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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894.

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sich zweckbewusst zunächst auch nur deshalb beschmierte, weil er Utilitarier genug
war, solche Vorteile auszunutzen.

Manche wollen aber von solchem Anfang Nichts hören. Sie scheinen der
Ansicht zu sein, dass dem Nützlichen etwas Geringzuschätzendes anhaftet. Warum,
mögen die Götter wissen. Auch ich glaube, dass der Schmuck aus dem Ver-
gnügen, dass er wie Spiel und Tanz aus einem Ueberschuss an Spannkräften
hervorgeht, aber die Dinge, die man braucht, um sich zu schmücken, hat man
vorher durch ihren Nutzen kennen gelernt. Wir können, sobald man sich zu
schmücken beginnt, auch schon zwei Hauptrichtungen beobachten. Es giebt eine
Eitelkeit, die sich auf Heldenthaten bezieht, die Eitelkeit der Jedermann zur An-
sicht vorgehaltenen Bravouratteste, nennen wir sie die der Trophäe und des
Schmisses, und es giebt eine zahmere Eitelkeit, die sich mit dem Eindruck
durch schöne oder auch schreckliche Farben genügen lässt, nennen wir sie die der
Schminke. Ueberall können wir bei unsern Indianern Methoden, die dem Nutzen,
und solche, die der Verschönerung dienen, einträchtiglich nebeneinander im Ge-
brauch sehen, und wir haben allen Grund anzunehmen, dass jene die älteren sind.

Das Haar. Die Haartracht der Männer ist eine Kalotte mit Tonsur.
Das Haar wird von dem Wirbel aus radienförmig nach allen Seiten gekämmt,
fällt vorn auf die Stirn, reicht seitlich bis an das Loch des Gehöreingangs und
hinten nicht ganz bis zum Halsansatz. Während die Suya das Vorderhaupt kahl
zu scheeren pflegen und die Tonsur des Apostels Paulus besitzen, haben die
Kulisehuindianer sämtlich die Tonsur des Apostels Petrus, eine kreisförmige Glatze
auf dem Scheitel bis zu 7 cm Durchmesser. Wenn der junge Bakairi Luchu in
Vogel's braunem Lodenponcho stolzierte, sah er aus, wie ein Klosterschüler aus dem
"Ekkehard". Man hat geglaubt, die Indianer hätten die Tonsur von dem Beispiel
der Patres entlehnt, was ihrer Sinnesart gewiss entsprechen würde, allein die
Tonsur war vor den katholischen Priestern in Amerika. Sie ist bei den süd-
amerikanischen Naturvölkern ungemein verbreitet gewesen, und da die Portugiesen
die Geschorenen von coroa, Krone, Tonsur, "Coroados" nannten, sind ganz un-
gleichwertige Stämme verwirrend mit derselben Bezeichnung bedacht worden.
Pater Dobrizhoffer berichtet, dass bei den Abiponern von Paraguay die Tonsur
als Auszeichnung der höheren Kaste galt. Hiervon war bei unsern Stämmen
nicht die Rede. Jeder Knabe erhielt die Tonsur um die Zeit, dass er mannbar
wurde, und Antonio erzählte mir, dass er geweint und sich sehr gesträubt habe,
als sein Vater ihm zum ersten Mal die Glatze schor. Der Gebrauch wurde mir
als uralte Sitte der Grossväter bezeichnet. Nicht immer war man sehr aufmerksam
im Rasieren. Bei älteren Leuten zumal fand sich die Tonsur oft mit Stoppeln
überwachsen; man kümmere sich weniger darum, hiess es, "wenn man alt wird
und Vater und Mutter schon tot sind".

Bei den Bakairi wussten sich eitle junge Männer auch durch hölzerne Papilloten
eine volle Lockenfrisur zu verschaffen. Kleine Stücke korkartigen Holzes, mit

sich zweckbewusst zunächst auch nur deshalb beschmierte, weil er Utilitarier genug
war, solche Vorteile auszunutzen.

Manche wollen aber von solchem Anfang Nichts hören. Sie scheinen der
Ansicht zu sein, dass dem Nützlichen etwas Geringzuschätzendes anhaftet. Warum,
mögen die Götter wissen. Auch ich glaube, dass der Schmuck aus dem Ver-
gnügen, dass er wie Spiel und Tanz aus einem Ueberschuss an Spannkräften
hervorgeht, aber die Dinge, die man braucht, um sich zu schmücken, hat man
vorher durch ihren Nutzen kennen gelernt. Wir können, sobald man sich zu
schmücken beginnt, auch schon zwei Hauptrichtungen beobachten. Es giebt eine
Eitelkeit, die sich auf Heldenthaten bezieht, die Eitelkeit der Jedermann zur An-
sicht vorgehaltenen Bravouratteste, nennen wir sie die der Trophäe und des
Schmisses, und es giebt eine zahmere Eitelkeit, die sich mit dem Eindruck
durch schöne oder auch schreckliche Farben genügen lässt, nennen wir sie die der
Schminke. Ueberall können wir bei unsern Indianern Methoden, die dem Nutzen,
und solche, die der Verschönerung dienen, einträchtiglich nebeneinander im Ge-
brauch sehen, und wir haben allen Grund anzunehmen, dass jene die älteren sind.

Das Haar. Die Haartracht der Männer ist eine Kalotte mit Tonsur.
Das Haar wird von dem Wirbel aus radienförmig nach allen Seiten gekämmt,
fällt vorn auf die Stirn, reicht seitlich bis an das Loch des Gehöreingangs und
hinten nicht ganz bis zum Halsansatz. Während die Suyá das Vorderhaupt kahl
zu scheeren pflegen und die Tonsur des Apostels Paulus besitzen, haben die
Kulisehuindianer sämtlich die Tonsur des Apostels Petrus, eine kreisförmige Glatze
auf dem Scheitel bis zu 7 cm Durchmesser. Wenn der junge Bakaïrí Luchu in
Vogel’s braunem Lodenponcho stolzierte, sah er aus, wie ein Klosterschüler aus dem
»Ekkehard«. Man hat geglaubt, die Indianer hätten die Tonsur von dem Beispiel
der Patres entlehnt, was ihrer Sinnesart gewiss entsprechen würde, allein die
Tonsur war vor den katholischen Priestern in Amerika. Sie ist bei den süd-
amerikanischen Naturvölkern ungemein verbreitet gewesen, und da die Portugiesen
die Geschorenen von coróa, Krone, Tonsur, „Coroados“ nannten, sind ganz un-
gleichwertige Stämme verwirrend mit derselben Bezeichnung bedacht worden.
Pater Dobrizhoffer berichtet, dass bei den Abiponern von Paraguay die Tonsur
als Auszeichnung der höheren Kaste galt. Hiervon war bei unsern Stämmen
nicht die Rede. Jeder Knabe erhielt die Tonsur um die Zeit, dass er mannbar
wurde, und Antonio erzählte mir, dass er geweint und sich sehr gesträubt habe,
als sein Vater ihm zum ersten Mal die Glatze schor. Der Gebrauch wurde mir
als uralte Sitte der Grossväter bezeichnet. Nicht immer war man sehr aufmerksam
im Rasieren. Bei älteren Leuten zumal fand sich die Tonsur oft mit Stoppeln
überwachsen; man kümmere sich weniger darum, hiess es, »wenn man alt wird
und Vater und Mutter schon tot sind«.

Bei den Bakaïrí wussten sich eitle junge Männer auch durch hölzerne Papilloten
eine volle Lockenfrisur zu verschaffen. Kleine Stücke korkartigen Holzes, mit

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[174/0216] sich zweckbewusst zunächst auch nur deshalb beschmierte, weil er Utilitarier genug war, solche Vorteile auszunutzen. Manche wollen aber von solchem Anfang Nichts hören. Sie scheinen der Ansicht zu sein, dass dem Nützlichen etwas Geringzuschätzendes anhaftet. Warum, mögen die Götter wissen. Auch ich glaube, dass der Schmuck aus dem Ver- gnügen, dass er wie Spiel und Tanz aus einem Ueberschuss an Spannkräften hervorgeht, aber die Dinge, die man braucht, um sich zu schmücken, hat man vorher durch ihren Nutzen kennen gelernt. Wir können, sobald man sich zu schmücken beginnt, auch schon zwei Hauptrichtungen beobachten. Es giebt eine Eitelkeit, die sich auf Heldenthaten bezieht, die Eitelkeit der Jedermann zur An- sicht vorgehaltenen Bravouratteste, nennen wir sie die der Trophäe und des Schmisses, und es giebt eine zahmere Eitelkeit, die sich mit dem Eindruck durch schöne oder auch schreckliche Farben genügen lässt, nennen wir sie die der Schminke. Ueberall können wir bei unsern Indianern Methoden, die dem Nutzen, und solche, die der Verschönerung dienen, einträchtiglich nebeneinander im Ge- brauch sehen, und wir haben allen Grund anzunehmen, dass jene die älteren sind. Das Haar. Die Haartracht der Männer ist eine Kalotte mit Tonsur. Das Haar wird von dem Wirbel aus radienförmig nach allen Seiten gekämmt, fällt vorn auf die Stirn, reicht seitlich bis an das Loch des Gehöreingangs und hinten nicht ganz bis zum Halsansatz. Während die Suyá das Vorderhaupt kahl zu scheeren pflegen und die Tonsur des Apostels Paulus besitzen, haben die Kulisehuindianer sämtlich die Tonsur des Apostels Petrus, eine kreisförmige Glatze auf dem Scheitel bis zu 7 cm Durchmesser. Wenn der junge Bakaïrí Luchu in Vogel’s braunem Lodenponcho stolzierte, sah er aus, wie ein Klosterschüler aus dem »Ekkehard«. Man hat geglaubt, die Indianer hätten die Tonsur von dem Beispiel der Patres entlehnt, was ihrer Sinnesart gewiss entsprechen würde, allein die Tonsur war vor den katholischen Priestern in Amerika. Sie ist bei den süd- amerikanischen Naturvölkern ungemein verbreitet gewesen, und da die Portugiesen die Geschorenen von coróa, Krone, Tonsur, „Coroados“ nannten, sind ganz un- gleichwertige Stämme verwirrend mit derselben Bezeichnung bedacht worden. Pater Dobrizhoffer berichtet, dass bei den Abiponern von Paraguay die Tonsur als Auszeichnung der höheren Kaste galt. Hiervon war bei unsern Stämmen nicht die Rede. Jeder Knabe erhielt die Tonsur um die Zeit, dass er mannbar wurde, und Antonio erzählte mir, dass er geweint und sich sehr gesträubt habe, als sein Vater ihm zum ersten Mal die Glatze schor. Der Gebrauch wurde mir als uralte Sitte der Grossväter bezeichnet. Nicht immer war man sehr aufmerksam im Rasieren. Bei älteren Leuten zumal fand sich die Tonsur oft mit Stoppeln überwachsen; man kümmere sich weniger darum, hiess es, »wenn man alt wird und Vater und Mutter schon tot sind«. Bei den Bakaïrí wussten sich eitle junge Männer auch durch hölzerne Papilloten eine volle Lockenfrisur zu verschaffen. Kleine Stücke korkartigen Holzes, mit

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Zitationshilfe: Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 174. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/216>, abgerufen am 21.11.2024.