Kettenfigürchen. Die knappe Charakterisierung fällt am meisten bei den Figürchen auf, die an den Halsketten, zumeist der Säuglinge und kleinsten Kinder, zwischen den Samenkernen, Muschel- und Nussperlen aufbewahrt werden. Das Material ist ganz gleichgültig. Ein Stück aus der Windung der rosafarbigen Schneckenschale hat einen Rand, der in unregelmässigen Vorsprüngen und Aus- buchtungen verläuft: das ist ein Krebs. Aus der Schale des Caramujo branco, Orthalicus melanostomus, schneiden die Bakairi Vögel und Fische aus. Wir sehen ein schildförmiges Stück, den Rumpf, das sich unten in einen schmäleren Schwanz und oben in eine Art Halsstück fortsetzt (Abb. 63). Dieses "Halsstück" ist aber der Kopf, häufig seitlich durchbohrt, um die Schnur aufzunehmen, und erscheint ganz nebensächlich behandelt. Ist das Schwanzstück wie eine Flosse eingeschnitten, so haben wir statt des Vogels einen Fisch vor uns.
[Abbildung]
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Abb. 63.
Vogelfigur aus Muschelschale. ( 2/3 nat. Gr.)
So sind auch kleine Stücke des grünlichen, schwarzge- sprenkelten Steins der Steinbeile: Fische, wenn sie platt sind, oder Vögel, wenn sich der walzenrunde Leib zum Schwanz abplattet. Der Natur wird durch Schleifen etwas nachgeholfen. In der Abbildung 64, Seite 279, zeigen die beiden ersten Ketten durchbohrte Steinscheiben (Durchmesser 2--3 cm) und Stein- zilinder (3 cm lang) zwischen den Nussperlen, wie sie die Trumai und Yaulapiti herstellen, in der dritten sind diese Gebilde von den Nahuqua aus Thon, in der vierten von ihnen aus dem durchsichtigen bernsteinartigen Jatoba-Harz (Hymenaea) nachgeahmt; auch die dritte Kette enthält eine Harzperle. An der ersten und vierten Kette ist ein Vogel aufgereiht. Der Steinvogel, bei dem ein Knöpfchen als Schnabel erkenn- bar ist, wird als Taube bezeichnet. Auch die birnenförmigen Steine der Wurfpfeile werden in kleinem Format an den Ketten getragen, angebunden, nicht durchbohrt, und zwar fanden wir sie auch bei den Mehinaku importiert, die weder die Steine noch überhaupt Wurfhölzer haben.
Aus Nussschale und Knochen werden ähnliche Figuren geschnitzt. Bei den Mehinaku erwarben wir ein 7 cm langes Stück Bagadufisch-Knochen, ein Viereck mit bogenförmig ausgeschweiften Seiten, das einen Vierfüssler darstellt, während ein kleineres Stück einen Rochen mit Schwanz und daneben den Bauchflossen wiedergiebt. Leider habe ich zu spät erfahren, dass den Figuren stets ein be- stimmter Sinn unterlegt wurde, und kann deshalb von manchen nicht sagen, was sie bedeuten. Hier ist alles Raten zwecklos.
Strohfiguren. Wer sich noch zutraut, die Bilder und Figuren des Indianers immer deuten zu können, den hätte ich gern in der Hütte der Bakairi, die den grossen Fries enthielt, neben mir gehabt, nicht einmal so sehr wegen der auf- gemalten Ornamente als wegen eines Flechtmusters, das sich über der Thüre befand. Als uns der Hausherr die Abbildungen erklärt hatte, führte er uns vor
Kettenfigürchen. Die knappe Charakterisierung fällt am meisten bei den Figürchen auf, die an den Halsketten, zumeist der Säuglinge und kleinsten Kinder, zwischen den Samenkernen, Muschel- und Nussperlen aufbewahrt werden. Das Material ist ganz gleichgültig. Ein Stück aus der Windung der rosafarbigen Schneckenschale hat einen Rand, der in unregelmässigen Vorsprüngen und Aus- buchtungen verläuft: das ist ein Krebs. Aus der Schale des Caramujo branco, Orthalicus melanostomus, schneiden die Bakaïrí Vögel und Fische aus. Wir sehen ein schildförmiges Stück, den Rumpf, das sich unten in einen schmäleren Schwanz und oben in eine Art Halsstück fortsetzt (Abb. 63). Dieses »Halsstück« ist aber der Kopf, häufig seitlich durchbohrt, um die Schnur aufzunehmen, und erscheint ganz nebensächlich behandelt. Ist das Schwanzstück wie eine Flosse eingeschnitten, so haben wir statt des Vogels einen Fisch vor uns.
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Abb. 63.
Vogelfigur aus Muschelschale. (⅔ nat. Gr.)
So sind auch kleine Stücke des grünlichen, schwarzge- sprenkelten Steins der Steinbeile: Fische, wenn sie platt sind, oder Vögel, wenn sich der walzenrunde Leib zum Schwanz abplattet. Der Natur wird durch Schleifen etwas nachgeholfen. In der Abbildung 64, Seite 279, zeigen die beiden ersten Ketten durchbohrte Steinscheiben (Durchmesser 2—3 cm) und Stein- zilinder (3 cm lang) zwischen den Nussperlen, wie sie die Trumaí und Yaulapiti herstellen, in der dritten sind diese Gebilde von den Nahuquá aus Thon, in der vierten von ihnen aus dem durchsichtigen bernsteinartigen Jatobá-Harz (Hymenaea) nachgeahmt; auch die dritte Kette enthält eine Harzperle. An der ersten und vierten Kette ist ein Vogel aufgereiht. Der Steinvogel, bei dem ein Knöpfchen als Schnabel erkenn- bar ist, wird als Taube bezeichnet. Auch die birnenförmigen Steine der Wurfpfeile werden in kleinem Format an den Ketten getragen, angebunden, nicht durchbohrt, und zwar fanden wir sie auch bei den Mehinakú importiert, die weder die Steine noch überhaupt Wurfhölzer haben.
Aus Nussschale und Knochen werden ähnliche Figuren geschnitzt. Bei den Mehinakú erwarben wir ein 7 cm langes Stück Bagadúfisch-Knochen, ein Viereck mit bogenförmig ausgeschweiften Seiten, das einen Vierfüssler darstellt, während ein kleineres Stück einen Rochen mit Schwanz und daneben den Bauchflossen wiedergiebt. Leider habe ich zu spät erfahren, dass den Figuren stets ein be- stimmter Sinn unterlegt wurde, und kann deshalb von manchen nicht sagen, was sie bedeuten. Hier ist alles Raten zwecklos.
Strohfiguren. Wer sich noch zutraut, die Bilder und Figuren des Indianers immer deuten zu können, den hätte ich gern in der Hütte der Bakaïrí, die den grossen Fries enthielt, neben mir gehabt, nicht einmal so sehr wegen der auf- gemalten Ornamente als wegen eines Flechtmusters, das sich über der Thüre befand. Als uns der Hausherr die Abbildungen erklärt hatte, führte er uns vor
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Kettenfigürchen. Die knappe Charakterisierung fällt am meisten bei den
Figürchen auf, die an den Halsketten, zumeist der Säuglinge und kleinsten Kinder,
zwischen den Samenkernen, Muschel- und Nussperlen aufbewahrt werden. Das
Material ist ganz gleichgültig. Ein Stück aus der Windung der rosafarbigen
Schneckenschale hat einen Rand, der in unregelmässigen Vorsprüngen und Aus-
buchtungen verläuft: das ist ein Krebs. Aus der Schale des Caramujo branco,
Orthalicus melanostomus, schneiden die Bakaïrí Vögel und Fische aus. Wir sehen
ein schildförmiges Stück, den Rumpf, das sich unten in einen schmäleren Schwanz
und oben in eine Art Halsstück fortsetzt (Abb. 63). Dieses »Halsstück« ist aber
der Kopf, häufig seitlich durchbohrt, um die Schnur aufzunehmen, und erscheint
ganz nebensächlich behandelt. Ist das Schwanzstück wie eine Flosse eingeschnitten,
so haben wir statt des Vogels einen Fisch vor uns.
[Abbildung]
[Abbildung Abb. 63.
Vogelfigur aus
Muschelschale.
(⅔ nat. Gr.) ]
So sind auch kleine Stücke des grünlichen, schwarzge-
sprenkelten Steins der Steinbeile: Fische, wenn sie platt sind,
oder Vögel, wenn sich der walzenrunde Leib zum Schwanz
abplattet. Der Natur wird durch Schleifen etwas nachgeholfen.
In der Abbildung 64, Seite 279, zeigen die beiden ersten Ketten
durchbohrte Steinscheiben (Durchmesser 2—3 cm) und Stein-
zilinder (3 cm lang) zwischen den Nussperlen, wie sie die Trumaí
und Yaulapiti herstellen, in der dritten sind diese Gebilde
von den Nahuquá aus Thon, in der vierten von ihnen aus
dem durchsichtigen bernsteinartigen Jatobá-Harz (Hymenaea)
nachgeahmt; auch die dritte Kette enthält eine Harzperle.
An der ersten und vierten Kette ist ein Vogel aufgereiht.
Der Steinvogel, bei dem ein Knöpfchen als Schnabel erkenn-
bar ist, wird als Taube bezeichnet. Auch die birnenförmigen
Steine der Wurfpfeile werden in kleinem Format an den Ketten
getragen, angebunden, nicht durchbohrt, und zwar fanden wir
sie auch bei den Mehinakú importiert, die weder die Steine
noch überhaupt Wurfhölzer haben.
Aus Nussschale und Knochen werden ähnliche Figuren geschnitzt. Bei den
Mehinakú erwarben wir ein 7 cm langes Stück Bagadúfisch-Knochen, ein Viereck
mit bogenförmig ausgeschweiften Seiten, das einen Vierfüssler darstellt, während
ein kleineres Stück einen Rochen mit Schwanz und daneben den Bauchflossen
wiedergiebt. Leider habe ich zu spät erfahren, dass den Figuren stets ein be-
stimmter Sinn unterlegt wurde, und kann deshalb von manchen nicht sagen, was
sie bedeuten. Hier ist alles Raten zwecklos.
Strohfiguren. Wer sich noch zutraut, die Bilder und Figuren des Indianers
immer deuten zu können, den hätte ich gern in der Hütte der Bakaïrí, die den
grossen Fries enthielt, neben mir gehabt, nicht einmal so sehr wegen der auf-
gemalten Ornamente als wegen eines Flechtmusters, das sich über der Thüre
befand. Als uns der Hausherr die Abbildungen erklärt hatte, führte er uns vor
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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 278. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/338>, abgerufen am 22.11.2024.
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