Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894.

Bild:
<< vorherige Seite

von kkh-an-a-dile gegeben wird? Da heisst mit dem (schon veränderten) Verbal-
stamm "e" sehen "du siehst" "meta" und "du siehst nicht" "manepürama" und
ist zu zergliedern:
m - e - ta und m - an - e - püra - ama.
du Stamm Flexion du Flexion Stamm nicht du.

Die einfache Folge ist, dass man alles Mögliche zum Stamm rechnet, was
garnicht dazu gehört, und die Form für alle möglichen Gelegenheiten anwendet,
bei denen sie weder der Person noch der Zeitfolge oder anderen in ihnen ent-
haltenen Nuancen nach angebracht sind. Die organische Gliederung der Wörter
erstarrt, und der Satz wird ein Mosaik der rohesten Art aus lauter Bruchstücken.
Aber für die Verständigung ist dann gesorgt; dem Indianer genügt bei seinem
Talent für das Charakteristische das abgehackte Wortstück durchaus an Stelle
des ganzen Satzindividuums, und, was schlimmer ist, wenn man Fortschritte in
der Sprache machen möchte, freilich auch um so angenehmer ist, wenn man nur
den plumpen Inhalt der Mitteilung bedarf, er selbst eignet sich bald die neue
Ausdrucksweise an: man unterhält sich geläufig miteinander, indem man statt mit
lebendigen Worten wie mit geprägten Münzen Tauschverkehr treibt.

Was mir die Aufnahme nicht wenig erschwerte, war der Umstand, dass die
Bakairi meinen Frageton nicht verstanden. Sie ahmten ihn nach, statt zu
antworten. Die Namen der gegenwärtigen Gegenstände zu erhalten, ging ohne
jede Mühe an; sie kamen dem Bedürfnis sogar entgegen, zeigten auf solche, die
ich noch nicht gefragt hatte, und sagten die Namen. Sehr ausführlich nahm ich
die Körperteile auf, weil sie stets mit den Pronominalpräfixen verbunden sind,
der Indianer also nicht etwa sagt: "Zunge", sondern stets mit dem Zusatz der
Person "meine Zunge", "deine Zunge", "seine Zunge", und somit dieser Kategorie
des Verzeichnisses auch ein grammatikalischer Wert innewohnt. Es war deshalb
wohl darauf zu achten, ob man den Körperteil, dessen Stamm man verlangte,
an sich selbst oder an dem Gefragten oder an einem Dritten zeigte, denn die
Antwort lautete je nachdem: deine alu, meine ulu, seine ilu oder allgemein kkhulu
unser Aller, die hier sind, Zunge.

Tiernamen aufzunehmen war ein Vergnügen, weil hier die Nachahmung mit
Lauten und Geberden am kunstvollsten auftrat. Eine Schlange, ein Alligatorkopf
oder dergleichen wurde auch in den Sand gezeichnet. Mir war die Menge der
Einzelangaben hinderlich, da ich nicht genug von den Stimmen und dem Be-
nehmen ihrer Tiere wusste; sie boten mir Feinheiten in den Artunterschieden,
die ich zu ihrer Verwunderung nicht würdigen konnte, und zuweilen fürchte ich
ihnen unbegreifliche Lücken in der gewöhnlichsten Schulbildung verraten zu haben.

Die schwierigste Aufgabe lag bei den Verben, und zwar nicht allein wegen
der Kompliziertheit der Formen. Gelang es mir, kurze Sätze aufzuschreiben, in
denen etwas über irgend einen grade ablaufenden Vorgang ausgesagt wurde,
führte ich auch selbst allerlei Handlungen, wie Essen und Trinken jetzt von
diesem, dann von jenem, aus, die ihnen den Inhalt eines Satzes liefern sollten,

von kχ-an-a-díle gegeben wird? Da heisst mit dem (schon veränderten) Verbal-
stamm „e“ sehen »du siehst« „méta“ und »du siehst nicht« „manepüráma“ und
ist zu zergliedern:
m - e - ta und m - an - e - püra - ama.
du Stamm Flexion du Flexion Stamm nicht du.

Die einfache Folge ist, dass man alles Mögliche zum Stamm rechnet, was
garnicht dazu gehört, und die Form für alle möglichen Gelegenheiten anwendet,
bei denen sie weder der Person noch der Zeitfolge oder anderen in ihnen ent-
haltenen Nuancen nach angebracht sind. Die organische Gliederung der Wörter
erstarrt, und der Satz wird ein Mosaik der rohesten Art aus lauter Bruchstücken.
Aber für die Verständigung ist dann gesorgt; dem Indianer genügt bei seinem
Talent für das Charakteristische das abgehackte Wortstück durchaus an Stelle
des ganzen Satzindividuums, und, was schlimmer ist, wenn man Fortschritte in
der Sprache machen möchte, freilich auch um so angenehmer ist, wenn man nur
den plumpen Inhalt der Mitteilung bedarf, er selbst eignet sich bald die neue
Ausdrucksweise an: man unterhält sich geläufig miteinander, indem man statt mit
lebendigen Worten wie mit geprägten Münzen Tauschverkehr treibt.

Was mir die Aufnahme nicht wenig erschwerte, war der Umstand, dass die
Bakaïrí meinen Frageton nicht verstanden. Sie ahmten ihn nach, statt zu
antworten. Die Namen der gegenwärtigen Gegenstände zu erhalten, ging ohne
jede Mühe an; sie kamen dem Bedürfnis sogar entgegen, zeigten auf solche, die
ich noch nicht gefragt hatte, und sagten die Namen. Sehr ausführlich nahm ich
die Körperteile auf, weil sie stets mit den Pronominalpräfixen verbunden sind,
der Indianer also nicht etwa sagt: »Zunge«, sondern stets mit dem Zusatz der
Person »meine Zunge«, »deine Zunge«, »seine Zunge«, und somit dieser Kategorie
des Verzeichnisses auch ein grammatikalischer Wert innewohnt. Es war deshalb
wohl darauf zu achten, ob man den Körperteil, dessen Stamm man verlangte,
an sich selbst oder an dem Gefragten oder an einem Dritten zeigte, denn die
Antwort lautete je nachdem: deine ålu, meine ulu, seine ilu oder allgemein kχulu
unser Aller, die hier sind, Zunge.

Tiernamen aufzunehmen war ein Vergnügen, weil hier die Nachahmung mit
Lauten und Geberden am kunstvollsten auftrat. Eine Schlange, ein Alligatorkopf
oder dergleichen wurde auch in den Sand gezeichnet. Mir war die Menge der
Einzelangaben hinderlich, da ich nicht genug von den Stimmen und dem Be-
nehmen ihrer Tiere wusste; sie boten mir Feinheiten in den Artunterschieden,
die ich zu ihrer Verwunderung nicht würdigen konnte, und zuweilen fürchte ich
ihnen unbegreifliche Lücken in der gewöhnlichsten Schulbildung verraten zu haben.

Die schwierigste Aufgabe lag bei den Verben, und zwar nicht allein wegen
der Kompliziertheit der Formen. Gelang es mir, kurze Sätze aufzuschreiben, in
denen etwas über irgend einen grade ablaufenden Vorgang ausgesagt wurde,
führte ich auch selbst allerlei Handlungen, wie Essen und Trinken jetzt von
diesem, dann von jenem, aus, die ihnen den Inhalt eines Satzes liefern sollten,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0109" n="79"/>
von <hi rendition="#i">k&#x03C7;-an-<hi rendition="#b">a</hi>-díle</hi> gegeben wird? Da heisst mit dem (schon veränderten) Verbal-<lb/>
stamm &#x201E;<hi rendition="#i">e</hi>&#x201C; sehen »du siehst« &#x201E;<hi rendition="#i">méta</hi>&#x201C; und »du siehst nicht« &#x201E;<hi rendition="#i">manepüráma</hi>&#x201C; und<lb/>
ist zu zergliedern:<lb/><hi rendition="#et"><hi rendition="#i">m - <hi rendition="#b">e</hi> - ta</hi> und <hi rendition="#i">m - an - <hi rendition="#b">e</hi> - püra - ama.</hi><lb/>
du Stamm Flexion du Flexion Stamm nicht du.</hi></p><lb/>
          <p>Die einfache Folge ist, dass man alles Mögliche zum Stamm rechnet, was<lb/>
garnicht dazu gehört, und die Form für alle möglichen Gelegenheiten anwendet,<lb/>
bei denen sie weder der Person noch der Zeitfolge oder anderen in ihnen ent-<lb/>
haltenen Nuancen nach angebracht sind. Die organische Gliederung der Wörter<lb/>
erstarrt, und der Satz wird ein Mosaik der rohesten Art aus lauter Bruchstücken.<lb/>
Aber für die Verständigung ist dann gesorgt; dem Indianer genügt bei seinem<lb/>
Talent für das Charakteristische das abgehackte Wortstück durchaus an Stelle<lb/>
des ganzen Satzindividuums, und, was schlimmer ist, wenn man Fortschritte in<lb/>
der Sprache machen möchte, freilich auch um so angenehmer ist, wenn man nur<lb/>
den plumpen Inhalt der Mitteilung bedarf, er selbst eignet sich bald die neue<lb/>
Ausdrucksweise an: man unterhält sich geläufig miteinander, indem man statt mit<lb/>
lebendigen Worten wie mit geprägten Münzen Tauschverkehr treibt.</p><lb/>
          <p>Was mir die Aufnahme nicht wenig erschwerte, war der Umstand, dass die<lb/>
Bakaïrí meinen Frageton nicht verstanden. Sie ahmten ihn nach, statt zu<lb/>
antworten. Die Namen der gegenwärtigen Gegenstände zu erhalten, ging ohne<lb/>
jede Mühe an; sie kamen dem Bedürfnis sogar entgegen, zeigten auf solche, die<lb/>
ich noch nicht gefragt hatte, und sagten die Namen. Sehr ausführlich nahm ich<lb/>
die Körperteile auf, weil sie stets mit den Pronominalpräfixen verbunden sind,<lb/>
der Indianer also nicht etwa sagt: »Zunge«, sondern stets mit dem Zusatz der<lb/>
Person »meine Zunge«, »deine Zunge«, »seine Zunge«, und somit dieser Kategorie<lb/>
des Verzeichnisses auch ein grammatikalischer Wert innewohnt. Es war deshalb<lb/>
wohl darauf zu achten, ob man den Körperteil, dessen Stamm man verlangte,<lb/>
an sich selbst oder an dem Gefragten oder an einem Dritten zeigte, denn die<lb/>
Antwort lautete je nachdem: deine <hi rendition="#i">ålu</hi>, meine <hi rendition="#i">ulu</hi>, seine <hi rendition="#i">ilu</hi> oder allgemein <hi rendition="#i">k&#x03C7;ulu</hi><lb/>
unser Aller, die hier sind, Zunge.</p><lb/>
          <p>Tiernamen aufzunehmen war ein Vergnügen, weil hier die Nachahmung mit<lb/>
Lauten und Geberden am kunstvollsten auftrat. Eine Schlange, ein Alligatorkopf<lb/>
oder dergleichen wurde auch in den Sand gezeichnet. Mir war die Menge der<lb/>
Einzelangaben hinderlich, da ich nicht genug von den Stimmen und dem Be-<lb/>
nehmen ihrer Tiere wusste; sie boten mir Feinheiten in den Artunterschieden,<lb/>
die ich zu ihrer Verwunderung nicht würdigen konnte, und zuweilen fürchte ich<lb/>
ihnen unbegreifliche Lücken in der gewöhnlichsten Schulbildung verraten zu haben.</p><lb/>
          <p>Die schwierigste Aufgabe lag bei den Verben, und zwar nicht allein wegen<lb/>
der Kompliziertheit der Formen. Gelang es mir, kurze Sätze aufzuschreiben, in<lb/>
denen etwas über irgend einen grade ablaufenden Vorgang ausgesagt wurde,<lb/>
führte ich auch selbst allerlei Handlungen, wie Essen und Trinken jetzt von<lb/>
diesem, dann von jenem, aus, die ihnen den Inhalt eines Satzes liefern sollten,<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[79/0109] von kχ-an-a-díle gegeben wird? Da heisst mit dem (schon veränderten) Verbal- stamm „e“ sehen »du siehst« „méta“ und »du siehst nicht« „manepüráma“ und ist zu zergliedern: m - e - ta und m - an - e - püra - ama. du Stamm Flexion du Flexion Stamm nicht du. Die einfache Folge ist, dass man alles Mögliche zum Stamm rechnet, was garnicht dazu gehört, und die Form für alle möglichen Gelegenheiten anwendet, bei denen sie weder der Person noch der Zeitfolge oder anderen in ihnen ent- haltenen Nuancen nach angebracht sind. Die organische Gliederung der Wörter erstarrt, und der Satz wird ein Mosaik der rohesten Art aus lauter Bruchstücken. Aber für die Verständigung ist dann gesorgt; dem Indianer genügt bei seinem Talent für das Charakteristische das abgehackte Wortstück durchaus an Stelle des ganzen Satzindividuums, und, was schlimmer ist, wenn man Fortschritte in der Sprache machen möchte, freilich auch um so angenehmer ist, wenn man nur den plumpen Inhalt der Mitteilung bedarf, er selbst eignet sich bald die neue Ausdrucksweise an: man unterhält sich geläufig miteinander, indem man statt mit lebendigen Worten wie mit geprägten Münzen Tauschverkehr treibt. Was mir die Aufnahme nicht wenig erschwerte, war der Umstand, dass die Bakaïrí meinen Frageton nicht verstanden. Sie ahmten ihn nach, statt zu antworten. Die Namen der gegenwärtigen Gegenstände zu erhalten, ging ohne jede Mühe an; sie kamen dem Bedürfnis sogar entgegen, zeigten auf solche, die ich noch nicht gefragt hatte, und sagten die Namen. Sehr ausführlich nahm ich die Körperteile auf, weil sie stets mit den Pronominalpräfixen verbunden sind, der Indianer also nicht etwa sagt: »Zunge«, sondern stets mit dem Zusatz der Person »meine Zunge«, »deine Zunge«, »seine Zunge«, und somit dieser Kategorie des Verzeichnisses auch ein grammatikalischer Wert innewohnt. Es war deshalb wohl darauf zu achten, ob man den Körperteil, dessen Stamm man verlangte, an sich selbst oder an dem Gefragten oder an einem Dritten zeigte, denn die Antwort lautete je nachdem: deine ålu, meine ulu, seine ilu oder allgemein kχulu unser Aller, die hier sind, Zunge. Tiernamen aufzunehmen war ein Vergnügen, weil hier die Nachahmung mit Lauten und Geberden am kunstvollsten auftrat. Eine Schlange, ein Alligatorkopf oder dergleichen wurde auch in den Sand gezeichnet. Mir war die Menge der Einzelangaben hinderlich, da ich nicht genug von den Stimmen und dem Be- nehmen ihrer Tiere wusste; sie boten mir Feinheiten in den Artunterschieden, die ich zu ihrer Verwunderung nicht würdigen konnte, und zuweilen fürchte ich ihnen unbegreifliche Lücken in der gewöhnlichsten Schulbildung verraten zu haben. Die schwierigste Aufgabe lag bei den Verben, und zwar nicht allein wegen der Kompliziertheit der Formen. Gelang es mir, kurze Sätze aufzuschreiben, in denen etwas über irgend einen grade ablaufenden Vorgang ausgesagt wurde, führte ich auch selbst allerlei Handlungen, wie Essen und Trinken jetzt von diesem, dann von jenem, aus, die ihnen den Inhalt eines Satzes liefern sollten,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/109
Zitationshilfe: Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/109>, abgerufen am 27.11.2024.