meist Vierfüssler mit langem, dünnem Körper, fast nur aus Wirbelsäule und hohen Beinen bestehend; die grössten reichten uns bis an die Hüften. Ein Ding, das offenbar ein Affe sein sollte, kletterte eine Stange hinauf." (Durch Central- brasilien, p. 168.)
Ungemein charakteristisch für das Vergnügen an der Kunst sind die Mais- figuren, beinahe ausschliesslich Vögel, die wir am schönsten im zweiten Bakairi- dorf trafen. Dort hingen sie fast truthahn- gross von der Wölbung der Kuppel an einer langen Schnur herunter, ein seltsamer An- blick für den Eintretenden, der gewiss an Idole und Fetische dachte. Aber diese braven Vögel waren nichts als liebevoll ausstaffierte Maiskolben, die in ihrer natür- lichen Strohhülle aufbewahrt wurden. Ich habe Figuren verzeichnet von der Harpyia destructor, einer grossen und einer kleinen Falkenart, dem Schlangenhalsvogel und dem Jabiru oder Riesenstorch. Eine menschenähnliche Figur, eine Puppe mit einem Knopf oben statt des Kopfes, stellte den Imoto-Tänzer in seinem Strohanzug dar. Sonst waren es immer Vögel und zwar grosse Vögel. Oefters waren ein paar echte Schwanzfedern eingesteckt oder dem Maisstroh einige farbige Bänder aufgemalt. Die nebenstehende Harpyia destructor (Abb. 69) ist durch den starken Schnabel und die Holle gekennzeichnet, die Schwanz- federn sind schwarz gebändert; mit Liebe sind die Zehen aus gedrehtem Stroh ver- fertigt und, wo der Lauf aus dem Ge- fieder der Schenkel hervortritt, befindet sich eine Abschnürung. Imposanter war der Tujujustorch; er hing mit ausge-
breiteten Flügeln! Ein dicker Maiskolben bildete als Mittelstück den Körper; nur an ihm war der Stiel nicht abgeschnitten, sondern bildete weit vorragend den etwas dünnen, aber langen Schnabel. Auf jeder Seite waren elf Maiskolben nebeneinander zwischen ein paar Reisern eingespannt, und diese schöne schwebende Brücke stellte nunmehr die Mycteria americana dar, deren einzelne Teile nach der Reihe abgebrochen und geröstet wurden. Nichts Geheimnisvolles, nichts Symbo- lisches, nur ein Storch, den der Bakairi dem erstaunten Europäer knusprig zu braten gern bereit war.
meist Vierfüssler mit langem, dünnem Körper, fast nur aus Wirbelsäule und hohen Beinen bestehend; die grössten reichten uns bis an die Hüften. Ein Ding, das offenbar ein Affe sein sollte, kletterte eine Stange hinauf.« (Durch Central- brasilien, p. 168.)
Ungemein charakteristisch für das Vergnügen an der Kunst sind die Mais- figuren, beinahe ausschliesslich Vögel, die wir am schönsten im zweiten Bakaïrí- dorf trafen. Dort hingen sie fast truthahn- gross von der Wölbung der Kuppel an einer langen Schnur herunter, ein seltsamer An- blick für den Eintretenden, der gewiss an Idole und Fetische dachte. Aber diese braven Vögel waren nichts als liebevoll ausstaffierte Maiskolben, die in ihrer natür- lichen Strohhülle aufbewahrt wurden. Ich habe Figuren verzeichnet von der Harpyia destructor, einer grossen und einer kleinen Falkenart, dem Schlangenhalsvogel und dem Jabirú oder Riesenstorch. Eine menschenähnliche Figur, eine Puppe mit einem Knopf oben statt des Kopfes, stellte den Imoto-Tänzer in seinem Strohanzug dar. Sonst waren es immer Vögel und zwar grosse Vögel. Oefters waren ein paar echte Schwanzfedern eingesteckt oder dem Maisstroh einige farbige Bänder aufgemalt. Die nebenstehende Harpyia destructor (Abb. 69) ist durch den starken Schnabel und die Holle gekennzeichnet, die Schwanz- federn sind schwarz gebändert; mit Liebe sind die Zehen aus gedrehtem Stroh ver- fertigt und, wo der Lauf aus dem Ge- fieder der Schenkel hervortritt, befindet sich eine Abschnürung. Imposanter war der Tujujústorch; er hing mit ausge-
breiteten Flügeln! Ein dicker Maiskolben bildete als Mittelstück den Körper; nur an ihm war der Stiel nicht abgeschnitten, sondern bildete weit vorragend den etwas dünnen, aber langen Schnabel. Auf jeder Seite waren elf Maiskolben nebeneinander zwischen ein paar Reisern eingespannt, und diese schöne schwebende Brücke stellte nunmehr die Mycteria americana dar, deren einzelne Teile nach der Reihe abgebrochen und geröstet wurden. Nichts Geheimnisvolles, nichts Symbo- lisches, nur ein Storch, den der Bakaïrí dem erstaunten Europäer knusprig zu braten gern bereit war.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0341"n="281"/>
meist Vierfüssler mit langem, dünnem Körper, fast nur aus Wirbelsäule und hohen<lb/>
Beinen bestehend; die grössten reichten uns bis an die Hüften. Ein Ding, das<lb/>
offenbar ein Affe sein sollte, kletterte eine Stange hinauf.« (Durch Central-<lb/>
brasilien, p. 168.)</p><lb/><p>Ungemein charakteristisch für das Vergnügen an der Kunst sind die <hirendition="#g">Mais-<lb/>
figuren</hi>, beinahe ausschliesslich Vögel, die wir am schönsten im zweiten Bakaïrí-<lb/>
dorf trafen. Dort hingen sie fast truthahn-<lb/>
gross von der Wölbung der Kuppel an einer<lb/>
langen Schnur herunter, ein seltsamer An-<lb/>
blick für den Eintretenden, der gewiss an<lb/>
Idole und Fetische dachte. Aber diese<lb/>
braven Vögel waren nichts als liebevoll<lb/>
ausstaffierte Maiskolben, die in ihrer natür-<lb/>
lichen Strohhülle aufbewahrt wurden. Ich<lb/>
habe Figuren verzeichnet von der Harpyia<lb/>
destructor, einer grossen und einer kleinen<lb/>
Falkenart, dem Schlangenhalsvogel und<lb/>
dem Jabirú oder Riesenstorch. Eine<lb/>
menschenähnliche Figur, eine Puppe mit<lb/>
einem Knopf oben statt des Kopfes, stellte<lb/>
den Imoto-Tänzer in seinem Strohanzug<lb/>
dar. Sonst waren es immer Vögel und<lb/>
zwar grosse Vögel. Oefters waren ein paar<lb/>
echte Schwanzfedern eingesteckt oder dem<lb/>
Maisstroh einige farbige Bänder aufgemalt.<lb/>
Die nebenstehende Harpyia destructor<lb/>
(Abb. 69) ist durch den starken Schnabel<lb/>
und die Holle gekennzeichnet, die Schwanz-<lb/>
federn sind schwarz gebändert; mit Liebe<lb/>
sind die Zehen aus gedrehtem Stroh ver-<lb/>
fertigt und, wo der Lauf aus dem Ge-<lb/>
fieder der Schenkel hervortritt, befindet<lb/>
sich eine Abschnürung. Imposanter war<lb/>
der Tujujústorch; er hing mit ausge-<lb/><figure/><figure/><figure><head>Abb. 68. </head><p><hirendition="#g">Aufforderung zum Tanz</hi>.<lb/>
Bakaïrí. (⅙ nat. Gr.)</p></figure><lb/><figure/><figure><head>Abb. 69. </head><p><hirendition="#g">Maisfigur: Harpyia destructor</hi>.<lb/>
Bakaïrí. (<formulanotation="TeX">\frac{1}{10}</formula> nat. Gr.)</p></figure><lb/>
breiteten Flügeln! Ein dicker Maiskolben bildete als Mittelstück den Körper;<lb/>
nur an ihm war der Stiel nicht abgeschnitten, sondern bildete weit vorragend<lb/>
den etwas dünnen, aber langen Schnabel. Auf jeder Seite waren elf Maiskolben<lb/>
nebeneinander zwischen ein paar Reisern eingespannt, und diese schöne schwebende<lb/>
Brücke stellte nunmehr die Mycteria americana dar, deren einzelne Teile nach der<lb/>
Reihe abgebrochen und geröstet wurden. Nichts Geheimnisvolles, nichts Symbo-<lb/>
lisches, nur ein Storch, den der Bakaïrí dem erstaunten Europäer knusprig zu<lb/>
braten gern bereit war.</p><lb/></div></div></body></text></TEI>
[281/0341]
meist Vierfüssler mit langem, dünnem Körper, fast nur aus Wirbelsäule und hohen
Beinen bestehend; die grössten reichten uns bis an die Hüften. Ein Ding, das
offenbar ein Affe sein sollte, kletterte eine Stange hinauf.« (Durch Central-
brasilien, p. 168.)
Ungemein charakteristisch für das Vergnügen an der Kunst sind die Mais-
figuren, beinahe ausschliesslich Vögel, die wir am schönsten im zweiten Bakaïrí-
dorf trafen. Dort hingen sie fast truthahn-
gross von der Wölbung der Kuppel an einer
langen Schnur herunter, ein seltsamer An-
blick für den Eintretenden, der gewiss an
Idole und Fetische dachte. Aber diese
braven Vögel waren nichts als liebevoll
ausstaffierte Maiskolben, die in ihrer natür-
lichen Strohhülle aufbewahrt wurden. Ich
habe Figuren verzeichnet von der Harpyia
destructor, einer grossen und einer kleinen
Falkenart, dem Schlangenhalsvogel und
dem Jabirú oder Riesenstorch. Eine
menschenähnliche Figur, eine Puppe mit
einem Knopf oben statt des Kopfes, stellte
den Imoto-Tänzer in seinem Strohanzug
dar. Sonst waren es immer Vögel und
zwar grosse Vögel. Oefters waren ein paar
echte Schwanzfedern eingesteckt oder dem
Maisstroh einige farbige Bänder aufgemalt.
Die nebenstehende Harpyia destructor
(Abb. 69) ist durch den starken Schnabel
und die Holle gekennzeichnet, die Schwanz-
federn sind schwarz gebändert; mit Liebe
sind die Zehen aus gedrehtem Stroh ver-
fertigt und, wo der Lauf aus dem Ge-
fieder der Schenkel hervortritt, befindet
sich eine Abschnürung. Imposanter war
der Tujujústorch; er hing mit ausge-
[Abbildung]
[Abbildung]
[Abbildung Abb. 68. Aufforderung zum Tanz.
Bakaïrí. (⅙ nat. Gr.)]
[Abbildung]
[Abbildung Abb. 69. Maisfigur: Harpyia destructor.
Bakaïrí. ([FORMEL] nat. Gr.)]
breiteten Flügeln! Ein dicker Maiskolben bildete als Mittelstück den Körper;
nur an ihm war der Stiel nicht abgeschnitten, sondern bildete weit vorragend
den etwas dünnen, aber langen Schnabel. Auf jeder Seite waren elf Maiskolben
nebeneinander zwischen ein paar Reisern eingespannt, und diese schöne schwebende
Brücke stellte nunmehr die Mycteria americana dar, deren einzelne Teile nach der
Reihe abgebrochen und geröstet wurden. Nichts Geheimnisvolles, nichts Symbo-
lisches, nur ein Storch, den der Bakaïrí dem erstaunten Europäer knusprig zu
braten gern bereit war.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 281. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/341>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.