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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868.

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durch welche die großen geistigen Aufgaben der Menschheit zur Aufgabe
von Gemeinschaften werden, und dadurch das ganze Leben jedes ein-
zelnen Menschen, der sich einer solchen Aufgabe widmet, mit allen seinen
Beziehungen den Forderungen derselben unterordnet. Die Verschieden-
heit der Gesellschaftsordnungen entsteht nun dadurch, daß in den ver-
schiedenen Stadien der Entwicklung der Menschheit das Bewußtsein über
Wesen und Inhalt dieser Aufgaben, so wie über die in dem Menschen
liegenden Bedingungen ihrer Erfüllung sich herausbildet. Die Entwick-
lung der Gesellschaftsordnungen ist daher an sich eine unendlich mannich-
fache; allein da die erste Bedingung aller Erreichung der höchsten Zwecke
die bewußte und thätige Einheit der Menschen ist, so werden die Ge-
sellschaftsordnungen als die Grundformen dieser Einheit des Menschen
für die höchsten Zwecke erscheinen. Darnach unterscheiden wir den Be-
griff der Geschlechterordnung, in welcher diese Einheit als die natür-
liche der Familie dasteht, die ständische Ordnung, in welcher sie durch
den bewußten Willen der Berufsgenossen erzeugt wird, und die staats-
bürgerliche Ordnung, in welcher sie auf dem freien Willen der selb-
ständigen Individualität beruht. Jede dieser Ordnungen will immer
dasselbe, aber sie will es in anderer Weise; in der Geschlechterordnung
beruht die Entwicklung auf der Unterordnung des Einzelnen unter das
Altershaupt, in der ständischen Ordnung auf der Unterwerfung unter
die Berufsgemeinschaft, in der staatsbürgerlichen Ordnung auf der freien
Hingabe an den selbstgesetzten Lebenszweck und der Theilnahme an dem
freien Verein. Dieser Grundsatz nun, nach welchem jeder Einzelne in
jeder dieser Ordnung Platz und Aufgabe für seine Theilnahme an der
höchsten geistigen Arbeit der Menschheit empfängt, bildet demnach das
Princip der einzelnen Gesellschaftsordnung.

Dieses Princip fordert, daß sich alle übrigen Lebensverhältnisse
des Einzelnen ihm unterordnen. Es erzeugt daher gemeingültige Sätze
für das Leben des Einzelnen, deren Befolgung als Bedingung für die
Erreichung der höchsten Zwecke für Alle anerkannt wird. Diese Sätze,
durch Alle für jeden Einzelnen im Namen jener höchsten Güter gefordert,
werden damit zum Recht. Jede Gesellschaftsordnung bildet sich daher
ihr eigenes Rechtssystem, dessen Princip die Unterordnung des Lebens
des Einzelnen unter die bestimmte Ordnung der Gesellschaft und ihre
Forderungen ist. So entsteht das gesellschaftliche Recht, als die-
jenige Summe von Beschränkungen des Rechts der selbstän-
digen Persönlichkeit
, welche nicht mehr durch die Idee des per-
sönlichen Staats, sondern durch das specielle Princip der einzelnen
Gesellschaftsordnungen gefordert, und als Bedingung seiner Verwirk-
lichung angesehen wird.


durch welche die großen geiſtigen Aufgaben der Menſchheit zur Aufgabe
von Gemeinſchaften werden, und dadurch das ganze Leben jedes ein-
zelnen Menſchen, der ſich einer ſolchen Aufgabe widmet, mit allen ſeinen
Beziehungen den Forderungen derſelben unterordnet. Die Verſchieden-
heit der Geſellſchaftsordnungen entſteht nun dadurch, daß in den ver-
ſchiedenen Stadien der Entwicklung der Menſchheit das Bewußtſein über
Weſen und Inhalt dieſer Aufgaben, ſo wie über die in dem Menſchen
liegenden Bedingungen ihrer Erfüllung ſich herausbildet. Die Entwick-
lung der Geſellſchaftsordnungen iſt daher an ſich eine unendlich mannich-
fache; allein da die erſte Bedingung aller Erreichung der höchſten Zwecke
die bewußte und thätige Einheit der Menſchen iſt, ſo werden die Ge-
ſellſchaftsordnungen als die Grundformen dieſer Einheit des Menſchen
für die höchſten Zwecke erſcheinen. Darnach unterſcheiden wir den Be-
griff der Geſchlechterordnung, in welcher dieſe Einheit als die natür-
liche der Familie daſteht, die ſtändiſche Ordnung, in welcher ſie durch
den bewußten Willen der Berufsgenoſſen erzeugt wird, und die ſtaats-
bürgerliche Ordnung, in welcher ſie auf dem freien Willen der ſelb-
ſtändigen Individualität beruht. Jede dieſer Ordnungen will immer
daſſelbe, aber ſie will es in anderer Weiſe; in der Geſchlechterordnung
beruht die Entwicklung auf der Unterordnung des Einzelnen unter das
Altershaupt, in der ſtändiſchen Ordnung auf der Unterwerfung unter
die Berufsgemeinſchaft, in der ſtaatsbürgerlichen Ordnung auf der freien
Hingabe an den ſelbſtgeſetzten Lebenszweck und der Theilnahme an dem
freien Verein. Dieſer Grundſatz nun, nach welchem jeder Einzelne in
jeder dieſer Ordnung Platz und Aufgabe für ſeine Theilnahme an der
höchſten geiſtigen Arbeit der Menſchheit empfängt, bildet demnach das
Princip der einzelnen Geſellſchaftsordnung.

Dieſes Princip fordert, daß ſich alle übrigen Lebensverhältniſſe
des Einzelnen ihm unterordnen. Es erzeugt daher gemeingültige Sätze
für das Leben des Einzelnen, deren Befolgung als Bedingung für die
Erreichung der höchſten Zwecke für Alle anerkannt wird. Dieſe Sätze,
durch Alle für jeden Einzelnen im Namen jener höchſten Güter gefordert,
werden damit zum Recht. Jede Geſellſchaftsordnung bildet ſich daher
ihr eigenes Rechtsſyſtem, deſſen Princip die Unterordnung des Lebens
des Einzelnen unter die beſtimmte Ordnung der Geſellſchaft und ihre
Forderungen iſt. So entſteht das geſellſchaftliche Recht, als die-
jenige Summe von Beſchränkungen des Rechts der ſelbſtän-
digen Perſönlichkeit
, welche nicht mehr durch die Idee des per-
ſönlichen Staats, ſondern durch das ſpecielle Princip der einzelnen
Geſellſchaftsordnungen gefordert, und als Bedingung ſeiner Verwirk-
lichung angeſehen wird.


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[72/0090] durch welche die großen geiſtigen Aufgaben der Menſchheit zur Aufgabe von Gemeinſchaften werden, und dadurch das ganze Leben jedes ein- zelnen Menſchen, der ſich einer ſolchen Aufgabe widmet, mit allen ſeinen Beziehungen den Forderungen derſelben unterordnet. Die Verſchieden- heit der Geſellſchaftsordnungen entſteht nun dadurch, daß in den ver- ſchiedenen Stadien der Entwicklung der Menſchheit das Bewußtſein über Weſen und Inhalt dieſer Aufgaben, ſo wie über die in dem Menſchen liegenden Bedingungen ihrer Erfüllung ſich herausbildet. Die Entwick- lung der Geſellſchaftsordnungen iſt daher an ſich eine unendlich mannich- fache; allein da die erſte Bedingung aller Erreichung der höchſten Zwecke die bewußte und thätige Einheit der Menſchen iſt, ſo werden die Ge- ſellſchaftsordnungen als die Grundformen dieſer Einheit des Menſchen für die höchſten Zwecke erſcheinen. Darnach unterſcheiden wir den Be- griff der Geſchlechterordnung, in welcher dieſe Einheit als die natür- liche der Familie daſteht, die ſtändiſche Ordnung, in welcher ſie durch den bewußten Willen der Berufsgenoſſen erzeugt wird, und die ſtaats- bürgerliche Ordnung, in welcher ſie auf dem freien Willen der ſelb- ſtändigen Individualität beruht. Jede dieſer Ordnungen will immer daſſelbe, aber ſie will es in anderer Weiſe; in der Geſchlechterordnung beruht die Entwicklung auf der Unterordnung des Einzelnen unter das Altershaupt, in der ſtändiſchen Ordnung auf der Unterwerfung unter die Berufsgemeinſchaft, in der ſtaatsbürgerlichen Ordnung auf der freien Hingabe an den ſelbſtgeſetzten Lebenszweck und der Theilnahme an dem freien Verein. Dieſer Grundſatz nun, nach welchem jeder Einzelne in jeder dieſer Ordnung Platz und Aufgabe für ſeine Theilnahme an der höchſten geiſtigen Arbeit der Menſchheit empfängt, bildet demnach das Princip der einzelnen Geſellſchaftsordnung. Dieſes Princip fordert, daß ſich alle übrigen Lebensverhältniſſe des Einzelnen ihm unterordnen. Es erzeugt daher gemeingültige Sätze für das Leben des Einzelnen, deren Befolgung als Bedingung für die Erreichung der höchſten Zwecke für Alle anerkannt wird. Dieſe Sätze, durch Alle für jeden Einzelnen im Namen jener höchſten Güter gefordert, werden damit zum Recht. Jede Geſellſchaftsordnung bildet ſich daher ihr eigenes Rechtsſyſtem, deſſen Princip die Unterordnung des Lebens des Einzelnen unter die beſtimmte Ordnung der Geſellſchaft und ihre Forderungen iſt. So entſteht das geſellſchaftliche Recht, als die- jenige Summe von Beſchränkungen des Rechts der ſelbſtän- digen Perſönlichkeit, welche nicht mehr durch die Idee des per- ſönlichen Staats, ſondern durch das ſpecielle Princip der einzelnen Geſellſchaftsordnungen gefordert, und als Bedingung ſeiner Verwirk- lichung angeſehen wird.

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/90>, abgerufen am 22.11.2024.