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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868.

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Gestalt dieser Arbeiten, die in hohem Grade förderlich, dennoch nie für
sich allein ausreicht. Rau hatte gezeigt, wie viel Stoff nicht etwa bloß
für das Ganze, sondern auch für die einzelnen Theile der Volkswirth-
schaftspflege vorhanden sei. Die Kraft der deutschen Arbeit warf sich
daher jetzt gerade auf diese einzelnen Gebiete und leistete darin so Be-
deutendes, daß die Masse und der Werth dieser Werke das Bewußtsein
und beinahe das Bedürfniß der organischen Einheit erdrückte, und bei
der deutschen Gründlichkeit die wohlbegründete Vorstellung wach rief,
daß es ohnehin unmöglich sei, einen solchen Stoff zu bewältigen. Das
gewaltige Gebiet der wirthschaftlichen Verwaltung zerfuhr daher zuerst
in die großen Einzelwerke über Grundentlastung, Wasserrecht, Post-
recht, Eisenbahnrecht, Bankwesen, Münzwesen, Land-, Forst- und Berg-
bau, Armen- und Heimathswesen, Patentrecht, Handelsrecht und an-
deres, nach allen Seiten hin Tüchtiges leistend, aber gänzlich des Be-
wußtseins der innern Einheit, des organischen Zusammengehörens baar.
Nichts wäre verkehrter, als das anzuklagen, oder auch nur nicht hoch
zu achten; allein nichts wäre einseitiger, als damit sich allein genügen
lassen zu wollen. Denn, auch nur rein formell gesprochen, bilden alle
diese Zweige denn doch Aufgaben Einer und derselben höchsten Be-
hörde
; wie nun soll es möglich sein, die wesentliche Verwaltung für
dieselben herzustellen, wenn sie nicht selbst als nothwendige und orga-
nische Grundlage derselben existirt und durch die Wissenschaft zum Aus-
druck gelangt? Der formale Charakter dieses Zustandes, der eben so
groß in seinen einzelnen Theilen als wichtig in seiner praktischen Be-
deutung ist, besteht deßhalb in der geistigen oder, wenn man will, or-
ganischen Heimathlosigkeit aller seiner einzelnen Gebiete und
das was jenen einzelnen Theilen eben dadurch mangelt, ist gerade das,
was sich der Theil nicht selbst geben kann: die Begründung und Be-
gränzung durch das Ganze. Sie bieten alles für alle, welche mit den
Theilen zu thun haben; für die, welche das Ganze verwalten, gibt es
bisher keine Wissenschaft, nicht einmal für die wirthschaftliche, geschweige
denn für die gesammte innere Verwaltung. Es ist die Auflösung der
alten Staatswirthschaftslehre in die Einzelgebiete der Volkswirthschafts-
pflege mit all ihren Vortheilen und Nachtheilen, welche den Charakter
des gegenwärtigen Zustandes bildet.

-- Da ist nun noch die neueste Richtung, die wir in ihrer völligen
Unklarheit in Princip und System nicht besser als mit dem völlig un-
klaren Namen der "angewandten Nationalökonomie" bezeichnen können,
und die nichts anderes ist, als ein Zurückfallen in die Kategorien des
Anfangs dieses Jahrhunderts. Sie erkennt stillschweigend ihre Unfähig-
keit von dem Einzelnen weiter als bis zum Einzelnen zu gelangen.

Geſtalt dieſer Arbeiten, die in hohem Grade förderlich, dennoch nie für
ſich allein ausreicht. Rau hatte gezeigt, wie viel Stoff nicht etwa bloß
für das Ganze, ſondern auch für die einzelnen Theile der Volkswirth-
ſchaftspflege vorhanden ſei. Die Kraft der deutſchen Arbeit warf ſich
daher jetzt gerade auf dieſe einzelnen Gebiete und leiſtete darin ſo Be-
deutendes, daß die Maſſe und der Werth dieſer Werke das Bewußtſein
und beinahe das Bedürfniß der organiſchen Einheit erdrückte, und bei
der deutſchen Gründlichkeit die wohlbegründete Vorſtellung wach rief,
daß es ohnehin unmöglich ſei, einen ſolchen Stoff zu bewältigen. Das
gewaltige Gebiet der wirthſchaftlichen Verwaltung zerfuhr daher zuerſt
in die großen Einzelwerke über Grundentlaſtung, Waſſerrecht, Poſt-
recht, Eiſenbahnrecht, Bankweſen, Münzweſen, Land-, Forſt- und Berg-
bau, Armen- und Heimathsweſen, Patentrecht, Handelsrecht und an-
deres, nach allen Seiten hin Tüchtiges leiſtend, aber gänzlich des Be-
wußtſeins der innern Einheit, des organiſchen Zuſammengehörens baar.
Nichts wäre verkehrter, als das anzuklagen, oder auch nur nicht hoch
zu achten; allein nichts wäre einſeitiger, als damit ſich allein genügen
laſſen zu wollen. Denn, auch nur rein formell geſprochen, bilden alle
dieſe Zweige denn doch Aufgaben Einer und derſelben höchſten Be-
hörde
; wie nun ſoll es möglich ſein, die weſentliche Verwaltung für
dieſelben herzuſtellen, wenn ſie nicht ſelbſt als nothwendige und orga-
niſche Grundlage derſelben exiſtirt und durch die Wiſſenſchaft zum Aus-
druck gelangt? Der formale Charakter dieſes Zuſtandes, der eben ſo
groß in ſeinen einzelnen Theilen als wichtig in ſeiner praktiſchen Be-
deutung iſt, beſteht deßhalb in der geiſtigen oder, wenn man will, or-
ganiſchen Heimathloſigkeit aller ſeiner einzelnen Gebiete und
das was jenen einzelnen Theilen eben dadurch mangelt, iſt gerade das,
was ſich der Theil nicht ſelbſt geben kann: die Begründung und Be-
gränzung durch das Ganze. Sie bieten alles für alle, welche mit den
Theilen zu thun haben; für die, welche das Ganze verwalten, gibt es
bisher keine Wiſſenſchaft, nicht einmal für die wirthſchaftliche, geſchweige
denn für die geſammte innere Verwaltung. Es iſt die Auflöſung der
alten Staatswirthſchaftslehre in die Einzelgebiete der Volkswirthſchafts-
pflege mit all ihren Vortheilen und Nachtheilen, welche den Charakter
des gegenwärtigen Zuſtandes bildet.

— Da iſt nun noch die neueſte Richtung, die wir in ihrer völligen
Unklarheit in Princip und Syſtem nicht beſſer als mit dem völlig un-
klaren Namen der „angewandten Nationalökonomie“ bezeichnen können,
und die nichts anderes iſt, als ein Zurückfallen in die Kategorien des
Anfangs dieſes Jahrhunderts. Sie erkennt ſtillſchweigend ihre Unfähig-
keit von dem Einzelnen weiter als bis zum Einzelnen zu gelangen.

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[46/0064] Geſtalt dieſer Arbeiten, die in hohem Grade förderlich, dennoch nie für ſich allein ausreicht. Rau hatte gezeigt, wie viel Stoff nicht etwa bloß für das Ganze, ſondern auch für die einzelnen Theile der Volkswirth- ſchaftspflege vorhanden ſei. Die Kraft der deutſchen Arbeit warf ſich daher jetzt gerade auf dieſe einzelnen Gebiete und leiſtete darin ſo Be- deutendes, daß die Maſſe und der Werth dieſer Werke das Bewußtſein und beinahe das Bedürfniß der organiſchen Einheit erdrückte, und bei der deutſchen Gründlichkeit die wohlbegründete Vorſtellung wach rief, daß es ohnehin unmöglich ſei, einen ſolchen Stoff zu bewältigen. Das gewaltige Gebiet der wirthſchaftlichen Verwaltung zerfuhr daher zuerſt in die großen Einzelwerke über Grundentlaſtung, Waſſerrecht, Poſt- recht, Eiſenbahnrecht, Bankweſen, Münzweſen, Land-, Forſt- und Berg- bau, Armen- und Heimathsweſen, Patentrecht, Handelsrecht und an- deres, nach allen Seiten hin Tüchtiges leiſtend, aber gänzlich des Be- wußtſeins der innern Einheit, des organiſchen Zuſammengehörens baar. Nichts wäre verkehrter, als das anzuklagen, oder auch nur nicht hoch zu achten; allein nichts wäre einſeitiger, als damit ſich allein genügen laſſen zu wollen. Denn, auch nur rein formell geſprochen, bilden alle dieſe Zweige denn doch Aufgaben Einer und derſelben höchſten Be- hörde; wie nun ſoll es möglich ſein, die weſentliche Verwaltung für dieſelben herzuſtellen, wenn ſie nicht ſelbſt als nothwendige und orga- niſche Grundlage derſelben exiſtirt und durch die Wiſſenſchaft zum Aus- druck gelangt? Der formale Charakter dieſes Zuſtandes, der eben ſo groß in ſeinen einzelnen Theilen als wichtig in ſeiner praktiſchen Be- deutung iſt, beſteht deßhalb in der geiſtigen oder, wenn man will, or- ganiſchen Heimathloſigkeit aller ſeiner einzelnen Gebiete und das was jenen einzelnen Theilen eben dadurch mangelt, iſt gerade das, was ſich der Theil nicht ſelbſt geben kann: die Begründung und Be- gränzung durch das Ganze. Sie bieten alles für alle, welche mit den Theilen zu thun haben; für die, welche das Ganze verwalten, gibt es bisher keine Wiſſenſchaft, nicht einmal für die wirthſchaftliche, geſchweige denn für die geſammte innere Verwaltung. Es iſt die Auflöſung der alten Staatswirthſchaftslehre in die Einzelgebiete der Volkswirthſchafts- pflege mit all ihren Vortheilen und Nachtheilen, welche den Charakter des gegenwärtigen Zuſtandes bildet. — Da iſt nun noch die neueſte Richtung, die wir in ihrer völligen Unklarheit in Princip und Syſtem nicht beſſer als mit dem völlig un- klaren Namen der „angewandten Nationalökonomie“ bezeichnen können, und die nichts anderes iſt, als ein Zurückfallen in die Kategorien des Anfangs dieſes Jahrhunderts. Sie erkennt ſtillſchweigend ihre Unfähig- keit von dem Einzelnen weiter als bis zum Einzelnen zu gelangen.

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/64>, abgerufen am 23.11.2024.