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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894.

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schlecht riechenden und schmeckenden Arzneien nachgesetzt wird wegen seiner
mühsamen Zubereitung: 24 Stunden in Gewürze, 24 Stunden in fliessendes Wasser
gelegt, 6 Stunden angesetzt mit Branntwein, Nelken, Petersilie, Zwiebel, Ingwer,
Majoran, Salz, Pfeffer, am Spiess gebraten und, wenn fertig, serviert. Ferner sind
die Beutelratte Gamba und der Rüsselbär oder das Koati, Nasua socialis, "aus-
gezeichnet und sehr gesucht". Von drei Arten Tatus, Gürteltieren, werden zwei
Arten nicht gelobt, das Tatu canastra, Dasypus Gigas, wegen seines zähen
Fleisches, und das "Tatu cavador dos cemeterios", das "Grabgürteltier der Kirch-
höfe", wegen seines üblen Geruches. Die Eidechse liefert ein Fricasse, dem des
Huhnes zum Verwechseln ähnlich. Die Hühnervögel des Waldes, Jaku (Penelope)
und Mutung (Crax), sowie die grossen und kleinen Papageienvögel sind in Ragouts
vortrefflich; vor dem Anu (Crotophaga) dagegen, der nur Zecken fresse und
stark rieche, wird gewarnt, obgleich er nach allgemeinem Glauben Asthma, ver-
altete Lues und Warzen heile. Ganz delikat ist das Fleisch der Schlangen, und
wer es gegessen hat, zieht es jedem andern vor. Vor Allem ist es ausserordent-
lich wirksam bei Herzkrankheiten, veralteter Lues, und ein unfehlbares Mittel im
ersten Stadium der Elephantiasis. Der Kopf wird abgeschnitten und die Haut
abgezogen. Das Fleisch der lebendige Jungen zur Welt bringenden Schlangen
verdient vor dem der eierlegenden den Vorzug, und unter jenen liefert das
schmackhafteste und heilkräftigste die Klapperschlange.

In diesen Angaben des "Nationalkochs" sind thatsächliche Erfahrungen und
die leicht verständlichen Gedankengänge des Volksglaubens wundersam vermischt.
Den grösseren Teil der aufgeführten Gerichte, wenn man von der langen Reihe
einzelner Rezepte absieht, haben wir redlich durchgekostet, doch sind die wenigen
Schlangen, denen wir begegnet sind, leider niemals in den Kochkessel gewandert.

Für das Affenfleisch haben wir uns nicht recht begeistern können, obwohl
der "Nationalkoch" für ein brasilisches Festdiner, "lautar brasileiro" vorschreibt:
"man setze je einen Macaco an die vier Ecken der Tafel". Unser Wildpret war
eine Cebusart, ein graugelblicher und bräunlicher Geselle mit schwarzem Hinter-
haupt und hehaartem Wickelschwanz. In Brehms Tierleben (1 49, 1890) wird
"die so häufig hervorgehobene Aehnlichkeit eines zubereiteten Affen mit einem
Kinde" mit den Worten zurückgewiesen: "Dieser verbrauchte und gänzlich
unpassende Vergleich sollte endlich aus Reisebeschreibungen verschwinden, denn
ungefähr mit dem nämlichen Rechte könnte ein gebratener Hase kinderähnlich
genannt werden; die Menschenähnlichkeit des Affen liegt in seinen Bewegungen,
nicht in seiner Körperform." Warum so schroff? Wie ein Mensch aussieht, wissen
wir Alle, und wir Alle sind thatsächlich an ein Menschlein erinnert worden. Gern
gestehe ich zu, dass wir, gewohnt, den Affen als unsere eigene Karikatur zu
betrachten, eine solche Aehnlichkeit zu finden vielleicht erwarten und sie deshalb
zu überschätzen geneigt sind. Im Uebrigen bedaure ich, dass ich keine Photo-
graphie von einem Affen vorweisen kann, der am Spiess steckt: aufrecht, die
Arme mit den fünffingrigen Händen schlaff herabhängend, den schwarz verkohlten

schlecht riechenden und schmeckenden Arzneien nachgesetzt wird wegen seiner
mühsamen Zubereitung: 24 Stunden in Gewürze, 24 Stunden in fliessendes Wasser
gelegt, 6 Stunden angesetzt mit Branntwein, Nelken, Petersilie, Zwiebel, Ingwer,
Majoran, Salz, Pfeffer, am Spiess gebraten und, wenn fertig, serviert. Ferner sind
die Beutelratte Gamba und der Rüsselbär oder das Koatí, Nasua socialis, »aus-
gezeichnet und sehr gesucht«. Von drei Arten Tatús, Gürteltieren, werden zwei
Arten nicht gelobt, das Tatú canastra, Dasypus Gigas, wegen seines zähen
Fleisches, und das »Tatú cavador dos cemeterios«, das »Grabgürteltier der Kirch-
höfe«, wegen seines üblen Geruches. Die Eidechse liefert ein Fricassé, dem des
Huhnes zum Verwechseln ähnlich. Die Hühnervögel des Waldes, Jakú (Penelope)
und Mutung (Crax), sowie die grossen und kleinen Papageienvögel sind in Ragouts
vortrefflich; vor dem Anú (Crotophaga) dagegen, der nur Zecken fresse und
stark rieche, wird gewarnt, obgleich er nach allgemeinem Glauben Asthma, ver-
altete Lues und Warzen heile. Ganz delikat ist das Fleisch der Schlangen, und
wer es gegessen hat, zieht es jedem andern vor. Vor Allem ist es ausserordent-
lich wirksam bei Herzkrankheiten, veralteter Lues, und ein unfehlbares Mittel im
ersten Stadium der Elephantiasis. Der Kopf wird abgeschnitten und die Haut
abgezogen. Das Fleisch der lebendige Jungen zur Welt bringenden Schlangen
verdient vor dem der eierlegenden den Vorzug, und unter jenen liefert das
schmackhafteste und heilkräftigste die Klapperschlange.

In diesen Angaben des »Nationalkochs« sind thatsächliche Erfahrungen und
die leicht verständlichen Gedankengänge des Volksglaubens wundersam vermischt.
Den grösseren Teil der aufgeführten Gerichte, wenn man von der langen Reihe
einzelner Rezepte absieht, haben wir redlich durchgekostet, doch sind die wenigen
Schlangen, denen wir begegnet sind, leider niemals in den Kochkessel gewandert.

Für das Affenfleisch haben wir uns nicht recht begeistern können, obwohl
der »Nationalkoch« für ein brasilisches Festdiner, »lautar brasileiro« vorschreibt:
»man setze je einen Macaco an die vier Ecken der Tafel«. Unser Wildpret war
eine Cebusart, ein graugelblicher und bräunlicher Geselle mit schwarzem Hinter-
haupt und hehaartem Wickelschwanz. In Brehms Tierleben (1 49, 1890) wird
»die so häufig hervorgehobene Aehnlichkeit eines zubereiteten Affen mit einem
Kinde« mit den Worten zurückgewiesen: »Dieser verbrauchte und gänzlich
unpassende Vergleich sollte endlich aus Reisebeschreibungen verschwinden, denn
ungefähr mit dem nämlichen Rechte könnte ein gebratener Hase kinderähnlich
genannt werden; die Menschenähnlichkeit des Affen liegt in seinen Bewegungen,
nicht in seiner Körperform.« Warum so schroff? Wie ein Mensch aussieht, wissen
wir Alle, und wir Alle sind thatsächlich an ein Menschlein erinnert worden. Gern
gestehe ich zu, dass wir, gewohnt, den Affen als unsere eigene Karikatur zu
betrachten, eine solche Aehnlichkeit zu finden vielleicht erwarten und sie deshalb
zu überschätzen geneigt sind. Im Uebrigen bedaure ich, dass ich keine Photo-
graphie von einem Affen vorweisen kann, der am Spiess steckt: aufrecht, die
Arme mit den fünffingrigen Händen schlaff herabhängend, den schwarz verkohlten

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[36/0062] schlecht riechenden und schmeckenden Arzneien nachgesetzt wird wegen seiner mühsamen Zubereitung: 24 Stunden in Gewürze, 24 Stunden in fliessendes Wasser gelegt, 6 Stunden angesetzt mit Branntwein, Nelken, Petersilie, Zwiebel, Ingwer, Majoran, Salz, Pfeffer, am Spiess gebraten und, wenn fertig, serviert. Ferner sind die Beutelratte Gamba und der Rüsselbär oder das Koatí, Nasua socialis, »aus- gezeichnet und sehr gesucht«. Von drei Arten Tatús, Gürteltieren, werden zwei Arten nicht gelobt, das Tatú canastra, Dasypus Gigas, wegen seines zähen Fleisches, und das »Tatú cavador dos cemeterios«, das »Grabgürteltier der Kirch- höfe«, wegen seines üblen Geruches. Die Eidechse liefert ein Fricassé, dem des Huhnes zum Verwechseln ähnlich. Die Hühnervögel des Waldes, Jakú (Penelope) und Mutung (Crax), sowie die grossen und kleinen Papageienvögel sind in Ragouts vortrefflich; vor dem Anú (Crotophaga) dagegen, der nur Zecken fresse und stark rieche, wird gewarnt, obgleich er nach allgemeinem Glauben Asthma, ver- altete Lues und Warzen heile. Ganz delikat ist das Fleisch der Schlangen, und wer es gegessen hat, zieht es jedem andern vor. Vor Allem ist es ausserordent- lich wirksam bei Herzkrankheiten, veralteter Lues, und ein unfehlbares Mittel im ersten Stadium der Elephantiasis. Der Kopf wird abgeschnitten und die Haut abgezogen. Das Fleisch der lebendige Jungen zur Welt bringenden Schlangen verdient vor dem der eierlegenden den Vorzug, und unter jenen liefert das schmackhafteste und heilkräftigste die Klapperschlange. In diesen Angaben des »Nationalkochs« sind thatsächliche Erfahrungen und die leicht verständlichen Gedankengänge des Volksglaubens wundersam vermischt. Den grösseren Teil der aufgeführten Gerichte, wenn man von der langen Reihe einzelner Rezepte absieht, haben wir redlich durchgekostet, doch sind die wenigen Schlangen, denen wir begegnet sind, leider niemals in den Kochkessel gewandert. Für das Affenfleisch haben wir uns nicht recht begeistern können, obwohl der »Nationalkoch« für ein brasilisches Festdiner, »lautar brasileiro« vorschreibt: »man setze je einen Macaco an die vier Ecken der Tafel«. Unser Wildpret war eine Cebusart, ein graugelblicher und bräunlicher Geselle mit schwarzem Hinter- haupt und hehaartem Wickelschwanz. In Brehms Tierleben (1 49, 1890) wird »die so häufig hervorgehobene Aehnlichkeit eines zubereiteten Affen mit einem Kinde« mit den Worten zurückgewiesen: »Dieser verbrauchte und gänzlich unpassende Vergleich sollte endlich aus Reisebeschreibungen verschwinden, denn ungefähr mit dem nämlichen Rechte könnte ein gebratener Hase kinderähnlich genannt werden; die Menschenähnlichkeit des Affen liegt in seinen Bewegungen, nicht in seiner Körperform.« Warum so schroff? Wie ein Mensch aussieht, wissen wir Alle, und wir Alle sind thatsächlich an ein Menschlein erinnert worden. Gern gestehe ich zu, dass wir, gewohnt, den Affen als unsere eigene Karikatur zu betrachten, eine solche Aehnlichkeit zu finden vielleicht erwarten und sie deshalb zu überschätzen geneigt sind. Im Uebrigen bedaure ich, dass ich keine Photo- graphie von einem Affen vorweisen kann, der am Spiess steckt: aufrecht, die Arme mit den fünffingrigen Händen schlaff herabhängend, den schwarz verkohlten

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Zitationshilfe: Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/62>, abgerufen am 27.11.2024.