interessante Art verunglückt, sie hatten sich wirklich nur gründlich verirrt und zwar schon von Anfang an, sie waren zwölf Tage die Kreuz und Quer umhergezogen, sie hatten die drei letzten Tage nichts mehr gegessen und waren noch im Besitz von zwei kostbaren Zündhölzern. Januario's alter Kopf hatte den erlittenen Un- bilden nicht mehr Stand halten können; er delirierte mit Verfolgungsideen. Eine Pilokarpininjektion, mit der ich ihm am 25. November, als er mit einer schweren Erkältung niederlag und jammerte, dass er durch Nichts in der Welt in Schweiss zu bringen sei, in kürzester Frist zu einem fürchterlichen Schwitzen verholfen, und mit der ich ihn auch prachtvoll kuriert hatte, diese Injektion hatte ich nur gemacht, um ihn "zu erstechen". Perrot liess sein Gewehr putzen, um ihn "zu erschiessen", mit Kaffee gedachte man, ihn "zu vergiften". Er erklärte, hier am Paranatinga bleiben, sich einen Rancho bauen und eine Pflanzung anlegen zu wollen. Er begrüsste mich mit mürrischem Gesicht und trübem Blick, war sehr reizbar und anspruchsvoll, litt an Kopfschmerz und wurde auch in den nächsten Wochen, obwohl er sich entschieden besserte, nie mehr wieder ganz das vergnügte alte Haus, das uns alle mit seinem freiwilligen und unfreiwilligen Humor so häufig heiter gestimmt hatte.
Perrot war über das Benehmen Januario's verzweifelt gewesen, er hatte allein die Tiere besorgen, Holz schlagen und Feuer machen müssen, und fortwährender Zank gesellte sich zu der Verwirrung, den elenden Nächten, den Regengüssen, dem Hunger. Den Paranatingazufluss, der den Wald unter Wasser gesetzt hatte und bei dem wir ihre Spur verloren, hatten sie für den Batovy gehalten! Sie waren nach Osten geritten. Sie kehrten zurück und setzten mit einem kleinen Floss aus Buritistielen ihr Gepäck und ihre Gewehre über. Ihr unangenehmstes Abenteuer war, während sie unter dem niedrigen Schutzdach schliefen, der nächt- liche Besuch eines Jaguars gewesen. Sie fuhren erschreckt empor, als die Katze in die Feuerasche patschte und hielten sie für einen Tapir. Januario versetzte ihr mit dem Messer einen Stoss in die Rippen, Perrot gelang es seines Gewehrs habhaft zu werden und einen Schuss abzugeben, worauf sich der Ruhestörer ver- zogen und, wie Blutspuren am nächsten Morgen zeigten, zum Wald gewandt hatte. Perrot hatte im Ganzen acht Patronen mit sich, von denen er sieben verschoss. Die letzte behielt er aus Furcht vor einem ähnlichen Fall im Gewehr, obwol sie Rehe in aller Nähe passierten und die folgenden drei Tage ohne Nahrung blieben.
Im Lager stürzte sich Alles über die Maisfarinha und die Rapadura, die zusammen wie Zwieback mit Zucker schmeckten, nur hatte man sichtlich eine grössere Auflage von den aus Zucker gegossenen Ziegelsteinen erwartet als Con- fucio hergeben wollte. Es musste die genaueste Verteilung vorgenommen werden; argwöhnisch, im Scherz und im Ernst, verglich man in seiner Gier nach dem Süssen die wirklich kleinen Portionen. Das Dörrfleisch war trockene Haut. Und im Lager selbst hatte es zuletzt Ueberfluss gegeben; nachdem man den ersten Tag noch von Guariroba gelebt und nicht ein kleines Fischlein der Einladung anzu- beissen gefolgt war, hatte man einen mächtigen auf einen halben Zentner Gewicht
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interessante Art verunglückt, sie hatten sich wirklich nur gründlich verirrt und zwar schon von Anfang an, sie waren zwölf Tage die Kreuz und Quer umhergezogen, sie hatten die drei letzten Tage nichts mehr gegessen und waren noch im Besitz von zwei kostbaren Zündhölzern. Januario’s alter Kopf hatte den erlittenen Un- bilden nicht mehr Stand halten können; er delirierte mit Verfolgungsideen. Eine Pilokarpininjektion, mit der ich ihm am 25. November, als er mit einer schweren Erkältung niederlag und jammerte, dass er durch Nichts in der Welt in Schweiss zu bringen sei, in kürzester Frist zu einem fürchterlichen Schwitzen verholfen, und mit der ich ihn auch prachtvoll kuriert hatte, diese Injektion hatte ich nur gemacht, um ihn »zu erstechen«. Perrot liess sein Gewehr putzen, um ihn »zu erschiessen«, mit Kaffee gedachte man, ihn »zu vergiften«. Er erklärte, hier am Paranatinga bleiben, sich einen Rancho bauen und eine Pflanzung anlegen zu wollen. Er begrüsste mich mit mürrischem Gesicht und trübem Blick, war sehr reizbar und anspruchsvoll, litt an Kopfschmerz und wurde auch in den nächsten Wochen, obwohl er sich entschieden besserte, nie mehr wieder ganz das vergnügte alte Haus, das uns alle mit seinem freiwilligen und unfreiwilligen Humor so häufig heiter gestimmt hatte.
Perrot war über das Benehmen Januario’s verzweifelt gewesen, er hatte allein die Tiere besorgen, Holz schlagen und Feuer machen müssen, und fortwährender Zank gesellte sich zu der Verwirrung, den elenden Nächten, den Regengüssen, dem Hunger. Den Paranatingazufluss, der den Wald unter Wasser gesetzt hatte und bei dem wir ihre Spur verloren, hatten sie für den Batovy gehalten! Sie waren nach Osten geritten. Sie kehrten zurück und setzten mit einem kleinen Floss aus Buritístielen ihr Gepäck und ihre Gewehre über. Ihr unangenehmstes Abenteuer war, während sie unter dem niedrigen Schutzdach schliefen, der nächt- liche Besuch eines Jaguars gewesen. Sie fuhren erschreckt empor, als die Katze in die Feuerasche patschte und hielten sie für einen Tapir. Januario versetzte ihr mit dem Messer einen Stoss in die Rippen, Perrot gelang es seines Gewehrs habhaft zu werden und einen Schuss abzugeben, worauf sich der Ruhestörer ver- zogen und, wie Blutspuren am nächsten Morgen zeigten, zum Wald gewandt hatte. Perrot hatte im Ganzen acht Patronen mit sich, von denen er sieben verschoss. Die letzte behielt er aus Furcht vor einem ähnlichen Fall im Gewehr, obwol sie Rehe in aller Nähe passierten und die folgenden drei Tage ohne Nahrung blieben.
Im Lager stürzte sich Alles über die Maisfarinha und die Rapadura, die zusammen wie Zwieback mit Zucker schmeckten, nur hatte man sichtlich eine grössere Auflage von den aus Zucker gegossenen Ziegelsteinen erwartet als Con- fucio hergeben wollte. Es musste die genaueste Verteilung vorgenommen werden; argwöhnisch, im Scherz und im Ernst, verglich man in seiner Gier nach dem Süssen die wirklich kleinen Portionen. Das Dörrfleisch war trockene Haut. Und im Lager selbst hatte es zuletzt Ueberfluss gegeben; nachdem man den ersten Tag noch von Guariroba gelebt und nicht ein kleines Fischlein der Einladung anzu- beissen gefolgt war, hatte man einen mächtigen auf einen halben Zentner Gewicht
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interessante Art verunglückt, sie hatten sich wirklich nur gründlich verirrt und zwar
schon von Anfang an, sie waren zwölf Tage die Kreuz und Quer umhergezogen,
sie hatten die drei letzten Tage nichts mehr gegessen und waren noch im Besitz
von zwei kostbaren Zündhölzern. Januario’s alter Kopf hatte den erlittenen Un-
bilden nicht mehr Stand halten können; er delirierte mit Verfolgungsideen. Eine
Pilokarpininjektion, mit der ich ihm am 25. November, als er mit einer schweren
Erkältung niederlag und jammerte, dass er durch Nichts in der Welt in Schweiss
zu bringen sei, in kürzester Frist zu einem fürchterlichen Schwitzen verholfen,
und mit der ich ihn auch prachtvoll kuriert hatte, diese Injektion hatte ich nur
gemacht, um ihn »zu erstechen«. Perrot liess sein Gewehr putzen, um ihn »zu
erschiessen«, mit Kaffee gedachte man, ihn »zu vergiften«. Er erklärte, hier am
Paranatinga bleiben, sich einen Rancho bauen und eine Pflanzung anlegen zu
wollen. Er begrüsste mich mit mürrischem Gesicht und trübem Blick, war sehr
reizbar und anspruchsvoll, litt an Kopfschmerz und wurde auch in den nächsten
Wochen, obwohl er sich entschieden besserte, nie mehr wieder ganz das vergnügte
alte Haus, das uns alle mit seinem freiwilligen und unfreiwilligen Humor so häufig
heiter gestimmt hatte.
Perrot war über das Benehmen Januario’s verzweifelt gewesen, er hatte allein
die Tiere besorgen, Holz schlagen und Feuer machen müssen, und fortwährender
Zank gesellte sich zu der Verwirrung, den elenden Nächten, den Regengüssen,
dem Hunger. Den Paranatingazufluss, der den Wald unter Wasser gesetzt hatte
und bei dem wir ihre Spur verloren, hatten sie für den Batovy gehalten! Sie
waren nach Osten geritten. Sie kehrten zurück und setzten mit einem kleinen
Floss aus Buritístielen ihr Gepäck und ihre Gewehre über. Ihr unangenehmstes
Abenteuer war, während sie unter dem niedrigen Schutzdach schliefen, der nächt-
liche Besuch eines Jaguars gewesen. Sie fuhren erschreckt empor, als die Katze
in die Feuerasche patschte und hielten sie für einen Tapir. Januario versetzte
ihr mit dem Messer einen Stoss in die Rippen, Perrot gelang es seines Gewehrs
habhaft zu werden und einen Schuss abzugeben, worauf sich der Ruhestörer ver-
zogen und, wie Blutspuren am nächsten Morgen zeigten, zum Wald gewandt hatte.
Perrot hatte im Ganzen acht Patronen mit sich, von denen er sieben verschoss.
Die letzte behielt er aus Furcht vor einem ähnlichen Fall im Gewehr, obwol sie
Rehe in aller Nähe passierten und die folgenden drei Tage ohne Nahrung blieben.
Im Lager stürzte sich Alles über die Maisfarinha und die Rapadura, die
zusammen wie Zwieback mit Zucker schmeckten, nur hatte man sichtlich eine
grössere Auflage von den aus Zucker gegossenen Ziegelsteinen erwartet als Con-
fucio hergeben wollte. Es musste die genaueste Verteilung vorgenommen werden;
argwöhnisch, [FORMEL] im Scherz und [FORMEL] im Ernst, verglich man in seiner Gier nach
dem Süssen die wirklich kleinen Portionen. Das Dörrfleisch war trockene Haut.
Und im Lager selbst hatte es zuletzt Ueberfluss gegeben; nachdem man den ersten
Tag noch von Guariroba gelebt und nicht ein kleines Fischlein der Einladung anzu-
beissen gefolgt war, hatte man einen mächtigen auf einen halben Zentner Gewicht
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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 147. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/187>, abgerufen am 24.11.2024.
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