Wir durchkreuzten die Lagune, schickten das Boot zurück und begaben uns auf den Weg zum Auetökanal. Es war ein schöner Nachmittag; der Indianer, der unser Gepäck trug, hatte ein vergnügtes Gemüt und blies trotz seiner Last fröhlich auf einer kleinen Pansflöte. In dieser angenehmen Stimmung störte uns der Renommist Moritona, der grosse Zauberer der Yaulapiti, der mit seinem Tragkorb einsam dahergeschritten kam. Er suchte uns zurückzuhalten und hielt eine lange Rede, deren A und O die Trumai waren; offenbar befanden sie sich in der Nähe. Auch kamen wir an einer Stelle vorüber, wo man gelagert hatte und eine Anzahl Feuer unterhalten worden waren. Alle Zweifel schwanden am Ende des Weges. Zwei Frauen schritten dort quer über den Pfad, erhoben ein entsetzliches Geschrei und verschwanden blitzschnell im Gebüsch. Vielstimmiges, gellendes Durcheinanderrufen und zwischen den Bäumen plötzlich an allen Ecken aufgeregt hin und wieder rennende Gestalten! Wir waren bei den Trumai!
Eine unangenehme Situation. Zurückgehen war natürlich ausgeschlossen. Also gerade vorwärts. Niemals habe ich einen unsinnigeren Lärm gehört. Im Hintergrund stürzten Weiber und Kinder mit ohrenzerreissendem Geheul von dannen; die Männer rafften hier und dort ihre Waffen auf und verdichteten sich, die Bogen, Pfeile, Wurfpfeile schwingend, zu einem schreienden, tanzenden, tobenden Knäuel, auf den wir einer hinter dem andern fest zuschritten. Ich fasste einen kleinen Herrn ins Auge, der der Häuptling zu sein schien, trat gerade auf ihn zu, legte die Hand auf seine Schulter und that, was in solchen Fällen immer das beste ist, ich lachte. Auch liess ich es an kräftig ausgesprochenen "katu katu karaiba, kura kura karaiba" nicht fehlen. Ja, ich richtete verschiedene kurze Sätze an ihn in einer Sprache, die er höchst wahrscheinlich niemals gehört hatte, deren Laute sich aber mir in kritischen Momenten gern auf die Lippen drängen und dann immer siegreich über den Ernst der Lage hinweghelfen, das ist mein liebes Düsseldorfer Platt, verdichtet in einigen karnevalistischen Schlagwörtern, die für jede Situation zutreffen. Sie thaten auch bei den Trumai ihre Wirkung; der alte kleine Häuptling war zwar zu entsetzt, um auch lachen zu können, aber er grüsste doch so verbindlich wie möglich.
Man schleppte hastig zwei Schemel herbei und riss das Stroh herunter, in das sie verpackt waren; sie hatten Vogelgestalt und der eine, der einen Geier darstellte, war wie ein Doppeladler durch zwei Hälse und Köpfe ausgezeichnet. Wir setzten uns im Waldlager nieder und um uns herum und rings zwischen den Bäumen drängte sich und wogte die in ihrer Angst recht wild ausschauende Gesellschaft. Als ich mit vergnügten Mienen erklärte, dass ich bei ihnen schlafen wolle, regten sich zwanzig Hände auf einmal, das Gestrüpp wegzu- reissen und Raum zu schaffen -- aufmerksamere Bedienung war nicht zu denken. Nach einer halben Stunde meldete erneutes Geheul und Weibergeschrei die Ankunft von Wilhelm und Carlos an, die herbeigeführt wurden und eben- falls ihrer wohlwollenden Gesinnung mit Worten und Geberden deutlichen Aus- druck gaben.
Wir durchkreuzten die Lagune, schickten das Boot zurück und begaben uns auf den Weg zum Auetö́kanal. Es war ein schöner Nachmittag; der Indianer, der unser Gepäck trug, hatte ein vergnügtes Gemüt und blies trotz seiner Last fröhlich auf einer kleinen Pansflöte. In dieser angenehmen Stimmung störte uns der Renommist Moritona, der grosse Zauberer der Yaulapiti, der mit seinem Tragkorb einsam dahergeschritten kam. Er suchte uns zurückzuhalten und hielt eine lange Rede, deren A und O die Trumaí waren; offenbar befanden sie sich in der Nähe. Auch kamen wir an einer Stelle vorüber, wo man gelagert hatte und eine Anzahl Feuer unterhalten worden waren. Alle Zweifel schwanden am Ende des Weges. Zwei Frauen schritten dort quer über den Pfad, erhoben ein entsetzliches Geschrei und verschwanden blitzschnell im Gebüsch. Vielstimmiges, gellendes Durcheinanderrufen und zwischen den Bäumen plötzlich an allen Ecken aufgeregt hin und wieder rennende Gestalten! Wir waren bei den Trumaí!
Eine unangenehme Situation. Zurückgehen war natürlich ausgeschlossen. Also gerade vorwärts. Niemals habe ich einen unsinnigeren Lärm gehört. Im Hintergrund stürzten Weiber und Kinder mit ohrenzerreissendem Geheul von dannen; die Männer rafften hier und dort ihre Waffen auf und verdichteten sich, die Bogen, Pfeile, Wurfpfeile schwingend, zu einem schreienden, tanzenden, tobenden Knäuel, auf den wir einer hinter dem andern fest zuschritten. Ich fasste einen kleinen Herrn ins Auge, der der Häuptling zu sein schien, trat gerade auf ihn zu, legte die Hand auf seine Schulter und that, was in solchen Fällen immer das beste ist, ich lachte. Auch liess ich es an kräftig ausgesprochenen „katú katú karáiba, kúra kúra karáiba“ nicht fehlen. Ja, ich richtete verschiedene kurze Sätze an ihn in einer Sprache, die er höchst wahrscheinlich niemals gehört hatte, deren Laute sich aber mir in kritischen Momenten gern auf die Lippen drängen und dann immer siegreich über den Ernst der Lage hinweghelfen, das ist mein liebes Düsseldorfer Platt, verdichtet in einigen karnevalistischen Schlagwörtern, die für jede Situation zutreffen. Sie thaten auch bei den Trumaí ihre Wirkung; der alte kleine Häuptling war zwar zu entsetzt, um auch lachen zu können, aber er grüsste doch so verbindlich wie möglich.
Man schleppte hastig zwei Schemel herbei und riss das Stroh herunter, in das sie verpackt waren; sie hatten Vogelgestalt und der eine, der einen Geier darstellte, war wie ein Doppeladler durch zwei Hälse und Köpfe ausgezeichnet. Wir setzten uns im Waldlager nieder und um uns herum und rings zwischen den Bäumen drängte sich und wogte die in ihrer Angst recht wild ausschauende Gesellschaft. Als ich mit vergnügten Mienen erklärte, dass ich bei ihnen schlafen wolle, regten sich zwanzig Hände auf einmal, das Gestrüpp wegzu- reissen und Raum zu schaffen — aufmerksamere Bedienung war nicht zu denken. Nach einer halben Stunde meldete erneutes Geheul und Weibergeschrei die Ankunft von Wilhelm und Carlos an, die herbeigeführt wurden und eben- falls ihrer wohlwollenden Gesinnung mit Worten und Geberden deutlichen Aus- druck gaben.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0158"n="122"/><p>Wir durchkreuzten die Lagune, schickten das Boot zurück und begaben<lb/>
uns auf den Weg zum Auetö́kanal. Es war ein schöner Nachmittag; der Indianer,<lb/>
der unser Gepäck trug, hatte ein vergnügtes Gemüt und blies trotz seiner Last<lb/>
fröhlich auf einer kleinen Pansflöte. In dieser angenehmen Stimmung störte uns<lb/>
der Renommist Moritona, der grosse Zauberer der Yaulapiti, der mit seinem<lb/>
Tragkorb einsam dahergeschritten kam. Er suchte uns zurückzuhalten und hielt<lb/>
eine lange Rede, deren A und O die Trumaí waren; offenbar befanden sie sich<lb/>
in der Nähe. Auch kamen wir an einer Stelle vorüber, wo man gelagert hatte<lb/>
und eine Anzahl Feuer unterhalten worden waren. Alle Zweifel schwanden am<lb/>
Ende des Weges. Zwei Frauen schritten dort quer über den Pfad, erhoben ein<lb/>
entsetzliches Geschrei und verschwanden blitzschnell im Gebüsch. Vielstimmiges,<lb/>
gellendes Durcheinanderrufen und zwischen den Bäumen plötzlich an allen Ecken<lb/>
aufgeregt hin und wieder rennende Gestalten! Wir waren bei den Trumaí!</p><lb/><p>Eine unangenehme Situation. Zurückgehen war natürlich ausgeschlossen.<lb/>
Also gerade vorwärts. Niemals habe ich einen unsinnigeren Lärm gehört. Im<lb/>
Hintergrund stürzten Weiber und Kinder mit ohrenzerreissendem Geheul von<lb/>
dannen; die Männer rafften hier und dort ihre Waffen auf und verdichteten sich,<lb/>
die Bogen, Pfeile, Wurfpfeile schwingend, zu einem schreienden, tanzenden, tobenden<lb/>
Knäuel, auf den wir einer hinter dem andern fest zuschritten. Ich fasste einen kleinen<lb/>
Herrn ins Auge, der der Häuptling zu sein schien, trat gerade auf ihn zu, legte<lb/>
die Hand auf seine Schulter und that, was in solchen Fällen immer das beste ist,<lb/>
ich lachte. Auch liess ich es an kräftig ausgesprochenen „<hirendition="#i">katú katú karáiba</hi>,<lb/><hirendition="#i">kúra kúra karáiba</hi>“ nicht fehlen. Ja, ich richtete verschiedene kurze Sätze an ihn<lb/>
in einer Sprache, die er höchst wahrscheinlich niemals gehört hatte, deren Laute<lb/>
sich aber mir in kritischen Momenten gern auf die Lippen drängen und dann<lb/>
immer siegreich über den Ernst der Lage hinweghelfen, das ist mein liebes<lb/>
Düsseldorfer Platt, verdichtet in einigen karnevalistischen Schlagwörtern, die für<lb/>
jede Situation zutreffen. Sie thaten auch bei den Trumaí ihre Wirkung; der<lb/>
alte kleine Häuptling war zwar zu entsetzt, um auch lachen zu können, aber er<lb/>
grüsste doch so verbindlich wie möglich.</p><lb/><p>Man schleppte hastig zwei Schemel herbei und riss das Stroh herunter, in<lb/>
das sie verpackt waren; sie hatten Vogelgestalt und der eine, der einen Geier<lb/>
darstellte, war wie ein Doppeladler durch zwei Hälse und Köpfe ausgezeichnet.<lb/>
Wir setzten uns im Waldlager nieder und um uns herum und rings zwischen den<lb/>
Bäumen drängte sich und wogte die in ihrer Angst recht wild ausschauende<lb/>
Gesellschaft. Als ich mit vergnügten Mienen erklärte, dass ich bei ihnen<lb/>
schlafen wolle, regten sich zwanzig Hände auf einmal, das Gestrüpp wegzu-<lb/>
reissen und Raum zu schaffen — aufmerksamere Bedienung war nicht zu<lb/>
denken. Nach einer halben Stunde meldete erneutes Geheul und Weibergeschrei<lb/>
die Ankunft von Wilhelm und Carlos an, die herbeigeführt wurden und eben-<lb/>
falls ihrer wohlwollenden Gesinnung mit Worten und Geberden deutlichen Aus-<lb/>
druck gaben.</p><lb/></div></div></body></text></TEI>
[122/0158]
Wir durchkreuzten die Lagune, schickten das Boot zurück und begaben
uns auf den Weg zum Auetö́kanal. Es war ein schöner Nachmittag; der Indianer,
der unser Gepäck trug, hatte ein vergnügtes Gemüt und blies trotz seiner Last
fröhlich auf einer kleinen Pansflöte. In dieser angenehmen Stimmung störte uns
der Renommist Moritona, der grosse Zauberer der Yaulapiti, der mit seinem
Tragkorb einsam dahergeschritten kam. Er suchte uns zurückzuhalten und hielt
eine lange Rede, deren A und O die Trumaí waren; offenbar befanden sie sich
in der Nähe. Auch kamen wir an einer Stelle vorüber, wo man gelagert hatte
und eine Anzahl Feuer unterhalten worden waren. Alle Zweifel schwanden am
Ende des Weges. Zwei Frauen schritten dort quer über den Pfad, erhoben ein
entsetzliches Geschrei und verschwanden blitzschnell im Gebüsch. Vielstimmiges,
gellendes Durcheinanderrufen und zwischen den Bäumen plötzlich an allen Ecken
aufgeregt hin und wieder rennende Gestalten! Wir waren bei den Trumaí!
Eine unangenehme Situation. Zurückgehen war natürlich ausgeschlossen.
Also gerade vorwärts. Niemals habe ich einen unsinnigeren Lärm gehört. Im
Hintergrund stürzten Weiber und Kinder mit ohrenzerreissendem Geheul von
dannen; die Männer rafften hier und dort ihre Waffen auf und verdichteten sich,
die Bogen, Pfeile, Wurfpfeile schwingend, zu einem schreienden, tanzenden, tobenden
Knäuel, auf den wir einer hinter dem andern fest zuschritten. Ich fasste einen kleinen
Herrn ins Auge, der der Häuptling zu sein schien, trat gerade auf ihn zu, legte
die Hand auf seine Schulter und that, was in solchen Fällen immer das beste ist,
ich lachte. Auch liess ich es an kräftig ausgesprochenen „katú katú karáiba,
kúra kúra karáiba“ nicht fehlen. Ja, ich richtete verschiedene kurze Sätze an ihn
in einer Sprache, die er höchst wahrscheinlich niemals gehört hatte, deren Laute
sich aber mir in kritischen Momenten gern auf die Lippen drängen und dann
immer siegreich über den Ernst der Lage hinweghelfen, das ist mein liebes
Düsseldorfer Platt, verdichtet in einigen karnevalistischen Schlagwörtern, die für
jede Situation zutreffen. Sie thaten auch bei den Trumaí ihre Wirkung; der
alte kleine Häuptling war zwar zu entsetzt, um auch lachen zu können, aber er
grüsste doch so verbindlich wie möglich.
Man schleppte hastig zwei Schemel herbei und riss das Stroh herunter, in
das sie verpackt waren; sie hatten Vogelgestalt und der eine, der einen Geier
darstellte, war wie ein Doppeladler durch zwei Hälse und Köpfe ausgezeichnet.
Wir setzten uns im Waldlager nieder und um uns herum und rings zwischen den
Bäumen drängte sich und wogte die in ihrer Angst recht wild ausschauende
Gesellschaft. Als ich mit vergnügten Mienen erklärte, dass ich bei ihnen
schlafen wolle, regten sich zwanzig Hände auf einmal, das Gestrüpp wegzu-
reissen und Raum zu schaffen — aufmerksamere Bedienung war nicht zu
denken. Nach einer halben Stunde meldete erneutes Geheul und Weibergeschrei
die Ankunft von Wilhelm und Carlos an, die herbeigeführt wurden und eben-
falls ihrer wohlwollenden Gesinnung mit Worten und Geberden deutlichen Aus-
druck gaben.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/158>, abgerufen am 26.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.