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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894.

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Da lagen sogar Zeitungen! Nicht gerade das Morgenblatt von Sonnabend,
dem 10. Dezember, mit Sonntagsbeilage, sondern ungefähr einen Monat älter, aber
für mich hinreichend aktuellen Inhalts. Ich erfuhr, dass der "Rio Apa", der für
uns eigentlich bestimmte Postdampfer, im Juli mit Mann und Maus untergegangen
war. -- Confucio hatte einen Bruder in Cuyaba, der Kosciusko hiess und "ein
französischer Philosoph" war. Seine zwei Schwestern Namens Brasilina und Poly-
carpina wohnten auf der Fazenda. Von unsern Freunden, den benachbarten
Fazendeiros am oberen Cuyaba, wollte er nichts wissen. Das Land gehöre gar
nicht der Donna Matilda und ihren Verwandten, sie seien nur überall umher-
gezogen und erhöben nun Ansprüche auf das ganze linke Ufer des Paranatinga.

Auch auf Rondon war er schlecht zu sprechen. Er habe seine Leute
Hunger leiden lassen und mitgeführte Ochsen verkauft, statt ihnen das Fleisch
zu geben. Das Zusammentreffen mit den Indianern hatte sich, wie zu erwarten
war, so abgespielt, dass die Brasilier sofort, als jene mit dem gewohnten
Empfangsgebrüll erschienen, Feuer gaben. Es war Rondons Vorhut gewesen,
der Kapitän Francelino aus Rosario mit 6 Leuten, die diese alte und immer
wieder neue Thorheit begingen. Dabei zitterte Francelino infolge Neuralgie die
Hand, er kam mit dem Laden nicht zu Stande und brach unter einem Pfeil-
schuss zusammen. Rondon, der die Schüsse hörte, entfloh entsetzt, "aborrecido".
Er beeilte sich so, dass ein armer Teufel von Kamerad, der hinkte, zurück-
geblieben und wahrscheinlich im Sertao umgekommen sei. Und mir lag derweil
wie Alpdrücken die Frage auf der Seele: was ist aus Januario und Perrot ge-
worden?

Zweierlei war für uns das Notwendigste: Lebensmittel und da unsere Esel
samt ihren Sätteln in dem denkbar schauderhaftesten Zustande waren, ein Arriero
für die Tiere. Ich mietete einen Mann Namens Gomez und liess ein Oechslein
mit Maisfarinha, Reis, Bohnen und Speck beladen. Farinha von Mandioka war nicht
vorhanden, auch von Reis gab es nur wenig; Dörrfleisch, wegen des Regens knapp
geworden, erhielt ich nur 4 kg, und Rapadura, die nicht im Hause gemacht,
sondern von der Serra geholt sei, nur 6 Stück. Schnaps bekam ich mit Ach und
Weh 2 Flaschen, er war in der vorigen Woche bei einer "Promessa" ausgetrunken
worden. Ein Maultier war abhanden gekommen, man hatte eine "Promessa" ge-
macht, ein Gelöbnis an den heiligen Antonio, dass er es wiederschaffe, und die
Dankfeier mit Gebet (reza), Schnapstrinken und Pururutanzen begangen.

Nun, die beiden Unglücksmenschen, Perrot und Januario, die uns beinahe
den Streich gespielt hätten, die ganze Expedition zu verderben, sie sassen wieder
im alten Zelt. Columna, der einem Santo eine Kerze gelobt hatte, wenn sie
wiederkehrten, war erhört worden; (bezahlen muss freilich der, für den das Ver-
sprechen geleistet worden ist). Den 10. Dezember, den Tag nach meinem Weg-
gehen, waren sie Nachmittags angeritten gekommen, triefend, abgerissen, zer-
schunden, mager, hohläugig -- Jammergestalten, und doch von Freude erfüllt.
Sie waren nicht ertrunken, nicht vom Blitz erschlagen oder sonst auf eine

Da lagen sogar Zeitungen! Nicht gerade das Morgenblatt von Sonnabend,
dem 10. Dezember, mit Sonntagsbeilage, sondern ungefähr einen Monat älter, aber
für mich hinreichend aktuellen Inhalts. Ich erfuhr, dass der »Rio Apa«, der für
uns eigentlich bestimmte Postdampfer, im Juli mit Mann und Maus untergegangen
war. — Confucio hatte einen Bruder in Cuyabá, der Kosciusko hiess und »ein
französischer Philosoph« war. Seine zwei Schwestern Namens Brasilina und Poly-
carpina wohnten auf der Fazenda. Von unsern Freunden, den benachbarten
Fazendeiros am oberen Cuyabá, wollte er nichts wissen. Das Land gehöre gar
nicht der Donna Matilda und ihren Verwandten, sie seien nur überall umher-
gezogen und erhöben nun Ansprüche auf das ganze linke Ufer des Paranatinga.

Auch auf Rondon war er schlecht zu sprechen. Er habe seine Leute
Hunger leiden lassen und mitgeführte Ochsen verkauft, statt ihnen das Fleisch
zu geben. Das Zusammentreffen mit den Indianern hatte sich, wie zu erwarten
war, so abgespielt, dass die Brasilier sofort, als jene mit dem gewohnten
Empfangsgebrüll erschienen, Feuer gaben. Es war Rondons Vorhut gewesen,
der Kapitän Francelino aus Rosario mit 6 Leuten, die diese alte und immer
wieder neue Thorheit begingen. Dabei zitterte Francelino infolge Neuralgie die
Hand, er kam mit dem Laden nicht zu Stande und brach unter einem Pfeil-
schuss zusammen. Rondon, der die Schüsse hörte, entfloh entsetzt, »aborrecido«.
Er beeilte sich so, dass ein armer Teufel von Kamerad, der hinkte, zurück-
geblieben und wahrscheinlich im Sertão umgekommen sei. Und mir lag derweil
wie Alpdrücken die Frage auf der Seele: was ist aus Januario und Perrot ge-
worden?

Zweierlei war für uns das Notwendigste: Lebensmittel und da unsere Esel
samt ihren Sätteln in dem denkbar schauderhaftesten Zustande waren, ein Arriero
für die Tiere. Ich mietete einen Mann Namens Gomez und liess ein Oechslein
mit Maisfarinha, Reis, Bohnen und Speck beladen. Farinha von Mandioka war nicht
vorhanden, auch von Reis gab es nur wenig; Dörrfleisch, wegen des Regens knapp
geworden, erhielt ich nur 4 kg, und Rapadura, die nicht im Hause gemacht,
sondern von der Serra geholt sei, nur 6 Stück. Schnaps bekam ich mit Ach und
Weh 2 Flaschen, er war in der vorigen Woche bei einer »Promessa« ausgetrunken
worden. Ein Maultier war abhanden gekommen, man hatte eine »Promessa« ge-
macht, ein Gelöbnis an den heiligen Antonio, dass er es wiederschaffe, und die
Dankfeier mit Gebet (reza), Schnapstrinken und Pururútanzen begangen.

Nun, die beiden Unglücksmenschen, Perrot und Januario, die uns beinahe
den Streich gespielt hätten, die ganze Expedition zu verderben, sie sassen wieder
im alten Zelt. Columna, der einem Santo eine Kerze gelobt hatte, wenn sie
wiederkehrten, war erhört worden; (bezahlen muss freilich der, für den das Ver-
sprechen geleistet worden ist). Den 10. Dezember, den Tag nach meinem Weg-
gehen, waren sie Nachmittags angeritten gekommen, triefend, abgerissen, zer-
schunden, mager, hohläugig — Jammergestalten, und doch von Freude erfüllt.
Sie waren nicht ertrunken, nicht vom Blitz erschlagen oder sonst auf eine

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[146/0186] Da lagen sogar Zeitungen! Nicht gerade das Morgenblatt von Sonnabend, dem 10. Dezember, mit Sonntagsbeilage, sondern ungefähr einen Monat älter, aber für mich hinreichend aktuellen Inhalts. Ich erfuhr, dass der »Rio Apa«, der für uns eigentlich bestimmte Postdampfer, im Juli mit Mann und Maus untergegangen war. — Confucio hatte einen Bruder in Cuyabá, der Kosciusko hiess und »ein französischer Philosoph« war. Seine zwei Schwestern Namens Brasilina und Poly- carpina wohnten auf der Fazenda. Von unsern Freunden, den benachbarten Fazendeiros am oberen Cuyabá, wollte er nichts wissen. Das Land gehöre gar nicht der Donna Matilda und ihren Verwandten, sie seien nur überall umher- gezogen und erhöben nun Ansprüche auf das ganze linke Ufer des Paranatinga. Auch auf Rondon war er schlecht zu sprechen. Er habe seine Leute Hunger leiden lassen und mitgeführte Ochsen verkauft, statt ihnen das Fleisch zu geben. Das Zusammentreffen mit den Indianern hatte sich, wie zu erwarten war, so abgespielt, dass die Brasilier sofort, als jene mit dem gewohnten Empfangsgebrüll erschienen, Feuer gaben. Es war Rondons Vorhut gewesen, der Kapitän Francelino aus Rosario mit 6 Leuten, die diese alte und immer wieder neue Thorheit begingen. Dabei zitterte Francelino infolge Neuralgie die Hand, er kam mit dem Laden nicht zu Stande und brach unter einem Pfeil- schuss zusammen. Rondon, der die Schüsse hörte, entfloh entsetzt, »aborrecido«. Er beeilte sich so, dass ein armer Teufel von Kamerad, der hinkte, zurück- geblieben und wahrscheinlich im Sertão umgekommen sei. Und mir lag derweil wie Alpdrücken die Frage auf der Seele: was ist aus Januario und Perrot ge- worden? Zweierlei war für uns das Notwendigste: Lebensmittel und da unsere Esel samt ihren Sätteln in dem denkbar schauderhaftesten Zustande waren, ein Arriero für die Tiere. Ich mietete einen Mann Namens Gomez und liess ein Oechslein mit Maisfarinha, Reis, Bohnen und Speck beladen. Farinha von Mandioka war nicht vorhanden, auch von Reis gab es nur wenig; Dörrfleisch, wegen des Regens knapp geworden, erhielt ich nur 4 kg, und Rapadura, die nicht im Hause gemacht, sondern von der Serra geholt sei, nur 6 Stück. Schnaps bekam ich mit Ach und Weh 2 Flaschen, er war in der vorigen Woche bei einer »Promessa« ausgetrunken worden. Ein Maultier war abhanden gekommen, man hatte eine »Promessa« ge- macht, ein Gelöbnis an den heiligen Antonio, dass er es wiederschaffe, und die Dankfeier mit Gebet (reza), Schnapstrinken und Pururútanzen begangen. Nun, die beiden Unglücksmenschen, Perrot und Januario, die uns beinahe den Streich gespielt hätten, die ganze Expedition zu verderben, sie sassen wieder im alten Zelt. Columna, der einem Santo eine Kerze gelobt hatte, wenn sie wiederkehrten, war erhört worden; (bezahlen muss freilich der, für den das Ver- sprechen geleistet worden ist). Den 10. Dezember, den Tag nach meinem Weg- gehen, waren sie Nachmittags angeritten gekommen, triefend, abgerissen, zer- schunden, mager, hohläugig — Jammergestalten, und doch von Freude erfüllt. Sie waren nicht ertrunken, nicht vom Blitz erschlagen oder sonst auf eine

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Zitationshilfe: Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 146. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/186>, abgerufen am 24.11.2024.