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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894.

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emeritierter Gymnasialdirektor sein können. Wie wir denn häufig an europäische
Physiognomieen erinnert worden sind, deren Besitzer sich den Vergleich mit
einem nackten Indianer vielleicht verbitten würden; Ehrenreich und ich waren
uns z. B. in Scherz und Ernst ganz darin einig, ein paar Herren der Berliner
Anthropologischen Gesellschaft am Kulisehu wiederzuerkennen: selbstverständlich
haben diese Herren nichts von den Indianern, aber diese Indianer hatten etwas
von den Herren. Mit Paleko war ich halbe Tage allein. Ab und zu kamen
denn Eva oder die Zukünftige oder die Egypterin allein oder zusammen, uns
Beiden ein wenig Gesellschaft leistend.

Paleko flocht zierliche Körbchen, besserte Reusen aus, drehte Bindfaden
aus Palmfaser und was dergleichen leichte Geduldarbeit mehr war. Er gab mir
nicht nur Wörter und Sätze aus seiner Muttersprache, sondern auch eine Liste
von Nahuqua-Wörtern, die bezeugte, dass er mit den Nachbarn reichlichen Ver-
kehr unterhalten hatte. Er weniger als die Jugend legte Wert darauf, meine
Sprache kennen zu lernen. Lieber hätte ich ihnen deutsche Wörter gesagt statt
der portugiesischen, doch hielt ich es für meine Pflicht, die armen Gemüter für
die Zukunft nicht zu verwirren. Da meine Kenntnisse des Bakairi noch sehr
dürftig waren, kam ich nur langsam vorwärts.

Der einfache Verkehr, der sich auf das gewöhnliche Thun und Lassen
bezog, hatte keine Schwierigkeiten. Mit 50--80 Wörtern kann man sich bei
einiger Uebung in jeder fremden Sprache geläufig unterhalten: dieser, dieses, ja,
nein, ist da, ist nicht da, weiss nicht, will, will nicht, wie heisst, was, wo, wann,
wieviel, alle, wenig, viel, anderer, sogleich, morgen, ich, du, 1, 2, 3, gut, schlecht,
gross, klein, nahe, weit, oben, unten, mit, für, in, nach, lass uns, geben, nehmen,
bringen, stellen, gehen, weggehen, kommen, ankommen, bleiben, essen, trinken,
schlafen, machen, schneiden, aufhören und die jeweilig wichtigsten Substantiva.
Das sonst so nötige "danke" und "bitte" ist dem brasilischen Eingeborenen
unbekannt. Mit einem kleinen Teil jener Wörter kann man schon sehr gut
zurechtkommen, und es wäre schlimm, wenn es anders wäre. Denn die grund-
sätzlichen grammatischen Verschiedenheiten etwa zwischen Portugiesisch und
einer beliebigen Indianersprache Brasiliens sind so gross, dass kein Kolonist oder
Soldat jemals in ihr Wesen einzudringen vermag: schon die Pronominalpräfixe
und die Postpositionen bilden ein unüberwindliches Hindernis. Es gelingt leider
um ihretwillen in zahlreichen Fällen nicht, den Wortstamm, dessen wir nach
unserm Sprachgefühl in erster Linie bedürfen, aus der mit jenen Elementen voll-
zogenen Verschmelzung abzuscheiden. Der Stamm des Verbums ist ausser der
Zusammensetzung mit Pronominalpräfixen in einer Weise mit adverbialen Aus-
drücken vereinigt und verarbeitet, um das, was wir Flexionen nennen, zu geben,
dass ein armer Teufel von Anfänger in helle Verzweiflung gerät. Da heisst im
Bakairi "zate" und "kkhanadile" beides "ich nehme mit", verschiedene Formen für
denselben Sinn: wie soll ich ahnen, dass der Verbalstamm "za", der sich nach
den phonetischen Gesetzen der Sprache zu "ha" und "a" verändert, in dem "a"

emeritierter Gymnasialdirektor sein können. Wie wir denn häufig an europäische
Physiognomieen erinnert worden sind, deren Besitzer sich den Vergleich mit
einem nackten Indianer vielleicht verbitten würden; Ehrenreich und ich waren
uns z. B. in Scherz und Ernst ganz darin einig, ein paar Herren der Berliner
Anthropologischen Gesellschaft am Kulisehu wiederzuerkennen: selbstverständlich
haben diese Herren nichts von den Indianern, aber diese Indianer hatten etwas
von den Herren. Mit Paleko war ich halbe Tage allein. Ab und zu kamen
denn Eva oder die Zukünftige oder die Egypterin allein oder zusammen, uns
Beiden ein wenig Gesellschaft leistend.

Paleko flocht zierliche Körbchen, besserte Reusen aus, drehte Bindfaden
aus Palmfaser und was dergleichen leichte Geduldarbeit mehr war. Er gab mir
nicht nur Wörter und Sätze aus seiner Muttersprache, sondern auch eine Liste
von Nahuquá-Wörtern, die bezeugte, dass er mit den Nachbarn reichlichen Ver-
kehr unterhalten hatte. Er weniger als die Jugend legte Wert darauf, meine
Sprache kennen zu lernen. Lieber hätte ich ihnen deutsche Wörter gesagt statt
der portugiesischen, doch hielt ich es für meine Pflicht, die armen Gemüter für
die Zukunft nicht zu verwirren. Da meine Kenntnisse des Bakaïrí noch sehr
dürftig waren, kam ich nur langsam vorwärts.

Der einfache Verkehr, der sich auf das gewöhnliche Thun und Lassen
bezog, hatte keine Schwierigkeiten. Mit 50—80 Wörtern kann man sich bei
einiger Uebung in jeder fremden Sprache geläufig unterhalten: dieser, dieses, ja,
nein, ist da, ist nicht da, weiss nicht, will, will nicht, wie heisst, was, wo, wann,
wieviel, alle, wenig, viel, anderer, sogleich, morgen, ich, du, 1, 2, 3, gut, schlecht,
gross, klein, nahe, weit, oben, unten, mit, für, in, nach, lass uns, geben, nehmen,
bringen, stellen, gehen, weggehen, kommen, ankommen, bleiben, essen, trinken,
schlafen, machen, schneiden, aufhören und die jeweilig wichtigsten Substantiva.
Das sonst so nötige »danke« und »bitte« ist dem brasilischen Eingeborenen
unbekannt. Mit einem kleinen Teil jener Wörter kann man schon sehr gut
zurechtkommen, und es wäre schlimm, wenn es anders wäre. Denn die grund-
sätzlichen grammatischen Verschiedenheiten etwa zwischen Portugiesisch und
einer beliebigen Indianersprache Brasiliens sind so gross, dass kein Kolonist oder
Soldat jemals in ihr Wesen einzudringen vermag: schon die Pronominalpräfixe
und die Postpositionen bilden ein unüberwindliches Hindernis. Es gelingt leider
um ihretwillen in zahlreichen Fällen nicht, den Wortstamm, dessen wir nach
unserm Sprachgefühl in erster Linie bedürfen, aus der mit jenen Elementen voll-
zogenen Verschmelzung abzuscheiden. Der Stamm des Verbums ist ausser der
Zusammensetzung mit Pronominalpräfixen in einer Weise mit adverbialen Aus-
drücken vereinigt und verarbeitet, um das, was wir Flexionen nennen, zu geben,
dass ein armer Teufel von Anfänger in helle Verzweiflung gerät. Da heisst im
Bakaïrí „záte“ und „kχanadile“ beides »ich nehme mit«, verschiedene Formen für
denselben Sinn: wie soll ich ahnen, dass der Verbalstamm „za“, der sich nach
den phonetischen Gesetzen der Sprache zu „ha“ und „a“ verändert, in dem „a

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[78/0108] emeritierter Gymnasialdirektor sein können. Wie wir denn häufig an europäische Physiognomieen erinnert worden sind, deren Besitzer sich den Vergleich mit einem nackten Indianer vielleicht verbitten würden; Ehrenreich und ich waren uns z. B. in Scherz und Ernst ganz darin einig, ein paar Herren der Berliner Anthropologischen Gesellschaft am Kulisehu wiederzuerkennen: selbstverständlich haben diese Herren nichts von den Indianern, aber diese Indianer hatten etwas von den Herren. Mit Paleko war ich halbe Tage allein. Ab und zu kamen denn Eva oder die Zukünftige oder die Egypterin allein oder zusammen, uns Beiden ein wenig Gesellschaft leistend. Paleko flocht zierliche Körbchen, besserte Reusen aus, drehte Bindfaden aus Palmfaser und was dergleichen leichte Geduldarbeit mehr war. Er gab mir nicht nur Wörter und Sätze aus seiner Muttersprache, sondern auch eine Liste von Nahuquá-Wörtern, die bezeugte, dass er mit den Nachbarn reichlichen Ver- kehr unterhalten hatte. Er weniger als die Jugend legte Wert darauf, meine Sprache kennen zu lernen. Lieber hätte ich ihnen deutsche Wörter gesagt statt der portugiesischen, doch hielt ich es für meine Pflicht, die armen Gemüter für die Zukunft nicht zu verwirren. Da meine Kenntnisse des Bakaïrí noch sehr dürftig waren, kam ich nur langsam vorwärts. Der einfache Verkehr, der sich auf das gewöhnliche Thun und Lassen bezog, hatte keine Schwierigkeiten. Mit 50—80 Wörtern kann man sich bei einiger Uebung in jeder fremden Sprache geläufig unterhalten: dieser, dieses, ja, nein, ist da, ist nicht da, weiss nicht, will, will nicht, wie heisst, was, wo, wann, wieviel, alle, wenig, viel, anderer, sogleich, morgen, ich, du, 1, 2, 3, gut, schlecht, gross, klein, nahe, weit, oben, unten, mit, für, in, nach, lass uns, geben, nehmen, bringen, stellen, gehen, weggehen, kommen, ankommen, bleiben, essen, trinken, schlafen, machen, schneiden, aufhören und die jeweilig wichtigsten Substantiva. Das sonst so nötige »danke« und »bitte« ist dem brasilischen Eingeborenen unbekannt. Mit einem kleinen Teil jener Wörter kann man schon sehr gut zurechtkommen, und es wäre schlimm, wenn es anders wäre. Denn die grund- sätzlichen grammatischen Verschiedenheiten etwa zwischen Portugiesisch und einer beliebigen Indianersprache Brasiliens sind so gross, dass kein Kolonist oder Soldat jemals in ihr Wesen einzudringen vermag: schon die Pronominalpräfixe und die Postpositionen bilden ein unüberwindliches Hindernis. Es gelingt leider um ihretwillen in zahlreichen Fällen nicht, den Wortstamm, dessen wir nach unserm Sprachgefühl in erster Linie bedürfen, aus der mit jenen Elementen voll- zogenen Verschmelzung abzuscheiden. Der Stamm des Verbums ist ausser der Zusammensetzung mit Pronominalpräfixen in einer Weise mit adverbialen Aus- drücken vereinigt und verarbeitet, um das, was wir Flexionen nennen, zu geben, dass ein armer Teufel von Anfänger in helle Verzweiflung gerät. Da heisst im Bakaïrí „záte“ und „kχanadile“ beides »ich nehme mit«, verschiedene Formen für denselben Sinn: wie soll ich ahnen, dass der Verbalstamm „za“, der sich nach den phonetischen Gesetzen der Sprache zu „ha“ und „a“ verändert, in dem „a“

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Zitationshilfe: Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/108>, abgerufen am 27.11.2024.