den Eintritt der Mannbarkeit für beide Geschlechter mit lauten Volksfesten, wobei sich die allgemeine Aufmerksamkeit und Ausgelassenheit mit den "private parts" demonstrativ beschäftigt. Ein Mann, der dem Fremden mitteilen will, dass er der Vater eines Andern sei, eine Frau, die sich als die Mutter eines Kindes vorstellen will, sie bekennen sich ernsthaft als würdige Erzeuger, indem sie mit der unwill- kürlichsten und natürlichsten Verdeutlichung von der Welt die Organe anfassen, denen das Leben entspringt.
Es ist somit nicht möglich, die Leute richtig zu verstehen, wenn wir nicht unsere Begriffe von der "Kleidung" beiseite lassen, wenn wir sie nicht nehmen, wie sie sind und wie sie sich in ihrer Eigenart geben. Indem wir als den Aus- gangspunkt festhalten, dass sie nur ihre natürliche Haut und keine künstliche Stoffdecke über ihren Körper haben, müssen wir uns zunächst einmal fragen, ob die Haut in ihrem Verhältnis zu einer Aussenwelt, der sie unmittelbar ausgesetzt wird, durch die Veränderungen des geschlechtlichen Lebens beeinflusst werden kann, und müssen jedenfalls an dieses Thema mit ärztlicher Unbefangenheit, nicht aber mit dem Gedanken eines zivilisierten Menschen, der sich plötzlich entkleiden soll, herantreten. Beginnen wir mit einer Uebersicht der verschiedenen Methoden, die für die Behandlung der partes pudendae bei den einzelnen Stämmen von der Zeit der Reife ab, und nur von dieser Zeit ab, im Gebrauch sind. Sie beziehen sich nirgendwo auf die Kinder.
Die Männer bieten bei den Kulisehustämmen mit Ausnahme der Trumai für den ersten Anblick nichts Besonderes. Das Schamhaar ist ausgerupft; sie tragen nur eine Gürtelschnur in Gestalt eines Baumwollfadens, auf den gelegentlich kleine Halmstücke oder durchbohrte Samenkerne oder winzige Stücke Schnecken- schale aufgereiht sind, aber meistens so, dass der grössere Teil der Schnur frei bleibt. Man betrachte die Photographien, z. B. Tafel 14: die Hüftschnur findet man ausnahmslos bei jedem Mann. Oefters ist statt des Fadens ein Strang Baumwolle vorhanden, so bei dem einen Nahuqua Seite 95*) oder auf dem Bild des Bakairi Luchu, Tafel 6. Gerade bei diesem Jüngling, der erst seit kurzem in das mannbare Alter eingetreten war und auch mit der Entfernung des Schamhaars noch nicht abgeschlossen hatte, lernte ich den uns hier interessierenden Zweck der Hüftschnur kennen. Ich hatte sie samt dem Baumwollstrang bis dahin als eine öfters mit Zierrat ausgestattete Tragschnur betrachtet für Leute, die keine Taschen haben, oder als Vorrat an Bindematerial, das immer zur Hand wäre, allein in der That wurden leichtes Handwerkszeug wie Muscheln und Fischgebisse, oder auch der Kamm oder die von uns gegebenen Messer nicht an der Hüft- schnur, sondern an einer Schnur um den Hals auf Brust oder Rücken getragen. Auch hatten die so arbeitsamen Frauen keine Hüftschnur. Kleinere Knaben waren meist schon mit der Schnur versehen, hatten dann jedoch stets ein paar zierliche Kleinigkeiten darauf gereiht.
*) Dem Nahuqua links fehlt die Hüftschnur, weil sie kurz vor der Aufnahme in unsern Besitz übergegangen war.
den Eintritt der Mannbarkeit für beide Geschlechter mit lauten Volksfesten, wobei sich die allgemeine Aufmerksamkeit und Ausgelassenheit mit den »private parts« demonstrativ beschäftigt. Ein Mann, der dem Fremden mitteilen will, dass er der Vater eines Andern sei, eine Frau, die sich als die Mutter eines Kindes vorstellen will, sie bekennen sich ernsthaft als würdige Erzeuger, indem sie mit der unwill- kürlichsten und natürlichsten Verdeutlichung von der Welt die Organe anfassen, denen das Leben entspringt.
Es ist somit nicht möglich, die Leute richtig zu verstehen, wenn wir nicht unsere Begriffe von der »Kleidung« beiseite lassen, wenn wir sie nicht nehmen, wie sie sind und wie sie sich in ihrer Eigenart geben. Indem wir als den Aus- gangspunkt festhalten, dass sie nur ihre natürliche Haut und keine künstliche Stoffdecke über ihren Körper haben, müssen wir uns zunächst einmal fragen, ob die Haut in ihrem Verhältnis zu einer Aussenwelt, der sie unmittelbar ausgesetzt wird, durch die Veränderungen des geschlechtlichen Lebens beeinflusst werden kann, und müssen jedenfalls an dieses Thema mit ärztlicher Unbefangenheit, nicht aber mit dem Gedanken eines zivilisierten Menschen, der sich plötzlich entkleiden soll, herantreten. Beginnen wir mit einer Uebersicht der verschiedenen Methoden, die für die Behandlung der partes pudendae bei den einzelnen Stämmen von der Zeit der Reife ab, und nur von dieser Zeit ab, im Gebrauch sind. Sie beziehen sich nirgendwo auf die Kinder.
Die Männer bieten bei den Kulisehustämmen mit Ausnahme der Trumaí für den ersten Anblick nichts Besonderes. Das Schamhaar ist ausgerupft; sie tragen nur eine Gürtelschnur in Gestalt eines Baumwollfadens, auf den gelegentlich kleine Halmstücke oder durchbohrte Samenkerne oder winzige Stücke Schnecken- schale aufgereiht sind, aber meistens so, dass der grössere Teil der Schnur frei bleibt. Man betrachte die Photographien, z. B. Tafel 14: die Hüftschnur findet man ausnahmslos bei jedem Mann. Oefters ist statt des Fadens ein Strang Baumwolle vorhanden, so bei dem einen Nahuquá Seite 95*) oder auf dem Bild des Bakaïrí Luchu, Tafel 6. Gerade bei diesem Jüngling, der erst seit kurzem in das mannbare Alter eingetreten war und auch mit der Entfernung des Schamhaars noch nicht abgeschlossen hatte, lernte ich den uns hier interessierenden Zweck der Hüftschnur kennen. Ich hatte sie samt dem Baumwollstrang bis dahin als eine öfters mit Zierrat ausgestattete Tragschnur betrachtet für Leute, die keine Taschen haben, oder als Vorrat an Bindematerial, das immer zur Hand wäre, allein in der That wurden leichtes Handwerkszeug wie Muscheln und Fischgebisse, oder auch der Kamm oder die von uns gegebenen Messer nicht an der Hüft- schnur, sondern an einer Schnur um den Hals auf Brust oder Rücken getragen. Auch hatten die so arbeitsamen Frauen keine Hüftschnur. Kleinere Knaben waren meist schon mit der Schnur versehen, hatten dann jedoch stets ein paar zierliche Kleinigkeiten darauf gereiht.
*) Dem Nahuquá links fehlt die Hüftschnur, weil sie kurz vor der Aufnahme in unsern Besitz übergegangen war.
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den Eintritt der Mannbarkeit für beide Geschlechter mit lauten Volksfesten, wobei
sich die allgemeine Aufmerksamkeit und Ausgelassenheit mit den »private parts«
demonstrativ beschäftigt. Ein Mann, der dem Fremden mitteilen will, dass er der
Vater eines Andern sei, eine Frau, die sich als die Mutter eines Kindes vorstellen
will, sie bekennen sich ernsthaft als würdige Erzeuger, indem sie mit der unwill-
kürlichsten und natürlichsten Verdeutlichung von der Welt die Organe anfassen,
denen das Leben entspringt.
Es ist somit nicht möglich, die Leute richtig zu verstehen, wenn wir nicht
unsere Begriffe von der »Kleidung« beiseite lassen, wenn wir sie nicht nehmen,
wie sie sind und wie sie sich in ihrer Eigenart geben. Indem wir als den Aus-
gangspunkt festhalten, dass sie nur ihre natürliche Haut und keine künstliche
Stoffdecke über ihren Körper haben, müssen wir uns zunächst einmal fragen, ob
die Haut in ihrem Verhältnis zu einer Aussenwelt, der sie unmittelbar ausgesetzt
wird, durch die Veränderungen des geschlechtlichen Lebens beeinflusst werden
kann, und müssen jedenfalls an dieses Thema mit ärztlicher Unbefangenheit, nicht
aber mit dem Gedanken eines zivilisierten Menschen, der sich plötzlich entkleiden
soll, herantreten. Beginnen wir mit einer Uebersicht der verschiedenen Methoden,
die für die Behandlung der partes pudendae bei den einzelnen Stämmen von der
Zeit der Reife ab, und nur von dieser Zeit ab, im Gebrauch sind. Sie beziehen
sich nirgendwo auf die Kinder.
Die Männer bieten bei den Kulisehustämmen mit Ausnahme der Trumaí
für den ersten Anblick nichts Besonderes. Das Schamhaar ist ausgerupft; sie
tragen nur eine Gürtelschnur in Gestalt eines Baumwollfadens, auf den gelegentlich
kleine Halmstücke oder durchbohrte Samenkerne oder winzige Stücke Schnecken-
schale aufgereiht sind, aber meistens so, dass der grössere Teil der Schnur frei
bleibt. Man betrachte die Photographien, z. B. Tafel 14: die Hüftschnur findet
man ausnahmslos bei jedem Mann. Oefters ist statt des Fadens ein Strang
Baumwolle vorhanden, so bei dem einen Nahuquá Seite 95 *) oder auf dem Bild des
Bakaïrí Luchu, Tafel 6. Gerade bei diesem Jüngling, der erst seit kurzem in das
mannbare Alter eingetreten war und auch mit der Entfernung des Schamhaars
noch nicht abgeschlossen hatte, lernte ich den uns hier interessierenden Zweck
der Hüftschnur kennen. Ich hatte sie samt dem Baumwollstrang bis dahin als
eine öfters mit Zierrat ausgestattete Tragschnur betrachtet für Leute, die keine
Taschen haben, oder als Vorrat an Bindematerial, das immer zur Hand wäre,
allein in der That wurden leichtes Handwerkszeug wie Muscheln und Fischgebisse,
oder auch der Kamm oder die von uns gegebenen Messer nicht an der Hüft-
schnur, sondern an einer Schnur um den Hals auf Brust oder Rücken getragen.
Auch hatten die so arbeitsamen Frauen keine Hüftschnur. Kleinere Knaben waren
meist schon mit der Schnur versehen, hatten dann jedoch stets ein paar zierliche
Kleinigkeiten darauf gereiht.
*) Dem Nahuquá links fehlt die Hüftschnur, weil sie kurz vor der Aufnahme in unsern Besitz
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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 191. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/235>, abgerufen am 21.11.2024.
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