gründet. Man bat Wilhem inständigst, die von ihm gezeichneten Schwirr- hölzer den Frauen nicht zu zeigen. Wenn wir Kaufangebote machten, wurden die aidye versteckt. Die Männer hatten anscheinend selbst eine gewisse Angst, wenn wir von diesen Geräten wie von Bogen und Pfeilen und beliebigen anderen Gegenständen der Sammlung sprachen, Einer wandte sich ängstlich ab, als ich das Thema aidye berührte und bekundete deutlich, dass er lieber nichts davon höre; es war eng verknüpft mit der Furcht vor dem Tode. Wir erreichten unsern Wunsch nur durch drei ältere Jungen in den richtigen Flegeljahren, die auf kleine rote Perlen ebenso versessen waren, wie wir auf die Schwirrhölzer. Sie schnitzten und bemalten sie draussen im Walde. Bei Nacht und Nebel er- schien der Erste sehr geheimnisvoll in unserer Stube und verlangte, dass wir Thüre und Fensterläden schlössen. Dann kam der Zweite anklopfend und endlich ebenso der Dritte. Jeder hatte unter einem Tuch ein Schwirrholz versteckt; sie flüsterten, dass wir sie sorgfältig verbergen müssten, Frauen und Kinder würden sterben, wenn sie eins erblickten, sie bestanden namentlich darauf, dass auch die Männer -- der Schlingel Tobakiu hatte grosse Angst vor seinem Vater Moguyokuri -- nichts erführen, weil sie "brabo" werden und sie jämmerlich hauen würden. Wir nahmen auf diese Begründung auch alle Rücksicht und legten die drei ge- fährlichen Hölzer vor ihren Augen in unsern Koffer dorthin, wo er am tiefsten war.
Die Form der Schwirrhölzer ist langoval, ihre Grösse 40--42 cm. An dem Schnurende befindet sich eine Einkerbung und etwas davon entfernt in der Mittellinie des Bretts ein Loch, sodass die zwischen Loch und Kerbe gespannte Schnur einen festen Halt hat, vgl. Abb. 145.
Zeichenkunst. Hier kann ich zunächst bei den Schwirrhölzern fortfahren. Auf Tafel 19 sehen wir eins mit Bleistift gezeichnet. Wie auf dem Bild die etwas spitz geratenen Ecken schwarz ausgefüllt sind, so sind auch die Enden der Schwirrhölzer schwarz angestrichen; zwischen ihnen ist die Fläche mit Urukurot bestrichen und auf diesem roten Grund das Muster schwarz aufgemalt. Die Muster haben zu Motiven die beiden nächstliegenden. Auf dem Schwirr- holz der Abbildung 146 nämlich, das bei der Totenfeier von Coqueiro's Gattin von dem Bari gebracht wurde, sind Halbkreise mit Tüpfeln gemalt: das mit den Federchen beklebte Schädeldach in seiner Ausschmückung für den Knochenkorb. Auf andern ferner erschienen Stücke der Frauentracht, entweder in breiten, schwarzen Querstreifen der Rindengürtel oder in Dreiecken die Bastbinde, vgl. Abb. 129, mit der Hüftschnur. Letzteres Motiv befindet sich auf dem gezeichneten Schwirr- holz der Tafel 19. Auf jeder Seite ist eine Hüftschnur mit drei Bastbinden gezeichnet. Da hätten wir also das uns vom Uluri des Kulisehu bekannte Dreieck auch von der Bastbinde, deren entsprechende Nachbildung wir gern bei den Trumai erhalten hätten. Auf einem Schwirrholzexemplar, das auch Perl- mutteraugen und dazwischen einen ungetüpfelten Halbkreis zeigt, sind nicht nur drei Rindengürtel als drei Querbänder, sondern dazwischen auch noch je ein kleiner Kreis, mit rechts und links einem Quadrat daneben aufgemalt.
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gründet. Man bat Wilhem inständigst, die von ihm gezeichneten Schwirr- hölzer den Frauen nicht zu zeigen. Wenn wir Kaufangebote machten, wurden die aídye versteckt. Die Männer hatten anscheinend selbst eine gewisse Angst, wenn wir von diesen Geräten wie von Bogen und Pfeilen und beliebigen anderen Gegenständen der Sammlung sprachen, Einer wandte sich ängstlich ab, als ich das Thema aídye berührte und bekundete deutlich, dass er lieber nichts davon höre; es war eng verknüpft mit der Furcht vor dem Tode. Wir erreichten unsern Wunsch nur durch drei ältere Jungen in den richtigen Flegeljahren, die auf kleine rote Perlen ebenso versessen waren, wie wir auf die Schwirrhölzer. Sie schnitzten und bemalten sie draussen im Walde. Bei Nacht und Nebel er- schien der Erste sehr geheimnisvoll in unserer Stube und verlangte, dass wir Thüre und Fensterläden schlössen. Dann kam der Zweite anklopfend und endlich ebenso der Dritte. Jeder hatte unter einem Tuch ein Schwirrholz versteckt; sie flüsterten, dass wir sie sorgfältig verbergen müssten, Frauen und Kinder würden sterben, wenn sie eins erblickten, sie bestanden namentlich darauf, dass auch die Männer — der Schlingel Tobakiu hatte grosse Angst vor seinem Vater Moguyokuri — nichts erführen, weil sie »brabo« werden und sie jämmerlich hauen würden. Wir nahmen auf diese Begründung auch alle Rücksicht und legten die drei ge- fährlichen Hölzer vor ihren Augen in unsern Koffer dorthin, wo er am tiefsten war.
Die Form der Schwirrhölzer ist langoval, ihre Grösse 40—42 cm. An dem Schnurende befindet sich eine Einkerbung und etwas davon entfernt in der Mittellinie des Bretts ein Loch, sodass die zwischen Loch und Kerbe gespannte Schnur einen festen Halt hat, vgl. Abb. 145.
Zeichenkunst. Hier kann ich zunächst bei den Schwirrhölzern fortfahren. Auf Tafel 19 sehen wir eins mit Bleistift gezeichnet. Wie auf dem Bild die etwas spitz geratenen Ecken schwarz ausgefüllt sind, so sind auch die Enden der Schwirrhölzer schwarz angestrichen; zwischen ihnen ist die Fläche mit Urukúrot bestrichen und auf diesem roten Grund das Muster schwarz aufgemalt. Die Muster haben zu Motiven die beiden nächstliegenden. Auf dem Schwirr- holz der Abbildung 146 nämlich, das bei der Totenfeier von Coqueiro’s Gattin von dem Bari gebracht wurde, sind Halbkreise mit Tüpfeln gemalt: das mit den Federchen beklebte Schädeldach in seiner Ausschmückung für den Knochenkorb. Auf andern ferner erschienen Stücke der Frauentracht, entweder in breiten, schwarzen Querstreifen der Rindengürtel oder in Dreiecken die Bastbinde, vgl. Abb. 129, mit der Hüftschnur. Letzteres Motiv befindet sich auf dem gezeichneten Schwirr- holz der Tafel 19. Auf jeder Seite ist eine Hüftschnur mit drei Bastbinden gezeichnet. Da hätten wir also das uns vom Uluri des Kulisehu bekannte Dreieck auch von der Bastbinde, deren entsprechende Nachbildung wir gern bei den Trumaí erhalten hätten. Auf einem Schwirrholzexemplar, das auch Perl- mutteraugen und dazwischen einen ungetüpfelten Halbkreis zeigt, sind nicht nur drei Rindengürtel als drei Querbänder, sondern dazwischen auch noch je ein kleiner Kreis, mit rechts und links einem Quadrat daneben aufgemalt.
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wenn wir von diesen Geräten wie von Bogen und Pfeilen und beliebigen anderen
Gegenständen der Sammlung sprachen, Einer wandte sich ängstlich ab, als ich
das Thema aídye berührte und bekundete deutlich, dass er lieber nichts davon
höre; es war eng verknüpft mit der Furcht vor dem Tode. Wir erreichten
unsern Wunsch nur durch drei ältere Jungen in den richtigen Flegeljahren, die
auf kleine rote Perlen ebenso versessen waren, wie wir auf die Schwirrhölzer.
Sie schnitzten und bemalten sie draussen im Walde. Bei Nacht und Nebel er-
schien der Erste sehr geheimnisvoll in unserer Stube und verlangte, dass wir Thüre
und Fensterläden schlössen. Dann kam der Zweite anklopfend und endlich ebenso
der Dritte. Jeder hatte unter einem Tuch ein Schwirrholz versteckt; sie flüsterten,
dass wir sie sorgfältig verbergen müssten, Frauen und Kinder würden sterben,
wenn sie eins erblickten, sie bestanden namentlich darauf, dass auch die Männer
— der Schlingel Tobakiu hatte grosse Angst vor seinem Vater Moguyokuri —
nichts erführen, weil sie »brabo« werden und sie jämmerlich hauen würden. Wir
nahmen auf diese Begründung auch alle Rücksicht und legten die drei ge-
fährlichen Hölzer vor ihren Augen in unsern Koffer dorthin, wo er am tiefsten war.
Die Form der Schwirrhölzer ist langoval, ihre Grösse 40—42 cm. An dem
Schnurende befindet sich eine Einkerbung und etwas davon entfernt in der
Mittellinie des Bretts ein Loch, sodass die zwischen Loch und Kerbe gespannte
Schnur einen festen Halt hat, vgl. Abb. 145.
Zeichenkunst. Hier kann ich zunächst bei den Schwirrhölzern fortfahren.
Auf Tafel 19 sehen wir eins mit Bleistift gezeichnet. Wie auf dem Bild die
etwas spitz geratenen Ecken schwarz ausgefüllt sind, so sind auch die Enden
der Schwirrhölzer schwarz angestrichen; zwischen ihnen ist die Fläche mit
Urukúrot bestrichen und auf diesem roten Grund das Muster schwarz aufgemalt.
Die Muster haben zu Motiven die beiden nächstliegenden. Auf dem Schwirr-
holz der Abbildung 146 nämlich, das bei der Totenfeier von Coqueiro’s Gattin von dem
Bari gebracht wurde, sind Halbkreise mit Tüpfeln gemalt: das mit den Federchen
beklebte Schädeldach in seiner Ausschmückung für den Knochenkorb. Auf
andern ferner erschienen Stücke der Frauentracht, entweder in breiten, schwarzen
Querstreifen der Rindengürtel oder in Dreiecken die Bastbinde, vgl. Abb. 129,
mit der Hüftschnur. Letzteres Motiv befindet sich auf dem gezeichneten Schwirr-
holz der Tafel 19. Auf jeder Seite ist eine Hüftschnur mit drei Bastbinden
gezeichnet. Da hätten wir also das uns vom Uluri des Kulisehu bekannte
Dreieck auch von der Bastbinde, deren entsprechende Nachbildung wir gern bei
den Trumaí erhalten hätten. Auf einem Schwirrholzexemplar, das auch Perl-
mutteraugen und dazwischen einen ungetüpfelten Halbkreis zeigt, sind nicht
nur drei Rindengürtel als drei Querbänder, sondern dazwischen auch noch
je ein kleiner Kreis, mit rechts und links einem Quadrat daneben aufgemalt.
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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 499. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/571>, abgerufen am 25.11.2024.
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