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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894.

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suchten auch sie heimlich (durch Spucken und Werfen von Holzstüchcken) ihren
Zweck zu erreichen.

Den genaueren Sinn von bupe kenne ich nicht. Während des Traumes
fliegt die Seele in Gestalt eines Vogels von dannen. Sie sieht und hört dann
Vieles. Fest wird an das geglaubt, was der Erwachende berichtet. Die Kayapo
waren wirklich in der Nähe des Dorfes gewesen; Niemand zweifelte daran.
Clemente bestätigte aus seiner Erfahrung die Richtigkeit ihrer Vorhersagungen.
Wenn die im Dorf zurückgelassene Frau, während der Mann auf dem Jagdaus-
flug abwesend war, die halbe Nacht allein in der Hütte sitzend ein paar Stunden
laut geklagt und gejammert habe und sich dann zum Schlafen niederlege, so
finde ihre Seele mit Sicherheit die Jäger und nach dem Erwachen machten die
Frauen stets richtige Angaben, wo sie jetzt seien und wann sie wieder eintreffen
würden. Die Nähe des Feindes werde im Traum erraten, man fliehe und er
komme in ein verlassenes Dorf.

Sicher ist, dass die Baris den Tag des Todes bei einem Schwerkranken
richtig voraussagen. Nicht nur das Kind, von dem ich Seite 460 erzählt habe,
wurde, als die Zeit erfüllet war, getötet, auch bei Coqueiro's Gattin war künstlich
nachgeholfen worden. Man hatte sie noch lebend in den Ranchao ge-
bracht, ihr das Gesicht mit einem Tuch verdeckt und sie unter der Hülle er-
stickt. Es war der vierte Tag an dem sie den Baris zufolge sterben sollte, und
sie starb auch. Ich glaube, man kann dieses Hineinpfuschen in Atropos' Hand-
werk gerade bei einem vielfach umherstreifenden Jägerstamm, auch wenn er
nicht einmal so ernsthaft wie die Bororo Menschen und Tiere auf eine Stufe
stellte, leicht daraus verstehen, dass sie sterbenden Tieren den Rest zu geben
gewohnt und nicht beliebige Zeit an manchen Orten zu verweilen in der Lage sind.
Dass die Baris aus dem Brauch Nutzen zu ziehen wissen, ist eine Sache für sich.

Die Vorstellungen über den Tod und die Fortdauer sind insofern wesent-
lich von denen der Kulisehuindianer verschieden, als die den Tod verschuldenden
Medizinmänner nicht in einem Nachbardorf wohnen und dort Hexenkünste treiben,
sondern in gewissen Tieren stecken, die man unglücklicher oder thörichter Weise
tötet und die sich nun rächen, indem sie den Lebenden holen. Während sich
der Medizinmann der Bakairi nur vorübergehend in der Narkose in Tiere zu
verwandeln pflegt und nach dem Tode in menschlicher Gestalt zum Himmel
geht, ist hier der Tod selbst nichts anderes, als eine Verwandlung in Tiere, ein
Traum, dessen Wirklichkeit für Alle sichtbar geworden ist.

Das Gewöhnliche ist, dass der Bororo nach seinem Tode, Mann oder Frau,
ein roter Arara wird, also ein Vogel wie die Seele im Traum. Das Fleisch
und die Haut verfaulen, die Knochen werden in so feierlichem Schmuck abge-
liefert, wie der Verstorbene es nur verlangen kann, seine Kleidung wird hinzu-
gepackt oder verbrannt, die Verwandten geben den ganzen Hausrat her, den
er mitbenutzt hat, sie geben ihm sogar von ihrem Blut -- wenn er sich m[it]
dem Allem die alte Gestalt wiederzugeben weiss, so haben ihm die Hint[er-]

suchten auch sie heimlich (durch Spucken und Werfen von Holzstüchcken) ihren
Zweck zu erreichen.

Den genaueren Sinn von búpe kenne ich nicht. Während des Traumes
fliegt die Seele in Gestalt eines Vogels von dannen. Sie sieht und hört dann
Vieles. Fest wird an das geglaubt, was der Erwachende berichtet. Die Kayapó
waren wirklich in der Nähe des Dorfes gewesen; Niemand zweifelte daran.
Clemente bestätigte aus seiner Erfahrung die Richtigkeit ihrer Vorhersagungen.
Wenn die im Dorf zurückgelassene Frau, während der Mann auf dem Jagdaus-
flug abwesend war, die halbe Nacht allein in der Hütte sitzend ein paar Stunden
laut geklagt und gejammert habe und sich dann zum Schlafen niederlege, so
finde ihre Seele mit Sicherheit die Jäger und nach dem Erwachen machten die
Frauen stets richtige Angaben, wo sie jetzt seien und wann sie wieder eintreffen
würden. Die Nähe des Feindes werde im Traum erraten, man fliehe und er
komme in ein verlassenes Dorf.

Sicher ist, dass die Baris den Tag des Todes bei einem Schwerkranken
richtig voraussagen. Nicht nur das Kind, von dem ich Seite 460 erzählt habe,
wurde, als die Zeit erfüllet war, getötet, auch bei Coqueiro’s Gattin war künstlich
nachgeholfen worden. Man hatte sie noch lebend in den Ranchão ge-
bracht, ihr das Gesicht mit einem Tuch verdeckt und sie unter der Hülle er-
stickt. Es war der vierte Tag an dem sie den Baris zufolge sterben sollte, und
sie starb auch. Ich glaube, man kann dieses Hineinpfuschen in Atropos’ Hand-
werk gerade bei einem vielfach umherstreifenden Jägerstamm, auch wenn er
nicht einmal so ernsthaft wie die Bororó Menschen und Tiere auf eine Stufe
stellte, leicht daraus verstehen, dass sie sterbenden Tieren den Rest zu geben
gewohnt und nicht beliebige Zeit an manchen Orten zu verweilen in der Lage sind.
Dass die Baris aus dem Brauch Nutzen zu ziehen wissen, ist eine Sache für sich.

Die Vorstellungen über den Tod und die Fortdauer sind insofern wesent-
lich von denen der Kulisehuindianer verschieden, als die den Tod verschuldenden
Medizinmänner nicht in einem Nachbardorf wohnen und dort Hexenkünste treiben,
sondern in gewissen Tieren stecken, die man unglücklicher oder thörichter Weise
tötet und die sich nun rächen, indem sie den Lebenden holen. Während sich
der Medizinmann der Bakaïrí nur vorübergehend in der Narkose in Tiere zu
verwandeln pflegt und nach dem Tode in menschlicher Gestalt zum Himmel
geht, ist hier der Tod selbst nichts anderes, als eine Verwandlung in Tiere, ein
Traum, dessen Wirklichkeit für Alle sichtbar geworden ist.

Das Gewöhnliche ist, dass der Bororó nach seinem Tode, Mann oder Frau,
ein roter Arara wird, also ein Vogel wie die Seele im Traum. Das Fleisch
und die Haut verfaulen, die Knochen werden in so feierlichem Schmuck abge-
liefert, wie der Verstorbene es nur verlangen kann, seine Kleidung wird hinzu-
gepackt oder verbrannt, die Verwandten geben den ganzen Hausrat her, den
er mitbenutzt hat, sie geben ihm sogar von ihrem Blut — wenn er sich m[it]
dem Allem die alte Gestalt wiederzugeben weiss, so haben ihm die Hint[er-]

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[511/0585] suchten auch sie heimlich (durch Spucken und Werfen von Holzstüchcken) ihren Zweck zu erreichen. Den genaueren Sinn von búpe kenne ich nicht. Während des Traumes fliegt die Seele in Gestalt eines Vogels von dannen. Sie sieht und hört dann Vieles. Fest wird an das geglaubt, was der Erwachende berichtet. Die Kayapó waren wirklich in der Nähe des Dorfes gewesen; Niemand zweifelte daran. Clemente bestätigte aus seiner Erfahrung die Richtigkeit ihrer Vorhersagungen. Wenn die im Dorf zurückgelassene Frau, während der Mann auf dem Jagdaus- flug abwesend war, die halbe Nacht allein in der Hütte sitzend ein paar Stunden laut geklagt und gejammert habe und sich dann zum Schlafen niederlege, so finde ihre Seele mit Sicherheit die Jäger und nach dem Erwachen machten die Frauen stets richtige Angaben, wo sie jetzt seien und wann sie wieder eintreffen würden. Die Nähe des Feindes werde im Traum erraten, man fliehe und er komme in ein verlassenes Dorf. Sicher ist, dass die Baris den Tag des Todes bei einem Schwerkranken richtig voraussagen. Nicht nur das Kind, von dem ich Seite 460 erzählt habe, wurde, als die Zeit erfüllet war, getötet, auch bei Coqueiro’s Gattin war künstlich nachgeholfen worden. Man hatte sie noch lebend in den Ranchão ge- bracht, ihr das Gesicht mit einem Tuch verdeckt und sie unter der Hülle er- stickt. Es war der vierte Tag an dem sie den Baris zufolge sterben sollte, und sie starb auch. Ich glaube, man kann dieses Hineinpfuschen in Atropos’ Hand- werk gerade bei einem vielfach umherstreifenden Jägerstamm, auch wenn er nicht einmal so ernsthaft wie die Bororó Menschen und Tiere auf eine Stufe stellte, leicht daraus verstehen, dass sie sterbenden Tieren den Rest zu geben gewohnt und nicht beliebige Zeit an manchen Orten zu verweilen in der Lage sind. Dass die Baris aus dem Brauch Nutzen zu ziehen wissen, ist eine Sache für sich. Die Vorstellungen über den Tod und die Fortdauer sind insofern wesent- lich von denen der Kulisehuindianer verschieden, als die den Tod verschuldenden Medizinmänner nicht in einem Nachbardorf wohnen und dort Hexenkünste treiben, sondern in gewissen Tieren stecken, die man unglücklicher oder thörichter Weise tötet und die sich nun rächen, indem sie den Lebenden holen. Während sich der Medizinmann der Bakaïrí nur vorübergehend in der Narkose in Tiere zu verwandeln pflegt und nach dem Tode in menschlicher Gestalt zum Himmel geht, ist hier der Tod selbst nichts anderes, als eine Verwandlung in Tiere, ein Traum, dessen Wirklichkeit für Alle sichtbar geworden ist. Das Gewöhnliche ist, dass der Bororó nach seinem Tode, Mann oder Frau, ein roter Arara wird, also ein Vogel wie die Seele im Traum. Das Fleisch und die Haut verfaulen, die Knochen werden in so feierlichem Schmuck abge- liefert, wie der Verstorbene es nur verlangen kann, seine Kleidung wird hinzu- gepackt oder verbrannt, die Verwandten geben den ganzen Hausrat her, den er mitbenutzt hat, sie geben ihm sogar von ihrem Blut — wenn er sich mit dem Allem die alte Gestalt wiederzugeben weiss, so haben ihm die Hinter-

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Zitationshilfe: Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 511. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/585>, abgerufen am 22.11.2024.