zwar wird hier, mitten in der Aufzählung, das zweite Paar der Bäume nicht durch das Zahlwort "ahage", sondern durch das unbestimmte "zagono", der oder die andern, ausgedrückt. Die drei Sätze lauten also: "Er stellte 2 an den Mörser. Er stellte ebenso die andern an den Mörser. Der einzelne kam an den Mörser." Freilich brauchte die Sache in diesem Fall nicht ganz so schlimm zu sein, wie sie aussieht. Kamuschini fällte Bäume verschiedener Art, wie mir Antonio neben- her berichtete. So mögen dem Erzähler in jedem jener drei Sätze auch die verschiedenen Bäume vorgeschwebt haben. Doch würde er bei 5 gleichartigen Bäumen nicht anders verfahren sein, wie ich bei den 5 Sternen des Perseus, vgl. Seite 361, sah.
Es steht natürlich nichts im Wege, dass sie selbst von 5 Dingen genau be- richten, da sie Zahlwörter bis "6" haben.
Eine der stereotypen Unterhaltungen betraf die Anzahl der Kinder. Auch die vom zweiten Dorf eintreffenden, mit meinen Versuchen noch nicht gequälten Bakairi vertrauten mir in der ersten Viertelstunde an, dass sie 1, 2 oder gar 3 Kinder hätten und bedienten sich dabei ausnahmslos der Finger. Dass Jemand "ahage ahage" Sprösslinge sein eigen nenne, schien bei den Bakairi unerhört. Man kam also mit den Zahlwörtern und den Fingern sehr gut aus.
Ueberhaupt bedurften sie keine höheren Zahlen als sie besassen. In ihren kleinen Verhältnissen, die durch keine schweren Besitzfragen bedrängt wurden, spielte eine Stückzahl über sechs hinaus keine Rolle. Aus eigenem Antrieb nannten sie mir Zahlen für die eben erwähnte Kinderstatistik und die Tagereisen am Fluss, die von Stamm zu Stamm stets unter jener Grenze blieben. Ihr mangelhaftes Rechnen bedeutet Mangel an Intelligenz nur insofern, als er freilich einen beschränkten ökonomischen Horizont verbürgt, hat aber mit geringer Be- gabung unmittelbar gar nichts zu schaffen. Es bedeutet Mangel an Uebung. Sie haben keinen Viehstand, dessen Stückzahl zu überwachen wäre, sie haben keinen Handel mit Waaren, die gezählt oder auf eine Werteinheit bezogen werden müssten, sie haben sich nur hier und da über Personenzahl, über die Zahl der Tiere, denen sie begegnet sind, die sie erlegt haben, die sie unter sich verteilen, über die Bäume, die sie fällen, und was es von ähnlicher Arbeit im Haushalt und alltäglichen Leben giebt, zu verständigen, wobei ihre Zahlwörter ausreichen oder mit andern Ausdrucksmitteln in Wort und Geberde eine unbestimmte Vielheit angegeben werden kann. Das Prinzip des Zählens, die Abstraktion der Zahl be- sitzen sie, hat schon in uralten Zeiten das karaibische Grundvolk besessen, und von da aufwärts ist die Weiterentwicklung nur vom Interesse abhängig. Ihr ge- ringes Bedürfnis, sich mit der Zahl der Dinge abzugeben, wird meines Erachtens noch mehr als durch den Mangel der Zahlwörter durch den Mangel des Plurals gekennzeichnet. Baum, Bäume und Holz ist alles "se", Haus, Häuser und Dorf immer nur "eti".
Wir, die wir in Zahlen leben und weben, weil sie das Gerüst all unseres Wissens darstellen, besitzen eine Menge angelernter Kenntnisse, in denen alle ge-
zwar wird hier, mitten in der Aufzählung, das zweite Paar der Bäume nicht durch das Zahlwort „aháge“, sondern durch das unbestimmte „zagóno“, der oder die andern, ausgedrückt. Die drei Sätze lauten also: »Er stellte 2 an den Mörser. Er stellte ebenso die andern an den Mörser. Der einzelne kam an den Mörser.« Freilich brauchte die Sache in diesem Fall nicht ganz so schlimm zu sein, wie sie aussieht. Kamuschini fällte Bäume verschiedener Art, wie mir Antonio neben- her berichtete. So mögen dem Erzähler in jedem jener drei Sätze auch die verschiedenen Bäume vorgeschwebt haben. Doch würde er bei 5 gleichartigen Bäumen nicht anders verfahren sein, wie ich bei den 5 Sternen des Perseus, vgl. Seite 361, sah.
Es steht natürlich nichts im Wege, dass sie selbst von 5 Dingen genau be- richten, da sie Zahlwörter bis »6« haben.
Eine der stereotypen Unterhaltungen betraf die Anzahl der Kinder. Auch die vom zweiten Dorf eintreffenden, mit meinen Versuchen noch nicht gequälten Bakaïrí vertrauten mir in der ersten Viertelstunde an, dass sie 1, 2 oder gar 3 Kinder hätten und bedienten sich dabei ausnahmslos der Finger. Dass Jemand „aháge aháge“ Sprösslinge sein eigen nenne, schien bei den Bakaïrí unerhört. Man kam also mit den Zahlwörtern und den Fingern sehr gut aus.
Ueberhaupt bedurften sie keine höheren Zahlen als sie besassen. In ihren kleinen Verhältnissen, die durch keine schweren Besitzfragen bedrängt wurden, spielte eine Stückzahl über sechs hinaus keine Rolle. Aus eigenem Antrieb nannten sie mir Zahlen für die eben erwähnte Kinderstatistik und die Tagereisen am Fluss, die von Stamm zu Stamm stets unter jener Grenze blieben. Ihr mangelhaftes Rechnen bedeutet Mangel an Intelligenz nur insofern, als er freilich einen beschränkten ökonomischen Horizont verbürgt, hat aber mit geringer Be- gabung unmittelbar gar nichts zu schaffen. Es bedeutet Mangel an Uebung. Sie haben keinen Viehstand, dessen Stückzahl zu überwachen wäre, sie haben keinen Handel mit Waaren, die gezählt oder auf eine Werteinheit bezogen werden müssten, sie haben sich nur hier und da über Personenzahl, über die Zahl der Tiere, denen sie begegnet sind, die sie erlegt haben, die sie unter sich verteilen, über die Bäume, die sie fällen, und was es von ähnlicher Arbeit im Haushalt und alltäglichen Leben giebt, zu verständigen, wobei ihre Zahlwörter ausreichen oder mit andern Ausdrucksmitteln in Wort und Geberde eine unbestimmte Vielheit angegeben werden kann. Das Prinzip des Zählens, die Abstraktion der Zahl be- sitzen sie, hat schon in uralten Zeiten das karaibische Grundvolk besessen, und von da aufwärts ist die Weiterentwicklung nur vom Interesse abhängig. Ihr ge- ringes Bedürfnis, sich mit der Zahl der Dinge abzugeben, wird meines Erachtens noch mehr als durch den Mangel der Zahlwörter durch den Mangel des Plurals gekennzeichnet. Baum, Bäume und Holz ist alles „se“, Haus, Häuser und Dorf immer nur „éti“.
Wir, die wir in Zahlen leben und weben, weil sie das Gerüst all unseres Wissens darstellen, besitzen eine Menge angelernter Kenntnisse, in denen alle ge-
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[409/0473]
zwar wird hier, mitten in der Aufzählung, das zweite Paar der Bäume nicht
durch das Zahlwort „aháge“, sondern durch das unbestimmte „zagóno“, der oder
die andern, ausgedrückt. Die drei Sätze lauten also: »Er stellte 2 an den Mörser.
Er stellte ebenso die andern an den Mörser. Der einzelne kam an den Mörser.«
Freilich brauchte die Sache in diesem Fall nicht ganz so schlimm zu sein, wie
sie aussieht. Kamuschini fällte Bäume verschiedener Art, wie mir Antonio neben-
her berichtete. So mögen dem Erzähler in jedem jener drei Sätze auch die
verschiedenen Bäume vorgeschwebt haben. Doch würde er bei 5 gleichartigen
Bäumen nicht anders verfahren sein, wie ich bei den 5 Sternen des Perseus, vgl.
Seite 361, sah.
Es steht natürlich nichts im Wege, dass sie selbst von 5 Dingen genau be-
richten, da sie Zahlwörter bis »6« haben.
Eine der stereotypen Unterhaltungen betraf die Anzahl der Kinder. Auch
die vom zweiten Dorf eintreffenden, mit meinen Versuchen noch nicht gequälten
Bakaïrí vertrauten mir in der ersten Viertelstunde an, dass sie 1, 2 oder gar
3 Kinder hätten und bedienten sich dabei ausnahmslos der Finger. Dass Jemand
„aháge aháge“ Sprösslinge sein eigen nenne, schien bei den Bakaïrí unerhört.
Man kam also mit den Zahlwörtern und den Fingern sehr gut aus.
Ueberhaupt bedurften sie keine höheren Zahlen als sie besassen. In ihren
kleinen Verhältnissen, die durch keine schweren Besitzfragen bedrängt wurden,
spielte eine Stückzahl über sechs hinaus keine Rolle. Aus eigenem Antrieb
nannten sie mir Zahlen für die eben erwähnte Kinderstatistik und die Tagereisen
am Fluss, die von Stamm zu Stamm stets unter jener Grenze blieben. Ihr
mangelhaftes Rechnen bedeutet Mangel an Intelligenz nur insofern, als er freilich
einen beschränkten ökonomischen Horizont verbürgt, hat aber mit geringer Be-
gabung unmittelbar gar nichts zu schaffen. Es bedeutet Mangel an Uebung.
Sie haben keinen Viehstand, dessen Stückzahl zu überwachen wäre, sie haben
keinen Handel mit Waaren, die gezählt oder auf eine Werteinheit bezogen werden
müssten, sie haben sich nur hier und da über Personenzahl, über die Zahl der
Tiere, denen sie begegnet sind, die sie erlegt haben, die sie unter sich verteilen,
über die Bäume, die sie fällen, und was es von ähnlicher Arbeit im Haushalt und
alltäglichen Leben giebt, zu verständigen, wobei ihre Zahlwörter ausreichen oder
mit andern Ausdrucksmitteln in Wort und Geberde eine unbestimmte Vielheit
angegeben werden kann. Das Prinzip des Zählens, die Abstraktion der Zahl be-
sitzen sie, hat schon in uralten Zeiten das karaibische Grundvolk besessen, und
von da aufwärts ist die Weiterentwicklung nur vom Interesse abhängig. Ihr ge-
ringes Bedürfnis, sich mit der Zahl der Dinge abzugeben, wird meines Erachtens
noch mehr als durch den Mangel der Zahlwörter durch den Mangel des Plurals
gekennzeichnet. Baum, Bäume und Holz ist alles „se“, Haus, Häuser und Dorf
immer nur „éti“.
Wir, die wir in Zahlen leben und weben, weil sie das Gerüst all unseres
Wissens darstellen, besitzen eine Menge angelernter Kenntnisse, in denen alle ge-
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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 409. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/473>, abgerufen am 22.11.2024.
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