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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894.

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heit den Indianern überhaupt leicht verhängnissvoll, sie haben auch die üble Ge-
wohnheit, sich mitten im stärksten Fieber in den Fluss zu stürzen und trocknen
sich nicht ab, wenn sie das kühle Bad verlassen.

Ich habe mich bemüht, von dem uralten Caetano, Häuptling a. D., und
seinem Nachfolger Felipe am Paranatinga wie von Antonio Genaueres über die
Geschichte des Stammes zu erfahren. Da lässt sich nun eine Geschichte der
neueren Zeit deutlich abtrennen, während deren sich eine Verschiebung nach
Südwesten vollzogen hat. Während die Vorfahren am Salto des Paranatinga,
einige Tagereisen unterhalb des heutigen Dorfes und etwas oberhalb der Ein-
mündung des von links kommenden Rio Verde wohnten, haben die Westbakairi
mindestens seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts das Grenzgebiet zwischen den
Quellflüssen des Arinos, Cuyaba und Paranatinga besetzt gehalten, wo sich jetzt
noch das Dorf am Rio Novo befindet. Am Ribeirao Caixao gab es mehr als
sechs Dörfer, ein grosses Dorf befand sich am Ribeirao da Pedra. Die erste
Taufe von Bakairi hat in Diamantino stattgefunden. Der aller Schätzung nach noch
im vorigen Jahrhundert geborene Caetano erblickte das Licht der Welt an der
Einmündung des Rio Beijaflor in den Paranatinga. Das heute oberhalb gelegene
Paranatingadorf ist eine Schöpfung der neuesten Zeit durch den Goldsucher
Correa veranlasst. Die den fabelhaften Goldminen der Martyrios nachspürenden
Expeditionen konnten hier am besten über den Paranatinga setzen und wünschten
die Kanus der Bakairi zu benutzen wie auch von ihnen Lebensmittel zu erhalten.
Antonio wurde, frühestens Ende der fünfziger Jahre, in Limoeiro, einer kleinen
Ansiedelung, geboren.

Eine chronologische Handhabe wird in den Vorfahren Antonio's geboten.
Sein Vater Seseriari hatte auch noch einen portugiesischen Namen, sein Gross-
vater hiess, wie auch ein Indianer in dem ersten Batovy-Dorf, Karawako, der
Urgrossvater Yakauka, der Ururgrossvater Kupare und der letzte, dessen Namen
Antonio noch kannte, also der Urururgrossvater Mariukara. Dieser wohnte nahe
am Salto des paranatinga. Die Reihenfolge könnte, die Generation zu 30 Jahren
gerechnet, bis vor die Mitte des 18. Jahrhunderts zurückgehen. Der wahrschein-
lich um 1790 geborene Caetano sollte, was ich leider nicht mehr feststellen konnte,
noch sechs oder sieben Vorfahren bei Namen nennen können, so dass seine
Genealogie bis in die Mitte des 17. Jahrhunderts reichen würde. Caetano's Vater
wurde am Paranatinga, oberhalb des Salto, erst sein Grossvater am Salto selbst
geboren. Jedenfalls sind die Angaben der Bakairi in bester Uebereinstimmung
mit der Nachricht des Antonio Pires, dass die Bakairi am Anfang des vorigen
Jahrhunderts mit den Stämmen am Oberlauf des Cuyaba in Berührung waren.

Es ist nicht unwichtig, die Tradition, soweit sie noch nicht als Legende und
Märchen erscheint, nach Kräften festzustellen, weil es sehr wünschenswerth
ist zu wissen, ob die heutigen Westbakairi, die Bewohner des Tapajoz-Quell-
gebietes, oder die Ostbakairi im Quellengebiet des Schingu die älteren Wohnsitze
innehaben.


heit den Indianern überhaupt leicht verhängnissvoll, sie haben auch die üble Ge-
wohnheit, sich mitten im stärksten Fieber in den Fluss zu stürzen und trocknen
sich nicht ab, wenn sie das kühle Bad verlassen.

Ich habe mich bemüht, von dem uralten Caetano, Häuptling a. D., und
seinem Nachfolger Felipe am Paranatinga wie von Antonio Genaueres über die
Geschichte des Stammes zu erfahren. Da lässt sich nun eine Geschichte der
neueren Zeit deutlich abtrennen, während deren sich eine Verschiebung nach
Südwesten vollzogen hat. Während die Vorfahren am Salto des Paranatinga,
einige Tagereisen unterhalb des heutigen Dorfes und etwas oberhalb der Ein-
mündung des von links kommenden Rio Verde wohnten, haben die Westbakaïrí
mindestens seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts das Grenzgebiet zwischen den
Quellflüssen des Arinos, Cuyabá und Paranatinga besetzt gehalten, wo sich jetzt
noch das Dorf am Rio Novo befindet. Am Ribeirão Caixão gab es mehr als
sechs Dörfer, ein grosses Dorf befand sich am Ribeirão da Pedra. Die erste
Taufe von Bakaïrí hat in Diamantino stattgefunden. Der aller Schätzung nach noch
im vorigen Jahrhundert geborene Caetano erblickte das Licht der Welt an der
Einmündung des Rio Beijaflor in den Paranatinga. Das heute oberhalb gelegene
Paranatingadorf ist eine Schöpfung der neuesten Zeit durch den Goldsucher
Correa veranlasst. Die den fabelhaften Goldminen der Martyrios nachspürenden
Expeditionen konnten hier am besten über den Paranatinga setzen und wünschten
die Kanus der Bakaïrí zu benutzen wie auch von ihnen Lebensmittel zu erhalten.
Antonio wurde, frühestens Ende der fünfziger Jahre, in Limoeiro, einer kleinen
Ansiedelung, geboren.

Eine chronologische Handhabe wird in den Vorfahren Antonio’s geboten.
Sein Vater Seseriari hatte auch noch einen portugiesischen Namen, sein Gross-
vater hiess, wie auch ein Indianer in dem ersten Batovy-Dorf, Karawako, der
Urgrossvater Yakauka, der Ururgrossvater Kupare und der letzte, dessen Namen
Antonio noch kannte, also der Urururgrossvater Mariukara. Dieser wohnte nahe
am Salto des paranatinga. Die Reihenfolge könnte, die Generation zu 30 Jahren
gerechnet, bis vor die Mitte des 18. Jahrhunderts zurückgehen. Der wahrschein-
lich um 1790 geborene Caetano sollte, was ich leider nicht mehr feststellen konnte,
noch sechs oder sieben Vorfahren bei Namen nennen können, so dass seine
Genealogie bis in die Mitte des 17. Jahrhunderts reichen würde. Caetano’s Vater
wurde am Paranatinga, oberhalb des Salto, erst sein Grossvater am Salto selbst
geboren. Jedenfalls sind die Angaben der Bakaïrí in bester Uebereinstimmung
mit der Nachricht des Antonio Pires, dass die Bakaïrí am Anfang des vorigen
Jahrhunderts mit den Stämmen am Oberlauf des Cuyabá in Berührung waren.

Es ist nicht unwichtig, die Tradition, soweit sie noch nicht als Legende und
Märchen erscheint, nach Kräften festzustellen, weil es sehr wünschenswerth
ist zu wissen, ob die heutigen Westbakaïrí, die Bewohner des Tapajoz-Quell-
gebietes, oder die Ostbakaïrí im Quellengebiet des Schingú die älteren Wohnsitze
innehaben.


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[390/0454] heit den Indianern überhaupt leicht verhängnissvoll, sie haben auch die üble Ge- wohnheit, sich mitten im stärksten Fieber in den Fluss zu stürzen und trocknen sich nicht ab, wenn sie das kühle Bad verlassen. Ich habe mich bemüht, von dem uralten Caetano, Häuptling a. D., und seinem Nachfolger Felipe am Paranatinga wie von Antonio Genaueres über die Geschichte des Stammes zu erfahren. Da lässt sich nun eine Geschichte der neueren Zeit deutlich abtrennen, während deren sich eine Verschiebung nach Südwesten vollzogen hat. Während die Vorfahren am Salto des Paranatinga, einige Tagereisen unterhalb des heutigen Dorfes und etwas oberhalb der Ein- mündung des von links kommenden Rio Verde wohnten, haben die Westbakaïrí mindestens seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts das Grenzgebiet zwischen den Quellflüssen des Arinos, Cuyabá und Paranatinga besetzt gehalten, wo sich jetzt noch das Dorf am Rio Novo befindet. Am Ribeirão Caixão gab es mehr als sechs Dörfer, ein grosses Dorf befand sich am Ribeirão da Pedra. Die erste Taufe von Bakaïrí hat in Diamantino stattgefunden. Der aller Schätzung nach noch im vorigen Jahrhundert geborene Caetano erblickte das Licht der Welt an der Einmündung des Rio Beijaflor in den Paranatinga. Das heute oberhalb gelegene Paranatingadorf ist eine Schöpfung der neuesten Zeit durch den Goldsucher Correa veranlasst. Die den fabelhaften Goldminen der Martyrios nachspürenden Expeditionen konnten hier am besten über den Paranatinga setzen und wünschten die Kanus der Bakaïrí zu benutzen wie auch von ihnen Lebensmittel zu erhalten. Antonio wurde, frühestens Ende der fünfziger Jahre, in Limoeiro, einer kleinen Ansiedelung, geboren. Eine chronologische Handhabe wird in den Vorfahren Antonio’s geboten. Sein Vater Seseriari hatte auch noch einen portugiesischen Namen, sein Gross- vater hiess, wie auch ein Indianer in dem ersten Batovy-Dorf, Karawako, der Urgrossvater Yakauka, der Ururgrossvater Kupare und der letzte, dessen Namen Antonio noch kannte, also der Urururgrossvater Mariukara. Dieser wohnte nahe am Salto des paranatinga. Die Reihenfolge könnte, die Generation zu 30 Jahren gerechnet, bis vor die Mitte des 18. Jahrhunderts zurückgehen. Der wahrschein- lich um 1790 geborene Caetano sollte, was ich leider nicht mehr feststellen konnte, noch sechs oder sieben Vorfahren bei Namen nennen können, so dass seine Genealogie bis in die Mitte des 17. Jahrhunderts reichen würde. Caetano’s Vater wurde am Paranatinga, oberhalb des Salto, erst sein Grossvater am Salto selbst geboren. Jedenfalls sind die Angaben der Bakaïrí in bester Uebereinstimmung mit der Nachricht des Antonio Pires, dass die Bakaïrí am Anfang des vorigen Jahrhunderts mit den Stämmen am Oberlauf des Cuyabá in Berührung waren. Es ist nicht unwichtig, die Tradition, soweit sie noch nicht als Legende und Märchen erscheint, nach Kräften festzustellen, weil es sehr wünschenswerth ist zu wissen, ob die heutigen Westbakaïrí, die Bewohner des Tapajoz-Quell- gebietes, oder die Ostbakaïrí im Quellengebiet des Schingú die älteren Wohnsitze innehaben.

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Zitationshilfe: Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 390. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/454>, abgerufen am 22.11.2024.