einen starken Erregungszustand versetzt, denn dieser allein leistet, was man mit den gewöhnlichen Mitteln zu leisten nicht vermag. So kommt die drollige Verkehrung zu Stande, dass der Arzt einnimmt, um zu heilen. Er ist um so stärker, je mehr er vertragen kann. Er kennt allerlei Gifte, die berauschen, und gebraucht sie: Tabak, agokurioku oder (cipo de cobra) Schlangen-Schlingpflanze, seuwi oder Timbo-Schlingpflanze (Paullinia pinnata), die Blätter des Waldbaums ätiko. Alles lauscht andächtig dem unverständlichen Zeug, das er während seiner Benommenheit zum Besten giebt, oder den seltsamen Erlebnissen, die er nach dem Erwachen aus tiefer Narkose von seinem Schatten berichtet. Er wird ein grosser Mann, er freut sich der Bewunderung und der Geschenke, er lässt sich wie viele andere grosse Männer erst zu kleinen Uebertreibungen verleiten und hilft dann auch seinen Leistungen, wo sie nicht ganz ausreichen, ein wenig nach, um das dumme Volk nicht zu enttäuschen. Bei den Bororo wird als Zauberarzt anerkannt, wer bei dem solennen Trinkgelage zur Zeit des besten Palmweins die grössten Quantitäten vertilgt und dem Rausche am sieghaftesten widerstehend die längsten Reden hält; die Begriffe Doktorschmaus und Doktorexamen fallen noch zusammen.
Die Tabaknarkose des Arztes ist bei allen unsern Stämmen wie auch bei vielen andern die gewöhnlichste Medizin des Patienten; der kranke Leib wird mit mächtigen Wolken angeblasen, gleichzeitig heftig bespuckt und zwischendurch unter fürchterlichem, das ganze Dorf durchhallenden Stöhnen nicht des Patienten, sondern des Doktors, mit Aufwendung aller Muskelkraft geknetet. Das dauert eine lange Zeit, der Arzt gönnt sich im Kneten nur wenige Ruhepausen, während deren er laut jammert und gleichzeitig leidenschaftlich raucht. Die Zigarren werden von der Familie geliefert. Schliesslich beginnt er zu saugen und spuckt unter krampfhaftem Prusten die Ursache des Leidens aus.
Der Auetö-Häuptling hatte schon Pflanzengifte getrunken, aber die kräftigste Probe, die in "früheren" Zeiten öfters vorkam, Schlangengift zu nehmen, war er noch schuldig geblieben. Es wird ausdrücklich hervorgehoben, dass die giftige Kalabasse des Hexenmeisters dem guten Medizinmann nichts anhaben kann, aber freilich nicht erklärt, wie denn auch dieser zu erkranken im Stande ist. Der Auetö-Häuptling war schon tot gewesen. Wenn der Medizinmann die starken Gifte einnimmt, so "stirbt er". Er liegt "tot" in der Hängematte, bis sein Schatten zurückkommt. Ich möchte vorläufig beiseite lassen, was für die Auffassung des Todes aus dieser Auffassung der Bewusstlosigkeit folgt. Während seiner Narkose kann sich der Zauberarzt in jede beliebige Tier- gestalt verwandeln und jeden beliebigen Ort sofort erreichen. Die Verwandlung findet so statt, dass er in das Tier "hineingeht". Nun sind die- jenigen noch heute die besten Aerzte, die Gift trinken und sich im Rausch verwandeln. "Diese Piajes, die agokurioku trinken und zum Himmel gehen," sagte Antonio wörtlich, "sind sehr gut, diese heilen Alles, und die Andern, die kein Gift nehmen, die nur mit Tabak anblasen, auch sie heilen, aber starke Krank-
einen starken Erregungszustand versetzt, denn dieser allein leistet, was man mit den gewöhnlichen Mitteln zu leisten nicht vermag. So kommt die drollige Verkehrung zu Stande, dass der Arzt einnimmt, um zu heilen. Er ist um so stärker, je mehr er vertragen kann. Er kennt allerlei Gifte, die berauschen, und gebraucht sie: Tabak, ågokurióku oder (çipó de cobra) Schlangen-Schlingpflanze, seúwi oder Timbó-Schlingpflanze (Paullinia pinnata), die Blätter des Waldbaums ätíko. Alles lauscht andächtig dem unverständlichen Zeug, das er während seiner Benommenheit zum Besten giebt, oder den seltsamen Erlebnissen, die er nach dem Erwachen aus tiefer Narkose von seinem Schatten berichtet. Er wird ein grosser Mann, er freut sich der Bewunderung und der Geschenke, er lässt sich wie viele andere grosse Männer erst zu kleinen Uebertreibungen verleiten und hilft dann auch seinen Leistungen, wo sie nicht ganz ausreichen, ein wenig nach, um das dumme Volk nicht zu enttäuschen. Bei den Bororó wird als Zauberarzt anerkannt, wer bei dem solennen Trinkgelage zur Zeit des besten Palmweins die grössten Quantitäten vertilgt und dem Rausche am sieghaftesten widerstehend die längsten Reden hält; die Begriffe Doktorschmaus und Doktorexamen fallen noch zusammen.
Die Tabaknarkose des Arztes ist bei allen unsern Stämmen wie auch bei vielen andern die gewöhnlichste Medizin des Patienten; der kranke Leib wird mit mächtigen Wolken angeblasen, gleichzeitig heftig bespuckt und zwischendurch unter fürchterlichem, das ganze Dorf durchhallenden Stöhnen nicht des Patienten, sondern des Doktors, mit Aufwendung aller Muskelkraft geknetet. Das dauert eine lange Zeit, der Arzt gönnt sich im Kneten nur wenige Ruhepausen, während deren er laut jammert und gleichzeitig leidenschaftlich raucht. Die Zigarren werden von der Familie geliefert. Schliesslich beginnt er zu saugen und spuckt unter krampfhaftem Prusten die Ursache des Leidens aus.
Der Auetö́-Häuptling hatte schon Pflanzengifte getrunken, aber die kräftigste Probe, die in »früheren« Zeiten öfters vorkam, Schlangengift zu nehmen, war er noch schuldig geblieben. Es wird ausdrücklich hervorgehoben, dass die giftige Kalabasse des Hexenmeisters dem guten Medizinmann nichts anhaben kann, aber freilich nicht erklärt, wie denn auch dieser zu erkranken im Stande ist. Der Auetö́-Häuptling war schon tot gewesen. Wenn der Medizinmann die starken Gifte einnimmt, so »stirbt er«. Er liegt »tot« in der Hängematte, bis sein Schatten zurückkommt. Ich möchte vorläufig beiseite lassen, was für die Auffassung des Todes aus dieser Auffassung der Bewusstlosigkeit folgt. Während seiner Narkose kann sich der Zauberarzt in jede beliebige Tier- gestalt verwandeln und jeden beliebigen Ort sofort erreichen. Die Verwandlung findet so statt, dass er in das Tier »hineingeht«. Nun sind die- jenigen noch heute die besten Aerzte, die Gift trinken und sich im Rausch verwandeln. »Diese Piajes, die ågokurióku trinken und zum Himmel gehen,« sagte Antonio wörtlich, »sind sehr gut, diese heilen Alles, und die Andern, die kein Gift nehmen, die nur mit Tabak anblasen, auch sie heilen, aber starke Krank-
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[345/0409]
einen starken Erregungszustand versetzt, denn dieser allein leistet, was man
mit den gewöhnlichen Mitteln zu leisten nicht vermag. So kommt die drollige
Verkehrung zu Stande, dass der Arzt einnimmt, um zu heilen. Er ist um so
stärker, je mehr er vertragen kann. Er kennt allerlei Gifte, die berauschen, und
gebraucht sie: Tabak, ågokurióku oder (çipó de cobra) Schlangen-Schlingpflanze,
seúwi oder Timbó-Schlingpflanze (Paullinia pinnata), die Blätter des Waldbaums
ätíko. Alles lauscht andächtig dem unverständlichen Zeug, das er während seiner
Benommenheit zum Besten giebt, oder den seltsamen Erlebnissen, die er nach
dem Erwachen aus tiefer Narkose von seinem Schatten berichtet. Er wird ein
grosser Mann, er freut sich der Bewunderung und der Geschenke, er lässt sich
wie viele andere grosse Männer erst zu kleinen Uebertreibungen verleiten und
hilft dann auch seinen Leistungen, wo sie nicht ganz ausreichen, ein wenig nach,
um das dumme Volk nicht zu enttäuschen. Bei den Bororó wird als Zauberarzt
anerkannt, wer bei dem solennen Trinkgelage zur Zeit des besten Palmweins die
grössten Quantitäten vertilgt und dem Rausche am sieghaftesten widerstehend die
längsten Reden hält; die Begriffe Doktorschmaus und Doktorexamen fallen noch
zusammen.
Die Tabaknarkose des Arztes ist bei allen unsern Stämmen wie auch bei
vielen andern die gewöhnlichste Medizin des Patienten; der kranke Leib wird mit
mächtigen Wolken angeblasen, gleichzeitig heftig bespuckt und zwischendurch
unter fürchterlichem, das ganze Dorf durchhallenden Stöhnen nicht des Patienten,
sondern des Doktors, mit Aufwendung aller Muskelkraft geknetet. Das dauert
eine lange Zeit, der Arzt gönnt sich im Kneten nur wenige Ruhepausen, während
deren er laut jammert und gleichzeitig leidenschaftlich raucht. Die Zigarren
werden von der Familie geliefert. Schliesslich beginnt er zu saugen und spuckt
unter krampfhaftem Prusten die Ursache des Leidens aus.
Der Auetö́-Häuptling hatte schon Pflanzengifte getrunken, aber die kräftigste
Probe, die in »früheren« Zeiten öfters vorkam, Schlangengift zu nehmen, war er
noch schuldig geblieben. Es wird ausdrücklich hervorgehoben, dass die giftige
Kalabasse des Hexenmeisters dem guten Medizinmann nichts anhaben kann, aber
freilich nicht erklärt, wie denn auch dieser zu erkranken im Stande ist. Der
Auetö́-Häuptling war schon tot gewesen. Wenn der Medizinmann die
starken Gifte einnimmt, so »stirbt er«. Er liegt »tot« in der Hängematte,
bis sein Schatten zurückkommt. Ich möchte vorläufig beiseite lassen, was für
die Auffassung des Todes aus dieser Auffassung der Bewusstlosigkeit folgt.
Während seiner Narkose kann sich der Zauberarzt in jede beliebige Tier-
gestalt verwandeln und jeden beliebigen Ort sofort erreichen. Die
Verwandlung findet so statt, dass er in das Tier »hineingeht«. Nun sind die-
jenigen noch heute die besten Aerzte, die Gift trinken und sich im Rausch
verwandeln. »Diese Piajes, die ågokurióku trinken und zum Himmel gehen,« sagte
Antonio wörtlich, »sind sehr gut, diese heilen Alles, und die Andern, die kein
Gift nehmen, die nur mit Tabak anblasen, auch sie heilen, aber starke Krank-
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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 345. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/409>, abgerufen am 25.11.2024.
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