Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894.

Bild:
<< vorherige Seite

zu züchten. Ja, die Stellung, die der Indianer der Tierwelt gegenüber einnahm,
liess ihn ein lebhaftes Widerstreben empfinden, Tiere, die er aufzog, später zu
verspeisen; wie wir keine Hunde essen.

Die relative Sesshaftigkeit, die mit dem Fischerleben verbunden war, hatte
sich erst zur dauernden befestigen können, als die Frauen gelernt hatten zu
pflanzen, Töpfe zu machen und Mehl zu bereiten. Obwohl der Feldbau am
Schingu bereits zu achtungswerter Vervollkommnung gediehen war, liess sich
doch an kleinen Zügen erkennen, welchen Ursprung er wenigstens hier genommen
hatte. Man pflanzte die in der Nachbarschaft vorkommenden nützlichen Gewächse
an, jeder Stamm machte auf seinem Boden seine eigenen Erfahrungen, und durch
die Frauen, die im Frieden oder im Kriege zu andern Stämmen kamen, wurden
sie verbreitet. Dass die Bakairi-Karaiben auf diesem Wege einst durch Nu-Aruak-
weiber in ihrer Zivilisation gefördert worden sind, geht aus ihrer Stammeslegende,
wie ich schon hier anführen möchte, in kaum zu missdeutender Weise hervor.
Sie haben zwei Kulturheroen, die Zwillingsbrüder Keri und Kame, von denen
jener durch die Sage stark bevorzugt wird. Die beiden Namen sind die allge-
mein verbreiteten, stets zusammen erscheinenden Nu-Aruakwörter für Mond und
Sonne, sodass ein Einfluss von Nu-Aruakseite, mag man die "Personifikation"
erklären, wie man will, offen zu Tage liegt. Kame ist der Führer der Nu-Aruak
und anderer Stämme, Keri der Bakairi. Alles, was Keri und Kame zum Besten
des Stammes unternehmen, wird auf den Rat der Mutterstelle vertretenden Tante
Ewaki zurückgeführt; die Frau aber, die ihnen immer erst Mittel und Wege
weist, ist unmöglich als stupides Arbeitstier aufgefasst worden.



IV. Das Feuer und die Entdeckung des
Holzfeuerzeuge.

Einleitung. Kampbrände und Verhalten der Tierwelt. Uralte Jagd. Die "Queimada" eine Kultur-
stätte. Die Schauer des primitiven Menschen. Der Mythus von der Belehrung durch den Sturmwind.
Feuererzeugung und Arbeitsmethoden. Verfahren am Schingu. Ursprung des Holzreibens. Stadium
der Unterhaltung des Feuers und Zundertechnik. Praehistorische Vagabunden und Prometheus.
Bestätigung durch den Versuch.

Wenn ich schon in den vorigen Abschnitten genötigt war, die Beobachtungen
am Schingu in Hinsicht auf ihren allgemeinen kulturgeschichtlichen Wert zu er-
örtern, so kann ich dies noch weniger bei dem Thema vermeiden, das ich jetzt
in Angriff nehme. Es liegt mir recht fern zu denken, dass die Schingu-Indianer
die ersten gewesen seien, die durch Bohren oder Reiben von Holzstücken Feuer
erzeugt hätten, ich gebe mich keineswegs dem süssen Wahn hin, dass ich einen

zu züchten. Ja, die Stellung, die der Indianer der Tierwelt gegenüber einnahm,
liess ihn ein lebhaftes Widerstreben empfinden, Tiere, die er aufzog, später zu
verspeisen; wie wir keine Hunde essen.

Die relative Sesshaftigkeit, die mit dem Fischerleben verbunden war, hatte
sich erst zur dauernden befestigen können, als die Frauen gelernt hatten zu
pflanzen, Töpfe zu machen und Mehl zu bereiten. Obwohl der Feldbau am
Schingú bereits zu achtungswerter Vervollkommnung gediehen war, liess sich
doch an kleinen Zügen erkennen, welchen Ursprung er wenigstens hier genommen
hatte. Man pflanzte die in der Nachbarschaft vorkommenden nützlichen Gewächse
an, jeder Stamm machte auf seinem Boden seine eigenen Erfahrungen, und durch
die Frauen, die im Frieden oder im Kriege zu andern Stämmen kamen, wurden
sie verbreitet. Dass die Bakaïrí-Karaiben auf diesem Wege einst durch Nu-Aruak-
weiber in ihrer Zivilisation gefördert worden sind, geht aus ihrer Stammeslegende,
wie ich schon hier anführen möchte, in kaum zu missdeutender Weise hervor.
Sie haben zwei Kulturheroen, die Zwillingsbrüder Keri und Kame, von denen
jener durch die Sage stark bevorzugt wird. Die beiden Namen sind die allge-
mein verbreiteten, stets zusammen erscheinenden Nu-Aruakwörter für Mond und
Sonne, sodass ein Einfluss von Nu-Aruakseite, mag man die »Personifikation«
erklären, wie man will, offen zu Tage liegt. Kame ist der Führer der Nu-Aruak
und anderer Stämme, Keri der Bakaïrí. Alles, was Keri und Kame zum Besten
des Stammes unternehmen, wird auf den Rat der Mutterstelle vertretenden Tante
Ewaki zurückgeführt; die Frau aber, die ihnen immer erst Mittel und Wege
weist, ist unmöglich als stupides Arbeitstier aufgefasst worden.



IV. Das Feuer und die Entdeckung des
Holzfeuerzeuge.

Einleitung. Kampbrände und Verhalten der Tierwelt. Uralte Jagd. Die »Queimada« eine Kultur-
stätte. Die Schauer des primitiven Menschen. Der Mythus von der Belehrung durch den Sturmwind.
Feuererzeugung und Arbeitsmethoden. Verfahren am Schingú. Ursprung des Holzreibens. Stadium
der Unterhaltung des Feuers und Zundertechnik. Praehistorische Vagabunden und Prometheus.
Bestätigung durch den Versuch.

Wenn ich schon in den vorigen Abschnitten genötigt war, die Beobachtungen
am Schingú in Hinsicht auf ihren allgemeinen kulturgeschichtlichen Wert zu er-
örtern, so kann ich dies noch weniger bei dem Thema vermeiden, das ich jetzt
in Angriff nehme. Es liegt mir recht fern zu denken, dass die Schingú-Indianer
die ersten gewesen seien, die durch Bohren oder Reiben von Holzstücken Feuer
erzeugt hätten, ich gebe mich keineswegs dem süssen Wahn hin, dass ich einen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0263" n="219"/>
zu züchten. Ja, die Stellung, die der Indianer der Tierwelt gegenüber einnahm,<lb/>
liess ihn ein lebhaftes Widerstreben empfinden, Tiere, die er aufzog, später zu<lb/>
verspeisen; wie wir keine Hunde essen.</p><lb/>
          <p>Die relative Sesshaftigkeit, die mit dem Fischerleben verbunden war, hatte<lb/>
sich erst zur dauernden befestigen können, als die Frauen gelernt hatten zu<lb/>
pflanzen, Töpfe zu machen und Mehl zu bereiten. Obwohl der Feldbau am<lb/>
Schingú bereits zu achtungswerter Vervollkommnung gediehen war, liess sich<lb/>
doch an kleinen Zügen erkennen, welchen Ursprung er wenigstens hier genommen<lb/>
hatte. Man pflanzte die in der Nachbarschaft vorkommenden nützlichen Gewächse<lb/>
an, jeder Stamm machte auf seinem Boden seine eigenen Erfahrungen, und durch<lb/>
die Frauen, die im Frieden oder im Kriege zu andern Stämmen kamen, wurden<lb/>
sie verbreitet. Dass die Bakaïrí-Karaiben auf diesem Wege einst durch Nu-Aruak-<lb/>
weiber in ihrer Zivilisation gefördert worden sind, geht aus ihrer Stammeslegende,<lb/>
wie ich schon hier anführen möchte, in kaum zu missdeutender Weise hervor.<lb/>
Sie haben zwei Kulturheroen, die Zwillingsbrüder Keri und Kame, von denen<lb/>
jener durch die Sage stark bevorzugt wird. Die beiden Namen sind die allge-<lb/>
mein verbreiteten, stets zusammen erscheinenden Nu-Aruakwörter für Mond und<lb/>
Sonne, sodass ein Einfluss von Nu-Aruakseite, mag man die »Personifikation«<lb/>
erklären, wie man will, offen zu Tage liegt. Kame ist der Führer der Nu-Aruak<lb/>
und anderer Stämme, Keri der Bakaïrí. Alles, was Keri und Kame zum Besten<lb/>
des Stammes unternehmen, wird auf den Rat der Mutterstelle vertretenden Tante<lb/>
Ewaki zurückgeführt; die Frau aber, die ihnen immer erst Mittel und Wege<lb/>
weist, ist unmöglich als stupides Arbeitstier aufgefasst worden.</p>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#b">IV. Das Feuer und die Entdeckung des<lb/>
Holzfeuerzeuge.</hi> </head><lb/>
          <argument>
            <p> <hi rendition="#c">Einleitung. Kampbrände und Verhalten der Tierwelt. Uralte Jagd. Die »Queimada« eine Kultur-<lb/>
stätte. Die Schauer des primitiven Menschen. Der Mythus von der Belehrung durch den Sturmwind.<lb/>
Feuererzeugung und Arbeitsmethoden. Verfahren am Schingú. Ursprung des Holzreibens. Stadium<lb/>
der Unterhaltung des Feuers und Zundertechnik. Praehistorische Vagabunden und Prometheus.<lb/>
Bestätigung durch den Versuch.</hi> </p>
          </argument><lb/>
          <p>Wenn ich schon in den vorigen Abschnitten genötigt war, die Beobachtungen<lb/>
am Schingú in Hinsicht auf ihren allgemeinen kulturgeschichtlichen Wert zu er-<lb/>
örtern, so kann ich dies noch weniger bei dem Thema vermeiden, das ich jetzt<lb/>
in Angriff nehme. Es liegt mir recht fern zu denken, dass die Schingú-Indianer<lb/>
die ersten gewesen seien, die durch Bohren oder Reiben von Holzstücken Feuer<lb/>
erzeugt hätten, ich gebe mich keineswegs dem süssen Wahn hin, dass ich einen<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[219/0263] zu züchten. Ja, die Stellung, die der Indianer der Tierwelt gegenüber einnahm, liess ihn ein lebhaftes Widerstreben empfinden, Tiere, die er aufzog, später zu verspeisen; wie wir keine Hunde essen. Die relative Sesshaftigkeit, die mit dem Fischerleben verbunden war, hatte sich erst zur dauernden befestigen können, als die Frauen gelernt hatten zu pflanzen, Töpfe zu machen und Mehl zu bereiten. Obwohl der Feldbau am Schingú bereits zu achtungswerter Vervollkommnung gediehen war, liess sich doch an kleinen Zügen erkennen, welchen Ursprung er wenigstens hier genommen hatte. Man pflanzte die in der Nachbarschaft vorkommenden nützlichen Gewächse an, jeder Stamm machte auf seinem Boden seine eigenen Erfahrungen, und durch die Frauen, die im Frieden oder im Kriege zu andern Stämmen kamen, wurden sie verbreitet. Dass die Bakaïrí-Karaiben auf diesem Wege einst durch Nu-Aruak- weiber in ihrer Zivilisation gefördert worden sind, geht aus ihrer Stammeslegende, wie ich schon hier anführen möchte, in kaum zu missdeutender Weise hervor. Sie haben zwei Kulturheroen, die Zwillingsbrüder Keri und Kame, von denen jener durch die Sage stark bevorzugt wird. Die beiden Namen sind die allge- mein verbreiteten, stets zusammen erscheinenden Nu-Aruakwörter für Mond und Sonne, sodass ein Einfluss von Nu-Aruakseite, mag man die »Personifikation« erklären, wie man will, offen zu Tage liegt. Kame ist der Führer der Nu-Aruak und anderer Stämme, Keri der Bakaïrí. Alles, was Keri und Kame zum Besten des Stammes unternehmen, wird auf den Rat der Mutterstelle vertretenden Tante Ewaki zurückgeführt; die Frau aber, die ihnen immer erst Mittel und Wege weist, ist unmöglich als stupides Arbeitstier aufgefasst worden. IV. Das Feuer und die Entdeckung des Holzfeuerzeuge. Einleitung. Kampbrände und Verhalten der Tierwelt. Uralte Jagd. Die »Queimada« eine Kultur- stätte. Die Schauer des primitiven Menschen. Der Mythus von der Belehrung durch den Sturmwind. Feuererzeugung und Arbeitsmethoden. Verfahren am Schingú. Ursprung des Holzreibens. Stadium der Unterhaltung des Feuers und Zundertechnik. Praehistorische Vagabunden und Prometheus. Bestätigung durch den Versuch. Wenn ich schon in den vorigen Abschnitten genötigt war, die Beobachtungen am Schingú in Hinsicht auf ihren allgemeinen kulturgeschichtlichen Wert zu er- örtern, so kann ich dies noch weniger bei dem Thema vermeiden, das ich jetzt in Angriff nehme. Es liegt mir recht fern zu denken, dass die Schingú-Indianer die ersten gewesen seien, die durch Bohren oder Reiben von Holzstücken Feuer erzeugt hätten, ich gebe mich keineswegs dem süssen Wahn hin, dass ich einen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/263
Zitationshilfe: Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 219. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/263>, abgerufen am 25.11.2024.