sichten des Schmucks umgestaltet wird, so seine Oelfarbe und, denke ich mir, früher sein Schlamm. Wie manche Leute mehr als Andere auch in der werk- täglichen Kleidung von der Rücksicht auf ein schöneres Aeussere bestimmt werden, so leistet sich ein indianischer Fant wie der Bakairi Luchu in einer beliebigen faulen Stunde auch eine Schlangenlinie mit Tupfen daneben auf dem Oberschenkel, und wie einfachere Menschen bei uns auch des Sonntags sich nur bescheiden heraus- putzen, so ist auch ein anspruchsloseres Indianergemüt zufrieden, wenn er sich zur Feier eines fröhlichen Ereignisses statt eines Linienmusters nur eine Bemalung der Stirn und Nase oder der Waden gönnt. Finde ich es aber im Grossen und Ganzen deutlich ausgesprochen, dass man sich zu Nützlichkeitszwecken anstreicht und zu Verschönerungszwecken mit Zeichnungen verziert, so schliesse ich daraus, dass das Schminken zunächst nicht Schmücken war. Und dies ist um so mehr aufrecht zu er- halten als der Farbe ihrer Farbstoffe wegen noch heute nur ein sekundärer Wert bei- gemessen werden kann, wenn sie Weiss überhaupt verschmähen, zwischen Rot und Schwarz keinen sonderlichen Unterschied machen, und wenn sie ganz ungleich schönere Farben in ihrem Federschmuck zur Verfügung haben. Auch spricht die Entwicklung der Farbenwörter, wie wir noch sehen werden, zu Gunsten derselben Auffassung.
Dass unter den für nützlich gehaltenen Zwecken des Anstreichens auch medizinische nicht gefehlt und die Sitte gefördert haben, brauche ich kaum hervor- zuheben; einen bestimmten und sehr gewöhnlichen Fall habe ich sogleich bei dem Wundkratzer anzuführen. Wenn Moritona, der grosse Medizinmann der Yaula- piti, sich den Rest von unserer Erbsensuppe breit über die Brust schmierte, so dürfte das Motiv der Farbenfreude daran nur geringen Anteil gehabt haben.
Die Muster waren verschiedener Art. Einfache Fingerstriche, auffallige Streifen z. B. von Auge zu Ohr, oder die Verschönerung desselben Moritona: ein schwarzer Streifen von der Nase bis zum Nabel, Streifen, die den Konturen der Schulterblätter folgten, Tupfen auf Brust und Armen, Wellenlinien die Schenkel entlang, gesprenkelte Bogen über die Brust hinüber, ein Zickzack Rücken und Beine hinunter u. dergl. mehr. Zum Teil handelt es sich dabei um auffällige Be- gleitung oder Durchkreuzung der anatomischen Konturen, zum Teil um Nach- ahmung tierischer Hautzeichnung, aber Alles war Willkür der einzelnen Person und Stammesmuster waren nicht vorhanden. Als Uebergang zum gewöhnlichen breiteren Anstreichen mag es gelten, dass man einzelne Körperteile z. B. Stirn und Nase auffällig bemalte. Die Baumwollbänder, die den Oberarm oder den Unterschenkel umspannten, boten ein nicht unbeliebtes Motiv. Bei dem Bakairi Kulekule, der für mich schwärmte, sah ich eines Tages unterhalb jeder Brust- warze ein schwarzes hufeisenartiges Bogenstück, und als ich ihn nur zum Scherz fragte, was das sei, deutete er zu meiner Ueberraschung auf meine Stiefel, die ihm sehr imponierten: er hatte sich die Absätze aufgemalt. Ein wirkliches Kunst- werk trug ein junger Auetö zur Schau, der für die Reise mit uns nach Cuyaba -- sein Vater befahl ihm, dass er uns begleite -- feierlich herausgeputzt war, der aber trotz eines ihm zum Proviant mitgegebenen Topfes Mehl uns schon bei
sichten des Schmucks umgestaltet wird, so seine Oelfarbe und, denke ich mir, früher sein Schlamm. Wie manche Leute mehr als Andere auch in der werk- täglichen Kleidung von der Rücksicht auf ein schöneres Aeussere bestimmt werden, so leistet sich ein indianischer Fant wie der Bakaïrí Luchu in einer beliebigen faulen Stunde auch eine Schlangenlinie mit Tupfen daneben auf dem Oberschenkel, und wie einfachere Menschen bei uns auch des Sonntags sich nur bescheiden heraus- putzen, so ist auch ein anspruchsloseres Indianergemüt zufrieden, wenn er sich zur Feier eines fröhlichen Ereignisses statt eines Linienmusters nur eine Bemalung der Stirn und Nase oder der Waden gönnt. Finde ich es aber im Grossen und Ganzen deutlich ausgesprochen, dass man sich zu Nützlichkeitszwecken anstreicht und zu Verschönerungszwecken mit Zeichnungen verziert, so schliesse ich daraus, dass das Schminken zunächst nicht Schmücken war. Und dies ist um so mehr aufrecht zu er- halten als der Farbe ihrer Farbstoffe wegen noch heute nur ein sekundärer Wert bei- gemessen werden kann, wenn sie Weiss überhaupt verschmähen, zwischen Rot und Schwarz keinen sonderlichen Unterschied machen, und wenn sie ganz ungleich schönere Farben in ihrem Federschmuck zur Verfügung haben. Auch spricht die Entwicklung der Farbenwörter, wie wir noch sehen werden, zu Gunsten derselben Auffassung.
Dass unter den für nützlich gehaltenen Zwecken des Anstreichens auch medizinische nicht gefehlt und die Sitte gefördert haben, brauche ich kaum hervor- zuheben; einen bestimmten und sehr gewöhnlichen Fall habe ich sogleich bei dem Wundkratzer anzuführen. Wenn Moritona, der grosse Medizinmann der Yaula- piti, sich den Rest von unserer Erbsensuppe breit über die Brust schmierte, so dürfte das Motiv der Farbenfreude daran nur geringen Anteil gehabt haben.
Die Muster waren verschiedener Art. Einfache Fingerstriche, auffallige Streifen z. B. von Auge zu Ohr, oder die Verschönerung desselben Moritona: ein schwarzer Streifen von der Nase bis zum Nabel, Streifen, die den Konturen der Schulterblätter folgten, Tupfen auf Brust und Armen, Wellenlinien die Schenkel entlang, gesprenkelte Bogen über die Brust hinüber, ein Zickzack Rücken und Beine hinunter u. dergl. mehr. Zum Teil handelt es sich dabei um auffällige Be- gleitung oder Durchkreuzung der anatomischen Konturen, zum Teil um Nach- ahmung tierischer Hautzeichnung, aber Alles war Willkür der einzelnen Person und Stammesmuster waren nicht vorhanden. Als Uebergang zum gewöhnlichen breiteren Anstreichen mag es gelten, dass man einzelne Körperteile z. B. Stirn und Nase auffällig bemalte. Die Baumwollbänder, die den Oberarm oder den Unterschenkel umspannten, boten ein nicht unbeliebtes Motiv. Bei dem Bakaïrí Kulekule, der für mich schwärmte, sah ich eines Tages unterhalb jeder Brust- warze ein schwarzes hufeisenartiges Bogenstück, und als ich ihn nur zum Scherz fragte, was das sei, deutete er zu meiner Ueberraschung auf meine Stiefel, die ihm sehr imponierten: er hatte sich die Absätze aufgemalt. Ein wirkliches Kunst- werk trug ein junger Auetö́ zur Schau, der für die Reise mit uns nach Cuyabá — sein Vater befahl ihm, dass er uns begleite — feierlich herausgeputzt war, der aber trotz eines ihm zum Proviant mitgegebenen Topfes Mehl uns schon bei
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[187/0231]
sichten des Schmucks umgestaltet wird, so seine Oelfarbe und, denke ich mir,
früher sein Schlamm. Wie manche Leute mehr als Andere auch in der werk-
täglichen Kleidung von der Rücksicht auf ein schöneres Aeussere bestimmt werden,
so leistet sich ein indianischer Fant wie der Bakaïrí Luchu in einer beliebigen faulen
Stunde auch eine Schlangenlinie mit Tupfen daneben auf dem Oberschenkel, und
wie einfachere Menschen bei uns auch des Sonntags sich nur bescheiden heraus-
putzen, so ist auch ein anspruchsloseres Indianergemüt zufrieden, wenn er sich zur
Feier eines fröhlichen Ereignisses statt eines Linienmusters nur eine Bemalung der
Stirn und Nase oder der Waden gönnt. Finde ich es aber im Grossen und Ganzen
deutlich ausgesprochen, dass man sich zu Nützlichkeitszwecken anstreicht und zu
Verschönerungszwecken mit Zeichnungen verziert, so schliesse ich daraus, dass das
Schminken zunächst nicht Schmücken war. Und dies ist um so mehr aufrecht zu er-
halten als der Farbe ihrer Farbstoffe wegen noch heute nur ein sekundärer Wert bei-
gemessen werden kann, wenn sie Weiss überhaupt verschmähen, zwischen Rot und
Schwarz keinen sonderlichen Unterschied machen, und wenn sie ganz ungleich schönere
Farben in ihrem Federschmuck zur Verfügung haben. Auch spricht die Entwicklung
der Farbenwörter, wie wir noch sehen werden, zu Gunsten derselben Auffassung.
Dass unter den für nützlich gehaltenen Zwecken des Anstreichens auch
medizinische nicht gefehlt und die Sitte gefördert haben, brauche ich kaum hervor-
zuheben; einen bestimmten und sehr gewöhnlichen Fall habe ich sogleich bei dem
Wundkratzer anzuführen. Wenn Moritona, der grosse Medizinmann der Yaula-
piti, sich den Rest von unserer Erbsensuppe breit über die Brust schmierte, so
dürfte das Motiv der Farbenfreude daran nur geringen Anteil gehabt haben.
Die Muster waren verschiedener Art. Einfache Fingerstriche, auffallige
Streifen z. B. von Auge zu Ohr, oder die Verschönerung desselben Moritona: ein
schwarzer Streifen von der Nase bis zum Nabel, Streifen, die den Konturen der
Schulterblätter folgten, Tupfen auf Brust und Armen, Wellenlinien die Schenkel
entlang, gesprenkelte Bogen über die Brust hinüber, ein Zickzack Rücken und
Beine hinunter u. dergl. mehr. Zum Teil handelt es sich dabei um auffällige Be-
gleitung oder Durchkreuzung der anatomischen Konturen, zum Teil um Nach-
ahmung tierischer Hautzeichnung, aber Alles war Willkür der einzelnen Person
und Stammesmuster waren nicht vorhanden. Als Uebergang zum gewöhnlichen
breiteren Anstreichen mag es gelten, dass man einzelne Körperteile z. B. Stirn
und Nase auffällig bemalte. Die Baumwollbänder, die den Oberarm oder den
Unterschenkel umspannten, boten ein nicht unbeliebtes Motiv. Bei dem Bakaïrí
Kulekule, der für mich schwärmte, sah ich eines Tages unterhalb jeder Brust-
warze ein schwarzes hufeisenartiges Bogenstück, und als ich ihn nur zum Scherz
fragte, was das sei, deutete er zu meiner Ueberraschung auf meine Stiefel, die
ihm sehr imponierten: er hatte sich die Absätze aufgemalt. Ein wirkliches Kunst-
werk trug ein junger Auetö́ zur Schau, der für die Reise mit uns nach Cuyabá
— sein Vater befahl ihm, dass er uns begleite — feierlich herausgeputzt war,
der aber trotz eines ihm zum Proviant mitgegebenen Topfes Mehl uns schon bei
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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/231>, abgerufen am 21.11.2024.
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