leichter "unter den Linden" als in seinem heimatlichen Dickicht unheimlich zu Mute würde. Der Eingeborene fürchtet das Gewitter und wird von dem ein- schlagenden Blitz gewiss ebenso entsetzt sein wie irgend eine Kreatur, allein den fortschreitenden Brand fürchtet er ebensowenig wie viele Tiere, sofern er oder sie nicht gerade von der Woge erfasst werden. Wird er im Kamp vom Feuer überrascht, so steckt er schleunigst seine eigene Nachbarschaft in Brand und holt sich dazu, wenn er kein Lagerfeuer hat, getrost einen brennenden Zweig. Der- selbe Wind, der das Feuer jagt, schafft auch seinem Gegenfeuer rasche Bahn; auf der planmässig leergebrannten Stätte sieht der Jäger gemütlich zu, wie die Glut ringsum lodernd weiterwandert, und sucht dann eiligst zu erwischen, was von Gebratenem und Getödtetem zurückgeblieben ist, ehe die Raubvögel ihm zuvorkommen. Es ist entschieden mehr wahrscheinlich, dass das klügste, listigste Geschöpf zu jeder Zeit, wo es überhaupt schon die den Menschen auszeichnende Initiative besass, veranlasst worden ist, für die Unterhaltung des Brandes zu sorgen als ihn zu fliehen und zu bestaunen. Die Bestie Feuer ist überall als Haustier gefunden worden und das allein beweist, dass man die Berührung mit seiner wilden Natur stets gesucht und nicht gemieden hat. Die späteren Kultur- gefühle sind leicht zu erklären und zu ihrer Zeit und auf ihrer Stufe wohl be- rechtigt, aber immer geht das Notwendige und Nützliche dem Heiligen voraus.
Man hat Kulturgefühle an den Anfang der Entwicklung gesetzt, man hat mit demselben Fehler Kulturgedanken dorthin verlegt. Den unbekannten Wohl- thäter der Menschheit, der zuerst das Mittel ersann, durch Reibung zweier Holz- stücke Feuer zu erzeugen, hat man in schwungvollen Worten gepriesen. Ein vielzitierter Ausspruch deutet uns den Weg der glücklichen Erfindung durch die heutzutage wohl recht selten gewordene Möglichkeit an, dass er einige vom Sturm gepeitschte Zweige, die sich aneinander rieben und in Flammen gerieten, oder auch einen Zweig beobachtet habe, der vom Sturm in einem Astloch umher- gewirbelt wurde und plötzlich aufloderte.
Gewiss ist die Natur die grosse Lehrmeisterin in vielen Dingen gewesen. Allein sie demonstrierte dann nicht wie der Professor im Experimentalkolleg hinter dem Pult, sondern stiess die schwerfälligen Schüler ein wenig mit der Nase auf das, was sich Lehrreiches abspielte. Wollte man von der Psychologie der Naturvölker ausgehen, so würde man einem unthätig zuschauenden Ein- geborenen kaum zutrauen, einen ganzen Komplex von Erscheinungen, wie Blasen, Peitschen, Reiben, Brennen nach Ursachen und Wirkungen so aufzulösen und in Gedanken wieder so zu verknüpfen, dass er nun eine "Methode" hätte, um einen jenen Wirkungen entsprechenden Zweck zu erreichen. Wo Vorbilder der Natur den Weg gezeigt haben, da sind es alltäglich wiederkehrende gewesen und da hat der Mensch nicht analysierend nachgeahmt, sondern er hat mit- geahmt, wenn der Ausdruck erlaubt ist, und nur durch ein von irgend einem Interesse angeregtes Mitthun kam er dazu, etwaige ihm nützliche Wirkungen aufzufassen und festzuhalten; so hatte er alsdann mit seiner aktiven Beteili-
leichter »unter den Linden« als in seinem heimatlichen Dickicht unheimlich zu Mute würde. Der Eingeborene fürchtet das Gewitter und wird von dem ein- schlagenden Blitz gewiss ebenso entsetzt sein wie irgend eine Kreatur, allein den fortschreitenden Brand fürchtet er ebensowenig wie viele Tiere, sofern er oder sie nicht gerade von der Woge erfasst werden. Wird er im Kamp vom Feuer überrascht, so steckt er schleunigst seine eigene Nachbarschaft in Brand und holt sich dazu, wenn er kein Lagerfeuer hat, getrost einen brennenden Zweig. Der- selbe Wind, der das Feuer jagt, schafft auch seinem Gegenfeuer rasche Bahn; auf der planmässig leergebrannten Stätte sieht der Jäger gemütlich zu, wie die Glut ringsum lodernd weiterwandert, und sucht dann eiligst zu erwischen, was von Gebratenem und Getödtetem zurückgeblieben ist, ehe die Raubvögel ihm zuvorkommen. Es ist entschieden mehr wahrscheinlich, dass das klügste, listigste Geschöpf zu jeder Zeit, wo es überhaupt schon die den Menschen auszeichnende Initiative besass, veranlasst worden ist, für die Unterhaltung des Brandes zu sorgen als ihn zu fliehen und zu bestaunen. Die Bestie Feuer ist überall als Haustier gefunden worden und das allein beweist, dass man die Berührung mit seiner wilden Natur stets gesucht und nicht gemieden hat. Die späteren Kultur- gefühle sind leicht zu erklären und zu ihrer Zeit und auf ihrer Stufe wohl be- rechtigt, aber immer geht das Notwendige und Nützliche dem Heiligen voraus.
Man hat Kulturgefühle an den Anfang der Entwicklung gesetzt, man hat mit demselben Fehler Kulturgedanken dorthin verlegt. Den unbekannten Wohl- thäter der Menschheit, der zuerst das Mittel ersann, durch Reibung zweier Holz- stücke Feuer zu erzeugen, hat man in schwungvollen Worten gepriesen. Ein vielzitierter Ausspruch deutet uns den Weg der glücklichen Erfindung durch die heutzutage wohl recht selten gewordene Möglichkeit an, dass er einige vom Sturm gepeitschte Zweige, die sich aneinander rieben und in Flammen gerieten, oder auch einen Zweig beobachtet habe, der vom Sturm in einem Astloch umher- gewirbelt wurde und plötzlich aufloderte.
Gewiss ist die Natur die grosse Lehrmeisterin in vielen Dingen gewesen. Allein sie demonstrierte dann nicht wie der Professor im Experimentalkolleg hinter dem Pult, sondern stiess die schwerfälligen Schüler ein wenig mit der Nase auf das, was sich Lehrreiches abspielte. Wollte man von der Psychologie der Naturvölker ausgehen, so würde man einem unthätig zuschauenden Ein- geborenen kaum zutrauen, einen ganzen Komplex von Erscheinungen, wie Blasen, Peitschen, Reiben, Brennen nach Ursachen und Wirkungen so aufzulösen und in Gedanken wieder so zu verknüpfen, dass er nun eine »Methode« hätte, um einen jenen Wirkungen entsprechenden Zweck zu erreichen. Wo Vorbilder der Natur den Weg gezeigt haben, da sind es alltäglich wiederkehrende gewesen und da hat der Mensch nicht analysierend nachgeahmt, sondern er hat mit- geahmt, wenn der Ausdruck erlaubt ist, und nur durch ein von irgend einem Interesse angeregtes Mitthun kam er dazu, etwaige ihm nützliche Wirkungen aufzufassen und festzuhalten; so hatte er alsdann mit seiner aktiven Beteili-
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leichter »unter den Linden« als in seinem heimatlichen Dickicht unheimlich zu
Mute würde. Der Eingeborene fürchtet das Gewitter und wird von dem ein-
schlagenden Blitz gewiss ebenso entsetzt sein wie irgend eine Kreatur, allein den
fortschreitenden Brand fürchtet er ebensowenig wie viele Tiere, sofern er oder
sie nicht gerade von der Woge erfasst werden. Wird er im Kamp vom Feuer
überrascht, so steckt er schleunigst seine eigene Nachbarschaft in Brand und holt
sich dazu, wenn er kein Lagerfeuer hat, getrost einen brennenden Zweig. Der-
selbe Wind, der das Feuer jagt, schafft auch seinem Gegenfeuer rasche Bahn;
auf der planmässig leergebrannten Stätte sieht der Jäger gemütlich zu, wie die
Glut ringsum lodernd weiterwandert, und sucht dann eiligst zu erwischen, was
von Gebratenem und Getödtetem zurückgeblieben ist, ehe die Raubvögel ihm
zuvorkommen. Es ist entschieden mehr wahrscheinlich, dass das klügste, listigste
Geschöpf zu jeder Zeit, wo es überhaupt schon die den Menschen auszeichnende
Initiative besass, veranlasst worden ist, für die Unterhaltung des Brandes zu
sorgen als ihn zu fliehen und zu bestaunen. Die Bestie Feuer ist überall als
Haustier gefunden worden und das allein beweist, dass man die Berührung mit
seiner wilden Natur stets gesucht und nicht gemieden hat. Die späteren Kultur-
gefühle sind leicht zu erklären und zu ihrer Zeit und auf ihrer Stufe wohl be-
rechtigt, aber immer geht das Notwendige und Nützliche dem Heiligen voraus.
Man hat Kulturgefühle an den Anfang der Entwicklung gesetzt, man hat
mit demselben Fehler Kulturgedanken dorthin verlegt. Den unbekannten Wohl-
thäter der Menschheit, der zuerst das Mittel ersann, durch Reibung zweier Holz-
stücke Feuer zu erzeugen, hat man in schwungvollen Worten gepriesen. Ein
vielzitierter Ausspruch deutet uns den Weg der glücklichen Erfindung durch die
heutzutage wohl recht selten gewordene Möglichkeit an, dass er einige vom Sturm
gepeitschte Zweige, die sich aneinander rieben und in Flammen gerieten, oder
auch einen Zweig beobachtet habe, der vom Sturm in einem Astloch umher-
gewirbelt wurde und plötzlich aufloderte.
Gewiss ist die Natur die grosse Lehrmeisterin in vielen Dingen gewesen.
Allein sie demonstrierte dann nicht wie der Professor im Experimentalkolleg
hinter dem Pult, sondern stiess die schwerfälligen Schüler ein wenig mit der
Nase auf das, was sich Lehrreiches abspielte. Wollte man von der Psychologie
der Naturvölker ausgehen, so würde man einem unthätig zuschauenden Ein-
geborenen kaum zutrauen, einen ganzen Komplex von Erscheinungen, wie
Blasen, Peitschen, Reiben, Brennen nach Ursachen und Wirkungen so aufzulösen
und in Gedanken wieder so zu verknüpfen, dass er nun eine »Methode« hätte,
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aufzufassen und festzuhalten; so hatte er alsdann mit seiner aktiven Beteili-
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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/266>, abgerufen am 24.11.2024.
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