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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894.

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Voraussetzung ist hier, wie wir sie auch bei den Kulisehuindianern kennen
gelernt haben, die bei den Bororo in ihrem Jägerstadium noch in ursprünglichster
Kraft blühende Anschauung, dass Tiere und Menschen nur verschiedene Personen
sind. Der Tod eines der Ihrigen ist der Racheakt eines Getöteten. Ein Jäger
wird krank oder stirbt -- wem hat man diesen bösen Streich zur Last zu legen?
Einer Tier-Person, die er selbst getötet hat und die sich rächt; so muss bei der
immer vorhandenen Möglichkeit dieser Erklärung sich die allgemeine An-
schauung bilden, dass der Tote den Lebenden holt. Wie macht das aber
das getötete Tier? Ja . . . ., ein Medizinmann hat darin gesteckt . . . ., Einer
der Alles kann, ohne dass man weiss, wie er es macht.

So greifen die Erklärungsversuche ineinander, auf einen gelegentlichen
Zirkelschluss kommt es auch nicht an, wo so viel Tradition und Affekt im
Spiele ist. Es hiesse jedoch das Verständnis mehr erschweren als fördern, wenn
man die Anschauung der Bororo über die Fortdauer mit dem Schema "Seelen-
wanderung
" abfertigen wollte. "Seelenwanderung" erleben sie alle Nächte.
Dass Tiere und Menschen nur verschiedene Personen sind, ist weit wichtiger
als dass man sich nach späteren Rücksichten zu der einen oder anderen Tier-
person in ein näheres Verhältnis setzt. Mir wird es wirklich am leichtesten, die
Leute zu verstehen, wenn ich die Behauptung, die die späteste und verworrenste
zu sein scheint, dass sie nämlich sagen "wir sind Vögel", mir als die früheste
und einfachste zurechtlege, und mir nicht vorstelle, "ich werde ein Vogel",
sondern ich -- bitte, nicht im Sinne des Berliners -- habe einen Vogel, bin
ein Vogel, der jetzt Nachts umherfliegt, aber einst, in hoffentlich ferner Zeit,
nicht mehr zu seiner Familie zurückfliegen wird, wenn ihn eine andere Person,
Mensch, Vogel oder Säugetier, die ich tötlich gekränkt habe, daran zu verhindern
weiss, und der alsdann gezwungen sein wird, seine nächtliche Gestalt zu be-
halten, der nun als weisser Reiher an der Lagune Fische fangen wird und ernstlich
darauf rechnen möchte, dass Kind und Kindeskinder ihn nicht schiessen und
aufessen, sondern ihm nur, falls es sein muss, die Federn ausrupfen."

Himmlische Flöhe; Meteorbeschwörung. Sonne und Mond sind
Ararafedern. Welche Vorstellungen über ihre Besitzer vorhanden sind, gelang
mir nicht zu erfahren. Aber die Bororo lachten mich aus, als ich sie fragte,
ob Sonne und Mond wie Menschen wären, und wiederholten "Ararafedern",
Ararafedern und nicht etwa Arara schlechthin, als ob sie Vögel sein könnten.
Wir wohnen auf einer grossen Insel inmitten eines Flusses, der "baruparu"
-- die Reduplikation von "baru", "Himmel" -- heisst. Mond und Sonne (oder
ihre Besitzer) sind auf der einen Seite und wandern durch den Fluss; wenn sie
zusammenkommen, geht der Mond vorüber und es kommt Neumond.

Das südliche Kreuz sind die Zehen eines grossen Strausses, der Centaur
ein zugehöriges Bein, der Orion ist eine Jabuti-Schildkröte und in dem nach
dem Sirius zugelegenen Teil ein Kaiman, die Plejaden sind das Blütenbüschel
des Angicobaums, Acacia; die Bororo zeigten mir das Alles mit vielem Vergnügen

v. d. Steinen, Zentral-Brasilien. 33

Voraussetzung ist hier, wie wir sie auch bei den Kulisehuindianern kennen
gelernt haben, die bei den Bororó in ihrem Jägerstadium noch in ursprünglichster
Kraft blühende Anschauung, dass Tiere und Menschen nur verschiedene Personen
sind. Der Tod eines der Ihrigen ist der Racheakt eines Getöteten. Ein Jäger
wird krank oder stirbt — wem hat man diesen bösen Streich zur Last zu legen?
Einer Tier-Person, die er selbst getötet hat und die sich rächt; so muss bei der
immer vorhandenen Möglichkeit dieser Erklärung sich die allgemeine An-
schauung bilden, dass der Tote den Lebenden holt. Wie macht das aber
das getötete Tier? Ja . . . ., ein Medizinmann hat darin gesteckt . . . ., Einer
der Alles kann, ohne dass man weiss, wie er es macht.

So greifen die Erklärungsversuche ineinander, auf einen gelegentlichen
Zirkelschluss kommt es auch nicht an, wo so viel Tradition und Affekt im
Spiele ist. Es hiesse jedoch das Verständnis mehr erschweren als fördern, wenn
man die Anschauung der Bororó über die Fortdauer mit dem Schema »Seelen-
wanderung
« abfertigen wollte. »Seelenwanderung« erleben sie alle Nächte.
Dass Tiere und Menschen nur verschiedene Personen sind, ist weit wichtiger
als dass man sich nach späteren Rücksichten zu der einen oder anderen Tier-
person in ein näheres Verhältnis setzt. Mir wird es wirklich am leichtesten, die
Leute zu verstehen, wenn ich die Behauptung, die die späteste und verworrenste
zu sein scheint, dass sie nämlich sagen »wir sind Vögel«, mir als die früheste
und einfachste zurechtlege, und mir nicht vorstelle, »ich werde ein Vogel«,
sondern ich — bitte, nicht im Sinne des Berliners — habe einen Vogel, bin
ein Vogel, der jetzt Nachts umherfliegt, aber einst, in hoffentlich ferner Zeit,
nicht mehr zu seiner Familie zurückfliegen wird, wenn ihn eine andere Person,
Mensch, Vogel oder Säugetier, die ich tötlich gekränkt habe, daran zu verhindern
weiss, und der alsdann gezwungen sein wird, seine nächtliche Gestalt zu be-
halten, der nun als weisser Reiher an der Lagune Fische fangen wird und ernstlich
darauf rechnen möchte, dass Kind und Kindeskinder ihn nicht schiessen und
aufessen, sondern ihm nur, falls es sein muss, die Federn ausrupfen.«

Himmlische Flöhe; Meteorbeschwörung. Sonne und Mond sind
Ararafedern. Welche Vorstellungen über ihre Besitzer vorhanden sind, gelang
mir nicht zu erfahren. Aber die Bororó lachten mich aus, als ich sie fragte,
ob Sonne und Mond wie Menschen wären, und wiederholten »Ararafedern«,
Ararafedern und nicht etwa Arara schlechthin, als ob sie Vögel sein könnten.
Wir wohnen auf einer grossen Insel inmitten eines Flusses, der „baruparu
— die Reduplikation von „baru“, »Himmel« — heisst. Mond und Sonne (oder
ihre Besitzer) sind auf der einen Seite und wandern durch den Fluss; wenn sie
zusammenkommen, geht der Mond vorüber und es kommt Neumond.

Das südliche Kreuz sind die Zehen eines grossen Strausses, der Centaur
ein zugehöriges Bein, der Orion ist eine Jabuti-Schildkröte und in dem nach
dem Sirius zugelegenen Teil ein Kaiman, die Plejaden sind das Blütenbüschel
des Angicobaums, Acacia; die Bororó zeigten mir das Alles mit vielem Vergnügen

v. d. Steinen, Zentral-Brasilien. 33
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[513/0589] Voraussetzung ist hier, wie wir sie auch bei den Kulisehuindianern kennen gelernt haben, die bei den Bororó in ihrem Jägerstadium noch in ursprünglichster Kraft blühende Anschauung, dass Tiere und Menschen nur verschiedene Personen sind. Der Tod eines der Ihrigen ist der Racheakt eines Getöteten. Ein Jäger wird krank oder stirbt — wem hat man diesen bösen Streich zur Last zu legen? Einer Tier-Person, die er selbst getötet hat und die sich rächt; so muss bei der immer vorhandenen Möglichkeit dieser Erklärung sich die allgemeine An- schauung bilden, dass der Tote den Lebenden holt. Wie macht das aber das getötete Tier? Ja . . . ., ein Medizinmann hat darin gesteckt . . . ., Einer der Alles kann, ohne dass man weiss, wie er es macht. So greifen die Erklärungsversuche ineinander, auf einen gelegentlichen Zirkelschluss kommt es auch nicht an, wo so viel Tradition und Affekt im Spiele ist. Es hiesse jedoch das Verständnis mehr erschweren als fördern, wenn man die Anschauung der Bororó über die Fortdauer mit dem Schema »Seelen- wanderung« abfertigen wollte. »Seelenwanderung« erleben sie alle Nächte. Dass Tiere und Menschen nur verschiedene Personen sind, ist weit wichtiger als dass man sich nach späteren Rücksichten zu der einen oder anderen Tier- person in ein näheres Verhältnis setzt. Mir wird es wirklich am leichtesten, die Leute zu verstehen, wenn ich die Behauptung, die die späteste und verworrenste zu sein scheint, dass sie nämlich sagen »wir sind Vögel«, mir als die früheste und einfachste zurechtlege, und mir nicht vorstelle, »ich werde ein Vogel«, sondern ich — bitte, nicht im Sinne des Berliners — habe einen Vogel, bin ein Vogel, der jetzt Nachts umherfliegt, aber einst, in hoffentlich ferner Zeit, nicht mehr zu seiner Familie zurückfliegen wird, wenn ihn eine andere Person, Mensch, Vogel oder Säugetier, die ich tötlich gekränkt habe, daran zu verhindern weiss, und der alsdann gezwungen sein wird, seine nächtliche Gestalt zu be- halten, der nun als weisser Reiher an der Lagune Fische fangen wird und ernstlich darauf rechnen möchte, dass Kind und Kindeskinder ihn nicht schiessen und aufessen, sondern ihm nur, falls es sein muss, die Federn ausrupfen.« Himmlische Flöhe; Meteorbeschwörung. Sonne und Mond sind Ararafedern. Welche Vorstellungen über ihre Besitzer vorhanden sind, gelang mir nicht zu erfahren. Aber die Bororó lachten mich aus, als ich sie fragte, ob Sonne und Mond wie Menschen wären, und wiederholten »Ararafedern«, Ararafedern und nicht etwa Arara schlechthin, als ob sie Vögel sein könnten. Wir wohnen auf einer grossen Insel inmitten eines Flusses, der „baruparu“ — die Reduplikation von „baru“, »Himmel« — heisst. Mond und Sonne (oder ihre Besitzer) sind auf der einen Seite und wandern durch den Fluss; wenn sie zusammenkommen, geht der Mond vorüber und es kommt Neumond. Das südliche Kreuz sind die Zehen eines grossen Strausses, der Centaur ein zugehöriges Bein, der Orion ist eine Jabuti-Schildkröte und in dem nach dem Sirius zugelegenen Teil ein Kaiman, die Plejaden sind das Blütenbüschel des Angicobaums, Acacia; die Bororó zeigten mir das Alles mit vielem Vergnügen v. d. Steinen, Zentral-Brasilien. 33

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Zitationshilfe: Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 513. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/589>, abgerufen am 22.11.2024.