri der Frauen hervorgegangen.
Die Uluris wünschte ich für die Sammlung in grösserer Zahl verfertigt zu haben. Was grosse Heiterkeit erregte. Eines Nachmittags wurde denn munter geschneidert. Wir sassen hinter Tumayaua's Haus, eine Alte röstete draussen Beijus, das Mehl auf die Schüssel aufschüttend, es glatt streichend und mit Ge-
v. d. Steinen, Zentral-Brasilien. 5
wie eitle Kinder. Luchu war glücklich, wenn ich ihm meinen Poncho lieh, und ging mit ihm und meinem Hut stolz wie der aufgeblasenste Geck auf dem Dorf- platz spazieren.
Bei der ethnographischen Schilderung der Kulisehu-Stämme werde ich auf das Thema Kleidung und Schamgefühl zurückzukommen haben; hier kann ich nur wahrheitsgetreu berichten, dass ich im Verkehr mit den Leuten von unserem Schamgefühl Nichts bemerkt habe, wohl aber von einem anders gearteten, uns durchaus fremden, über das ich sogleich berichten werde.
Beim Vokabelfragen bildeten die Körperteile einen wichtigen und leicht zu behandelnden Stoff. Die Bakaïrí fanden es sehr komisch, dass ich Alles wissen wollte, waren andrerseits aber sehr stolz, dass ihre Sprache so reich war und der Bakaïrí für jeden Teil ein Wort hatte. Sehr vergnügt wurden sie bei meinem Fragen da und liessen es an prompter Auskunft nicht fehlen, wo sie sich nach unsern Begriffen hätten schämen und womöglich lateinisch oder in Ausdrücken der Kindersprache hätten antworten sollen. Rücksichtsvoll — denn ich natürlich schaute in diesem Moment durch meine Kulturbrille und sah, dass sie nackt waren — hatte ich einen Augenblick abgewartet, als die Frauen aus der Hütte herausgegangen waren: ich wurde damit überrascht, dass die fällige Antwort plötzlich draussenher von einer sehr belustigten Mädchenstimme kam. Meine Vorsicht hatte keinen Sinn gehabt. Es war die Vorsicht etwa eines Arabers, der sich geniren würde, in das unverhüllte Antlitz einer Europäerin zu sehen, oder eines Chinesen, der in ängstliche Verlegenheit geriete, wenn ihm der Zufall ihr strumpfloses Füsschen zeigte. Es ist wahr, das bei uns anstössig erscheinende Thema bereitete den Bakaïrí, Männern und Frauen, entschiedenes Vergnügen, und wenn ein pedantischer Grübler, der die Schamhaftigkeit in unserm Sinn um jeden Preis als angeborenes Erbgut der Menschheit gewahrt wissen will, nun gerade aus diesem gesteigerten Mass der Heiterkeit folgern möchte, dass sich das böse Gewissen eines von höherer Sittlichkeit herabgesunkenen Stammes geregt habe, so vermag ich ihm nur zu erwidern, dass ihr lustiges Lachen weder frech war noch den Eindruck machte, als ob es eine innere Verlegenheit be- mänteln sollte. Dagegen hatte es unzweifelhaft eine leicht erotische Klangfarbe und ähnelte, so sehr verschieden Anlass und Begleitumstände bei einem echten Naturvolk sein mussten, durchaus dem Gelächter, das bei unseren Spinnstuben- scherzen, Pfänderspielen oder andern harmlosen Spässen im Verkehr der beiden Geschlechter ertönt. Ist doch aus dieser selben natürlichen Freude, wie wir später sehen werden, eins der häufigsten Ornamente ihrer Malerei, das auf zahl- reichen Gerätschaften als die Urform des Dreiecks dargestellte Uluri der Frauen hervorgegangen.
Die Uluris wünschte ich für die Sammlung in grösserer Zahl verfertigt zu haben. Was grosse Heiterkeit erregte. Eines Nachmittags wurde denn munter geschneidert. Wir sassen hinter Tumayaua’s Haus, eine Alte röstete draussen Beijús, das Mehl auf die Schüssel aufschüttend, es glatt streichend und mit Ge-
v. d. Steinen, Zentral-Brasilien. 5
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0093"n="65"/>
wie eitle Kinder. Luchu war glücklich, wenn ich ihm meinen Poncho lieh, und<lb/>
ging mit ihm und meinem Hut stolz wie der aufgeblasenste Geck auf dem Dorf-<lb/>
platz spazieren.</p><lb/><p>Bei der ethnographischen Schilderung der Kulisehu-Stämme werde ich auf<lb/>
das Thema Kleidung und Schamgefühl zurückzukommen haben; hier kann ich<lb/>
nur wahrheitsgetreu berichten, dass ich im Verkehr mit den Leuten von unserem<lb/>
Schamgefühl Nichts bemerkt habe, wohl aber von einem anders gearteten, uns<lb/>
durchaus fremden, über das ich sogleich berichten werde.</p><lb/><p>Beim Vokabelfragen bildeten die Körperteile einen wichtigen und leicht zu<lb/>
behandelnden Stoff. Die Bakaïrí fanden es sehr komisch, dass ich Alles wissen<lb/>
wollte, waren andrerseits aber sehr stolz, dass ihre Sprache so reich war und<lb/>
der Bakaïrí für jeden Teil ein Wort hatte. Sehr vergnügt wurden sie bei meinem<lb/>
Fragen da und liessen es an prompter Auskunft nicht fehlen, wo sie sich nach<lb/>
unsern Begriffen hätten schämen und womöglich lateinisch oder in Ausdrücken<lb/>
der Kindersprache hätten antworten sollen. Rücksichtsvoll — denn ich natürlich<lb/>
schaute in diesem Moment durch meine Kulturbrille und sah, dass sie nackt<lb/>
waren — hatte ich einen Augenblick abgewartet, als die Frauen aus der Hütte<lb/>
herausgegangen waren: ich wurde damit überrascht, dass die fällige Antwort<lb/>
plötzlich draussenher von einer sehr belustigten Mädchenstimme kam. Meine<lb/>
Vorsicht hatte keinen Sinn gehabt. Es war die Vorsicht etwa eines Arabers,<lb/>
der sich geniren würde, in das unverhüllte Antlitz einer Europäerin zu sehen,<lb/>
oder eines Chinesen, der in ängstliche Verlegenheit geriete, wenn ihm der Zufall<lb/>
ihr strumpfloses Füsschen zeigte. Es ist wahr, das bei uns anstössig erscheinende<lb/>
Thema bereitete den Bakaïrí, Männern und Frauen, entschiedenes Vergnügen,<lb/>
und wenn ein pedantischer Grübler, der die Schamhaftigkeit in unserm Sinn um<lb/>
jeden Preis als angeborenes Erbgut der Menschheit gewahrt wissen will, nun<lb/>
gerade aus diesem gesteigerten Mass der Heiterkeit folgern möchte, dass sich<lb/>
das böse Gewissen eines von höherer Sittlichkeit herabgesunkenen Stammes<lb/>
geregt habe, so vermag ich ihm nur zu erwidern, dass ihr lustiges Lachen weder<lb/>
frech war noch den Eindruck machte, als ob es eine innere Verlegenheit be-<lb/>
mänteln sollte. Dagegen hatte es unzweifelhaft eine leicht erotische Klangfarbe<lb/>
und ähnelte, so sehr verschieden Anlass und Begleitumstände bei einem echten<lb/>
Naturvolk sein mussten, durchaus dem Gelächter, das bei unseren Spinnstuben-<lb/>
scherzen, Pfänderspielen oder andern harmlosen Spässen im Verkehr der beiden<lb/>
Geschlechter ertönt. Ist doch aus dieser selben natürlichen Freude, wie wir<lb/>
später sehen werden, eins der häufigsten Ornamente ihrer Malerei, das auf zahl-<lb/>
reichen Gerätschaften als die Urform des Dreiecks dargestellte Uluri der Frauen<lb/>
hervorgegangen.</p><lb/><p>Die Uluris wünschte ich für die Sammlung in grösserer Zahl verfertigt zu<lb/>
haben. Was grosse Heiterkeit erregte. Eines Nachmittags wurde denn munter<lb/>
geschneidert. Wir sassen hinter Tumayaua’s Haus, eine Alte röstete draussen<lb/>
Beijús, das Mehl auf die Schüssel aufschüttend, es glatt streichend und mit Ge-<lb/><fwplace="bottom"type="sig">v. d. Steinen, Zentral-Brasilien. 5</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[65/0093]
wie eitle Kinder. Luchu war glücklich, wenn ich ihm meinen Poncho lieh, und
ging mit ihm und meinem Hut stolz wie der aufgeblasenste Geck auf dem Dorf-
platz spazieren.
Bei der ethnographischen Schilderung der Kulisehu-Stämme werde ich auf
das Thema Kleidung und Schamgefühl zurückzukommen haben; hier kann ich
nur wahrheitsgetreu berichten, dass ich im Verkehr mit den Leuten von unserem
Schamgefühl Nichts bemerkt habe, wohl aber von einem anders gearteten, uns
durchaus fremden, über das ich sogleich berichten werde.
Beim Vokabelfragen bildeten die Körperteile einen wichtigen und leicht zu
behandelnden Stoff. Die Bakaïrí fanden es sehr komisch, dass ich Alles wissen
wollte, waren andrerseits aber sehr stolz, dass ihre Sprache so reich war und
der Bakaïrí für jeden Teil ein Wort hatte. Sehr vergnügt wurden sie bei meinem
Fragen da und liessen es an prompter Auskunft nicht fehlen, wo sie sich nach
unsern Begriffen hätten schämen und womöglich lateinisch oder in Ausdrücken
der Kindersprache hätten antworten sollen. Rücksichtsvoll — denn ich natürlich
schaute in diesem Moment durch meine Kulturbrille und sah, dass sie nackt
waren — hatte ich einen Augenblick abgewartet, als die Frauen aus der Hütte
herausgegangen waren: ich wurde damit überrascht, dass die fällige Antwort
plötzlich draussenher von einer sehr belustigten Mädchenstimme kam. Meine
Vorsicht hatte keinen Sinn gehabt. Es war die Vorsicht etwa eines Arabers,
der sich geniren würde, in das unverhüllte Antlitz einer Europäerin zu sehen,
oder eines Chinesen, der in ängstliche Verlegenheit geriete, wenn ihm der Zufall
ihr strumpfloses Füsschen zeigte. Es ist wahr, das bei uns anstössig erscheinende
Thema bereitete den Bakaïrí, Männern und Frauen, entschiedenes Vergnügen,
und wenn ein pedantischer Grübler, der die Schamhaftigkeit in unserm Sinn um
jeden Preis als angeborenes Erbgut der Menschheit gewahrt wissen will, nun
gerade aus diesem gesteigerten Mass der Heiterkeit folgern möchte, dass sich
das böse Gewissen eines von höherer Sittlichkeit herabgesunkenen Stammes
geregt habe, so vermag ich ihm nur zu erwidern, dass ihr lustiges Lachen weder
frech war noch den Eindruck machte, als ob es eine innere Verlegenheit be-
mänteln sollte. Dagegen hatte es unzweifelhaft eine leicht erotische Klangfarbe
und ähnelte, so sehr verschieden Anlass und Begleitumstände bei einem echten
Naturvolk sein mussten, durchaus dem Gelächter, das bei unseren Spinnstuben-
scherzen, Pfänderspielen oder andern harmlosen Spässen im Verkehr der beiden
Geschlechter ertönt. Ist doch aus dieser selben natürlichen Freude, wie wir
später sehen werden, eins der häufigsten Ornamente ihrer Malerei, das auf zahl-
reichen Gerätschaften als die Urform des Dreiecks dargestellte Uluri der Frauen
hervorgegangen.
Die Uluris wünschte ich für die Sammlung in grösserer Zahl verfertigt zu
haben. Was grosse Heiterkeit erregte. Eines Nachmittags wurde denn munter
geschneidert. Wir sassen hinter Tumayaua’s Haus, eine Alte röstete draussen
Beijús, das Mehl auf die Schüssel aufschüttend, es glatt streichend und mit Ge-
v. d. Steinen, Zentral-Brasilien. 5
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/93>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.