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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894.

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Zauberärzte. Ihr eigentliches Verdienst ist nur die Kenntnis der Betäubungs-
mittel, und namentlich von unserm Standpunkt aus, die der Tabaknarkose.*)
Antonio sagte mir, dass es zwei Arten von "Tabak" gebe; der Tabak, den
man zu seinem Vergnügen rauche, sei ein anderer als der, der kuriere, und viel
schwächer. In den Kuren, die ich gesehen habe, wurde der gewöhnliche Tabak
verwendet; wahrscheinlich giebt es andere Blätter, die stärker betäuben. Die
Schinguzigarette in grünem aromatischen Wickelblatt ist wohl noch eine der ein-
fachsten Formen des geregelten Qualmgenusses. Tabakrauch kuriert Alles; ich
habe entzündete Augen, Hüftgelenksentzündung, Brandwunden, Leibschmerzen und
mehr dergleichen damit behandeln sehen. Die Suya bliesen ihn mir in die Ohren
und redeten laut in sie hinein, damit ich ihre Sprache besser verstehe. Vielleicht
ist auch bei einem lange Zeit hindurch mit starken Qualmwolken angepusteten
Patienten ein leichter Dusel zu erzielen, aber in jedem Fall muss dieser, ohnehin
leidend, durch das unermüdliche eintönige Jammern und Kneten in einen dumpfen
Zustand verfallen, in dem er ebenso gut Verwandlungen erleben kann als der
Medizinmann. Angaben oder Beispiele habe ich aber dafür nicht erhalten.

In dem folgenden Kapitel habe ich eine einfachere Art des Anblasens zu
besprechen, durch die sich der Zauberer nicht selbst, sondern durch die er
Andere verwandelt, und die ohne Tabakrauch stattfindet.

Wiederum bläst der Medizinmann oder auch irgend Jemand sonst auf
andere Art, wenn er das Gewitter durch Blasen verjagt. Man prustet den
Speichel in einem Sprühtrichter gegen die Wolken; ich habe selbst mehrfach ge-
sehen, dass das Mittel half, und mich dann geärgert, dass ich in allzu grosser
Vorsicht trotz dringender Bitten der Indianer nicht mitgeprustet hatte. Mir hatte
die Einbildungskraft gefehlt.



*) Die Gelegenheit, die betäubende Wirkung kennen zu lernen, ist wohl die beim Anfachen
des glimmenden Feuers gewesen. Man muss sich trockene Blätter im Walde suchen, die aufge-
schüttet werden, die qualmen und mehr oder minder rasch aufflammen, wenn man hineinbläst. Mit
aromatischem oder betäubendem Rauch verbrennende Blätter werden der feinen Nase des Indianers
beim Anblasen aufgefallen und von ihm für seine medizinische Hexenküche brauchbar befunden
worden sein. Er athmete den Rauch ein und verschluckte ihn (daher bei den Entdeckern
Amerikas stets der Ausdruck "trinkens").

Zauberärzte. Ihr eigentliches Verdienst ist nur die Kenntnis der Betäubungs-
mittel, und namentlich von unserm Standpunkt aus, die der Tabaknarkose.*)
Antonio sagte mir, dass es zwei Arten von »Tabak« gebe; der Tabak, den
man zu seinem Vergnügen rauche, sei ein anderer als der, der kuriere, und viel
schwächer. In den Kuren, die ich gesehen habe, wurde der gewöhnliche Tabak
verwendet; wahrscheinlich giebt es andere Blätter, die stärker betäuben. Die
Schingúzigarette in grünem aromatischen Wickelblatt ist wohl noch eine der ein-
fachsten Formen des geregelten Qualmgenusses. Tabakrauch kuriert Alles; ich
habe entzündete Augen, Hüftgelenksentzündung, Brandwunden, Leibschmerzen und
mehr dergleichen damit behandeln sehen. Die Suyá bliesen ihn mir in die Ohren
und redeten laut in sie hinein, damit ich ihre Sprache besser verstehe. Vielleicht
ist auch bei einem lange Zeit hindurch mit starken Qualmwolken angepusteten
Patienten ein leichter Dusel zu erzielen, aber in jedem Fall muss dieser, ohnehin
leidend, durch das unermüdliche eintönige Jammern und Kneten in einen dumpfen
Zustand verfallen, in dem er ebenso gut Verwandlungen erleben kann als der
Medizinmann. Angaben oder Beispiele habe ich aber dafür nicht erhalten.

In dem folgenden Kapitel habe ich eine einfachere Art des Anblasens zu
besprechen, durch die sich der Zauberer nicht selbst, sondern durch die er
Andere verwandelt, und die ohne Tabakrauch stattfindet.

Wiederum bläst der Medizinmann oder auch irgend Jemand sonst auf
andere Art, wenn er das Gewitter durch Blasen verjagt. Man prustet den
Speichel in einem Sprühtrichter gegen die Wolken; ich habe selbst mehrfach ge-
sehen, dass das Mittel half, und mich dann geärgert, dass ich in allzu grosser
Vorsicht trotz dringender Bitten der Indianer nicht mitgeprustet hatte. Mir hatte
die Einbildungskraft gefehlt.



*) Die Gelegenheit, die betäubende Wirkung kennen zu lernen, ist wohl die beim Anfachen
des glimmenden Feuers gewesen. Man muss sich trockene Blätter im Walde suchen, die aufge-
schüttet werden, die qualmen und mehr oder minder rasch aufflammen, wenn man hineinbläst. Mit
aromatischem oder betäubendem Rauch verbrennende Blätter werden der feinen Nase des Indianers
beim Anblasen aufgefallen und von ihm für seine medizinische Hexenküche brauchbar befunden
worden sein. Er athmete den Rauch ein und verschluckte ihn (daher bei den Entdeckern
Amerikas stets der Ausdruck »trinkens«).
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[347/0411] Zauberärzte. Ihr eigentliches Verdienst ist nur die Kenntnis der Betäubungs- mittel, und namentlich von unserm Standpunkt aus, die der Tabaknarkose. *) Antonio sagte mir, dass es zwei Arten von »Tabak« gebe; der Tabak, den man zu seinem Vergnügen rauche, sei ein anderer als der, der kuriere, und viel schwächer. In den Kuren, die ich gesehen habe, wurde der gewöhnliche Tabak verwendet; wahrscheinlich giebt es andere Blätter, die stärker betäuben. Die Schingúzigarette in grünem aromatischen Wickelblatt ist wohl noch eine der ein- fachsten Formen des geregelten Qualmgenusses. Tabakrauch kuriert Alles; ich habe entzündete Augen, Hüftgelenksentzündung, Brandwunden, Leibschmerzen und mehr dergleichen damit behandeln sehen. Die Suyá bliesen ihn mir in die Ohren und redeten laut in sie hinein, damit ich ihre Sprache besser verstehe. Vielleicht ist auch bei einem lange Zeit hindurch mit starken Qualmwolken angepusteten Patienten ein leichter Dusel zu erzielen, aber in jedem Fall muss dieser, ohnehin leidend, durch das unermüdliche eintönige Jammern und Kneten in einen dumpfen Zustand verfallen, in dem er ebenso gut Verwandlungen erleben kann als der Medizinmann. Angaben oder Beispiele habe ich aber dafür nicht erhalten. In dem folgenden Kapitel habe ich eine einfachere Art des Anblasens zu besprechen, durch die sich der Zauberer nicht selbst, sondern durch die er Andere verwandelt, und die ohne Tabakrauch stattfindet. Wiederum bläst der Medizinmann oder auch irgend Jemand sonst auf andere Art, wenn er das Gewitter durch Blasen verjagt. Man prustet den Speichel in einem Sprühtrichter gegen die Wolken; ich habe selbst mehrfach ge- sehen, dass das Mittel half, und mich dann geärgert, dass ich in allzu grosser Vorsicht trotz dringender Bitten der Indianer nicht mitgeprustet hatte. Mir hatte die Einbildungskraft gefehlt. *) Die Gelegenheit, die betäubende Wirkung kennen zu lernen, ist wohl die beim Anfachen des glimmenden Feuers gewesen. Man muss sich trockene Blätter im Walde suchen, die aufge- schüttet werden, die qualmen und mehr oder minder rasch aufflammen, wenn man hineinbläst. Mit aromatischem oder betäubendem Rauch verbrennende Blätter werden der feinen Nase des Indianers beim Anblasen aufgefallen und von ihm für seine medizinische Hexenküche brauchbar befunden worden sein. Er athmete den Rauch ein und verschluckte ihn (daher bei den Entdeckern Amerikas stets der Ausdruck »trinkens«).

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Zitationshilfe: Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 347. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/411>, abgerufen am 25.11.2024.