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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894.

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mit Isolierung, Ausräucherung, Diät, Inzisionen und den übrigen Hilfsmitteln wider
die unbekannten Feinde. Man entfernte säuberlich das Schamhaar und legte
einen Verband an, die Bastschlinge, oder eine Pelotte: das Uluri
.
Die Bastschlinge ist bei den Trumaifrauen -- eine Kombination von Verband
und Pelotte -- strickartig gedreht, bei den Uluriträgerinnen bewirkt der schmale
Rindenstreifen die Anspannung über den Damm; in beiden Fällen wird ein gegen
die Schambeinfuge hin andrückendes Widerlager geschaffen, bei jenen durch das
Röllchen, bei diesen durch das federnde Dreieck. Man sieht, es war nicht die
Reinlichkeit, die das Verfahren eingab, sondern das ärztliche Bemühen, dem Blut-
verlust entgegenzuarbeiten. Das sind aber wahrlich keine Erfindungen der Scham-
haftigkeit, wie Schürzen oder dergleichen loser Umhang.

Für die Männer liegt die Erklärung nicht ganz so nahe. Auch hier hat
man den Versuch gemacht, die Beziehung zu einem ursächlich wirkenden, primären
Schamgefühl zu retten. Die Ansicht ist ausgesprochen worden, dass man sich
nur ganz ausschliesslich geschämt habe, die Glans des Penis den Blicken zu
zeigen, und deshalb auch nur sie verhüllt habe. Leider habe ich Nichts be-
obachtet, was die Frage unmittelbar entscheiden könnte. Ich habe gesehen, dass
die Leute sich nicht schämten, wenn sie ihre Vorrichtungen uns gaben oder auch
gelegentlich ablegten, wie denn eine Anzahl Trumai den Faden nicht einmal trugen,
allein der Penis war immer bereits so stark zurückgedrängt und die Haut so faltig,
dass von der Glans nichts sichtbar wurde. Ich glaube sogar, vielleicht, weil ich
ohne gegebenes Material selbst durch die Kulturbrille schaue, dass sie sich schämen
würden, die Glans dem Auge eines Andern, zumal des Fremden, auszusetzen.
Nur würde ich dieses Schamgefühl als Folge des eingewurzelten Gebrauchs be-
trachten und nicht als seine Ursache. Dass sich aber ein in der Naturanlage
gegebenes Gefühl nur für einen kleinen anatomischen Teil eines in seiner Funktion
auch die andern Teile beanspruchenden Organs regen solle, finde ich recht selt-
sam, und gern würde ich von einem etwa derart beobachteten Fall hören, dass
ein im Zustand der Nacktheit überraschter Mensch sich nicht mit der Hand,
sondern nur mit zwei Fingern bedeckt habe. Es ist nicht zu vergessen, dass
Erektionen durch die Abschnürung weder verhindert noch verborgen werden.
Dann giebt es ja auch beschnittene Menschen, die nackt gehen oder gingen*).

Und hier sind wir bei dem Punkt angelangt, der vor Allem erwogen werden
muss. Wir müssen die entgegengesetzte Behandlung der Glans in Betracht
ziehen, die das Praeputium verkürzt oder spaltet. Der grössere Teil der Mensch-
heit hat der Zirkumzision den Vorzug gegeben. Mit Ploss und Andree**)
bin ich der Meinung, dass der ursprüngliche Sinn der Beschneidung der eines
"operativen Vorbereitungsaktes auf die Sexualfunktion des Mannes" gewesen sei;
"man will den Jüngling mit einem Male reif und normal in sexueller Hinsicht

*) Vgl. das Beispiel des Kaziken von Gotera, R. Andree, Ethnographische Parallelen und
Vergleiche. Neue Folge, Leipzig 1889, p. 202.
**) a. a. O. p. 212.

mit Isolierung, Ausräucherung, Diät, Inzisionen und den übrigen Hilfsmitteln wider
die unbekannten Feinde. Man entfernte säuberlich das Schamhaar und legte
einen Verband an, die Bastschlinge, oder eine Pelotte: das Uluri
.
Die Bastschlinge ist bei den Trumaífrauen — eine Kombination von Verband
und Pelotte — strickartig gedreht, bei den Uluriträgerinnen bewirkt der schmale
Rindenstreifen die Anspannung über den Damm; in beiden Fällen wird ein gegen
die Schambeinfuge hin andrückendes Widerlager geschaffen, bei jenen durch das
Röllchen, bei diesen durch das federnde Dreieck. Man sieht, es war nicht die
Reinlichkeit, die das Verfahren eingab, sondern das ärztliche Bemühen, dem Blut-
verlust entgegenzuarbeiten. Das sind aber wahrlich keine Erfindungen der Scham-
haftigkeit, wie Schürzen oder dergleichen loser Umhang.

Für die Männer liegt die Erklärung nicht ganz so nahe. Auch hier hat
man den Versuch gemacht, die Beziehung zu einem ursächlich wirkenden, primären
Schamgefühl zu retten. Die Ansicht ist ausgesprochen worden, dass man sich
nur ganz ausschliesslich geschämt habe, die Glans des Penis den Blicken zu
zeigen, und deshalb auch nur sie verhüllt habe. Leider habe ich Nichts be-
obachtet, was die Frage unmittelbar entscheiden könnte. Ich habe gesehen, dass
die Leute sich nicht schämten, wenn sie ihre Vorrichtungen uns gaben oder auch
gelegentlich ablegten, wie denn eine Anzahl Trumaí den Faden nicht einmal trugen,
allein der Penis war immer bereits so stark zurückgedrängt und die Haut so faltig,
dass von der Glans nichts sichtbar wurde. Ich glaube sogar, vielleicht, weil ich
ohne gegebenes Material selbst durch die Kulturbrille schaue, dass sie sich schämen
würden, die Glans dem Auge eines Andern, zumal des Fremden, auszusetzen.
Nur würde ich dieses Schamgefühl als Folge des eingewurzelten Gebrauchs be-
trachten und nicht als seine Ursache. Dass sich aber ein in der Naturanlage
gegebenes Gefühl nur für einen kleinen anatomischen Teil eines in seiner Funktion
auch die andern Teile beanspruchenden Organs regen solle, finde ich recht selt-
sam, und gern würde ich von einem etwa derart beobachteten Fall hören, dass
ein im Zustand der Nacktheit überraschter Mensch sich nicht mit der Hand,
sondern nur mit zwei Fingern bedeckt habe. Es ist nicht zu vergessen, dass
Erektionen durch die Abschnürung weder verhindert noch verborgen werden.
Dann giebt es ja auch beschnittene Menschen, die nackt gehen oder gingen*).

Und hier sind wir bei dem Punkt angelangt, der vor Allem erwogen werden
muss. Wir müssen die entgegengesetzte Behandlung der Glans in Betracht
ziehen, die das Praeputium verkürzt oder spaltet. Der grössere Teil der Mensch-
heit hat der Zirkumzision den Vorzug gegeben. Mit Ploss und Andree**)
bin ich der Meinung, dass der ursprüngliche Sinn der Beschneidung der eines
»operativen Vorbereitungsaktes auf die Sexualfunktion des Mannes« gewesen sei;
»man will den Jüngling mit einem Male reif und normal in sexueller Hinsicht

*) Vgl. das Beispiel des Kaziken von Gotera, R. Andree, Ethnographische Parallelen und
Vergleiche. Neue Folge, Leipzig 1889, p. 202.
**) a. a. O. p. 212.
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[198/0242] mit Isolierung, Ausräucherung, Diät, Inzisionen und den übrigen Hilfsmitteln wider die unbekannten Feinde. Man entfernte säuberlich das Schamhaar und legte einen Verband an, die Bastschlinge, oder eine Pelotte: das Uluri. Die Bastschlinge ist bei den Trumaífrauen — eine Kombination von Verband und Pelotte — strickartig gedreht, bei den Uluriträgerinnen bewirkt der schmale Rindenstreifen die Anspannung über den Damm; in beiden Fällen wird ein gegen die Schambeinfuge hin andrückendes Widerlager geschaffen, bei jenen durch das Röllchen, bei diesen durch das federnde Dreieck. Man sieht, es war nicht die Reinlichkeit, die das Verfahren eingab, sondern das ärztliche Bemühen, dem Blut- verlust entgegenzuarbeiten. Das sind aber wahrlich keine Erfindungen der Scham- haftigkeit, wie Schürzen oder dergleichen loser Umhang. Für die Männer liegt die Erklärung nicht ganz so nahe. Auch hier hat man den Versuch gemacht, die Beziehung zu einem ursächlich wirkenden, primären Schamgefühl zu retten. Die Ansicht ist ausgesprochen worden, dass man sich nur ganz ausschliesslich geschämt habe, die Glans des Penis den Blicken zu zeigen, und deshalb auch nur sie verhüllt habe. Leider habe ich Nichts be- obachtet, was die Frage unmittelbar entscheiden könnte. Ich habe gesehen, dass die Leute sich nicht schämten, wenn sie ihre Vorrichtungen uns gaben oder auch gelegentlich ablegten, wie denn eine Anzahl Trumaí den Faden nicht einmal trugen, allein der Penis war immer bereits so stark zurückgedrängt und die Haut so faltig, dass von der Glans nichts sichtbar wurde. Ich glaube sogar, vielleicht, weil ich ohne gegebenes Material selbst durch die Kulturbrille schaue, dass sie sich schämen würden, die Glans dem Auge eines Andern, zumal des Fremden, auszusetzen. Nur würde ich dieses Schamgefühl als Folge des eingewurzelten Gebrauchs be- trachten und nicht als seine Ursache. Dass sich aber ein in der Naturanlage gegebenes Gefühl nur für einen kleinen anatomischen Teil eines in seiner Funktion auch die andern Teile beanspruchenden Organs regen solle, finde ich recht selt- sam, und gern würde ich von einem etwa derart beobachteten Fall hören, dass ein im Zustand der Nacktheit überraschter Mensch sich nicht mit der Hand, sondern nur mit zwei Fingern bedeckt habe. Es ist nicht zu vergessen, dass Erektionen durch die Abschnürung weder verhindert noch verborgen werden. Dann giebt es ja auch beschnittene Menschen, die nackt gehen oder gingen *). Und hier sind wir bei dem Punkt angelangt, der vor Allem erwogen werden muss. Wir müssen die entgegengesetzte Behandlung der Glans in Betracht ziehen, die das Praeputium verkürzt oder spaltet. Der grössere Teil der Mensch- heit hat der Zirkumzision den Vorzug gegeben. Mit Ploss und Andree **) bin ich der Meinung, dass der ursprüngliche Sinn der Beschneidung der eines »operativen Vorbereitungsaktes auf die Sexualfunktion des Mannes« gewesen sei; »man will den Jüngling mit einem Male reif und normal in sexueller Hinsicht *) Vgl. das Beispiel des Kaziken von Gotera, R. Andree, Ethnographische Parallelen und Vergleiche. Neue Folge, Leipzig 1889, p. 202. **) a. a. O. p. 212.

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Zitationshilfe: Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 198. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/242>, abgerufen am 24.11.2024.