Flöten (bis 80 cm lang) aus Bambus sind weniger sorgfältig behandelt. Pansflöten kommen vor vom zierlichen Hirtenflötchen an bis zu riesiger Grösse. So fanden wir 1884 bei den Suya ein Exemplar mit drei Rohren von 11/2, 1 und 3/4 m Länge, 131/2, 13 und 5 cm Umfang; im obern Teil ist seitlich ein rechteckiges Luftloch angebracht und höher hinauf noch ein 10 cm langes gewölbtes Stück Bambus aufgeklebt, das nur unten offen steht und den hier aus dem rechteckigen Loch austretenden Luftstrom fängt.
Schwirrhölzer. Neben den Tanzmasken hing im Flötenhaus der Mehinaku ein 60 cm langes Schwirrholz von der Form einer Schwertklinge, schwarz gefärbt mit rotem Mittelstück, vgl. Abb. 121. Das schmale Brett, an einem Strick durch die Luft geschwungen, erzeugt ein brummendes oder schwirrendes Ge- räusch, das einen etwas unheimlichen Eindruck macht, weil es wie von selbst stärker anzuschwellen scheint, und kann dabei mit einer Wucht sausen oder heulen, die man hinter dem unscheinbaren und simpeln Ding nicht erwarten würde. Bei den Nahuqua erhielten wir die in Nr. 122 abgebildeten Schwirrhölzer, von denen das eine mit dem Schlangen- ornament bemalt ist, während man das andere schwarz angestrichen und dabei eine Reihe von Fisch- oder Fledermaus- rauten ausgespart hat. Diese beiden Schwirrhölzer sind 34 und 36 cm lang, sie haben die Gestalt von Fischen, die zweckentsprechend ist, da man einen Teil des 3 m langen Stricks um die Einschnürung am Schwanzende wickelt. Ebenso wenig als betreffs den Masken hatten wir irgendwelche Schwierigkeit,
die Schwirrhölzer zu erhalten. Die Nahuqua zeigten uns den Gebrauch auf offenem Dorfplatz in aller Unbefangenheit wie den eines beliebigen Geräts und ohne dass die Frauen weggejagt wurden. Es ist dies deshalb von grossem Interesse, weil das Schwirrholz, das in unsern Kulturstaaten heute nur ein Kinder- spielzeug ist, eine grosse Bedeutung in den religiösen Mysterien bei den ver- schiedensten Völkern der Erde gehabt hat oder noch hat. Wir werden ihm bei den Bororo und zwar auch in einer geheimnissvollen Bedeutung, die am Kulisehu fehlt, wieder begegnen und deshalb auch dort erst auf sie einzugehen haben.
Die Nahuqua und die Mehinaku haben für das Schwirrholz dasselbe Wort, denn diese nennen es matapu und jene matahu. Bei den Auetö, Kamayura und
Flöten (bis 80 cm lang) aus Bambus sind weniger sorgfältig behandelt. Pansflöten kommen vor vom zierlichen Hirtenflötchen an bis zu riesiger Grösse. So fanden wir 1884 bei den Suyá ein Exemplar mit drei Rohren von 1½, 1 und ¾ m Länge, 13½, 13 und 5 cm Umfang; im obern Teil ist seitlich ein rechteckiges Luftloch angebracht und höher hinauf noch ein 10 cm langes gewölbtes Stück Bambus aufgeklebt, das nur unten offen steht und den hier aus dem rechteckigen Loch austretenden Luftstrom fängt.
Schwirrhölzer. Neben den Tanzmasken hing im Flötenhaus der Mehinakú ein 60 cm langes Schwirrholz von der Form einer Schwertklinge, schwarz gefärbt mit rotem Mittelstück, vgl. Abb. 121. Das schmale Brett, an einem Strick durch die Luft geschwungen, erzeugt ein brummendes oder schwirrendes Ge- räusch, das einen etwas unheimlichen Eindruck macht, weil es wie von selbst stärker anzuschwellen scheint, und kann dabei mit einer Wucht sausen oder heulen, die man hinter dem unscheinbaren und simpeln Ding nicht erwarten würde. Bei den Nahuquá erhielten wir die in Nr. 122 abgebildeten Schwirrhölzer, von denen das eine mit dem Schlangen- ornament bemalt ist, während man das andere schwarz angestrichen und dabei eine Reihe von Fisch- oder Fledermaus- rauten ausgespart hat. Diese beiden Schwirrhölzer sind 34 und 36 cm lang, sie haben die Gestalt von Fischen, die zweckentsprechend ist, da man einen Teil des 3 m langen Stricks um die Einschnürung am Schwanzende wickelt. Ebenso wenig als betreffs den Masken hatten wir irgendwelche Schwierigkeit,
die Schwirrhölzer zu erhalten. Die Nahuquá zeigten uns den Gebrauch auf offenem Dorfplatz in aller Unbefangenheit wie den eines beliebigen Geräts und ohne dass die Frauen weggejagt wurden. Es ist dies deshalb von grossem Interesse, weil das Schwirrholz, das in unsern Kulturstaaten heute nur ein Kinder- spielzeug ist, eine grosse Bedeutung in den religiösen Mysterien bei den ver- schiedensten Völkern der Erde gehabt hat oder noch hat. Wir werden ihm bei den Bororó und zwar auch in einer geheimnissvollen Bedeutung, die am Kulisehu fehlt, wieder begegnen und deshalb auch dort erst auf sie einzugehen haben.
Die Nahuquá und die Mehinakú haben für das Schwirrholz dasselbe Wort, denn diese nennen es matápu und jene matáhu. Bei den Auetö́, Kamayurá und
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Flöten (bis 80 cm lang) aus Bambus sind weniger sorgfältig behandelt. Pansflöten
kommen vor vom zierlichen Hirtenflötchen an bis zu riesiger Grösse. So fanden
wir 1884 bei den Suyá ein Exemplar mit drei Rohren von 1½, 1 und ¾ m Länge,
13½, 13 und 5 cm Umfang; im obern Teil ist seitlich ein rechteckiges Luftloch
angebracht und höher hinauf noch ein 10 cm langes gewölbtes Stück Bambus
aufgeklebt, das nur unten offen steht und den hier aus dem rechteckigen Loch
austretenden Luftstrom fängt.
Schwirrhölzer. Neben den Tanzmasken hing im Flötenhaus der Mehinakú
ein 60 cm langes Schwirrholz von der Form einer Schwertklinge, schwarz gefärbt mit
rotem Mittelstück, vgl. Abb. 121. Das schmale Brett,
an einem Strick durch die Luft geschwungen, erzeugt
ein brummendes oder schwirrendes Ge-
räusch, das einen etwas unheimlichen
Eindruck macht, weil es wie von selbst
stärker anzuschwellen scheint, und kann
dabei mit einer Wucht sausen oder heulen,
die man hinter dem unscheinbaren und
simpeln Ding nicht erwarten würde. Bei
den Nahuquá erhielten wir die in
Nr. 122 abgebildeten Schwirrhölzer, von
denen das eine mit dem Schlangen-
ornament bemalt ist, während man das
andere schwarz angestrichen und dabei
eine Reihe von Fisch- oder Fledermaus-
rauten ausgespart hat. Diese beiden
Schwirrhölzer sind 34 und 36 cm lang,
sie haben die Gestalt von Fischen, die
zweckentsprechend ist, da man einen
Teil des 3 m langen Stricks um die
Einschnürung am Schwanzende wickelt.
Ebenso wenig als betreffs den Masken
hatten wir irgendwelche Schwierigkeit,
[Abbildung]
[Abbildung Abb. 121.
Schwirrholz.
Mehinakú.
(⅐ nat. Gr.)]
[Abbildung]
[Abbildung]
[Abbildung Abb. 122. Schwirrhölzer
(Fischform). Nahuquá.
(¼—⅕ nat. Gr.)]
die Schwirrhölzer zu erhalten. Die Nahuquá zeigten uns den Gebrauch auf offenem
Dorfplatz in aller Unbefangenheit wie den eines beliebigen Geräts und ohne
dass die Frauen weggejagt wurden. Es ist dies deshalb von grossem
Interesse, weil das Schwirrholz, das in unsern Kulturstaaten heute nur ein Kinder-
spielzeug ist, eine grosse Bedeutung in den religiösen Mysterien bei den ver-
schiedensten Völkern der Erde gehabt hat oder noch hat. Wir werden ihm bei
den Bororó und zwar auch in einer geheimnissvollen Bedeutung, die am Kulisehu
fehlt, wieder begegnen und deshalb auch dort erst auf sie einzugehen haben.
Die Nahuquá und die Mehinakú haben für das Schwirrholz dasselbe Wort,
denn diese nennen es matápu und jene matáhu. Bei den Auetö́, Kamayurá und
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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 327. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/391>, abgerufen am 16.02.2025.
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