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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894.

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zusammen und "ordneten" sich in zwei Reihen, Gross und Klein, wie es gerade
kam, in beliebigem Aufzug, aber Jeder mit seinem Comblain-Gewehr ausgerüstet.
Der Vollmond ergoss sein mildes Licht über die seltsamen Gesellen. Vor der
Front standen zwei Kadetten, der eine las beim Schein eines Kerzenlichts die
Namen, der andere schnitt sich Stücke Zuckerrohr und lutschte gemütlich. So-
bald ein Name aufgerufen wurde, antwortete der Inhaber mit einem, je nach
seiner Stimmung, bald lauten, bald leisen "Pronto" "zur Stelle". Zu unserm
Erstaunen erklang plötzlich das "Pronto" auch hinter uns mit einer dumpfen Grabes-
stimme, die aus dem Arrestlokal hervordrang; durch einen Schlitz in der Thüre
sahen wir mit Vergnügen an dem hin und wieder fahrenden Schatten, wie sich
der Missethäter drinnen bei gutem Licht in der Hängematte schaukelte.

Nach dem Namensaufruf nahmen die Leute Mützen und Hüte ab und sangen
oder vielmehr gröhlten, in dem eine helle Stimme vorsang: O, virgem da concepcao,
Maria immaculada, vos sois a advogada dos peccadores, criais todos cheia de graca
com a vossa feliz grandeza
, vos sois dos ceos princeza, do Espiritu Santo esposa.

Maria mai de graca, mai de misericordia, rogai Jesus por nos, recebai (!) nos
na hora de morte! Senhor Deus pequei
(?), Senhor, misericordia. Por vossa mai,
Maria Santissima, misericordia!
*)

Wie in das "Pronto"rufen fielen auch in den Gesang zufällig vorübergehende
Indianer kräftig ein; im Hause drinnen übte sich Caldas auf der Violine. Zum
Schluss knieten Alle, einschliesslich des Wachtpostens nieder, auch der Kadett
mit dem Zuckerrohr. Die Bororo kümmerten sich nicht weiter um den ihnen
längst bekannten Vorgang. Doch etwa eine Stunde später erschienen ein Dutzend
Jungen vor unserer Thür und Sangen -- die Musik richtig, die Worte ausser dem
Anfang unverständlich und unverstanden -- "O, Santa Maria, mai de graxa",**)
indem sie sich kichernd umarmten und in einer Reihe aufgestellt schief anein-
ander lehnten.

Gegen 9 Uhr hatte sich Moguyokuri noch bei den Kadetten gemeldet,
Branntwein fordernd. Zur Abwechslung trug der "sich ganz mit der Zivilisation
seines Stammes identifizierende" Häuptling einen roten Frauenunterrock und eine
weisse Leinenjacke; er bestand darauf, dass der Schlüssel zum Proviantraum geholt
werde und erhielt auch seine Flasche; er erreichte seinen Zweck nicht minder,
wenn er die Herren gelegentlich mitten in der Nacht heraustrommelte.

Skandal mit Arateba. Er ist wieder einmal total betrunken und verlangt
nach mehr; der berühmte Schlüssel wird nun aber doch verweigert. Er alarmiert
mit seinem Geschrei und Schimpfen die ganze Kolonie, eilt nach seiner Hütte
und kommt zurück mit zwei "espadas"! Er fuchtelt wütend mit den Säbeln in
der Luft umher und schwankt dabei von der einen Seite zur andern, lässt es
aber beim Drohen bewenden. Er zieht sich erst das Hemd, dann die Hose aus

*) Spottvers: "O, virgem da concepcao, Maria immaculada, pagai o nosso soldo, deixai da
cacoada
! (bezahl' uns unsere Löhnung und lass die faulen Witze).
**) "Mutter des Fettes" (spr. grascha).

zusammen und »ordneten« sich in zwei Reihen, Gross und Klein, wie es gerade
kam, in beliebigem Aufzug, aber Jeder mit seinem Comblain-Gewehr ausgerüstet.
Der Vollmond ergoss sein mildes Licht über die seltsamen Gesellen. Vor der
Front standen zwei Kadetten, der eine las beim Schein eines Kerzenlichts die
Namen, der andere schnitt sich Stücke Zuckerrohr und lutschte gemütlich. So-
bald ein Name aufgerufen wurde, antwortete der Inhaber mit einem, je nach
seiner Stimmung, bald lauten, bald leisen »Pronto« »zur Stelle«. Zu unserm
Erstaunen erklang plötzlich das »Pronto« auch hinter uns mit einer dumpfen Grabes-
stimme, die aus dem Arrestlokal hervordrang; durch einen Schlitz in der Thüre
sahen wir mit Vergnügen an dem hin und wieder fahrenden Schatten, wie sich
der Missethäter drinnen bei gutem Licht in der Hängematte schaukelte.

Nach dem Namensaufruf nahmen die Leute Mützen und Hüte ab und sangen
oder vielmehr gröhlten, in dem eine helle Stimme vorsang: O, virgem da concepção,
Maria immaculada, vós sois a advogada dos peccadores, criais todos cheia de graça
com a vossa feliz grandeza
, vos soís dos cêos princeza, do Espíritu Santo esposa.

Maria mãi de graça, mãi de misericordia, rogai Jesus por nos, recebai (!) nos
na hora de morte! Senhor Deus pequei
(?), Senhor, misericordia. Por vossa mãi,
Maria Santissima, misericordia!
*)

Wie in das »Pronto«rufen fielen auch in den Gesang zufällig vorübergehende
Indianer kräftig ein; im Hause drinnen übte sich Caldas auf der Violine. Zum
Schluss knieten Alle, einschliesslich des Wachtpostens nieder, auch der Kadett
mit dem Zuckerrohr. Die Bororó kümmerten sich nicht weiter um den ihnen
längst bekannten Vorgang. Doch etwa eine Stunde später erschienen ein Dutzend
Jungen vor unserer Thür und Sangen — die Musik richtig, die Worte ausser dem
Anfang unverständlich und unverstanden — „O, Santa Maria, mãi de graxa“,**)
indem sie sich kichernd umarmten und in einer Reihe aufgestellt schief anein-
ander lehnten.

Gegen 9 Uhr hatte sich Moguyokuri noch bei den Kadetten gemeldet,
Branntwein fordernd. Zur Abwechslung trug der »sich ganz mit der Zivilisation
seines Stammes identifizierende« Häuptling einen roten Frauenunterrock und eine
weisse Leinenjacke; er bestand darauf, dass der Schlüssel zum Proviantraum geholt
werde und erhielt auch seine Flasche; er erreichte seinen Zweck nicht minder,
wenn er die Herren gelegentlich mitten in der Nacht heraustrommelte.

Skandal mit Arateba. Er ist wieder einmal total betrunken und verlangt
nach mehr; der berühmte Schlüssel wird nun aber doch verweigert. Er alarmiert
mit seinem Geschrei und Schimpfen die ganze Kolonie, eilt nach seiner Hütte
und kommt zurück mit zwei »espadas«! Er fuchtelt wütend mit den Säbeln in
der Luft umher und schwankt dabei von der einen Seite zur andern, lässt es
aber beim Drohen bewenden. Er zieht sich erst das Hemd, dann die Hose aus

*) Spottvers: „O, virgem da concepção, Maria immaculada, pagai o nosso soldo, deixai da
caçoada
! (bezahl’ uns unsere Löhnung und lass die faulen Witze).
**) »Mutter des Fettes« (spr. grascha).
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[457/0523] zusammen und »ordneten« sich in zwei Reihen, Gross und Klein, wie es gerade kam, in beliebigem Aufzug, aber Jeder mit seinem Comblain-Gewehr ausgerüstet. Der Vollmond ergoss sein mildes Licht über die seltsamen Gesellen. Vor der Front standen zwei Kadetten, der eine las beim Schein eines Kerzenlichts die Namen, der andere schnitt sich Stücke Zuckerrohr und lutschte gemütlich. So- bald ein Name aufgerufen wurde, antwortete der Inhaber mit einem, je nach seiner Stimmung, bald lauten, bald leisen »Pronto« »zur Stelle«. Zu unserm Erstaunen erklang plötzlich das »Pronto« auch hinter uns mit einer dumpfen Grabes- stimme, die aus dem Arrestlokal hervordrang; durch einen Schlitz in der Thüre sahen wir mit Vergnügen an dem hin und wieder fahrenden Schatten, wie sich der Missethäter drinnen bei gutem Licht in der Hängematte schaukelte. Nach dem Namensaufruf nahmen die Leute Mützen und Hüte ab und sangen oder vielmehr gröhlten, in dem eine helle Stimme vorsang: O, virgem da concepção, Maria immaculada, vós sois a advogada dos peccadores, criais todos cheia de graça com a vossa feliz grandeza, vos soís dos cêos princeza, do Espíritu Santo esposa. Maria mãi de graça, mãi de misericordia, rogai Jesus por nos, recebai (!) nos na hora de morte! Senhor Deus pequei (?), Senhor, misericordia. Por vossa mãi, Maria Santissima, misericordia! *) Wie in das »Pronto«rufen fielen auch in den Gesang zufällig vorübergehende Indianer kräftig ein; im Hause drinnen übte sich Caldas auf der Violine. Zum Schluss knieten Alle, einschliesslich des Wachtpostens nieder, auch der Kadett mit dem Zuckerrohr. Die Bororó kümmerten sich nicht weiter um den ihnen längst bekannten Vorgang. Doch etwa eine Stunde später erschienen ein Dutzend Jungen vor unserer Thür und Sangen — die Musik richtig, die Worte ausser dem Anfang unverständlich und unverstanden — „O, Santa Maria, mãi de graxa“, **) indem sie sich kichernd umarmten und in einer Reihe aufgestellt schief anein- ander lehnten. Gegen 9 Uhr hatte sich Moguyokuri noch bei den Kadetten gemeldet, Branntwein fordernd. Zur Abwechslung trug der »sich ganz mit der Zivilisation seines Stammes identifizierende« Häuptling einen roten Frauenunterrock und eine weisse Leinenjacke; er bestand darauf, dass der Schlüssel zum Proviantraum geholt werde und erhielt auch seine Flasche; er erreichte seinen Zweck nicht minder, wenn er die Herren gelegentlich mitten in der Nacht heraustrommelte. Skandal mit Arateba. Er ist wieder einmal total betrunken und verlangt nach mehr; der berühmte Schlüssel wird nun aber doch verweigert. Er alarmiert mit seinem Geschrei und Schimpfen die ganze Kolonie, eilt nach seiner Hütte und kommt zurück mit zwei »espadas«! Er fuchtelt wütend mit den Säbeln in der Luft umher und schwankt dabei von der einen Seite zur andern, lässt es aber beim Drohen bewenden. Er zieht sich erst das Hemd, dann die Hose aus *) Spottvers: „O, virgem da concepção, Maria immaculada, pagai o nosso soldo, deixai da caçoada! (bezahl’ uns unsere Löhnung und lass die faulen Witze). **) »Mutter des Fettes« (spr. grascha).

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Zitationshilfe: Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 457. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/523>, abgerufen am 25.11.2024.