der das zarteste Fleisch enthält, und den Halsrücken verspeisen; auch von den übrigen Tieren gehört das Beste "dem Bari und seinen Freunden", die es nach dem Braten verteilen. Das System ist auch auf einige Früchte ausgedehnt worden: Piki, Mangaven und Mais, wieder die bestschmeckenden. Bei Akuri- nüssen ist die Prozedur unnötig; mit dem Mais wird sie erst vollzogen, seitdem die Brasilier ihn regelmässig in der Kolonie liefern. Ja, ein Bari muss dabei sein, wenn die Tiere erlegt werden! Gerät ein der amtlichen Fleischschau unterworfener Fisch in's Netz, wenn kein Bari dabei ist, so muss er freigelassen werden, und Clemente sagte, dies geschehe thatsächlich, komme aber nur aus- nahmsweise vor, weil es stets mehrere Baris gebe und diese überall dabei seien. Wer sich gegen die Bräuche versündigt, stirbt bald. Vgl. weiter unten "Seelen- wanderung".
Tanz und Spiel. Nach dem Vorhergehenden verliert der jede gemein- schaftliche Jagd und Fischerei eröffnende Aroegesang alles Wunderbare. Der Bari, der die Beute am Ende feierlich verteilt, besorgt auch die feierliche Ein- leitung des Unternehmens. Die zu Grunde liegende Anschauung des Verhält- nisses von Tier und Mensch, ohne die jene Zeremonien kaum anders als von Schwindlern hätten erfunden werden können, mit der aber sie in ihrem Ur- sprung wohl gerechtfertigt werden, geht uns hier noch nichts an.
Der Jagdgesang ist derselbe, der bei der Totenfeier gesungen wird! Er macht einen sehr würdigen und in der Nacht, wenn man will, schaurigen Ein- druck. Bei der Totenfeier singen Männer und Frauen zusammen, die Frauen freilich beiseite und im Hintergrund stehend und öfters aussetzend, während die Männer sich keine Pause gönnen. Bei der nächtlichen Vorbereitung für die Jagd hörte man nur die tiefen hallenden Stimmen des Männerchors. Dem Kadetten Caldas verdanke ich die umstehenden Noten. Er unterschied einen ersten Ge- sang der Männer allein und einen zweiten von Männern und Frauen. Der Text, den er für den ersten aufgeschrieben hat, ist leider unbrauchbar. Er handelt von der Möve schibayu, die auch im zweiten vorkommt, und ist trotz mehr- facher Wiederholungen nicht nur eine blosse Aufzählung von Namen. Dies letztere + aroe ist der Text des zweiten Gesanges und ist in langer Folge auch das, was gewöhnlich gesungen wird -- im Text nicht viel weniger arm an Ab- wechslung als die Musik, die mir, obwohl ich von aller Sachkenntnis frei bin, in der "Eintönigkeit" das Mögliche zu leisten scheint. Folgende "Verse" sind von Clemente übersetzt und stehen in richtiger Reihenfolge: bakororo aroe, okoge aroe, schibayu aroe, kuruguge aroe, botoroe aroe, imayare aroe, dyuretoto aroe, kayatoto aroe, manototo aroe. Die aufgezählten Worte heissen: Wasser (ein be- stimmtes? sonst pobe), Dourado-Fisch, Möve, Falk, ein anderer Fische fressender Raubvogel, "seine Brust", Wasserschlange Sukuri, Mörser, Sumpfgras. Die Szene ist also am Wasser; mehr vermag ich nicht anzugeben; ob der Tote in der Nachbarschaft seines dort beigesetzten Skelettkorbs Allerlei erlebt, ob die im Fischfang konkurrierenden Tiere in den Mörser gewünscht werden, was eher
der das zarteste Fleisch enthält, und den Halsrücken verspeisen; auch von den übrigen Tieren gehört das Beste »dem Bari und seinen Freunden«, die es nach dem Braten verteilen. Das System ist auch auf einige Früchte ausgedehnt worden: Pikí, Mangaven und Mais, wieder die bestschmeckenden. Bei Akurí- nüssen ist die Prozedur unnötig; mit dem Mais wird sie erst vollzogen, seitdem die Brasilier ihn regelmässig in der Kolonie liefern. Ja, ein Bari muss dabei sein, wenn die Tiere erlegt werden! Gerät ein der amtlichen Fleischschau unterworfener Fisch in’s Netz, wenn kein Bari dabei ist, so muss er freigelassen werden, und Clemente sagte, dies geschehe thatsächlich, komme aber nur aus- nahmsweise vor, weil es stets mehrere Baris gebe und diese überall dabei seien. Wer sich gegen die Bräuche versündigt, stirbt bald. Vgl. weiter unten »Seelen- wanderung«.
Tanz und Spiel. Nach dem Vorhergehenden verliert der jede gemein- schaftliche Jagd und Fischerei eröffnende Aróegesang alles Wunderbare. Der Bari, der die Beute am Ende feierlich verteilt, besorgt auch die feierliche Ein- leitung des Unternehmens. Die zu Grunde liegende Anschauung des Verhält- nisses von Tier und Mensch, ohne die jene Zeremonien kaum anders als von Schwindlern hätten erfunden werden können, mit der aber sie in ihrem Ur- sprung wohl gerechtfertigt werden, geht uns hier noch nichts an.
Der Jagdgesang ist derselbe, der bei der Totenfeier gesungen wird! Er macht einen sehr würdigen und in der Nacht, wenn man will, schaurigen Ein- druck. Bei der Totenfeier singen Männer und Frauen zusammen, die Frauen freilich beiseite und im Hintergrund stehend und öfters aussetzend, während die Männer sich keine Pause gönnen. Bei der nächtlichen Vorbereitung für die Jagd hörte man nur die tiefen hallenden Stimmen des Männerchors. Dem Kadetten Caldas verdanke ich die umstehenden Noten. Er unterschied einen ersten Ge- sang der Männer allein und einen zweiten von Männern und Frauen. Der Text, den er für den ersten aufgeschrieben hat, ist leider unbrauchbar. Er handelt von der Möve schibáyu, die auch im zweiten vorkommt, und ist trotz mehr- facher Wiederholungen nicht nur eine blosse Aufzählung von Namen. Dies letztere + aróe ist der Text des zweiten Gesanges und ist in langer Folge auch das, was gewöhnlich gesungen wird — im Text nicht viel weniger arm an Ab- wechslung als die Musik, die mir, obwohl ich von aller Sachkenntnis frei bin, in der »Eintönigkeit« das Mögliche zu leisten scheint. Folgende »Verse« sind von Clemente übersetzt und stehen in richtiger Reihenfolge: bakororó aróe, okóge aróe, schibáyu aróe, kurugúge aróe, botoroé aróe, imayaré aróe, dyuretóto aróe, kayatóto aróe, manotóto aróe. Die aufgezählten Worte heissen: Wasser (ein be- stimmtes? sonst póbe), Dourado-Fisch, Möve, Falk, ein anderer Fische fressender Raubvogel, »seine Brust«, Wasserschlange Sukurí, Mörser, Sumpfgras. Die Szene ist also am Wasser; mehr vermag ich nicht anzugeben; ob der Tote in der Nachbarschaft seines dort beigesetzten Skelettkorbs Allerlei erlebt, ob die im Fischfang konkurrierenden Tiere in den Mörser gewünscht werden, was eher
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[493/0565]
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übrigen Tieren gehört das Beste »dem Bari und seinen Freunden«, die es nach
dem Braten verteilen. Das System ist auch auf einige Früchte ausgedehnt
worden: Pikí, Mangaven und Mais, wieder die bestschmeckenden. Bei Akurí-
nüssen ist die Prozedur unnötig; mit dem Mais wird sie erst vollzogen, seitdem
die Brasilier ihn regelmässig in der Kolonie liefern. Ja, ein Bari muss dabei
sein, wenn die Tiere erlegt werden! Gerät ein der amtlichen Fleischschau
unterworfener Fisch in’s Netz, wenn kein Bari dabei ist, so muss er freigelassen
werden, und Clemente sagte, dies geschehe thatsächlich, komme aber nur aus-
nahmsweise vor, weil es stets mehrere Baris gebe und diese überall dabei seien.
Wer sich gegen die Bräuche versündigt, stirbt bald. Vgl. weiter unten »Seelen-
wanderung«.
Tanz und Spiel. Nach dem Vorhergehenden verliert der jede gemein-
schaftliche Jagd und Fischerei eröffnende Aróegesang alles Wunderbare. Der
Bari, der die Beute am Ende feierlich verteilt, besorgt auch die feierliche Ein-
leitung des Unternehmens. Die zu Grunde liegende Anschauung des Verhält-
nisses von Tier und Mensch, ohne die jene Zeremonien kaum anders als von
Schwindlern hätten erfunden werden können, mit der aber sie in ihrem Ur-
sprung wohl gerechtfertigt werden, geht uns hier noch nichts an.
Der Jagdgesang ist derselbe, der bei der Totenfeier gesungen wird! Er
macht einen sehr würdigen und in der Nacht, wenn man will, schaurigen Ein-
druck. Bei der Totenfeier singen Männer und Frauen zusammen, die Frauen
freilich beiseite und im Hintergrund stehend und öfters aussetzend, während die
Männer sich keine Pause gönnen. Bei der nächtlichen Vorbereitung für die Jagd
hörte man nur die tiefen hallenden Stimmen des Männerchors. Dem Kadetten
Caldas verdanke ich die umstehenden Noten. Er unterschied einen ersten Ge-
sang der Männer allein und einen zweiten von Männern und Frauen. Der Text,
den er für den ersten aufgeschrieben hat, ist leider unbrauchbar. Er handelt
von der Möve schibáyu, die auch im zweiten vorkommt, und ist trotz mehr-
facher Wiederholungen nicht nur eine blosse Aufzählung von Namen. Dies
letztere + aróe ist der Text des zweiten Gesanges und ist in langer Folge auch
das, was gewöhnlich gesungen wird — im Text nicht viel weniger arm an Ab-
wechslung als die Musik, die mir, obwohl ich von aller Sachkenntnis frei bin,
in der »Eintönigkeit« das Mögliche zu leisten scheint. Folgende »Verse« sind
von Clemente übersetzt und stehen in richtiger Reihenfolge: bakororó aróe,
okóge aróe, schibáyu aróe, kurugúge aróe, botoroé aróe, imayaré aróe, dyuretóto aróe,
kayatóto aróe, manotóto aróe. Die aufgezählten Worte heissen: Wasser (ein be-
stimmtes? sonst póbe), Dourado-Fisch, Möve, Falk, ein anderer Fische fressender
Raubvogel, »seine Brust«, Wasserschlange Sukurí, Mörser, Sumpfgras. Die
Szene ist also am Wasser; mehr vermag ich nicht anzugeben; ob der Tote in
der Nachbarschaft seines dort beigesetzten Skelettkorbs Allerlei erlebt, ob die
im Fischfang konkurrierenden Tiere in den Mörser gewünscht werden, was eher
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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 493. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/565>, abgerufen am 22.11.2024.
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