Da pisste er, trank seinen Urin und wusch sich auch damit. In seinem Urin drinnen fand er ein Lambare Fischchen. (Der Erzähler macht es sich etwas leicht, den Ameisenbär mit einem Beweisstück für seine Behauptung auszustatten). Er ging zum Lagerplatz zurück und, als er ankam, fragte der Jaguar: "Hast Du Wasser getrunken, mein Freund?" "Ich habe getrunken", sagte der Ameisenbär. "Sieh den Lambare, den ich gefangen!" "Auch ich gehe trinken. Ist es weit?" "Es ist ein bischen weit", sagte der Ameisenbär. Der Jaguar ging, Wasser zu trinken. Als der Jaguar schon weit gegangen war, rief er: "Wo ist das Wasser, wo?" "Weiterhin! Weiterhin!"
Als der Ameisenbär den fernen Jaguar nicht mehr hörte, legte er den Tapir- braten in eine Kiepe hinein und kletterte auf einen Jatoba-Baum. Der Jaguar kam zum Bratrost zurück; da gab es keinen Tapirbraten mehr. Der Jaguar ging auf der Spur und sah den Ameisenbär oben auf der Jatoba. "Komm, wir wollen essen!" sagte der Jaguar zum Ameisenbär. Der Ameisenbär ass den Tapir und -- die Reihe war wieder an ihm, den Andern zu verhöhnen -- die Tapirknochen warf er dem Jaguar zu. Der Jaguar, (der auf den hohen, schlanken Stamm der Jatoba nicht hinaufklettern konnte und nachsann, wie er den Ameisenbär herunter- hole,) rief die Beissameisen. Die Beissameisen kletterten auf die Jatoba. Aber der Ameisenbär blies. Da gingen die Beissameisen wieder fort. Nun rief der Jaguar den Wind. Der Wind kam, den Baum zu brechen. Er kam zum Ameisenbär und entwurzelte die Jatoba. Die Jatoba stürzte. Der Ameisenbär entfloh. Wohl packte der Jaguar zu, aber er ergriff nur ein Termitennest, das auf der Jatoba sass.
Der Jaguar machte sich auf den Weg und suchte. Endlich traf er den Ameisenbär, wie er Termiten ass. Der Ameisenbär hatte sich eine Glatze geschoren. "Du, mein Freund, meinen Braten hast Du gegessen." "Deinen Braten?" sagte der Ameisenbär, "Deinen Braten ass ich nicht." "Grade Du hast meinen Braten soeben aufgegessen" sagte der Jaguar zum Ameisenbär. "Einer, der mir ähnlich sieht, hat ihn gegessen. Matawiwe (ein kleiner Art- genosse), der hat Deinen Braten gegessen," sagte der Ameisenbär. "Habe ich etwa so ausgesehen?" fragte der Ameisenbär. "Du willst mich betrügen. Du hast Dir eine Glatze geschoren", sagte der Jaguar.
(Der Fall ist nicht zu entscheiden, so schlägt der Ameisenbär eine Wett- leistung vor; wer gewinnt, hat Recht. Er fühlte sich bei dieser Art zu "tanzen", sehr sicher, und der Jaguar hatte auch anfangs keine Lust, darauf einzugehen). Nun sagte der Ameisenbär: "Lass uns ordentlich tanzen, mein Freund." "Wir wollen das Tanzen bleiben lassen," sagte der Jaguar. "Aber, so lass uns nur tanzen," sagte der Jaguar. Zuerst trug der Jaguar den Ameisenbär. Dann trug der Ameisenbär den Jaguar. Wieder trug der Jaguar den Ameisenbär. (Er konnte den Ameisenbär öfter tragen, als dieser ihm zugetraut hätte, und war daran, zu gewinnen). Da riss der Ameisenbär dem Jaguar die Augen aus und entfloh. Das Pindoreiro-Vögelchen sah den Ameisenbär weglaufen.
v. d. Steinen, Zentral-Brasilien. 25
Da pisste er, trank seinen Urin und wusch sich auch damit. In seinem Urin drinnen fand er ein Lambaré Fischchen. (Der Erzähler macht es sich etwas leicht, den Ameisenbär mit einem Beweisstück für seine Behauptung auszustatten). Er ging zum Lagerplatz zurück und, als er ankam, fragte der Jaguar: »Hast Du Wasser getrunken, mein Freund?« »Ich habe getrunken«, sagte der Ameisenbär. »Sieh den Lambaré, den ich gefangen!« »Auch ich gehe trinken. Ist es weit?« »Es ist ein bischen weit«, sagte der Ameisenbär. Der Jaguar ging, Wasser zu trinken. Als der Jaguar schon weit gegangen war, rief er: »Wo ist das Wasser, wo?« »Weiterhin! Weiterhin!«
Als der Ameisenbär den fernen Jaguar nicht mehr hörte, legte er den Tapir- braten in eine Kiepe hinein und kletterte auf einen Jatobá-Baum. Der Jaguar kam zum Bratrost zurück; da gab es keinen Tapirbraten mehr. Der Jaguar ging auf der Spur und sah den Ameisenbär oben auf der Jatobá. »Komm, wir wollen essen!« sagte der Jaguar zum Ameisenbär. Der Ameisenbär ass den Tapir und — die Reihe war wieder an ihm, den Andern zu verhöhnen — die Tapirknochen warf er dem Jaguar zu. Der Jaguar, (der auf den hohen, schlanken Stamm der Jatobá nicht hinaufklettern konnte und nachsann, wie er den Ameisenbär herunter- hole,) rief die Beissameisen. Die Beissameisen kletterten auf die Jatobá. Aber der Ameisenbär blies. Da gingen die Beissameisen wieder fort. Nun rief der Jaguar den Wind. Der Wind kam, den Baum zu brechen. Er kam zum Ameisenbär und entwurzelte die Jatobá. Die Jatobá stürzte. Der Ameisenbär entfloh. Wohl packte der Jaguar zu, aber er ergriff nur ein Termitennest, das auf der Jatobá sass.
Der Jaguar machte sich auf den Weg und suchte. Endlich traf er den Ameisenbär, wie er Termiten ass. Der Ameisenbär hatte sich eine Glatze geschoren. »Du, mein Freund, meinen Braten hast Du gegessen.« »Deinen Braten?« sagte der Ameisenbär, »Deinen Braten ass ich nicht.« »Grade Du hast meinen Braten soeben aufgegessen« sagte der Jaguar zum Ameisenbär. »Einer, der mir ähnlich sieht, hat ihn gegessen. Matawiwe (ein kleiner Art- genosse), der hat Deinen Braten gegessen,« sagte der Ameisenbär. »Habe ich etwa so ausgesehen?« fragte der Ameisenbär. »Du willst mich betrügen. Du hast Dir eine Glatze geschoren«, sagte der Jaguar.
(Der Fall ist nicht zu entscheiden, so schlägt der Ameisenbär eine Wett- leistung vor; wer gewinnt, hat Recht. Er fühlte sich bei dieser Art zu »tanzen«, sehr sicher, und der Jaguar hatte auch anfangs keine Lust, darauf einzugehen). Nun sagte der Ameisenbär: »Lass uns ordentlich tanzen, mein Freund.« »Wir wollen das Tanzen bleiben lassen,« sagte der Jaguar. »Aber, so lass uns nur tanzen,« sagte der Jaguar. Zuerst trug der Jaguar den Ameisenbär. Dann trug der Ameisenbär den Jaguar. Wieder trug der Jaguar den Ameisenbär. (Er konnte den Ameisenbär öfter tragen, als dieser ihm zugetraut hätte, und war daran, zu gewinnen). Da riss der Ameisenbär dem Jaguar die Augen aus und entfloh. Das Pindoreiro-Vögelchen sah den Ameisenbär weglaufen.
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Da pisste er, trank seinen Urin und wusch sich auch damit. In seinem Urin
drinnen fand er ein Lambaré Fischchen. (Der Erzähler macht es sich etwas leicht,
den Ameisenbär mit einem Beweisstück für seine Behauptung auszustatten). Er
ging zum Lagerplatz zurück und, als er ankam, fragte der Jaguar: »Hast Du
Wasser getrunken, mein Freund?« »Ich habe getrunken«, sagte der Ameisenbär.
»Sieh den Lambaré, den ich gefangen!« »Auch ich gehe trinken. Ist es weit?«
»Es ist ein bischen weit«, sagte der Ameisenbär. Der Jaguar ging, Wasser
zu trinken. Als der Jaguar schon weit gegangen war, rief er: »Wo ist das
Wasser, wo?« »Weiterhin! Weiterhin!«
Als der Ameisenbär den fernen Jaguar nicht mehr hörte, legte er den Tapir-
braten in eine Kiepe hinein und kletterte auf einen Jatobá-Baum. Der Jaguar
kam zum Bratrost zurück; da gab es keinen Tapirbraten mehr. Der Jaguar ging
auf der Spur und sah den Ameisenbär oben auf der Jatobá. »Komm, wir wollen
essen!« sagte der Jaguar zum Ameisenbär. Der Ameisenbär ass den Tapir und
— die Reihe war wieder an ihm, den Andern zu verhöhnen — die Tapirknochen
warf er dem Jaguar zu. Der Jaguar, (der auf den hohen, schlanken Stamm der
Jatobá nicht hinaufklettern konnte und nachsann, wie er den Ameisenbär herunter-
hole,) rief die Beissameisen. Die Beissameisen kletterten auf die Jatobá. Aber
der Ameisenbär blies. Da gingen die Beissameisen wieder fort. Nun rief der
Jaguar den Wind. Der Wind kam, den Baum zu brechen. Er kam zum
Ameisenbär und entwurzelte die Jatobá. Die Jatobá stürzte. Der Ameisenbär
entfloh. Wohl packte der Jaguar zu, aber er ergriff nur ein Termitennest, das
auf der Jatobá sass.
Der Jaguar machte sich auf den Weg und suchte. Endlich traf er den
Ameisenbär, wie er Termiten ass. Der Ameisenbär hatte sich eine Glatze
geschoren. »Du, mein Freund, meinen Braten hast Du gegessen.« »Deinen
Braten?« sagte der Ameisenbär, »Deinen Braten ass ich nicht.« »Grade Du
hast meinen Braten soeben aufgegessen« sagte der Jaguar zum Ameisenbär.
»Einer, der mir ähnlich sieht, hat ihn gegessen. Matawiwe (ein kleiner Art-
genosse), der hat Deinen Braten gegessen,« sagte der Ameisenbär. »Habe ich
etwa so ausgesehen?« fragte der Ameisenbär. »Du willst mich betrügen. Du
hast Dir eine Glatze geschoren«, sagte der Jaguar.
(Der Fall ist nicht zu entscheiden, so schlägt der Ameisenbär eine Wett-
leistung vor; wer gewinnt, hat Recht. Er fühlte sich bei dieser Art zu »tanzen«,
sehr sicher, und der Jaguar hatte auch anfangs keine Lust, darauf einzugehen).
Nun sagte der Ameisenbär: »Lass uns ordentlich tanzen, mein Freund.« »Wir
wollen das Tanzen bleiben lassen,« sagte der Jaguar. »Aber, so lass uns nur
tanzen,« sagte der Jaguar. Zuerst trug der Jaguar den Ameisenbär. Dann trug
der Ameisenbär den Jaguar. Wieder trug der Jaguar den Ameisenbär. (Er konnte
den Ameisenbär öfter tragen, als dieser ihm zugetraut hätte, und war daran, zu
gewinnen). Da riss der Ameisenbär dem Jaguar die Augen aus und entfloh. Das
Pindoreiro-Vögelchen sah den Ameisenbär weglaufen.
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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 385. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/449>, abgerufen am 22.11.2024.
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