besonders an dem eingestülpten Hinterteil platzt die Rinde gern und lässt Wasser ein- treten. Dank ihrer grossen Gewandtheit als Piloten schiessen die Bakairi ohne Gefahr auch durch den Schwall der Katarakte; doch wären die Strudel mit stärkerem Gefälle flussabwärts im Gebiet der Yuruna durch die niedrigen und gebrechlichen Rinden- kanus nicht zu überwinden -- ein beachtenswertes Hindernis für die Verschiebung unserer Stämme nach Norden. Vielleicht nicht weniger schlimm wäre der Wellen- schlag auf dem breitern Strom, den jeder heftige Wind bringt. Dagegen bieten die Rindenkanus den gewaltigen Vorteil, dass sie in kürzester Frist herzustellen sind. Deshalb begnügte man sich sogar bei der Fazenda S. Manoel mit einem von den Bakairi gelieferten Kanu, das nur einen Tag Arbeit kostete. Sie sind leicht aus dem Wald an das Ufer zu tragen; Bastringe schützen die Schultern.
Gefischt wird während der Fahrt soviel als nur möglich, desgleichen ge- gessen. Rauchen und Singen unterwegs ist unbekannt.
Fischereigerät. Das Schiessen der Fische mit Pfeil und Bogen liefert eine der Zahl nach nur geringe Beute. Ich habe berichtet über die Zäune oder Stakets, mit denen der Fluss bei dem zweiten Bakairidorf gesperrt war, über die "Chiqueiras", das Sperrwerk mit Zweigen, das Bachmündungen oder Lagunenarme abschloss, über die Steinkreise, die nahe bei den Stromschnellen im flachen Fluss- bett oft in grosser Zahl gelegt waren, und wo die Fische durch eine schmale Oeffnung oben eintraten und flussabwärts gescheucht, beim gegenüberliegenden Ausgang in Netzen abgefangen wurden, sowie endlich über das Fischen der Bakairi in der seichten Kamplagune mit Fangkörben. Gern fischt man zwischen den Steinen, in dunkeln Nächten bei Fackellicht. Von einer Vergiftung der Fische haben wir Nichts gesehen.
Dass die Angel sämtlichen Stämmen so verschiedenen Ursprungs unbekannt war, Stämmen, die so eifrige Fischer waren, ist eine Thatsache von hohem Wert. Sie spricht beredt für die mehrfach aufgestellte Behauptung, dass die Angel im Norden und Süden des Amazonas überhaupt erst durch die Europäer eingeführt worden ist. Ist dies nicht der Fall, bleibt nur der Ausweg, dass unsere Stämme sich von ihren Ursitzen entfernt haben, ehe die Angel dort bekannt war. Denn wer, wie ich, gesehen hat, mit welchem Interesse die Eingeborenen unsere Angeln kennen lernten, der wird, wenn irgendwo, hier über das Ansinnen lächeln, dass die degenerierten Indianer eine ihnen früher -- als sie noch dem Ausgangspunkt der Karaiben oder der Nu-Aruak oder der Tupi oder der Ges näher waren -- wohlbekannte Erfindung vergessen hätten. Es lässt sich begreifen, dass Indianer unter friedlichen Verhältnissen keine Keulen mehr machen, es liesse sich ver- stehen, dass der eine oder andere unserer Stämme vom Amazonas hereingewandert wäre und das Holzkanu aufgegeben habe, weil er am Oberlauf mit den mühelos zu machenden Rindenkanus vortrefflich auskam, aber dass Fischer, die früher geangelt haben, in einer Gegend, wo sie die Kunst mit grösstem Nutzen weiter treiben könnten, davon abgekommen seien, und ihre Nachkommen sich von uns neu belehren lassen müssen, das glaube wer kann. Im Guarani und Tupi heisst
besonders an dem eingestülpten Hinterteil platzt die Rinde gern und lässt Wasser ein- treten. Dank ihrer grossen Gewandtheit als Piloten schiessen die Bakaïrí ohne Gefahr auch durch den Schwall der Katarakte; doch wären die Strudel mit stärkerem Gefälle flussabwärts im Gebiet der Yuruna durch die niedrigen und gebrechlichen Rinden- kanus nicht zu überwinden — ein beachtenswertes Hindernis für die Verschiebung unserer Stämme nach Norden. Vielleicht nicht weniger schlimm wäre der Wellen- schlag auf dem breitern Strom, den jeder heftige Wind bringt. Dagegen bieten die Rindenkanus den gewaltigen Vorteil, dass sie in kürzester Frist herzustellen sind. Deshalb begnügte man sich sogar bei der Fazenda S. Manoel mit einem von den Bakaïrí gelieferten Kanu, das nur einen Tag Arbeit kostete. Sie sind leicht aus dem Wald an das Ufer zu tragen; Bastringe schützen die Schultern.
Gefischt wird während der Fahrt soviel als nur möglich, desgleichen ge- gessen. Rauchen und Singen unterwegs ist unbekannt.
Fischereigerät. Das Schiessen der Fische mit Pfeil und Bogen liefert eine der Zahl nach nur geringe Beute. Ich habe berichtet über die Zäune oder Stakets, mit denen der Fluss bei dem zweiten Bakaïrídorf gesperrt war, über die »Chiqueiras«, das Sperrwerk mit Zweigen, das Bachmündungen oder Lagunenarme abschloss, über die Steinkreise, die nahe bei den Stromschnellen im flachen Fluss- bett oft in grosser Zahl gelegt waren, und wo die Fische durch eine schmale Oeffnung oben eintraten und flussabwärts gescheucht, beim gegenüberliegenden Ausgang in Netzen abgefangen wurden, sowie endlich über das Fischen der Bakaïrí in der seichten Kamplagune mit Fangkörben. Gern fischt man zwischen den Steinen, in dunkeln Nächten bei Fackellicht. Von einer Vergiftung der Fische haben wir Nichts gesehen.
Dass die Angel sämtlichen Stämmen so verschiedenen Ursprungs unbekannt war, Stämmen, die so eifrige Fischer waren, ist eine Thatsache von hohem Wert. Sie spricht beredt für die mehrfach aufgestellte Behauptung, dass die Angel im Norden und Süden des Amazonas überhaupt erst durch die Europäer eingeführt worden ist. Ist dies nicht der Fall, bleibt nur der Ausweg, dass unsere Stämme sich von ihren Ursitzen entfernt haben, ehe die Angel dort bekannt war. Denn wer, wie ich, gesehen hat, mit welchem Interesse die Eingeborenen unsere Angeln kennen lernten, der wird, wenn irgendwo, hier über das Ansinnen lächeln, dass die degenerierten Indianer eine ihnen früher — als sie noch dem Ausgangspunkt der Karaiben oder der Nu-Aruak oder der Tupí oder der Gēs näher waren — wohlbekannte Erfindung vergessen hätten. Es lässt sich begreifen, dass Indianer unter friedlichen Verhältnissen keine Keulen mehr machen, es liesse sich ver- stehen, dass der eine oder andere unserer Stämme vom Amazonas hereingewandert wäre und das Holzkanu aufgegeben habe, weil er am Oberlauf mit den mühelos zu machenden Rindenkanus vortrefflich auskam, aber dass Fischer, die früher geangelt haben, in einer Gegend, wo sie die Kunst mit grösstem Nutzen weiter treiben könnten, davon abgekommen seien, und ihre Nachkommen sich von uns neu belehren lassen müssen, das glaube wer kann. Im Guaraní und Tupí heisst
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[235/0279]
besonders an dem eingestülpten Hinterteil platzt die Rinde gern und lässt Wasser ein-
treten. Dank ihrer grossen Gewandtheit als Piloten schiessen die Bakaïrí ohne Gefahr
auch durch den Schwall der Katarakte; doch wären die Strudel mit stärkerem Gefälle
flussabwärts im Gebiet der Yuruna durch die niedrigen und gebrechlichen Rinden-
kanus nicht zu überwinden — ein beachtenswertes Hindernis für die Verschiebung
unserer Stämme nach Norden. Vielleicht nicht weniger schlimm wäre der Wellen-
schlag auf dem breitern Strom, den jeder heftige Wind bringt. Dagegen bieten
die Rindenkanus den gewaltigen Vorteil, dass sie in kürzester Frist herzustellen
sind. Deshalb begnügte man sich sogar bei der Fazenda S. Manoel mit einem
von den Bakaïrí gelieferten Kanu, das nur einen Tag Arbeit kostete. Sie sind
leicht aus dem Wald an das Ufer zu tragen; Bastringe schützen die Schultern.
Gefischt wird während der Fahrt soviel als nur möglich, desgleichen ge-
gessen. Rauchen und Singen unterwegs ist unbekannt.
Fischereigerät. Das Schiessen der Fische mit Pfeil und Bogen liefert eine
der Zahl nach nur geringe Beute. Ich habe berichtet über die Zäune oder
Stakets, mit denen der Fluss bei dem zweiten Bakaïrídorf gesperrt war, über die
»Chiqueiras«, das Sperrwerk mit Zweigen, das Bachmündungen oder Lagunenarme
abschloss, über die Steinkreise, die nahe bei den Stromschnellen im flachen Fluss-
bett oft in grosser Zahl gelegt waren, und wo die Fische durch eine schmale
Oeffnung oben eintraten und flussabwärts gescheucht, beim gegenüberliegenden
Ausgang in Netzen abgefangen wurden, sowie endlich über das Fischen der
Bakaïrí in der seichten Kamplagune mit Fangkörben. Gern fischt man zwischen
den Steinen, in dunkeln Nächten bei Fackellicht. Von einer Vergiftung der
Fische haben wir Nichts gesehen.
Dass die Angel sämtlichen Stämmen so verschiedenen Ursprungs unbekannt
war, Stämmen, die so eifrige Fischer waren, ist eine Thatsache von hohem Wert.
Sie spricht beredt für die mehrfach aufgestellte Behauptung, dass die Angel im
Norden und Süden des Amazonas überhaupt erst durch die Europäer eingeführt
worden ist. Ist dies nicht der Fall, bleibt nur der Ausweg, dass unsere Stämme
sich von ihren Ursitzen entfernt haben, ehe die Angel dort bekannt war. Denn
wer, wie ich, gesehen hat, mit welchem Interesse die Eingeborenen unsere Angeln
kennen lernten, der wird, wenn irgendwo, hier über das Ansinnen lächeln, dass
die degenerierten Indianer eine ihnen früher — als sie noch dem Ausgangspunkt
der Karaiben oder der Nu-Aruak oder der Tupí oder der Gēs näher waren —
wohlbekannte Erfindung vergessen hätten. Es lässt sich begreifen, dass Indianer
unter friedlichen Verhältnissen keine Keulen mehr machen, es liesse sich ver-
stehen, dass der eine oder andere unserer Stämme vom Amazonas hereingewandert
wäre und das Holzkanu aufgegeben habe, weil er am Oberlauf mit den mühelos
zu machenden Rindenkanus vortrefflich auskam, aber dass Fischer, die früher
geangelt haben, in einer Gegend, wo sie die Kunst mit grösstem Nutzen weiter
treiben könnten, davon abgekommen seien, und ihre Nachkommen sich von uns
neu belehren lassen müssen, das glaube wer kann. Im Guaraní und Tupí heisst
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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 235. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/279>, abgerufen am 22.11.2024.
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