Was bei dem Suya-Topf nur in einem Scherz zu Tage tritt, der Einfluss der Technik auf die Bestimmung des Motivs, macht sich in grossem Umfang als ein gesetzmässiger Vorgang geltend. Man betrachte noch einmal die Liste der in Töpfen dargestellten Tiere. Sie ist interessant wegen der Tiere, die nicht da sind. Man könnte sagen, es sei schon derselbe Unterschied bemerkbar wie durchschnittlich in den modernen Motiven von Künstlern und Künstlerinnen, zumal der Stillleben: auf der einen Seite Blumen, Früchte, Schmetterlinge, Fliegen, Marktfische und Schinken, auf der andern Wildpret und Heringe. Denn unter den Tieren der Töpfe herrscht das kleinere und, mit Ausnahme der Zecken, zahmere Getier bedeutend vor. Dass in der grossen Auswahl Jaguar, Tapir, Schwein und die den Federschmuck liefernden, doch zu Hause gehaltenen Papageienvögel ganz fehlten, ist jedenfalls bemerkenswert. Aber diese Tiere fehlen auch -- wieder aus einem besondern, später anzuführenden Grunde -- bei den Maskentieren der Männerfeste und es ist mehr hervorzuheben, dass man den bereits erwähnten Zusammenhang zwischen Motiv und der Form der Darstellung von der negativen Seite noch deutlicher sieht.
Schlangen und Affen waren mit ihren gestreckten Leibern ganz ungeeignet für die irdenen Kürbisse, während jene sich den langen Rindenbrettern des Frieses oder dem schwertförmigen Schwirrholz oder dem Kanu und diese sich einem Hüttenpfosten oder einer Flöte vorzüglich anpassten. Der Griff am Halbmond des Beijuwenders verwandelte sich leicht in einen Vogelhals oder das Vorderteil einer Schlange, aber er wurde beispielsweise kein Fisch, mit dem der Halb- mond und eine einseitige Verlängerung schlechterdings nicht zu vereinen sind. Ein Fisch wurde dagegen das Schwirrholz mit seiner langen schmalen Gestalt (vgl. Kapitel XI unter III), und man wickelte den Strick vortrefflich an dem Schwanzende auf; das Loch für den Strick befindet sich deshalb nicht etwa in den Augen am Kopfende. Der gezeichnete und eingeritzte Fischkörper wird zur Raute, das Mereschumuster beherrscht die ganze Zeichenkunst, eine Waura- Frau ritzt es auch in den Kürbistopf, aber nicht eine verfällt darauf, einen Mereschu als Topf darzustellen! Warum? Der Mereschu hat in dem Kampf um's Dasein unter den Ritzmustern gesiegt, weil eine durch scharfe und leicht auszukratzende Ecken charakterisierte Figur sich am bequemsten ritzen liess; sie war leicht zu machen und blieb doch ähnlich. Ebenso das Uluri. Gelegentlich, vgl. Topf 5, ist auch ein rautenförmiger Topf entstanden, doch tritt er in die Entwicklungsserie der Fledermausformen ein, während sich für die Fische hier, wo ihn auch andere Tiere haben, der natürlichere Ovalumriss behaupten kann, vgl. 23 und 24.
Da liegt klar ein Gesetz ausgesprochen. Nicht symbolische Tüftelei lenkt den Kunsttrieb. Weder im Kleinen, noch im Grossen. Weder scheut die Künstlerin davor zurück, einen Krötentopf zu machen, weil die Kröte ein unappetitliches Vieh
IV. Verhältnis des Tiermotivs zur Technik.
Was bei dem Suyá-Topf nur in einem Scherz zu Tage tritt, der Einfluss der Technik auf die Bestimmung des Motivs, macht sich in grossem Umfang als ein gesetzmässiger Vorgang geltend. Man betrachte noch einmal die Liste der in Töpfen dargestellten Tiere. Sie ist interessant wegen der Tiere, die nicht da sind. Man könnte sagen, es sei schon derselbe Unterschied bemerkbar wie durchschnittlich in den modernen Motiven von Künstlern und Künstlerinnen, zumal der Stillleben: auf der einen Seite Blumen, Früchte, Schmetterlinge, Fliegen, Marktfische und Schinken, auf der andern Wildpret und Heringe. Denn unter den Tieren der Töpfe herrscht das kleinere und, mit Ausnahme der Zecken, zahmere Getier bedeutend vor. Dass in der grossen Auswahl Jaguar, Tapir, Schwein und die den Federschmuck liefernden, doch zu Hause gehaltenen Papageienvögel ganz fehlten, ist jedenfalls bemerkenswert. Aber diese Tiere fehlen auch — wieder aus einem besondern, später anzuführenden Grunde — bei den Maskentieren der Männerfeste und es ist mehr hervorzuheben, dass man den bereits erwähnten Zusammenhang zwischen Motiv und der Form der Darstellung von der negativen Seite noch deutlicher sieht.
Schlangen und Affen waren mit ihren gestreckten Leibern ganz ungeeignet für die irdenen Kürbisse, während jene sich den langen Rindenbrettern des Frieses oder dem schwertförmigen Schwirrholz oder dem Kanu und diese sich einem Hüttenpfosten oder einer Flöte vorzüglich anpassten. Der Griff am Halbmond des Beijúwenders verwandelte sich leicht in einen Vogelhals oder das Vorderteil einer Schlange, aber er wurde beispielsweise kein Fisch, mit dem der Halb- mond und eine einseitige Verlängerung schlechterdings nicht zu vereinen sind. Ein Fisch wurde dagegen das Schwirrholz mit seiner langen schmalen Gestalt (vgl. Kapitel XI unter III), und man wickelte den Strick vortrefflich an dem Schwanzende auf; das Loch für den Strick befindet sich deshalb nicht etwa in den Augen am Kopfende. Der gezeichnete und eingeritzte Fischkörper wird zur Raute, das Mereschumuster beherrscht die ganze Zeichenkunst, eine Waurá- Frau ritzt es auch in den Kürbistopf, aber nicht eine verfällt darauf, einen Mereschu als Topf darzustellen! Warum? Der Mereschu hat in dem Kampf um’s Dasein unter den Ritzmustern gesiegt, weil eine durch scharfe und leicht auszukratzende Ecken charakterisierte Figur sich am bequemsten ritzen liess; sie war leicht zu machen und blieb doch ähnlich. Ebenso das Uluri. Gelegentlich, vgl. Topf 5, ist auch ein rautenförmiger Topf entstanden, doch tritt er in die Entwicklungsserie der Fledermausformen ein, während sich für die Fische hier, wo ihn auch andere Tiere haben, der natürlichere Ovalumriss behaupten kann, vgl. 23 und 24.
Da liegt klar ein Gesetz ausgesprochen. Nicht symbolische Tüftelei lenkt den Kunsttrieb. Weder im Kleinen, noch im Grossen. Weder scheut die Künstlerin davor zurück, einen Krötentopf zu machen, weil die Kröte ein unappetitliches Vieh
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IV. Verhältnis des Tiermotivs zur Technik.
Was bei dem Suyá-Topf nur in einem Scherz zu Tage tritt, der Einfluss
der Technik auf die Bestimmung des Motivs, macht sich in grossem Umfang als
ein gesetzmässiger Vorgang geltend. Man betrachte noch einmal die Liste
der in Töpfen dargestellten Tiere. Sie ist interessant wegen der Tiere, die nicht
da sind. Man könnte sagen, es sei schon derselbe Unterschied bemerkbar wie
durchschnittlich in den modernen Motiven von Künstlern und Künstlerinnen, zumal
der Stillleben: auf der einen Seite Blumen, Früchte, Schmetterlinge, Fliegen,
Marktfische und Schinken, auf der andern Wildpret und Heringe. Denn unter den
Tieren der Töpfe herrscht das kleinere und, mit Ausnahme der Zecken, zahmere
Getier bedeutend vor. Dass in der grossen Auswahl Jaguar, Tapir, Schwein und
die den Federschmuck liefernden, doch zu Hause gehaltenen Papageienvögel ganz
fehlten, ist jedenfalls bemerkenswert. Aber diese Tiere fehlen auch — wieder
aus einem besondern, später anzuführenden Grunde — bei den Maskentieren der
Männerfeste und es ist mehr hervorzuheben, dass man den bereits erwähnten
Zusammenhang zwischen Motiv und der Form der Darstellung von der
negativen Seite noch deutlicher sieht.
Schlangen und Affen waren mit ihren gestreckten Leibern ganz ungeeignet
für die irdenen Kürbisse, während jene sich den langen Rindenbrettern des Frieses
oder dem schwertförmigen Schwirrholz oder dem Kanu und diese sich einem
Hüttenpfosten oder einer Flöte vorzüglich anpassten. Der Griff am Halbmond
des Beijúwenders verwandelte sich leicht in einen Vogelhals oder das Vorderteil
einer Schlange, aber er wurde beispielsweise kein Fisch, mit dem der Halb-
mond und eine einseitige Verlängerung schlechterdings nicht zu vereinen sind.
Ein Fisch wurde dagegen das Schwirrholz mit seiner langen schmalen Gestalt
(vgl. Kapitel XI unter III), und man wickelte den Strick vortrefflich an dem
Schwanzende auf; das Loch für den Strick befindet sich deshalb nicht etwa
in den Augen am Kopfende. Der gezeichnete und eingeritzte Fischkörper wird
zur Raute, das Mereschumuster beherrscht die ganze Zeichenkunst, eine Waurá-
Frau ritzt es auch in den Kürbistopf, aber nicht eine verfällt darauf, einen
Mereschu als Topf darzustellen! Warum? Der Mereschu hat in dem Kampf
um’s Dasein unter den Ritzmustern gesiegt, weil eine durch scharfe und
leicht auszukratzende Ecken charakterisierte Figur sich am bequemsten ritzen
liess; sie war leicht zu machen und blieb doch ähnlich. Ebenso das Uluri.
Gelegentlich, vgl. Topf 5, ist auch ein rautenförmiger Topf entstanden, doch tritt
er in die Entwicklungsserie der Fledermausformen ein, während sich für die Fische
hier, wo ihn auch andere Tiere haben, der natürlichere Ovalumriss behaupten
kann, vgl. 23 und 24.
Da liegt klar ein Gesetz ausgesprochen. Nicht symbolische Tüftelei lenkt
den Kunsttrieb. Weder im Kleinen, noch im Grossen. Weder scheut die Künstlerin
davor zurück, einen Krötentopf zu machen, weil die Kröte ein unappetitliches Vieh
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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 293. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/357>, abgerufen am 22.11.2024.
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