und stiessen dabei gern ein ih ... der Bewunderung aus, doch waren sie sich über die Deutung nicht immer einig, so dass es mir doppelt schwer wurde, sie aus- zuforschen. In Einem jedoch herrschte voller Einklang und dies war mir gerade das Erstaunlichste. Die gemeinen und nicht in besondere Konstellationen einge- schlossenen Sterne, wie sie über den Himmel zerstreut sind als kleine und grosse Punkte, die man auch als Sternschnuppen mit einem Satz das Firmament durch- eilen sieht, das waren alles Sandflöhe; die Milchstrasse, in der sie sich am dichtesten zusammendrängen, war Asche und die Venus der "grosse Sandfloh".
Wie bei den Bakairi liegt die Auffassung zu Grunde, dass die Himmels- tiere durch Zauberei dort oben hinkommen und in ihrem Aussehen von den irdischen Geschöpfen abweichen; denn sobald eine besondere Erscheinung auf- tritt, ist auch die Erklärung mit dem Bari zur Stelle. Ein Bari ist die grosse bunte Wasserschlange, die wir Regenbogen nennen. Ein prächtiges Meteor, das während unserer Anwesenheit fiel, war die "Seele eines Bari", die plötzlich auftauchte, um den Bororo mitzutheilen, dass er "Jägerfleisch" haben wolle und einem von ihnen Dysenterie schicken werde. Die Szene, wie man das Unheil abzuwenden bemüht war, verdient in ihren Einzelheiten geschildert zu werden. Vgl. Tafel 30.
Das Meteor leuchtete am 14. April Abends 8 Uhr 26 Min. im Süden auf als eine Kugel von etwa 1/4 Mondgrösse; ein heller Schein flammte über den ganzen Platz. Es fiel sehr schnell in 45° nach Westen zu und hinterliess einen Streifen, etwa 4 Himmelsflöhe erster Grösse breit und wie ein Stab in zwei Teile geteilt, dem freien Ende zu sternleuchtend, der Kugel zu brillant blau. Noch 4 Minuten lang meinte ich den Streifen, indem er mehr und mehr verblasste, als hell weisslichen Dunst zu sehen.
In demselben Augenblick, als das Meteor sichtbar wurde, erschallte von dem Indianerplatz her ein hundertstimmig gellendes, anhaltendes Geschrei. Von allen Seiten her stürzte man nach dem Ranchao, wo es eine Weile drinnen und draussen wie in einem aufgestörten Ameisenhaufen wimmelte. Dann wandte man sich nach dem zum Flussufer hin gelegenen Teil des Platzes, richtete ein paar Lagerfeuerchen her und bald sassen zahlreiche kleine, phantastisch be- leuchtete Gruppen von Männern, Weibern, Kindern den Hütten entlang. Ich war einige Minuten beiseite gegangen und wurde durch lauten Lärm zurück- gerufen. Zwei mit Uruku knallrot angestrichene Baris standen inmitten der Gesellschaft und prusteten in heftiger Aufregung ringsum zum Himmel hinauf, ein wenig Speichel von den Lippen spritzend, ähnlich wie die Kulisehuindianer die Gewitterwolken verjagten. Dabei zitterten und taumelten sie, dass man fürchten musste, sie würden ohnmächtig zu Boden stürzen. Indem sie sich nun dem Ort zuwandten, wo das Meteor erschienen war, heulten sie mit drohender, schreckhafter Stimme: vue! vue! die hohle rechte Hand vor den Mund pressend, streckten den linken Arm gen Himmel und hielten Jeder ein Bündel spannen- langer Maiszigaretten empor. "Hier, sieh es wohl", schienen sie zu sagen, "alle
und stiessen dabei gern ein ih … der Bewunderung aus, doch waren sie sich über die Deutung nicht immer einig, so dass es mir doppelt schwer wurde, sie aus- zuforschen. In Einem jedoch herrschte voller Einklang und dies war mir gerade das Erstaunlichste. Die gemeinen und nicht in besondere Konstellationen einge- schlossenen Sterne, wie sie über den Himmel zerstreut sind als kleine und grosse Punkte, die man auch als Sternschnuppen mit einem Satz das Firmament durch- eilen sieht, das waren alles Sandflöhe; die Milchstrasse, in der sie sich am dichtesten zusammendrängen, war Asche und die Venus der »grosse Sandfloh«.
Wie bei den Bakaïrí liegt die Auffassung zu Grunde, dass die Himmels- tiere durch Zauberei dort oben hinkommen und in ihrem Aussehen von den irdischen Geschöpfen abweichen; denn sobald eine besondere Erscheinung auf- tritt, ist auch die Erklärung mit dem Bari zur Stelle. Ein Bari ist die grosse bunte Wasserschlange, die wir Regenbogen nennen. Ein prächtiges Meteor, das während unserer Anwesenheit fiel, war die »Seele eines Bari«, die plötzlich auftauchte, um den Bororó mitzutheilen, dass er »Jägerfleisch« haben wolle und einem von ihnen Dysenterie schicken werde. Die Szene, wie man das Unheil abzuwenden bemüht war, verdient in ihren Einzelheiten geschildert zu werden. Vgl. Tafel 30.
Das Meteor leuchtete am 14. April Abends 8 Uhr 26 Min. im Süden auf als eine Kugel von etwa ¼ Mondgrösse; ein heller Schein flammte über den ganzen Platz. Es fiel sehr schnell in 45° nach Westen zu und hinterliess einen Streifen, etwa 4 Himmelsflöhe erster Grösse breit und wie ein Stab in zwei Teile geteilt, dem freien Ende zu sternleuchtend, der Kugel zu brillant blau. Noch 4 Minuten lang meinte ich den Streifen, indem er mehr und mehr verblasste, als hell weisslichen Dunst zu sehen.
In demselben Augenblick, als das Meteor sichtbar wurde, erschallte von dem Indianerplatz her ein hundertstimmig gellendes, anhaltendes Geschrei. Von allen Seiten her stürzte man nach dem Ranchão, wo es eine Weile drinnen und draussen wie in einem aufgestörten Ameisenhaufen wimmelte. Dann wandte man sich nach dem zum Flussufer hin gelegenen Teil des Platzes, richtete ein paar Lagerfeuerchen her und bald sassen zahlreiche kleine, phantastisch be- leuchtete Gruppen von Männern, Weibern, Kindern den Hütten entlang. Ich war einige Minuten beiseite gegangen und wurde durch lauten Lärm zurück- gerufen. Zwei mit Urukú knallrot angestrichene Baris standen inmitten der Gesellschaft und prusteten in heftiger Aufregung ringsum zum Himmel hinauf, ein wenig Speichel von den Lippen spritzend, ähnlich wie die Kulisehuindianer die Gewitterwolken verjagten. Dabei zitterten und taumelten sie, dass man fürchten musste, sie würden ohnmächtig zu Boden stürzen. Indem sie sich nun dem Ort zuwandten, wo das Meteor erschienen war, heulten sie mit drohender, schreckhafter Stimme: vué! vué! die hohle rechte Hand vor den Mund pressend, streckten den linken Arm gen Himmel und hielten Jeder ein Bündel spannen- langer Maiszigaretten empor. »Hier, sieh es wohl«, schienen sie zu sagen, »alle
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[514/0590]
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über die Deutung nicht immer einig, so dass es mir doppelt schwer wurde, sie aus-
zuforschen. In Einem jedoch herrschte voller Einklang und dies war mir gerade
das Erstaunlichste. Die gemeinen und nicht in besondere Konstellationen einge-
schlossenen Sterne, wie sie über den Himmel zerstreut sind als kleine und grosse
Punkte, die man auch als Sternschnuppen mit einem Satz das Firmament durch-
eilen sieht, das waren alles Sandflöhe; die Milchstrasse, in der sie sich am
dichtesten zusammendrängen, war Asche und die Venus der »grosse Sandfloh«.
Wie bei den Bakaïrí liegt die Auffassung zu Grunde, dass die Himmels-
tiere durch Zauberei dort oben hinkommen und in ihrem Aussehen von den
irdischen Geschöpfen abweichen; denn sobald eine besondere Erscheinung auf-
tritt, ist auch die Erklärung mit dem Bari zur Stelle. Ein Bari ist die grosse
bunte Wasserschlange, die wir Regenbogen nennen. Ein prächtiges Meteor,
das während unserer Anwesenheit fiel, war die »Seele eines Bari«, die plötzlich
auftauchte, um den Bororó mitzutheilen, dass er »Jägerfleisch« haben wolle und
einem von ihnen Dysenterie schicken werde. Die Szene, wie man das Unheil
abzuwenden bemüht war, verdient in ihren Einzelheiten geschildert zu werden.
Vgl. Tafel 30.
Das Meteor leuchtete am 14. April Abends 8 Uhr 26 Min. im Süden auf
als eine Kugel von etwa ¼ Mondgrösse; ein heller Schein flammte über den
ganzen Platz. Es fiel sehr schnell in 45° nach Westen zu und hinterliess einen
Streifen, etwa 4 Himmelsflöhe erster Grösse breit und wie ein Stab in zwei Teile
geteilt, dem freien Ende zu sternleuchtend, der Kugel zu brillant blau. Noch
4 Minuten lang meinte ich den Streifen, indem er mehr und mehr verblasste,
als hell weisslichen Dunst zu sehen.
In demselben Augenblick, als das Meteor sichtbar wurde, erschallte von
dem Indianerplatz her ein hundertstimmig gellendes, anhaltendes Geschrei. Von
allen Seiten her stürzte man nach dem Ranchão, wo es eine Weile drinnen und
draussen wie in einem aufgestörten Ameisenhaufen wimmelte. Dann wandte
man sich nach dem zum Flussufer hin gelegenen Teil des Platzes, richtete ein
paar Lagerfeuerchen her und bald sassen zahlreiche kleine, phantastisch be-
leuchtete Gruppen von Männern, Weibern, Kindern den Hütten entlang. Ich
war einige Minuten beiseite gegangen und wurde durch lauten Lärm zurück-
gerufen. Zwei mit Urukú knallrot angestrichene Baris standen inmitten der
Gesellschaft und prusteten in heftiger Aufregung ringsum zum Himmel hinauf,
ein wenig Speichel von den Lippen spritzend, ähnlich wie die Kulisehuindianer
die Gewitterwolken verjagten. Dabei zitterten und taumelten sie, dass man
fürchten musste, sie würden ohnmächtig zu Boden stürzen. Indem sie sich nun
dem Ort zuwandten, wo das Meteor erschienen war, heulten sie mit drohender,
schreckhafter Stimme: vué! vué! die hohle rechte Hand vor den Mund pressend,
streckten den linken Arm gen Himmel und hielten Jeder ein Bündel spannen-
langer Maiszigaretten empor. »Hier, sieh es wohl«, schienen sie zu sagen, »alle
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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 514. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/590>, abgerufen am 22.11.2024.
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