gekommen?" fragt Martius. Wir wagen hierüber nur die Vermutung aufzustellen, dass sie Tupi waren. Auch diese haben, über einen grossen Teil Brasiliens sich ausbreitend, eine Oberherrschaft über andere Horden behauptet und lange Zeit eine athletische Körperbildung und heroische Gemütsart erhalten. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass in früherer Zeit -- vielleicht Jahrhunderte vor Ankunft der Europäer in der neuen Welt -- Berührungen und Vermischungen zwischen den Tupi und den Bewohnern des Karaibenlandes stattgefunden haben, aus welcher die sogenannten Karaiben hervorgegangen sind, nicht als ein besonderes Volk, sondern als Leute von einer eigentümlichen Lebensweise, als Räuber, Piraten und Menschenschlächter."
Ich habe bereits Seite 158 angeführt, dass die Verwandtschaft der Tupi und Karaiben auf das nicht aus dem Wege zu räumende Hindernis der bis in die Wurzelwörter hinein bestimmt ausgeprägten Verschiedenheit der Sprachen stösst. Da giebt es keine Brücke. Wenn die Untersuchung der Bakairisprache und ihre Vergleichung mit den nordkaraibischen Indianern dieses sichere Ergebnis geliefert hat, so ist andrerseits durch das nun erwiesene Vorhandensein einer karaibischen Bevölkerung im Innern des Kontinents die Südhypothese dennoch gerettet worden, und Lucien Adam, der sich in neuerer Zeit auf Grund seiner sorgfältigen Untersuchung der Karaibenidiome für die Heimat im Süden des Amazonas aus- gesprochen hatte, darf sich der besten Bestätigung freuen.
Inzwischen ist auch bereits vor uns ein karaibischer Stamm im Süden des Amazonas gefunden worden. Ueber ihn, die "Palmellas", berichtet in einer in Europa kaum bekannt gewordenen Reisebeschreibung der brasilische Arzt Joao Severiano da Fonseca*), der sie 1877 bei dem Destakament von Pedras Negras (12° 51' 11'', 22 s. Br. und 19° 44' 22'', 65 W. von Rio de Janeiro) am Guapore kennen lernte und ein kleines Vokabular aufnahm. Einige 7 oder 8 Leguas entfernt in den letzten Ausläufern der Paressi-"Cordillere" wohnte dieser "Stamm von zahmen Indianern, der erst vor wenigen Jahren erschienen und mit den Bewohnern des Destakaments und den Flussfahrern in Verkehr getreten ist. Sie reden ein von dem der Guapore-Stämme verschiedenes, mit portugiesischen und spanischen Wörtern vermengtes Idiom und können ihre Herkunft oder ihren Ursprung nicht angeben. Es ist aber bemerkenswert, dass eine grosse Anzahl ihrer Wörter dem Galibi-Dialekt gleich oder ähnlich sind." Severiano erfuhr von drei Palmellas, die im Destakament waren, dass sie bis vor längerer Zeit (aber höchstens 80 Jahre zurück) bei der Mission S. Miguel der Baures angesiedelt gewesen und dorthin auch schon von anderswoher, aber sie wussten nicht mehr, aus welcher Gegend, als Flüchtlinge gekommen seien. Sie zählten etwa 400 Individuen, hätten jedoch bei einer Epidemie viele Leute durch Tod und Flucht verloren. Es waren friedliche Ackerbauer, wenig zur Jagd und Fischfang geneigt, sie bauten Mais, Mandioka, Igname, Erdnüsse, Kürbis, Zucker-
*) Viagem ao redor do Brasil 1875--1878 Rio de Janeiro, 1880. Bd. II, 190 ff.
gekommen?« fragt Martius. Wir wagen hierüber nur die Vermutung aufzustellen, dass sie Tupí waren. Auch diese haben, über einen grossen Teil Brasiliens sich ausbreitend, eine Oberherrschaft über andere Horden behauptet und lange Zeit eine athletische Körperbildung und heroische Gemütsart erhalten. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass in früherer Zeit — vielleicht Jahrhunderte vor Ankunft der Europäer in der neuen Welt — Berührungen und Vermischungen zwischen den Tupí und den Bewohnern des Karaibenlandes stattgefunden haben, aus welcher die sogenannten Karaiben hervorgegangen sind, nicht als ein besonderes Volk, sondern als Leute von einer eigentümlichen Lebensweise, als Räuber, Piraten und Menschenschlächter.«
Ich habe bereits Seite 158 angeführt, dass die Verwandtschaft der Tupí und Karaiben auf das nicht aus dem Wege zu räumende Hindernis der bis in die Wurzelwörter hinein bestimmt ausgeprägten Verschiedenheit der Sprachen stösst. Da giebt es keine Brücke. Wenn die Untersuchung der Bakaïrísprache und ihre Vergleichung mit den nordkaraibischen Indianern dieses sichere Ergebnis geliefert hat, so ist andrerseits durch das nun erwiesene Vorhandensein einer karaibischen Bevölkerung im Innern des Kontinents die Südhypothese dennoch gerettet worden, und Lucien Adam, der sich in neuerer Zeit auf Grund seiner sorgfältigen Untersuchung der Karaibenidiome für die Heimat im Süden des Amazonas aus- gesprochen hatte, darf sich der besten Bestätigung freuen.
Inzwischen ist auch bereits vor uns ein karaibischer Stamm im Süden des Amazonas gefunden worden. Ueber ihn, die »Palmellas«, berichtet in einer in Europa kaum bekannt gewordenen Reisebeschreibung der brasilische Arzt João Severiano da Fonseca*), der sie 1877 bei dem Destakament von Pedras Negras (12° 51' 11'', 22 s. Br. und 19° 44' 22'', 65 W. von Rio de Janeiro) am Guaporé kennen lernte und ein kleines Vokabular aufnahm. Einige 7 oder 8 Leguas entfernt in den letzten Ausläufern der Paressí-»Cordillere« wohnte dieser »Stamm von zahmen Indianern, der erst vor wenigen Jahren erschienen und mit den Bewohnern des Destakaments und den Flussfahrern in Verkehr getreten ist. Sie reden ein von dem der Guaporé-Stämme verschiedenes, mit portugiesischen und spanischen Wörtern vermengtes Idiom und können ihre Herkunft oder ihren Ursprung nicht angeben. Es ist aber bemerkenswert, dass eine grosse Anzahl ihrer Wörter dem Galibí-Dialekt gleich oder ähnlich sind.« Severiano erfuhr von drei Palmellas, die im Destakament waren, dass sie bis vor längerer Zeit (aber höchstens 80 Jahre zurück) bei der Mission S. Miguel der Baures angesiedelt gewesen und dorthin auch schon von anderswoher, aber sie wussten nicht mehr, aus welcher Gegénd, als Flüchtlinge gekommen seien. Sie zählten etwa 400 Individuen, hätten jedoch bei einer Epidemie viele Leute durch Tod und Flucht verloren. Es waren friedliche Ackerbauer, wenig zur Jagd und Fischfang geneigt, sie bauten Mais, Mandioka, Igname, Erdnüsse, Kürbis, Zucker-
*) Viagem ao redor do Brasil 1875—1878 Rio de Janeiro, 1880. Bd. II, 190 ff.
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[398/0462]
gekommen?« fragt Martius. Wir wagen hierüber nur die Vermutung aufzustellen,
dass sie Tupí waren. Auch diese haben, über einen grossen Teil Brasiliens sich
ausbreitend, eine Oberherrschaft über andere Horden behauptet und lange Zeit
eine athletische Körperbildung und heroische Gemütsart erhalten. Es ist nicht
unwahrscheinlich, dass in früherer Zeit — vielleicht Jahrhunderte vor Ankunft
der Europäer in der neuen Welt — Berührungen und Vermischungen zwischen
den Tupí und den Bewohnern des Karaibenlandes stattgefunden haben, aus welcher
die sogenannten Karaiben hervorgegangen sind, nicht als ein besonderes Volk,
sondern als Leute von einer eigentümlichen Lebensweise, als Räuber, Piraten und
Menschenschlächter.«
Ich habe bereits Seite 158 angeführt, dass die Verwandtschaft der Tupí und
Karaiben auf das nicht aus dem Wege zu räumende Hindernis der bis in die
Wurzelwörter hinein bestimmt ausgeprägten Verschiedenheit der Sprachen stösst.
Da giebt es keine Brücke. Wenn die Untersuchung der Bakaïrísprache und ihre
Vergleichung mit den nordkaraibischen Indianern dieses sichere Ergebnis geliefert
hat, so ist andrerseits durch das nun erwiesene Vorhandensein einer karaibischen
Bevölkerung im Innern des Kontinents die Südhypothese dennoch gerettet worden,
und Lucien Adam, der sich in neuerer Zeit auf Grund seiner sorgfältigen
Untersuchung der Karaibenidiome für die Heimat im Süden des Amazonas aus-
gesprochen hatte, darf sich der besten Bestätigung freuen.
Inzwischen ist auch bereits vor uns ein karaibischer Stamm im Süden des
Amazonas gefunden worden. Ueber ihn, die »Palmellas«, berichtet in einer in
Europa kaum bekannt gewordenen Reisebeschreibung der brasilische Arzt João
Severiano da Fonseca *), der sie 1877 bei dem Destakament von Pedras
Negras (12° 51' 11'', 22 s. Br. und 19° 44' 22'', 65 W. von Rio de Janeiro) am
Guaporé kennen lernte und ein kleines Vokabular aufnahm. Einige 7 oder 8
Leguas entfernt in den letzten Ausläufern der Paressí-»Cordillere« wohnte dieser
»Stamm von zahmen Indianern, der erst vor wenigen Jahren erschienen und mit
den Bewohnern des Destakaments und den Flussfahrern in Verkehr getreten ist.
Sie reden ein von dem der Guaporé-Stämme verschiedenes, mit portugiesischen
und spanischen Wörtern vermengtes Idiom und können ihre Herkunft oder ihren
Ursprung nicht angeben. Es ist aber bemerkenswert, dass eine grosse Anzahl
ihrer Wörter dem Galibí-Dialekt gleich oder ähnlich sind.« Severiano erfuhr von
drei Palmellas, die im Destakament waren, dass sie bis vor längerer Zeit (aber
höchstens 80 Jahre zurück) bei der Mission S. Miguel der Baures angesiedelt
gewesen und dorthin auch schon von anderswoher, aber sie wussten nicht
mehr, aus welcher Gegénd, als Flüchtlinge gekommen seien. Sie zählten
etwa 400 Individuen, hätten jedoch bei einer Epidemie viele Leute durch Tod
und Flucht verloren. Es waren friedliche Ackerbauer, wenig zur Jagd und
Fischfang geneigt, sie bauten Mais, Mandioka, Igname, Erdnüsse, Kürbis, Zucker-
*) Viagem ao redor do Brasil 1875—1878 Rio de Janeiro, 1880. Bd. II, 190 ff.
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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 398. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/462>, abgerufen am 22.11.2024.
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