sind die Löcher einer grossen Flöte. Der Canopus hatte keinen Namen. Das südliche Kreuz war eine Vogelschlinge an einer Gerte und die beiden grossen Sterne des Centaur stellten zwei dazu gehörige Stöckchen dar. Mit der Schlinge war ein Mutum cavallo (Crax) gefangen worden, den man in einer dunkeln Stelle der Milchstrasse nahebei erkennt; wieder löst eine Anregung die andere aus und das Eine und das Andere bestätigen sich gegenseitig. Auch steht nicht fern, ungefähr den Sternen der Fliegenden Fische und der Argo entsprechend, ein Sokko-Reiher mit einem Körbchen voller Fischchen: Lambare, Trahira, Jejum. Der Skorpion ist ein Tragnetz für Kinder.
Weitaus die meiste Aufmerksamkeit hatte entschieden die Milchstrasse mit ihren lichten und dunklen Teilen erregt und sie scheint geradezu neben Sonne und Mond die Hauptmasse des Rohstoffs für die ganze Sagenbildung ge- liefert zu haben. Während die Sterne Körner, Löcher, Netzknoten, Pflöcke und Pfostenenden sind, erscheinen hier auch Tiergestalten wie das erwähnte Mutunghuhn und der Sokkoreiher. Die Milchstrasse selbst ist ein mächtiger Trommelbaum, der am Boden liegt, "so wie der im dritten Dorf am Kulisehu", auf dem auch oben zum Fest getrommelt wurde; seine Wurzeln sieht man im Süden auseinanderlaufen. Keri und Kame, die beiden Kulturheroen, von denen die Bakairi ihre Festtänze gelernt haben, vollbrachten alle ihre Jugend- thaten, die uns noch beschäftigen werden, in der Nähe dieses "Sata"-Baumes. Im Zenith befindet sich das dunkle Loch, das man nur in den klarsten Nächten sieht, wo der Königsgeier, der den Federball der Sonne in den Klauen trug, hervorkam, durch das auch der von Christus bewirtete Medizinmann (vgl. S. 346) wieder zur Erde flog. Die sternleere Stelle im Osten des Kreuzes, der Kohlen- sack, ist das Loch, das Keri und Kame gegraben haben, um zuzuschauen, wie ihre tote Grossmutter Mero verbrannt wurde. Sie hatten das Feuer -- man sieht es noch jetzt in der grossen Magelhaes'schen Wolke -- selbst ange- legt, während ein anderes, die kleine Magelhaes'sche Wolke, durch ihre Unvor- sichtigkeit entstand, wie ich näher angeben werde. Namentlich Keri ist der Held aller der Geschichten, er hat den Mutung mit der Vogelschlinge gefangen, er hat den Königsgeier des Sonnenballs beraubt, indem er die Gestalt eines Tapirs annahm, dessen dunkle Formen man noch jetzt in dem Argo-Teil der Milch- strasse deutlich unterscheidet. Neben dem Tapir erblickt man ferner einen Jaguar und einen Ameisenbär der Sage. Man braucht in der That nicht Indianer zu sein, um die Tiere zu bemerken; besonders den Tapir habe auch ich genau wiedererkannt.
Dass der Eingeborene dort oben ganz vorwiegend Tiere sieht, geschieht aus demselben Grunde, weshalb er sie hier unten in allen möglichen Dingen sieht, die ihn nur durch irgend ein kleines' Merkmal an irgend ein Tier erinnern; er kann gar nicht anders, weil er hauptsächlich nach seinen Jägerinteressen apperzi- piert. Dass die Tiere und Dinge am Himmel ein anderes Aussehen haben als die Originale auf Erden, nach denen sie bestimmt sind, ist ihm aber nicht ent-
sind die Löcher einer grossen Flöte. Der Canopus hatte keinen Namen. Das südliche Kreuz war eine Vogelschlinge an einer Gerte und die beiden grossen Sterne des Centaur stellten zwei dazu gehörige Stöckchen dar. Mit der Schlinge war ein Mutum cavallo (Crax) gefangen worden, den man in einer dunkeln Stelle der Milchstrasse nahebei erkennt; wieder löst eine Anregung die andere aus und das Eine und das Andere bestätigen sich gegenseitig. Auch steht nicht fern, ungefähr den Sternen der Fliegenden Fische und der Argo entsprechend, ein Sokko-Reiher mit einem Körbchen voller Fischchen: Lambaré, Trahira, Jejum. Der Skorpion ist ein Tragnetz für Kinder.
Weitaus die meiste Aufmerksamkeit hatte entschieden die Milchstrasse mit ihren lichten und dunklen Teilen erregt und sie scheint geradezu neben Sonne und Mond die Hauptmasse des Rohstoffs für die ganze Sagenbildung ge- liefert zu haben. Während die Sterne Körner, Löcher, Netzknoten, Pflöcke und Pfostenenden sind, erscheinen hier auch Tiergestalten wie das erwähnte Mutunghuhn und der Sokkoreiher. Die Milchstrasse selbst ist ein mächtiger Trommelbaum, der am Boden liegt, »so wie der im dritten Dorf am Kulisehu«, auf dem auch oben zum Fest getrommelt wurde; seine Wurzeln sieht man im Süden auseinanderlaufen. Keri und Kame, die beiden Kulturheroen, von denen die Bakaïrí ihre Festtänze gelernt haben, vollbrachten alle ihre Jugend- thaten, die uns noch beschäftigen werden, in der Nähe dieses »Sata«-Baumes. Im Zenith befindet sich das dunkle Loch, das man nur in den klarsten Nächten sieht, wo der Königsgeier, der den Federball der Sonne in den Klauen trug, hervorkam, durch das auch der von Christus bewirtete Medizinmann (vgl. S. 346) wieder zur Erde flog. Die sternleere Stelle im Osten des Kreuzes, der Kohlen- sack, ist das Loch, das Keri und Kame gegraben haben, um zuzuschauen, wie ihre tote Grossmutter Mero verbrannt wurde. Sie hatten das Feuer — man sieht es noch jetzt in der grossen Magelhães’schen Wolke — selbst ange- legt, während ein anderes, die kleine Magelhães’sche Wolke, durch ihre Unvor- sichtigkeit entstand, wie ich näher angeben werde. Namentlich Keri ist der Held aller der Geschichten, er hat den Mutung mit der Vogelschlinge gefangen, er hat den Königsgeier des Sonnenballs beraubt, indem er die Gestalt eines Tapirs annahm, dessen dunkle Formen man noch jetzt in dem Argo-Teil der Milch- strasse deutlich unterscheidet. Neben dem Tapir erblickt man ferner einen Jaguar und einen Ameisenbär der Sage. Man braucht in der That nicht Indianer zu sein, um die Tiere zu bemerken; besonders den Tapir habe auch ich genau wiedererkannt.
Dass der Eingeborene dort oben ganz vorwiegend Tiere sieht, geschieht aus demselben Grunde, weshalb er sie hier unten in allen möglichen Dingen sieht, die ihn nur durch irgend ein kleines’ Merkmal an irgend ein Tier erinnern; er kann gar nicht anders, weil er hauptsächlich nach seinen Jägerinteressen apperzi- piert. Dass die Tiere und Dinge am Himmel ein anderes Aussehen haben als die Originale auf Erden, nach denen sie bestimmt sind, ist ihm aber nicht ent-
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Sterne des Centaur stellten zwei dazu gehörige Stöckchen dar. Mit der Schlinge
war ein Mutum cavallo (Crax) gefangen worden, den man in einer dunkeln Stelle
der Milchstrasse nahebei erkennt; wieder löst eine Anregung die andere aus und
das Eine und das Andere bestätigen sich gegenseitig. Auch steht nicht fern,
ungefähr den Sternen der Fliegenden Fische und der Argo entsprechend, ein
Sokko-Reiher mit einem Körbchen voller Fischchen: Lambaré, Trahira, Jejum.
Der Skorpion ist ein Tragnetz für Kinder.
Weitaus die meiste Aufmerksamkeit hatte entschieden die Milchstrasse
mit ihren lichten und dunklen Teilen erregt und sie scheint geradezu neben
Sonne und Mond die Hauptmasse des Rohstoffs für die ganze Sagenbildung ge-
liefert zu haben. Während die Sterne Körner, Löcher, Netzknoten, Pflöcke und
Pfostenenden sind, erscheinen hier auch Tiergestalten wie das erwähnte
Mutunghuhn und der Sokkoreiher. Die Milchstrasse selbst ist ein mächtiger
Trommelbaum, der am Boden liegt, »so wie der im dritten Dorf am Kulisehu«,
auf dem auch oben zum Fest getrommelt wurde; seine Wurzeln sieht man
im Süden auseinanderlaufen. Keri und Kame, die beiden Kulturheroen, von
denen die Bakaïrí ihre Festtänze gelernt haben, vollbrachten alle ihre Jugend-
thaten, die uns noch beschäftigen werden, in der Nähe dieses »Sata«-Baumes.
Im Zenith befindet sich das dunkle Loch, das man nur in den klarsten Nächten
sieht, wo der Königsgeier, der den Federball der Sonne in den Klauen trug,
hervorkam, durch das auch der von Christus bewirtete Medizinmann (vgl. S. 346)
wieder zur Erde flog. Die sternleere Stelle im Osten des Kreuzes, der Kohlen-
sack, ist das Loch, das Keri und Kame gegraben haben, um zuzuschauen, wie
ihre tote Grossmutter Mero verbrannt wurde. Sie hatten das Feuer — man
sieht es noch jetzt in der grossen Magelhães’schen Wolke — selbst ange-
legt, während ein anderes, die kleine Magelhães’sche Wolke, durch ihre Unvor-
sichtigkeit entstand, wie ich näher angeben werde. Namentlich Keri ist der Held
aller der Geschichten, er hat den Mutung mit der Vogelschlinge gefangen, er hat
den Königsgeier des Sonnenballs beraubt, indem er die Gestalt eines Tapirs
annahm, dessen dunkle Formen man noch jetzt in dem Argo-Teil der Milch-
strasse deutlich unterscheidet. Neben dem Tapir erblickt man ferner einen
Jaguar und einen Ameisenbär der Sage. Man braucht in der That nicht
Indianer zu sein, um die Tiere zu bemerken; besonders den Tapir habe auch
ich genau wiedererkannt.
Dass der Eingeborene dort oben ganz vorwiegend Tiere sieht, geschieht
aus demselben Grunde, weshalb er sie hier unten in allen möglichen Dingen sieht,
die ihn nur durch irgend ein kleines’ Merkmal an irgend ein Tier erinnern; er
kann gar nicht anders, weil er hauptsächlich nach seinen Jägerinteressen apperzi-
piert. Dass die Tiere und Dinge am Himmel ein anderes Aussehen haben als
die Originale auf Erden, nach denen sie bestimmt sind, ist ihm aber nicht ent-
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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 360. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/424>, abgerufen am 25.11.2024.
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