der Originalität; sie war ein mit einem Stück Ochsenfell überspannter Holz- mörser, als Schläger dienten ein paar Stäbchen aus Seribapalmholz.
Von grösserem Interesse sind die Schwirrhölzer, sowohl wegen der Geheimniskrämerei, die mit ihnen getrieben wurde, als auch wegen der Be- malung, da sie das einzige bemalte Gerät darstellen. Wie die Schwirrhölzer gebraucht werden, habe ich Seite 327 berichtet. Während sie aber am Kulisehu nur für die fröhlichen Maskentänze oder auch sonst als Spielzeug dienen, werden sie am S. Lourenco nur bei den Gebräuchen der Totenfeier in Thätigkeit gesetzt, einmal wenn die Sachen des Toten verbrannt werden und in einem pantomimischen Tanz den Verstorbenen, die selbst erscheinen, klar gemacht wird, dass man nichts von ihrem neuen Genossen zurückbehält, dass sie also auch künftighin im Dorf nichts mehr zu suchen haben, und dann wenn der Knochenkorb später weggeschafft wird und der Tote das Dorf verlässt. Der Grundgedanke aller Feierlichkeiten ist die Furcht, der Tote kehre zurück, Lebende zu holen. Bei den Zeremonien, die zur Abwehr dieser Möglichkeit vorgenommen werden, schliesst man das schwächere Geschlecht ängstlich aus. Die Frauen laufen so lange in den Wald oder verbergen sich in den Häusern. Das Signal für sie gibt das Schwirrholz, dessen brummendes Geräusch von Natur einen warnenden oder unheimlichen Charakter hat. Würden sie anwesend sein, so setzten sie sich der Gefahr aus, zu sterben. Bis hierher ist alles logisch und natürlich. Nun aber geschieht ein Mehr als nötig wäre, es hat sich bei diesen Gebräuchen eine Gefahr für die Frauen schon mit dem blossen Anblick des Schwirrholzes herausgebildet. Sie würden sterben, wenn sie es sähen.
Eine Verstärkung gewiss übertriebener Art, allein ohne irgend welche Unbegreiflichkeit. Man findet bei unsern Frauen ähnliche Uebertreibungen in der Furcht vor Feuerwaffen; eine mir bekannte Dame hielt sich die Ohren zu, als ich ihr einen Revolver mit offener leerer Trommel zeigte, und flehte in einer Aufregung, die nichts hören und sehen wollte, ihn fortzubringen, da es -- streng historisch zitiert -- "oft genug vorkomme, dass die Dinger, auch wenn sie nicht geladen wären, losgingen". Wenn das Schwirrholz bei den Bororo bei den genanten beiden Gelegenheiten ertönt, so entspricht das dem geladenen Revolver; es ist eine Gefahr für Männer und Frauen, aber die Besorgnis für die letzteren ist grösser, weil es bei dem Indianer überhaupt zum Wesen der Frau gehört, dass sie immer weint, "zittert", wenn Tiere Feinde, ja nur Wasser- fälle drohen, und dass sie immer des Schutzes bedürftig ist. Wenn der Frau nun sogar der Anblick des Schwirrholzes Gefahr bringt, so ist das zum Teil noch die Furcht vor dem garnicht geladenen Revolver, zum Teil schon eine ihr zu- folge in der Praxis von Generationen gewonnene gedankenlose Formel, die ohne Prüfung mit ängstlichem Eifer angewandt wird. Genau ebenso hat Wallace im Amazonasgebiet beobachtet, dass die Frauen fliehen, wenn die Flöten des Jurupari-Dämonentanzes ertönen, und sich berichten lassen, dass sie sterben
v. d. Steinen, Zentral-Brasilien. 32
der Originalität; sie war ein mit einem Stück Ochsenfell überspannter Holz- mörser, als Schläger dienten ein paar Stäbchen aus Seribapalmholz.
Von grösserem Interesse sind die Schwirrhölzer, sowohl wegen der Geheimniskrämerei, die mit ihnen getrieben wurde, als auch wegen der Be- malung, da sie das einzige bemalte Gerät darstellen. Wie die Schwirrhölzer gebraucht werden, habe ich Seite 327 berichtet. Während sie aber am Kulisehu nur für die fröhlichen Maskentänze oder auch sonst als Spielzeug dienen, werden sie am S. Lourenço nur bei den Gebräuchen der Totenfeier in Thätigkeit gesetzt, einmal wenn die Sachen des Toten verbrannt werden und in einem pantomimischen Tanz den Verstorbenen, die selbst erscheinen, klar gemacht wird, dass man nichts von ihrem neuen Genossen zurückbehält, dass sie also auch künftighin im Dorf nichts mehr zu suchen haben, und dann wenn der Knochenkorb später weggeschafft wird und der Tote das Dorf verlässt. Der Grundgedanke aller Feierlichkeiten ist die Furcht, der Tote kehre zurück, Lebende zu holen. Bei den Zeremonien, die zur Abwehr dieser Möglichkeit vorgenommen werden, schliesst man das schwächere Geschlecht ängstlich aus. Die Frauen laufen so lange in den Wald oder verbergen sich in den Häusern. Das Signal für sie gibt das Schwirrholz, dessen brummendes Geräusch von Natur einen warnenden oder unheimlichen Charakter hat. Würden sie anwesend sein, so setzten sie sich der Gefahr aus, zu sterben. Bis hierher ist alles logisch und natürlich. Nun aber geschieht ein Mehr als nötig wäre, es hat sich bei diesen Gebräuchen eine Gefahr für die Frauen schon mit dem blossen Anblick des Schwirrholzes herausgebildet. Sie würden sterben, wenn sie es sähen.
Eine Verstärkung gewiss übertriebener Art, allein ohne irgend welche Unbegreiflichkeit. Man findet bei unsern Frauen ähnliche Uebertreibungen in der Furcht vor Feuerwaffen; eine mir bekannte Dame hielt sich die Ohren zu, als ich ihr einen Revolver mit offener leerer Trommel zeigte, und flehte in einer Aufregung, die nichts hören und sehen wollte, ihn fortzubringen, da es — streng historisch zitiert — »oft genug vorkomme, dass die Dinger, auch wenn sie nicht geladen wären, losgingen«. Wenn das Schwirrholz bei den Bororó bei den genanten beiden Gelegenheiten ertönt, so entspricht das dem geladenen Revolver; es ist eine Gefahr für Männer und Frauen, aber die Besorgnis für die letzteren ist grösser, weil es bei dem Indianer überhaupt zum Wesen der Frau gehört, dass sie immer weint, »zittert«, wenn Tiere Feinde, ja nur Wasser- fälle drohen, und dass sie immer des Schutzes bedürftig ist. Wenn der Frau nun sogar der Anblick des Schwirrholzes Gefahr bringt, so ist das zum Teil noch die Furcht vor dem garnicht geladenen Revolver, zum Teil schon eine ihr zu- folge in der Praxis von Generationen gewonnene gedankenlose Formel, die ohne Prüfung mit ängstlichem Eifer angewandt wird. Genau ebenso hat Wallace im Amazonasgebiet beobachtet, dass die Frauen fliehen, wenn die Flöten des Jurupari-Dämonentanzes ertönen, und sich berichten lassen, dass sie sterben
v. d. Steinen, Zentral-Brasilien. 32
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der Originalität; sie war ein mit einem Stück Ochsenfell überspannter Holz-
mörser, als Schläger dienten ein paar Stäbchen aus Seribapalmholz.
Von grösserem Interesse sind die Schwirrhölzer, sowohl wegen der
Geheimniskrämerei, die mit ihnen getrieben wurde, als auch wegen der Be-
malung, da sie das einzige bemalte Gerät darstellen. Wie die Schwirrhölzer
gebraucht werden, habe ich Seite 327 berichtet. Während sie aber am Kulisehu
nur für die fröhlichen Maskentänze oder auch sonst als Spielzeug dienen, werden
sie am S. Lourenço nur bei den Gebräuchen der Totenfeier in Thätigkeit
gesetzt, einmal wenn die Sachen des Toten verbrannt werden und in einem
pantomimischen Tanz den Verstorbenen, die selbst erscheinen, klar gemacht
wird, dass man nichts von ihrem neuen Genossen zurückbehält, dass sie also
auch künftighin im Dorf nichts mehr zu suchen haben, und dann wenn der
Knochenkorb später weggeschafft wird und der Tote das Dorf verlässt. Der
Grundgedanke aller Feierlichkeiten ist die Furcht, der Tote kehre
zurück, Lebende zu holen. Bei den Zeremonien, die zur Abwehr dieser
Möglichkeit vorgenommen werden, schliesst man das schwächere Geschlecht
ängstlich aus. Die Frauen laufen so lange in den Wald oder verbergen sich in
den Häusern. Das Signal für sie gibt das Schwirrholz, dessen brummendes
Geräusch von Natur einen warnenden oder unheimlichen Charakter hat. Würden
sie anwesend sein, so setzten sie sich der Gefahr aus, zu sterben. Bis hierher
ist alles logisch und natürlich. Nun aber geschieht ein Mehr als nötig wäre,
es hat sich bei diesen Gebräuchen eine Gefahr für die Frauen schon mit dem
blossen Anblick des Schwirrholzes herausgebildet. Sie würden sterben, wenn
sie es sähen.
Eine Verstärkung gewiss übertriebener Art, allein ohne irgend welche
Unbegreiflichkeit. Man findet bei unsern Frauen ähnliche Uebertreibungen in
der Furcht vor Feuerwaffen; eine mir bekannte Dame hielt sich die Ohren zu,
als ich ihr einen Revolver mit offener leerer Trommel zeigte, und flehte in
einer Aufregung, die nichts hören und sehen wollte, ihn fortzubringen, da es —
streng historisch zitiert — »oft genug vorkomme, dass die Dinger, auch wenn
sie nicht geladen wären, losgingen«. Wenn das Schwirrholz bei den Bororó
bei den genanten beiden Gelegenheiten ertönt, so entspricht das dem geladenen
Revolver; es ist eine Gefahr für Männer und Frauen, aber die Besorgnis für
die letzteren ist grösser, weil es bei dem Indianer überhaupt zum Wesen der
Frau gehört, dass sie immer weint, »zittert«, wenn Tiere Feinde, ja nur Wasser-
fälle drohen, und dass sie immer des Schutzes bedürftig ist. Wenn der Frau
nun sogar der Anblick des Schwirrholzes Gefahr bringt, so ist das zum Teil
noch die Furcht vor dem garnicht geladenen Revolver, zum Teil schon eine ihr zu-
folge in der Praxis von Generationen gewonnene gedankenlose Formel, die
ohne Prüfung mit ängstlichem Eifer angewandt wird. Genau ebenso hat Wallace
im Amazonasgebiet beobachtet, dass die Frauen fliehen, wenn die Flöten des
Jurupari-Dämonentanzes ertönen, und sich berichten lassen, dass sie sterben
v. d. Steinen, Zentral-Brasilien. 32
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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 497. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/569>, abgerufen am 22.11.2024.
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