Zeit der Uebertragung lebendigen Feuers, sei es um der Wärme oder der Jagd- zwecke oder des Bratens willen, gegeben hat, so muss es auch eine Bereitung von Zunder und Glimmstoff aus verschiedenem Material gegeben haben und kann darunter das allezeit auch während des Regens verfügbare und vom Arbeiten her notwendig gut bekannte Holzmehl nicht gefehlt haben.
Wer sind alsdann die grossen Genies der Urzeit gewesen, die die willkür- liche Erzeugung des Feuers "erfunden" haben? Irgend ein paar arme Teufel im nassen Walde sind es gewesen, denen der mitgenommene glimmende Zunder zu verlöschen drohte und denen Muschel, Zahn oder Steinsplitter im Augenblick un- erreichbar war. Sie suchten sich einen Stock oder zerbrachen einen Rohrschaft; je dürrer das Holz war, desto leichter liess es sich abbrechen und desto leichter würde es brennen. Eifrig bohrten sie Holz in Holz, um ein reichliches Quantum Mehl zu erzielen, oder, wenn es sich um Vorfahren der Polynesier handeln soll, rieben sie Holz an Holz -- ob sie das Eine oder das Andere thaten, wird nur von ihren gewohnten Arbeitsmethoden abgehangen haben; sie wurden durch die Entdeckung erfreut, dass ihr mit dem Holzstock mühsamer, aber auch feiner los- geriebenes Pulver von selber glimmte und rauchte. Es ist richtig, wie Im Thurn von den Warrau sagt, "das Holz liefert in sich selbst den Zunder", aber der Zunder lieferte auch in sich selbst die Flamme. Eine Entdeckung, die jeder prähistorische Vagabund zu machen im Stande war, der nichts besass als vom letzten Lagerfeuer her einen Rest Glimmstoff.
"Würde sich etwa ein gewaltiger Denker der Vorzeit von der Vermutung haben leiten lassen: durch Reibung werde Wärme erzeugt, sollte nicht auch das Feuer durch die höchste Steigerung der Reibungswärme gewonnen werden können? -- so hätte in ihm die Wahrheit gedämmert, dass die leuchtende Wärme sich durch nichts als ihre Quantität und ihre Wirkung auf die Sehnerven von der dunklen Wärme unterscheide, und sein darauf begründeter Entzündungsversuch durch Reibung wäre ein Ja in der Natur auf eine richtig gestellte Frage gewesen. An Schärfe des Verstandes wäre ein solcher Prometheus der Eiszeit nicht hinter den scharfsinnigsten Denkern der geschichtlichen Zeit zurückgeblieben . . . ."
Oh, Ihr unsterblichen Götter!
Der kühn entwendende Titane barg das Feuer in einem hohlen Stab, das wäre in einen Moment zusammengedrängt in der That die Geschichte des Stadiums der Unterhaltung des natürlichen Feuers. Am interessantesten scheint mir eben jener Stab selbst, ein Stengel der Ferulastaude, dessen Mark leicht Feuer fängt und der als Büchse gebraucht wird. Nach Plinius haben sich die Egypter dieses Zunders bedient. Prometheus stand noch auf der Stufe vor Er- findung der Reibhölzer, er trug den glimmenden Stoff von Ort zu Ort. Auch die Murray-Australier wissen zu erzählen, dass ihnen das Feuer in einem Rohr, einem Grasstengel, gebracht worden sei.
Mit dem technischen Fortschritt der willkürlichen Erzeugung wurde das Holzmehl überflüssig. Man bedurfte jetzt nur des leichten, losen Zunders zur
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Zeit der Uebertragung lebendigen Feuers, sei es um der Wärme oder der Jagd- zwecke oder des Bratens willen, gegeben hat, so muss es auch eine Bereitung von Zunder und Glimmstoff aus verschiedenem Material gegeben haben und kann darunter das allezeit auch während des Regens verfügbare und vom Arbeiten her notwendig gut bekannte Holzmehl nicht gefehlt haben.
Wer sind alsdann die grossen Genies der Urzeit gewesen, die die willkür- liche Erzeugung des Feuers »erfunden« haben? Irgend ein paar arme Teufel im nassen Walde sind es gewesen, denen der mitgenommene glimmende Zunder zu verlöschen drohte und denen Muschel, Zahn oder Steinsplitter im Augenblick un- erreichbar war. Sie suchten sich einen Stock oder zerbrachen einen Rohrschaft; je dürrer das Holz war, desto leichter liess es sich abbrechen und desto leichter würde es brennen. Eifrig bohrten sie Holz in Holz, um ein reichliches Quantum Mehl zu erzielen, oder, wenn es sich um Vorfahren der Polynesier handeln soll, rieben sie Holz an Holz — ob sie das Eine oder das Andere thaten, wird nur von ihren gewohnten Arbeitsmethoden abgehangen haben; sie wurden durch die Entdeckung erfreut, dass ihr mit dem Holzstock mühsamer, aber auch feiner los- geriebenes Pulver von selber glimmte und rauchte. Es ist richtig, wie Im Thurn von den Warrau sagt, »das Holz liefert in sich selbst den Zunder«, aber der Zunder lieferte auch in sich selbst die Flamme. Eine Entdeckung, die jeder prähistorische Vagabund zu machen im Stande war, der nichts besass als vom letzten Lagerfeuer her einen Rest Glimmstoff.
»Würde sich etwa ein gewaltiger Denker der Vorzeit von der Vermutung haben leiten lassen: durch Reibung werde Wärme erzeugt, sollte nicht auch das Feuer durch die höchste Steigerung der Reibungswärme gewonnen werden können? — so hätte in ihm die Wahrheit gedämmert, dass die leuchtende Wärme sich durch nichts als ihre Quantität und ihre Wirkung auf die Sehnerven von der dunklen Wärme unterscheide, und sein darauf begründeter Entzündungsversuch durch Reibung wäre ein Ja in der Natur auf eine richtig gestellte Frage gewesen. An Schärfe des Verstandes wäre ein solcher Prometheus der Eiszeit nicht hinter den scharfsinnigsten Denkern der geschichtlichen Zeit zurückgeblieben . . . .«
Oh, Ihr unsterblichen Götter!
Der kühn entwendende Titane barg das Feuer in einem hohlen Stab, das wäre in einen Moment zusammengedrängt in der That die Geschichte des Stadiums der Unterhaltung des natürlichen Feuers. Am interessantesten scheint mir eben jener Stab selbst, ein Stengel der Ferulastaude, dessen Mark leicht Feuer fängt und der als Büchse gebraucht wird. Nach Plinius haben sich die Egypter dieses Zunders bedient. Prometheus stand noch auf der Stufe vor Er- findung der Reibhölzer, er trug den glimmenden Stoff von Ort zu Ort. Auch die Murray-Australier wissen zu erzählen, dass ihnen das Feuer in einem Rohr, einem Grasstengel, gebracht worden sei.
Mit dem technischen Fortschritt der willkürlichen Erzeugung wurde das Holzmehl überflüssig. Man bedurfte jetzt nur des leichten, losen Zunders zur
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zwecke oder des Bratens willen, gegeben hat, so muss es auch eine Bereitung
von Zunder und Glimmstoff aus verschiedenem Material gegeben haben und kann
darunter das allezeit auch während des Regens verfügbare und vom Arbeiten her
notwendig gut bekannte Holzmehl nicht gefehlt haben.
Wer sind alsdann die grossen Genies der Urzeit gewesen, die die willkür-
liche Erzeugung des Feuers »erfunden« haben? Irgend ein paar arme Teufel im
nassen Walde sind es gewesen, denen der mitgenommene glimmende Zunder zu
verlöschen drohte und denen Muschel, Zahn oder Steinsplitter im Augenblick un-
erreichbar war. Sie suchten sich einen Stock oder zerbrachen einen Rohrschaft; je
dürrer das Holz war, desto leichter liess es sich abbrechen und desto leichter
würde es brennen. Eifrig bohrten sie Holz in Holz, um ein reichliches Quantum
Mehl zu erzielen, oder, wenn es sich um Vorfahren der Polynesier handeln soll,
rieben sie Holz an Holz — ob sie das Eine oder das Andere thaten, wird nur
von ihren gewohnten Arbeitsmethoden abgehangen haben; sie wurden durch die
Entdeckung erfreut, dass ihr mit dem Holzstock mühsamer, aber auch feiner los-
geriebenes Pulver von selber glimmte und rauchte. Es ist richtig, wie Im Thurn
von den Warrau sagt, »das Holz liefert in sich selbst den Zunder«, aber der
Zunder lieferte auch in sich selbst die Flamme. Eine Entdeckung, die
jeder prähistorische Vagabund zu machen im Stande war, der nichts besass als
vom letzten Lagerfeuer her einen Rest Glimmstoff.
»Würde sich etwa ein gewaltiger Denker der Vorzeit von der Vermutung
haben leiten lassen: durch Reibung werde Wärme erzeugt, sollte nicht auch das
Feuer durch die höchste Steigerung der Reibungswärme gewonnen werden können?
— so hätte in ihm die Wahrheit gedämmert, dass die leuchtende Wärme sich
durch nichts als ihre Quantität und ihre Wirkung auf die Sehnerven von der
dunklen Wärme unterscheide, und sein darauf begründeter Entzündungsversuch
durch Reibung wäre ein Ja in der Natur auf eine richtig gestellte Frage gewesen.
An Schärfe des Verstandes wäre ein solcher Prometheus der Eiszeit nicht hinter
den scharfsinnigsten Denkern der geschichtlichen Zeit zurückgeblieben . . . .«
Oh, Ihr unsterblichen Götter!
Der kühn entwendende Titane barg das Feuer in einem hohlen Stab, das
wäre in einen Moment zusammengedrängt in der That die Geschichte des
Stadiums der Unterhaltung des natürlichen Feuers. Am interessantesten
scheint mir eben jener Stab selbst, ein Stengel der Ferulastaude, dessen Mark leicht
Feuer fängt und der als Büchse gebraucht wird. Nach Plinius haben sich die
Egypter dieses Zunders bedient. Prometheus stand noch auf der Stufe vor Er-
findung der Reibhölzer, er trug den glimmenden Stoff von Ort zu Ort. Auch
die Murray-Australier wissen zu erzählen, dass ihnen das Feuer in einem Rohr,
einem Grasstengel, gebracht worden sei.
Mit dem technischen Fortschritt der willkürlichen Erzeugung wurde das
Holzmehl überflüssig. Man bedurfte jetzt nur des leichten, losen Zunders zur
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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 227. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/271>, abgerufen am 24.11.2024.
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