keine zu sehen Gelegenheit hatten. Abends im Mondschein machte es ihnen ein Hauptvergnügen, uns Jagdtiere und Jagdszenen in den Sand zu malen. Ich sage "Szenen", denn ihr Dilettantismus schreckte auch vor einer schwierigen Kompo- sition keineswegs zurück. Sie begnügten sich aber auch nicht, in Umrissen zu zeichnen, sie schaufelten mit der Hand den Sand aus dem Umriss des darzu- stellenden Tieres der Fläche nach weg und füllten diese Vertiefung von der Ge- stalt z. B. eines Jaguars oder Tapirs mit grauweisslicher Asche aus: so erhielten sie den Körper mit seinen Extremitäten als ein weisslich schimmerndes Gemälde. Mit dunklem Sand wurde das Auge und die Fleckenzeichnung der Haut einge- tragen. Da die Figuren mindestens Lebensgrösse hatten, machten sie in dem Zwielicht der Nacht einen überraschend lebendigen Eindruck; es sah aus, als wenn riesige, schimmernde und flimmernde Felle auf dem Boden ausgebreitet wären.
Bleistiftzeichnungen. Schon 1884 haben wir die Suya mit Bleistift in unsere Hefte zeichnen lassen. Sie hatten selbst ihren Spass daran, waren auch nicht ungeschickt und hielten nur überflüssiger Weise zu Anfang, ihrerseits mit harzgetränkten Stäbchen zu zeichnen gewohnt, die Bleistiftspitze in die Flamme. Sie zeichneten rautenförmige Muster, ähnlich denen auf ihren Kürbisschalen, die ich damals mit dem Schema "geometrische Figuren" abfertigte. Wir haben dieses Mal eine Reihe bestimmter Personen und Dinge abzeichnen lassen, die ungemein lehrreich ausgefallen sind. Auf den vier Tafeln 16--19 sind die noch recht ver- besserungsfähigen Kunsterzeugnisse peinlichst genau wiedergegeben; man findet dort Portraits der Expeditionsmitglieder, namentlich von mir, ferner seitens der Kulisehu-Indianer zwei Jaguare und ein Weiberdreieck mit zugehöriger Topo- graphie, sowie seitens der Bororo einen Soldaten, eine Frau, eine Pfeife, ein Schwirrholz, zwei Jaguare, einen vom Hund verfolgten Tapir, einen Affen, ein Kolibri und drei Schildkröten. Die Tierbilder der Bororo sind, wie die Sand- zeichnungen mit Asche bedeckt wurden, innerhalb der Umrisse schwarz ausgefüllt und bekunden, dass diese Künstler schon höhere Ansprüche an sich stellten, ob- wohl sie in ihrer spärlichen Ornamentik nicht mehr leisteten als das Schwirr- holz zeigt.
Man wird durch die Bleistiftzeichnungen zunächst lebhaft an die Bilder aus dem Schreibheft des kleinen Moritz erinnert. In der That sind in dem inter- essanten Büchlein von Corrado Ricci, l'arte dei bambini, Bologna 1887, das über Studien an vielen Kinderzeichnungen berichtet, zahlreiche Uebereinstimmungen zu finden, und mehr als der Verfasser selbst, wenn er der Zeichnungen bei Natur- völkern gedenkt, voraussetzt. Die Kinder beschreiben den Menschen, anstatt ihn künstlerisch wiederzugeben, "wie sie ihn mit Worten beschreiben würden". Bei ihren ersten Versuchen sind sie mit den unvollkommensten Geschöpfen, die nur Kopf und Beine haben, zufrieden, bald aber streben sie danach, den Menschen in seiner Vollständigkeit darzustellen; sie wissen, er hat zwei Beine und zeichnen sie, unbekümmert, ob es sich um Profilstellung oder um eine Situation zu Pferde oder im Boot handelt. Die räumliche Anordnung ist ihnen Nebensache, die Arme
keine zu sehen Gelegenheit hatten. Abends im Mondschein machte es ihnen ein Hauptvergnügen, uns Jagdtiere und Jagdszenen in den Sand zu malen. Ich sage »Szenen«, denn ihr Dilettantismus schreckte auch vor einer schwierigen Kompo- sition keineswegs zurück. Sie begnügten sich aber auch nicht, in Umrissen zu zeichnen, sie schaufelten mit der Hand den Sand aus dem Umriss des darzu- stellenden Tieres der Fläche nach weg und füllten diese Vertiefung von der Ge- stalt z. B. eines Jaguars oder Tapirs mit grauweisslicher Asche aus: so erhielten sie den Körper mit seinen Extremitäten als ein weisslich schimmerndes Gemälde. Mit dunklem Sand wurde das Auge und die Fleckenzeichnung der Haut einge- tragen. Da die Figuren mindestens Lebensgrösse hatten, machten sie in dem Zwielicht der Nacht einen überraschend lebendigen Eindruck; es sah aus, als wenn riesige, schimmernde und flimmernde Felle auf dem Boden ausgebreitet wären.
Bleistiftzeichnungen. Schon 1884 haben wir die Suyá mit Bleistift in unsere Hefte zeichnen lassen. Sie hatten selbst ihren Spass daran, waren auch nicht ungeschickt und hielten nur überflüssiger Weise zu Anfang, ihrerseits mit harzgetränkten Stäbchen zu zeichnen gewohnt, die Bleistiftspitze in die Flamme. Sie zeichneten rautenförmige Muster, ähnlich denen auf ihren Kürbisschalen, die ich damals mit dem Schema »geometrische Figuren« abfertigte. Wir haben dieses Mal eine Reihe bestimmter Personen und Dinge abzeichnen lassen, die ungemein lehrreich ausgefallen sind. Auf den vier Tafeln 16—19 sind die noch recht ver- besserungsfähigen Kunsterzeugnisse peinlichst genau wiedergegeben; man findet dort Portraits der Expeditionsmitglieder, namentlich von mir, ferner seitens der Kulisehu-Indianer zwei Jaguare und ein Weiberdreieck mit zugehöriger Topo- graphie, sowie seitens der Bororó einen Soldaten, eine Frau, eine Pfeife, ein Schwirrholz, zwei Jaguare, einen vom Hund verfolgten Tapir, einen Affen, ein Kolibri und drei Schildkröten. Die Tierbilder der Bororó sind, wie die Sand- zeichnungen mit Asche bedeckt wurden, innerhalb der Umrisse schwarz ausgefüllt und bekunden, dass diese Künstler schon höhere Ansprüche an sich stellten, ob- wohl sie in ihrer spärlichen Ornamentik nicht mehr leisteten als das Schwirr- holz zeigt.
Man wird durch die Bleistiftzeichnungen zunächst lebhaft an die Bilder aus dem Schreibheft des kleinen Moritz erinnert. In der That sind in dem inter- essanten Büchlein von Corrado Ricci, l’arte dei bambini, Bologna 1887, das über Studien an vielen Kinderzeichnungen berichtet, zahlreiche Uebereinstimmungen zu finden, und mehr als der Verfasser selbst, wenn er der Zeichnungen bei Natur- völkern gedenkt, voraussetzt. Die Kinder beschreiben den Menschen, anstatt ihn künstlerisch wiederzugeben, »wie sie ihn mit Worten beschreiben würden«. Bei ihren ersten Versuchen sind sie mit den unvollkommensten Geschöpfen, die nur Kopf und Beine haben, zufrieden, bald aber streben sie danach, den Menschen in seiner Vollständigkeit darzustellen; sie wissen, er hat zwei Beine und zeichnen sie, unbekümmert, ob es sich um Profilstellung oder um eine Situation zu Pferde oder im Boot handelt. Die räumliche Anordnung ist ihnen Nebensache, die Arme
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[249/0303]
keine zu sehen Gelegenheit hatten. Abends im Mondschein machte es ihnen ein
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»Szenen«, denn ihr Dilettantismus schreckte auch vor einer schwierigen Kompo-
sition keineswegs zurück. Sie begnügten sich aber auch nicht, in Umrissen zu
zeichnen, sie schaufelten mit der Hand den Sand aus dem Umriss des darzu-
stellenden Tieres der Fläche nach weg und füllten diese Vertiefung von der Ge-
stalt z. B. eines Jaguars oder Tapirs mit grauweisslicher Asche aus: so erhielten
sie den Körper mit seinen Extremitäten als ein weisslich schimmerndes Gemälde.
Mit dunklem Sand wurde das Auge und die Fleckenzeichnung der Haut einge-
tragen. Da die Figuren mindestens Lebensgrösse hatten, machten sie in dem
Zwielicht der Nacht einen überraschend lebendigen Eindruck; es sah aus, als wenn
riesige, schimmernde und flimmernde Felle auf dem Boden ausgebreitet wären.
Bleistiftzeichnungen. Schon 1884 haben wir die Suyá mit Bleistift in
unsere Hefte zeichnen lassen. Sie hatten selbst ihren Spass daran, waren auch
nicht ungeschickt und hielten nur überflüssiger Weise zu Anfang, ihrerseits mit
harzgetränkten Stäbchen zu zeichnen gewohnt, die Bleistiftspitze in die Flamme.
Sie zeichneten rautenförmige Muster, ähnlich denen auf ihren Kürbisschalen, die
ich damals mit dem Schema »geometrische Figuren« abfertigte. Wir haben dieses
Mal eine Reihe bestimmter Personen und Dinge abzeichnen lassen, die ungemein
lehrreich ausgefallen sind. Auf den vier Tafeln 16—19 sind die noch recht ver-
besserungsfähigen Kunsterzeugnisse peinlichst genau wiedergegeben; man findet
dort Portraits der Expeditionsmitglieder, namentlich von mir, ferner seitens der
Kulisehu-Indianer zwei Jaguare und ein Weiberdreieck mit zugehöriger Topo-
graphie, sowie seitens der Bororó einen Soldaten, eine Frau, eine Pfeife, ein
Schwirrholz, zwei Jaguare, einen vom Hund verfolgten Tapir, einen Affen, ein
Kolibri und drei Schildkröten. Die Tierbilder der Bororó sind, wie die Sand-
zeichnungen mit Asche bedeckt wurden, innerhalb der Umrisse schwarz ausgefüllt
und bekunden, dass diese Künstler schon höhere Ansprüche an sich stellten, ob-
wohl sie in ihrer spärlichen Ornamentik nicht mehr leisteten als das Schwirr-
holz zeigt.
Man wird durch die Bleistiftzeichnungen zunächst lebhaft an die Bilder aus
dem Schreibheft des kleinen Moritz erinnert. In der That sind in dem inter-
essanten Büchlein von Corrado Ricci, l’arte dei bambini, Bologna 1887, das
über Studien an vielen Kinderzeichnungen berichtet, zahlreiche Uebereinstimmungen
zu finden, und mehr als der Verfasser selbst, wenn er der Zeichnungen bei Natur-
völkern gedenkt, voraussetzt. Die Kinder beschreiben den Menschen, anstatt
ihn künstlerisch wiederzugeben, »wie sie ihn mit Worten beschreiben würden«.
Bei ihren ersten Versuchen sind sie mit den unvollkommensten Geschöpfen, die
nur Kopf und Beine haben, zufrieden, bald aber streben sie danach, den Menschen
in seiner Vollständigkeit darzustellen; sie wissen, er hat zwei Beine und zeichnen
sie, unbekümmert, ob es sich um Profilstellung oder um eine Situation zu Pferde
oder im Boot handelt. Die räumliche Anordnung ist ihnen Nebensache, die Arme
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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 249. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/303>, abgerufen am 22.11.2024.
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