Blätterbündel, band sie am Stiel pinselförmig zusammen und befestigte sie dem bestgeschmückten jungen Mann an den Schultern, wo er schwarze Theerflecke hatte, an den Armen, den Knieen, den Knöcheln. Dieser Bororo im grünen Laubschmuck stellte den Toten in seinem jetzigen Zustand dar, wo er unter einer Decke von grünen Blättern beerdigt war. Vier Männer traten mit einer Korbtasche hinzu, holten Kleider von Coqueiro's Gattin hervor und behingen damit den Grünen, der ächzend dastand und in den Knieen wippte -- ein Bild des Jammers, nach unseren Begriffen eine "arme Seele", höchst seltsam an- zuschauen in dem "überladenen" Kostüm von blauen Ararafedern, grünen Guir- landen und fünf bunten Kattunröcken. Auch die anderen behingen sich mit Röcken, Einer mit einem Jaguarfell, gaben dem Grünen ein mit weissen Federchen beklebtes Kürbisflötchen und veranstalteten nun einen Tanz. Ein Mann mit zwei Rasselkürbissen eröffnete den Reigen, hinter ihm tanzte der Grüne und hinter diesem die vier Andern, Alle sechs sangen im Chor und tanzten rechts hinübertretend, links hinübertretend erst nach dem Ranchao, wandten sich dann zurück und stampften tanzend auf dem Boden einen Kreis aus. Plötzlich schwenkten sie ab und rannten in regellosem Durcheinander zum Walde hin, wo sie verschwanden.
Mit dem Kürbisflötchen rief der junge Tote zwei alte Tote, die schon längst in der Erde lagen. Sie sollten bei der Auslieferung der Habe anwesend sein, den neuen Genossen übernehmen und sich überzeugen, dass man ihm nichts vorenthalte, was er mit späteren unangenehmen Besuchen bei den Hinter- bliebenen zu reklamieren hätte.
Nach einer Viertelstunde kehrte die Schaar im Sturmlauf mit fürchterlichem Halloh zurück, zwei trugen auf ihrem Rücken -- hurra, die Toten reiten schnell -- zwei in der That schauderhafte Gestalten, nackt, schmucklos, über und über vom Wirbel bis zur Zehe mit nassem Flusslehm beschmiert. Mit bestialischem Schreien sprangen die Lehmscheusale wilden Tieren gleich umher, wie un- geheure Brummfliegen summten und sausten drei Schwirrhölzer durch die Luft -- kein weibliches Wesen war weithin sichtbar und die Hütten lagen wie unbewohnt, mit Matten verschlossen -- inmitten des vorhin gestampften Kreises wurde mit grösster Geschäftigkeit ein helles Feuer entzündet, ein gewaltiger Kram von allem möglichen Hausrath herbeigeschleppt, Körbe, Feuerfächer, Bastbinden, Rindengürtel, eine rote Decke, viele Maiskolben, Kürbisse, Muscheln; Bogen und Pfeilbündel wurden zerbrochen und alles in einen Haufen zusammengeworfen. Bald kam eine gewisse Ordnung in die Szene; die Männer umgaben das Feuer in einem Kreis und bewegten sich mit gleichen Füssen aufspringend langsam rundum. Der Grüne wurde von den beiden Lehmgesellen, in denen wir im ersten Augenblick den braven Moguyokuri und den Hauptbari (den Schützen auf Tafel 28) kaum wiedererkannten, festgehalten und niedergedrückt. Die Kürbisse rasselten, die Schwirrhölzer summten, das Feuer brannte nun lichterloh. Der Grüne wurde losgelassen und er und ein zweiter im Pariko hinter ihm warfen
Blätterbündel, band sie am Stiel pinselförmig zusammen und befestigte sie dem bestgeschmückten jungen Mann an den Schultern, wo er schwarze Theerflecke hatte, an den Armen, den Knieen, den Knöcheln. Dieser Bororó im grünen Laubschmuck stellte den Toten in seinem jetzigen Zustand dar, wo er unter einer Decke von grünen Blättern beerdigt war. Vier Männer traten mit einer Korbtasche hinzu, holten Kleider von Coqueiro’s Gattin hervor und behingen damit den Grünen, der ächzend dastand und in den Knieen wippte — ein Bild des Jammers, nach unseren Begriffen eine »arme Seele«, höchst seltsam an- zuschauen in dem »überladenen« Kostüm von blauen Ararafedern, grünen Guir- landen und fünf bunten Kattunröcken. Auch die anderen behingen sich mit Röcken, Einer mit einem Jaguarfell, gaben dem Grünen ein mit weissen Federchen beklebtes Kürbisflötchen und veranstalteten nun einen Tanz. Ein Mann mit zwei Rasselkürbissen eröffnete den Reigen, hinter ihm tanzte der Grüne und hinter diesem die vier Andern, Alle sechs sangen im Chor und tanzten rechts hinübertretend, links hinübertretend erst nach dem Ranchão, wandten sich dann zurück und stampften tanzend auf dem Boden einen Kreis aus. Plötzlich schwenkten sie ab und rannten in regellosem Durcheinander zum Walde hin, wo sie verschwanden.
Mit dem Kürbisflötchen rief der junge Tote zwei alte Tote, die schon längst in der Erde lagen. Sie sollten bei der Auslieferung der Habe anwesend sein, den neuen Genossen übernehmen und sich überzeugen, dass man ihm nichts vorenthalte, was er mit späteren unangenehmen Besuchen bei den Hinter- bliebenen zu reklamieren hätte.
Nach einer Viertelstunde kehrte die Schaar im Sturmlauf mit fürchterlichem Halloh zurück, zwei trugen auf ihrem Rücken — hurra, die Toten reiten schnell — zwei in der That schauderhafte Gestalten, nackt, schmucklos, über und über vom Wirbel bis zur Zehe mit nassem Flusslehm beschmiert. Mit bestialischem Schreien sprangen die Lehmscheusale wilden Tieren gleich umher, wie un- geheure Brummfliegen summten und sausten drei Schwirrhölzer durch die Luft — kein weibliches Wesen war weithin sichtbar und die Hütten lagen wie unbewohnt, mit Matten verschlossen — inmitten des vorhin gestampften Kreises wurde mit grösster Geschäftigkeit ein helles Feuer entzündet, ein gewaltiger Kram von allem möglichen Hausrath herbeigeschleppt, Körbe, Feuerfächer, Bastbinden, Rindengürtel, eine rote Decke, viele Maiskolben, Kürbisse, Muscheln; Bogen und Pfeilbündel wurden zerbrochen und alles in einen Haufen zusammengeworfen. Bald kam eine gewisse Ordnung in die Szene; die Männer umgaben das Feuer in einem Kreis und bewegten sich mit gleichen Füssen aufspringend langsam rundum. Der Grüne wurde von den beiden Lehmgesellen, in denen wir im ersten Augenblick den braven Moguyokuri und den Hauptbari (den Schützen auf Tafel 28) kaum wiedererkannten, festgehalten und niedergedrückt. Die Kürbisse rasselten, die Schwirrhölzer summten, das Feuer brannte nun lichterloh. Der Grüne wurde losgelassen und er und ein zweiter im Paríko hinter ihm warfen
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Blätterbündel, band sie am Stiel pinselförmig zusammen und befestigte sie dem
bestgeschmückten jungen Mann an den Schultern, wo er schwarze Theerflecke
hatte, an den Armen, den Knieen, den Knöcheln. Dieser Bororó im grünen
Laubschmuck stellte den Toten in seinem jetzigen Zustand dar, wo er unter
einer Decke von grünen Blättern beerdigt war. Vier Männer traten mit einer
Korbtasche hinzu, holten Kleider von Coqueiro’s Gattin hervor und behingen
damit den Grünen, der ächzend dastand und in den Knieen wippte — ein Bild
des Jammers, nach unseren Begriffen eine »arme Seele«, höchst seltsam an-
zuschauen in dem »überladenen« Kostüm von blauen Ararafedern, grünen Guir-
landen und fünf bunten Kattunröcken. Auch die anderen behingen sich mit
Röcken, Einer mit einem Jaguarfell, gaben dem Grünen ein mit weissen
Federchen beklebtes Kürbisflötchen und veranstalteten nun einen Tanz. Ein
Mann mit zwei Rasselkürbissen eröffnete den Reigen, hinter ihm tanzte der
Grüne und hinter diesem die vier Andern, Alle sechs sangen im Chor und
tanzten rechts hinübertretend, links hinübertretend erst nach dem Ranchão,
wandten sich dann zurück und stampften tanzend auf dem Boden einen Kreis
aus. Plötzlich schwenkten sie ab und rannten in regellosem Durcheinander zum
Walde hin, wo sie verschwanden.
Mit dem Kürbisflötchen rief der junge Tote zwei alte Tote, die schon
längst in der Erde lagen. Sie sollten bei der Auslieferung der Habe anwesend
sein, den neuen Genossen übernehmen und sich überzeugen, dass man ihm nichts
vorenthalte, was er mit späteren unangenehmen Besuchen bei den Hinter-
bliebenen zu reklamieren hätte.
Nach einer Viertelstunde kehrte die Schaar im Sturmlauf mit fürchterlichem
Halloh zurück, zwei trugen auf ihrem Rücken — hurra, die Toten reiten schnell —
zwei in der That schauderhafte Gestalten, nackt, schmucklos, über und über vom
Wirbel bis zur Zehe mit nassem Flusslehm beschmiert. Mit bestialischem
Schreien sprangen die Lehmscheusale wilden Tieren gleich umher, wie un-
geheure Brummfliegen summten und sausten drei Schwirrhölzer durch die Luft —
kein weibliches Wesen war weithin sichtbar und die Hütten lagen wie unbewohnt,
mit Matten verschlossen — inmitten des vorhin gestampften Kreises wurde mit
grösster Geschäftigkeit ein helles Feuer entzündet, ein gewaltiger Kram von
allem möglichen Hausrath herbeigeschleppt, Körbe, Feuerfächer, Bastbinden,
Rindengürtel, eine rote Decke, viele Maiskolben, Kürbisse, Muscheln; Bogen
und Pfeilbündel wurden zerbrochen und alles in einen Haufen zusammengeworfen.
Bald kam eine gewisse Ordnung in die Szene; die Männer umgaben das Feuer
in einem Kreis und bewegten sich mit gleichen Füssen aufspringend langsam
rundum. Der Grüne wurde von den beiden Lehmgesellen, in denen wir im ersten
Augenblick den braven Moguyokuri und den Hauptbari (den Schützen auf
Tafel 28) kaum wiedererkannten, festgehalten und niedergedrückt. Die Kürbisse
rasselten, die Schwirrhölzer summten, das Feuer brannte nun lichterloh. Der
Grüne wurde losgelassen und er und ein zweiter im Paríko hinter ihm warfen
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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 506. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/580>, abgerufen am 22.11.2024.
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