Wörter*). Ein Zufall ist völlig ausgeschlossen, weil die beiden Namen immer zusammengehen, sowohl als Mond und Sonne bei den Nu-Aruak wie in der Bakairi-Legende, wo die beiden Helden Zwillinge sind. Nur ist keri Mond und kame, kamu Sonne, während in der Bakairi-Legende Keri die Hauptperson ist, Kame gewöhnlich den "Dummen" spielt, und Keri die Sonne, Kame den Mond zuerteilt bekommt. Endlich scheint auch in der ältesten Person der Legende, in Kamuschini, das kamu, Sonne enthalten zu sein. Es ist ein wichtiger Umstand, dass die Tradition mit Vorliebe von den Frauen fortgepflanzt wird. Antonio hatte alle Sagen von seiner Mutter und erklärte mir, so sei es die Regel. Dann ist eine fortwährende Differenzierung notwendig vorauszusetzen, denn fremde Frauen sind im Lauf der Zeiten zahlreich in den Bakairistamm auf- genommen worden. Keri erscheint in der Legende als der Kulturheros der Bakairi, Kame als derjenige der Arinosstämme. Der alte Caetano bezeichnete die Beiden auch schlechthin mit den Bakairiwörtern für Sonne und Mond in der Form von Eigennamen: Tschischi und Nuna. Es war drollig genug, wenn er in Bakairi sagte: "Keri nahm tschischi", und in Portugiesisch: "Tschischi tomou o sol."
Mit den beiden Brüdern gelangen wir allmählich zu dem andern Ende der Schöpfungslegende, dem Ausgang in die eigentliche Ahnensage oder Stammesge- schichte. Nachdem die Vorgänge im Himmel zu Ende geführt sind, das heisst, nach- dem Keri und Kame geboren und erzogen sind und ihre Thaten vollbracht haben, denen der Besitz des Tageslichtes, des Tausches von Himmel und Erde, des Schlafes, des Feuers, der Flüsse zu verdanken ist, kommen sie zum Paranatinga, beziehen den alten Sitz der Bakairi am Salto, machen aus Pfeilen verschiedene Stämme, lehren Festtänze, verschaffen Tabak, Mandioka u. dergl. mehr, und ziehen endlich von dannen, um nicht wiederzukehren. Wo hört hier die reine Legende auf und beginnt die Geschichte, von der in den Angaben über die Flüsse, über das Verhältnis zu anderen Stämmen und über die Herkunft der Kultur- gewächse doch einiges Thatsächliche erhalten sein sollte? Ja, die Kayabi treten auf, als es noch Nacht ist auf Erden, ehe die Sonne von Keri geholt worden ist!
Ich wäre froh, wenn ich die Frage nur einigermassen befriedigend beant- worten könnte. Antonio wusste mir die Namen seiner Vorfahren bis zum Ururur- grossvater Mariukara aufzuzählen, der nahe am Salto des Paranatinga gewohnt haben soll; das würde, die Generation zu 30 Jahren gerechnet, bis vor die Mitte des 18. Jahrhunderts zurückgehen. Nehmen wir die Zuverlässigkeit der Mitteilung an, so hätten wir, was bei einem schriftlosen und nicht mit besonderen Trägern der Tradition versehenen Stamm auch die natürliche Grenze sein dürfte, eine mündliche Ueberlieferung persönlich bis zum Grossvater, und da dieser ebenso
*) Vgl. Bakairi-Grammatik p. 57. Die Inselkaraiben haben eine gute "Gottheit" ischeiri, was sich lautlich mit keri kaum vereinigen lässt; wenn ein Zusammenhang besteht und ischeiri alt- karaibisch ist, möchte man lieber denken, dass das Bakairiwort mit dem Aruakwort zusammen- gefallen wäre.
Wörter*). Ein Zufall ist völlig ausgeschlossen, weil die beiden Namen immer zusammengehen, sowohl als Mond und Sonne bei den Nu-Aruak wie in der Bakaïrí-Legende, wo die beiden Helden Zwillinge sind. Nur ist kéri Mond und kàme, kámu Sonne, während in der Bakaïrí-Legende Keri die Hauptperson ist, Kame gewöhnlich den »Dummen« spielt, und Keri die Sonne, Kame den Mond zuerteilt bekommt. Endlich scheint auch in der ältesten Person der Legende, in Kamuschini, das kamu, Sonne enthalten zu sein. Es ist ein wichtiger Umstand, dass die Tradition mit Vorliebe von den Frauen fortgepflanzt wird. Antonio hatte alle Sagen von seiner Mutter und erklärte mir, so sei es die Regel. Dann ist eine fortwährende Differenzierung notwendig vorauszusetzen, denn fremde Frauen sind im Lauf der Zeiten zahlreich in den Bakaïrístamm auf- genommen worden. Keri erscheint in der Legende als der Kulturheros der Bakaïrí, Kame als derjenige der Arinosstämme. Der alte Caetano bezeichnete die Beiden auch schlechthin mit den Bakaïríwörtern für Sonne und Mond in der Form von Eigennamen: Tschischi und Nuna. Es war drollig genug, wenn er in Bakaïrí sagte: »Keri nahm tschischi«, und in Portugiesisch: »Tschischi tomou o sol.«
Mit den beiden Brüdern gelangen wir allmählich zu dem andern Ende der Schöpfungslegende, dem Ausgang in die eigentliche Ahnensage oder Stammesge- schichte. Nachdem die Vorgänge im Himmel zu Ende geführt sind, das heisst, nach- dem Keri und Kame geboren und erzogen sind und ihre Thaten vollbracht haben, denen der Besitz des Tageslichtes, des Tausches von Himmel und Erde, des Schlafes, des Feuers, der Flüsse zu verdanken ist, kommen sie zum Paranatinga, beziehen den alten Sitz der Bakaïrí am Salto, machen aus Pfeilen verschiedene Stämme, lehren Festtänze, verschaffen Tabak, Mandioka u. dergl. mehr, und ziehen endlich von dannen, um nicht wiederzukehren. Wo hört hier die reine Legende auf und beginnt die Geschichte, von der in den Angaben über die Flüsse, über das Verhältnis zu anderen Stämmen und über die Herkunft der Kultur- gewächse doch einiges Thatsächliche erhalten sein sollte? Ja, die Kayabí treten auf, als es noch Nacht ist auf Erden, ehe die Sonne von Keri geholt worden ist!
Ich wäre froh, wenn ich die Frage nur einigermassen befriedigend beant- worten könnte. Antonio wusste mir die Namen seiner Vorfahren bis zum Ururur- grossvater Mariukara aufzuzählen, der nahe am Salto des Paranatinga gewohnt haben soll; das würde, die Generation zu 30 Jahren gerechnet, bis vor die Mitte des 18. Jahrhunderts zurückgehen. Nehmen wir die Zuverlässigkeit der Mitteilung an, so hätten wir, was bei einem schriftlosen und nicht mit besonderen Trägern der Tradition versehenen Stamm auch die natürliche Grenze sein dürfte, eine mündliche Ueberlieferung persönlich bis zum Grossvater, und da dieser ebenso
*) Vgl. Bakaïrí-Grammatik p. 57. Die Inselkaraiben haben eine gute »Gottheit« ischeiri, was sich lautlich mit keri kaum vereinigen lässt; wenn ein Zusammenhang besteht und ischeiri alt- karaibisch ist, möchte man lieber denken, dass das Bakaïríwort mit dem Aruakwort zusammen- gefallen wäre.
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Bakaïrí-Legende, wo die beiden Helden Zwillinge sind. Nur ist kéri Mond und
kàme, kámu Sonne, während in der Bakaïrí-Legende Keri die Hauptperson ist,
Kame gewöhnlich den »Dummen« spielt, und Keri die Sonne, Kame den Mond
zuerteilt bekommt. Endlich scheint auch in der ältesten Person der Legende, in
Kamuschini, das kamu, Sonne enthalten zu sein. Es ist ein wichtiger Umstand,
dass die Tradition mit Vorliebe von den Frauen fortgepflanzt wird.
Antonio hatte alle Sagen von seiner Mutter und erklärte mir, so sei es die
Regel. Dann ist eine fortwährende Differenzierung notwendig vorauszusetzen,
denn fremde Frauen sind im Lauf der Zeiten zahlreich in den Bakaïrístamm auf-
genommen worden. Keri erscheint in der Legende als der Kulturheros der
Bakaïrí, Kame als derjenige der Arinosstämme. Der alte Caetano bezeichnete
die Beiden auch schlechthin mit den Bakaïríwörtern für Sonne und Mond in
der Form von Eigennamen: Tschischi und Nuna. Es war drollig genug,
wenn er in Bakaïrí sagte: »Keri nahm tschischi«, und in Portugiesisch: »Tschischi
tomou o sol.«
Mit den beiden Brüdern gelangen wir allmählich zu dem andern Ende der
Schöpfungslegende, dem Ausgang in die eigentliche Ahnensage oder Stammesge-
schichte. Nachdem die Vorgänge im Himmel zu Ende geführt sind, das heisst, nach-
dem Keri und Kame geboren und erzogen sind und ihre Thaten vollbracht haben,
denen der Besitz des Tageslichtes, des Tausches von Himmel und Erde, des
Schlafes, des Feuers, der Flüsse zu verdanken ist, kommen sie zum Paranatinga,
beziehen den alten Sitz der Bakaïrí am Salto, machen aus Pfeilen verschiedene
Stämme, lehren Festtänze, verschaffen Tabak, Mandioka u. dergl. mehr, und
ziehen endlich von dannen, um nicht wiederzukehren. Wo hört hier die reine
Legende auf und beginnt die Geschichte, von der in den Angaben über die Flüsse,
über das Verhältnis zu anderen Stämmen und über die Herkunft der Kultur-
gewächse doch einiges Thatsächliche erhalten sein sollte? Ja, die Kayabí treten
auf, als es noch Nacht ist auf Erden, ehe die Sonne von Keri geholt worden ist!
Ich wäre froh, wenn ich die Frage nur einigermassen befriedigend beant-
worten könnte. Antonio wusste mir die Namen seiner Vorfahren bis zum Ururur-
grossvater Mariukara aufzuzählen, der nahe am Salto des Paranatinga gewohnt
haben soll; das würde, die Generation zu 30 Jahren gerechnet, bis vor die Mitte
des 18. Jahrhunderts zurückgehen. Nehmen wir die Zuverlässigkeit der Mitteilung
an, so hätten wir, was bei einem schriftlosen und nicht mit besonderen Trägern
der Tradition versehenen Stamm auch die natürliche Grenze sein dürfte, eine
mündliche Ueberlieferung persönlich bis zum Grossvater, und da dieser ebenso
*) Vgl. Bakaïrí-Grammatik p. 57. Die Inselkaraiben haben eine gute »Gottheit« ischeiri, was
sich lautlich mit keri kaum vereinigen lässt; wenn ein Zusammenhang besteht und ischeiri alt-
karaibisch ist, möchte man lieber denken, dass das Bakaïríwort mit dem Aruakwort zusammen-
gefallen wäre.
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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 365. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/429>, abgerufen am 22.11.2024.
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