führte er eine Schnur um den Hals des armen Wurms und brachte die Prophe- zeihung der Aerzte rasch in Erfüllung. Sofort erhob sich Alles ausser der Mutter, die Medizinmänner holten ihren Federschmuck und die Rasseln und begannen mit dröhnendem "Aroe ..., aroe ..."-Gesang den Trauertanz.
Allein das Freudenfest im Ranchao und die Trauerfeier draussen erlitten plötzlich eine gewaltige Störung, als zwei Schüsse vom Wald her hörbar wurden. Dort schoss man wieder gegen die Kayapo! Einer, der seinen Rausch ausschlief, hatte sie erblickt und schreien gehört! Erwacht schlug er Lärm und ein toller Wirrwar war die Folge. Eliseo liess die Soldaten antreten; in kürzester Frist war der Platz gefüllt mit Männern, die sämtlich Bogen und Pfeile, Knüppel und Aexte trugen, mit Weibern, die in Tragkörben ihre gesamte Habe aufgepackt hatten und dabei die Kinder schleppten oder vor sich herschoben, mit halb- wüchsigen Jungen, die meistens auch bewaffnet waren. Nur die Frau mit dem kleinen toten Geschöpf im Schoss verharrte auf ihren Platz, und ein paar Tänzer mit dem grossen Strahlenrad der roten Ararafedern um das Haupt stampften, sangen, rasselten unentwegt weiter oder kehrten, nachdem sie sich einen Augen- blick in das Treiben gemischt hatten, zu ihrer Pflicht zurück.
Die Menge hastete wild durcheinander und umdrängte das Hauptgebäude. Dort standen die Soldaten in eine lange Reihe ausgezogen; die Kadetten und Beamten vermochten sich kaum des Ansturms zu erwehren, und Niemand konnte sein eigenes Wort verstehen. Dabei eine dunkle Nacht. Die Aufgeregten ver- langten, dass man sofort auf das andere Flussufer übersetzte, ehe die Kayapo da wären; marschfertig war die ganze Schaar. Glücklicher Weise getraute man sich aber doch nicht, sich von den Soldaten zu trennen. Es war ein Wogen und Branden, dass man nicht wusste, ob man noch seine fünf Sinne beisammen habe. Allmählig wurde der Wellenschlag etwas schwächer. Lauter erschallte das feier- liche Aroe ... der Tanzenden, die jungen Männer und rot bemalten Mädchen suchten wieder ihre Lagerstätten in dem matt erhellten Ranchao auf, das Gewimmel auf dem Platz verdichtete sich zu kleineren Gruppen; hier und da sah man glimmende Scheite in der Finsternis und beim Aufflackern eines Feuers erblickte man die starrenden Bogen und Pfeile, die Tragkörbe, die Federn der Sänger, und hockend oder liegend Personen jeden Alters und Ge- schlechts, auf deren kräftigen Leibern die Verteilung von Licht und Schatten für den Augenblick, dass sie beschienen wurden, ungemein malerische Wirkungen hervorbrachte.
Im Hauptgebäude waren alle Stuben gefüllt; bei Eliseo, Caldas und dem Verwalter überall Weiber und Kinder mit Sack und Pack, um den Tisch und auf dem Tisch bis in den letzten Winkel Gross und Klein, wie, von der Nackt- heit abgesehen, eine Schaar Emigranten in engen Bahnhofsräumen. Einige der jüngeren und hübscheren Frauen fielen auf durch den Besitz weisser Kopfkissen. Die Brasilier spotteten und trösteten "kayamo bakimo". "Die Kayapo sind nichts wert", die Indianer renommierten, dass sie keine Furcht hätten, legten mit dem
führte er eine Schnur um den Hals des armen Wurms und brachte die Prophe- zeihung der Aerzte rasch in Erfüllung. Sofort erhob sich Alles ausser der Mutter, die Medizinmänner holten ihren Federschmuck und die Rasseln und begannen mit dröhnendem „Aroé …, aroé …“-Gesang den Trauertanz.
Allein das Freudenfest im Ranchão und die Trauerfeier draussen erlitten plötzlich eine gewaltige Störung, als zwei Schüsse vom Wald her hörbar wurden. Dort schoss man wieder gegen die Kayapó! Einer, der seinen Rausch ausschlief, hatte sie erblickt und schreien gehört! Erwacht schlug er Lärm und ein toller Wirrwar war die Folge. Eliseo liess die Soldaten antreten; in kürzester Frist war der Platz gefüllt mit Männern, die sämtlich Bogen und Pfeile, Knüppel und Aexte trugen, mit Weibern, die in Tragkörben ihre gesamte Habe aufgepackt hatten und dabei die Kinder schleppten oder vor sich herschoben, mit halb- wüchsigen Jungen, die meistens auch bewaffnet waren. Nur die Frau mit dem kleinen toten Geschöpf im Schoss verharrte auf ihren Platz, und ein paar Tänzer mit dem grossen Strahlenrad der roten Ararafedern um das Haupt stampften, sangen, rasselten unentwegt weiter oder kehrten, nachdem sie sich einen Augen- blick in das Treiben gemischt hatten, zu ihrer Pflicht zurück.
Die Menge hastete wild durcheinander und umdrängte das Hauptgebäude. Dort standen die Soldaten in eine lange Reihe ausgezogen; die Kadetten und Beamten vermochten sich kaum des Ansturms zu erwehren, und Niemand konnte sein eigenes Wort verstehen. Dabei eine dunkle Nacht. Die Aufgeregten ver- langten, dass man sofort auf das andere Flussufer übersetzte, ehe die Kayapó da wären; marschfertig war die ganze Schaar. Glücklicher Weise getraute man sich aber doch nicht, sich von den Soldaten zu trennen. Es war ein Wogen und Branden, dass man nicht wusste, ob man noch seine fünf Sinne beisammen habe. Allmählig wurde der Wellenschlag etwas schwächer. Lauter erschallte das feier- liche Aroé … der Tanzenden, die jungen Männer und rot bemalten Mädchen suchten wieder ihre Lagerstätten in dem matt erhellten Ranchão auf, das Gewimmel auf dem Platz verdichtete sich zu kleineren Gruppen; hier und da sah man glimmende Scheite in der Finsternis und beim Aufflackern eines Feuers erblickte man die starrenden Bogen und Pfeile, die Tragkörbe, die Federn der Sänger, und hockend oder liegend Personen jeden Alters und Ge- schlechts, auf deren kräftigen Leibern die Verteilung von Licht und Schatten für den Augenblick, dass sie beschienen wurden, ungemein malerische Wirkungen hervorbrachte.
Im Hauptgebäude waren alle Stuben gefüllt; bei Eliseo, Caldas und dem Verwalter überall Weiber und Kinder mit Sack und Pack, um den Tisch und auf dem Tisch bis in den letzten Winkel Gross und Klein, wie, von der Nackt- heit abgesehen, eine Schaar Emigranten in engen Bahnhofsräumen. Einige der jüngeren und hübscheren Frauen fielen auf durch den Besitz weisser Kopfkissen. Die Brasilier spotteten und trösteten „kayámo bakímo“. »Die Kayapó sind nichts wert«, die Indianer renommierten, dass sie keine Furcht hätten, legten mit dem
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[461/0527]
führte er eine Schnur um den Hals des armen Wurms und brachte die Prophe-
zeihung der Aerzte rasch in Erfüllung. Sofort erhob sich Alles ausser der Mutter,
die Medizinmänner holten ihren Federschmuck und die Rasseln und begannen mit
dröhnendem „Aroé …, aroé …“-Gesang den Trauertanz.
Allein das Freudenfest im Ranchão und die Trauerfeier draussen erlitten
plötzlich eine gewaltige Störung, als zwei Schüsse vom Wald her hörbar wurden.
Dort schoss man wieder gegen die Kayapó! Einer, der seinen Rausch ausschlief,
hatte sie erblickt und schreien gehört! Erwacht schlug er Lärm und ein toller
Wirrwar war die Folge. Eliseo liess die Soldaten antreten; in kürzester Frist
war der Platz gefüllt mit Männern, die sämtlich Bogen und Pfeile, Knüppel und
Aexte trugen, mit Weibern, die in Tragkörben ihre gesamte Habe aufgepackt
hatten und dabei die Kinder schleppten oder vor sich herschoben, mit halb-
wüchsigen Jungen, die meistens auch bewaffnet waren. Nur die Frau mit dem
kleinen toten Geschöpf im Schoss verharrte auf ihren Platz, und ein paar Tänzer
mit dem grossen Strahlenrad der roten Ararafedern um das Haupt stampften,
sangen, rasselten unentwegt weiter oder kehrten, nachdem sie sich einen Augen-
blick in das Treiben gemischt hatten, zu ihrer Pflicht zurück.
Die Menge hastete wild durcheinander und umdrängte das Hauptgebäude.
Dort standen die Soldaten in eine lange Reihe ausgezogen; die Kadetten und
Beamten vermochten sich kaum des Ansturms zu erwehren, und Niemand konnte
sein eigenes Wort verstehen. Dabei eine dunkle Nacht. Die Aufgeregten ver-
langten, dass man sofort auf das andere Flussufer übersetzte, ehe die Kayapó
da wären; marschfertig war die ganze Schaar. Glücklicher Weise getraute man
sich aber doch nicht, sich von den Soldaten zu trennen. Es war ein Wogen und
Branden, dass man nicht wusste, ob man noch seine fünf Sinne beisammen habe.
Allmählig wurde der Wellenschlag etwas schwächer. Lauter erschallte das feier-
liche Aroé … der Tanzenden, die jungen Männer und rot bemalten Mädchen
suchten wieder ihre Lagerstätten in dem matt erhellten Ranchão auf, das
Gewimmel auf dem Platz verdichtete sich zu kleineren Gruppen; hier und
da sah man glimmende Scheite in der Finsternis und beim Aufflackern eines
Feuers erblickte man die starrenden Bogen und Pfeile, die Tragkörbe, die
Federn der Sänger, und hockend oder liegend Personen jeden Alters und Ge-
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den Augenblick, dass sie beschienen wurden, ungemein malerische Wirkungen
hervorbrachte.
Im Hauptgebäude waren alle Stuben gefüllt; bei Eliseo, Caldas und dem
Verwalter überall Weiber und Kinder mit Sack und Pack, um den Tisch und
auf dem Tisch bis in den letzten Winkel Gross und Klein, wie, von der Nackt-
heit abgesehen, eine Schaar Emigranten in engen Bahnhofsräumen. Einige der
jüngeren und hübscheren Frauen fielen auf durch den Besitz weisser Kopfkissen.
Die Brasilier spotteten und trösteten „kayámo bakímo“. »Die Kayapó sind nichts
wert«, die Indianer renommierten, dass sie keine Furcht hätten, legten mit dem
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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 461. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/527>, abgerufen am 22.11.2024.
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