müsse, ohne doch denselben ihre Selbständigkeit in der oberflächlichen Weise zu nehmen, wie es die schon trivial gewordene Polizeiwissenschaft zu thun gewohnt war. Die großartige Auffassung der Lehre von Adam Smith imponirte daher dieser geistigen Arbeit der Deutschen, aber sie unterjochte sie keineswegs. In dem Suchen nach der neuen Staats- idee, welche aus der letzteren geboren werden sollte, konnte jenes ein- seitige Princip der Negation der Staatsverwaltung, die leere negative Freiheit des Selfinterest um so weniger genügen, als denn doch die Ge- wöhnung an eine wirkliche, und vielfach so höchst wohlthätige Regierung eine tiefgewurzelte war. Ein einfaches Annehmen der Auffassung von Adam Smith war daher zwar für sein nationalökonomisches Princip der Arbeit sehr wohl möglich; sein verwaltungsrechtliches der individuellen Ungebundenheit dagegen ist nicht einmal recht gesehen, viel weniger angenommen worden. Im Gegentheil ging schon mit dem Anfange dieses Jahrhunderts die deutsche Wissenschaft vielmehr daran, die Idee und das System der Nationalökonomie in die organische Idee des Staats aufzunehmen und mit derselben wo möglich auf allen Punkten systematisch zu verarbeiten. Das nun war wiederum nur von Einem Standpunkt aus möglich. Hätte man schon damals in der National- ökonomie gekannt, was sie wirklich ist, nicht etwa einen Theil der Staatslehre, sondern vielmehr ein ganz selbständiges Gebiet des Lebens der Persönlichkeit, so hätte man einen gemeinsamen höheren Begriff suchen müssen, dem man auch das organische Staatsleben als Theil oder Moment desselben hätte unterordnen müssen. Das aber überließ man der Philosophie, und so weit ging daher noch die Tradition der alten Staats- und Rechtslehre, daß man für alle praktischen Fragen, also auch für die der Wirthschaft, den Staatsbegriff an die Spitze stellen zu müssen glaubte. So entstand die Vorstellung von der Staats- wirthschaft und ihrer Wissenschaft, der Staatswirthschaftslehre, welche die Nationalökonomie in irgend einer Weise als Theil der Staats- wissenschaft, das ist als ein Moment an der Wissenschaft vom Staate behandeln wollte, und zwar im Allgemeinen von dem Stand- punkte aus, daß die Nationalökonomie die Gesetze lehre und enthalte, welche der Staat anzuerkennen und zu verwirklichen habe. Das ist der eigentliche Charakter der Epoche der Staatswirthschaftslehre, die mit dem Anfange dieses Jahrhunderts beginnt, und deren letzter großer, hoch- bedeutender Vertreter Lotz ist (Staatswirthschaftslehre, 2. Aufl. 1838).
Man kann nun wohl im Allgemeinen sagen, daß gleich anfangs in dieser Verschmelzung das Gefühl vollkommen klar ist, daß im Grunde dennoch Nationalökonomie und Staatswirthschaft zwei sehr verschiedene Dinge seien; allein über das wahre Verhältniß ist man sich aus einem
müſſe, ohne doch denſelben ihre Selbſtändigkeit in der oberflächlichen Weiſe zu nehmen, wie es die ſchon trivial gewordene Polizeiwiſſenſchaft zu thun gewohnt war. Die großartige Auffaſſung der Lehre von Adam Smith imponirte daher dieſer geiſtigen Arbeit der Deutſchen, aber ſie unterjochte ſie keineswegs. In dem Suchen nach der neuen Staats- idee, welche aus der letzteren geboren werden ſollte, konnte jenes ein- ſeitige Princip der Negation der Staatsverwaltung, die leere negative Freiheit des Selfinterest um ſo weniger genügen, als denn doch die Ge- wöhnung an eine wirkliche, und vielfach ſo höchſt wohlthätige Regierung eine tiefgewurzelte war. Ein einfaches Annehmen der Auffaſſung von Adam Smith war daher zwar für ſein nationalökonomiſches Princip der Arbeit ſehr wohl möglich; ſein verwaltungsrechtliches der individuellen Ungebundenheit dagegen iſt nicht einmal recht geſehen, viel weniger angenommen worden. Im Gegentheil ging ſchon mit dem Anfange dieſes Jahrhunderts die deutſche Wiſſenſchaft vielmehr daran, die Idee und das Syſtem der Nationalökonomie in die organiſche Idee des Staats aufzunehmen und mit derſelben wo möglich auf allen Punkten ſyſtematiſch zu verarbeiten. Das nun war wiederum nur von Einem Standpunkt aus möglich. Hätte man ſchon damals in der National- ökonomie gekannt, was ſie wirklich iſt, nicht etwa einen Theil der Staatslehre, ſondern vielmehr ein ganz ſelbſtändiges Gebiet des Lebens der Perſönlichkeit, ſo hätte man einen gemeinſamen höheren Begriff ſuchen müſſen, dem man auch das organiſche Staatsleben als Theil oder Moment deſſelben hätte unterordnen müſſen. Das aber überließ man der Philoſophie, und ſo weit ging daher noch die Tradition der alten Staats- und Rechtslehre, daß man für alle praktiſchen Fragen, alſo auch für die der Wirthſchaft, den Staatsbegriff an die Spitze ſtellen zu müſſen glaubte. So entſtand die Vorſtellung von der Staats- wirthſchaft und ihrer Wiſſenſchaft, der Staatswirthſchaftslehre, welche die Nationalökonomie in irgend einer Weiſe als Theil der Staats- wiſſenſchaft, das iſt als ein Moment an der Wiſſenſchaft vom Staate behandeln wollte, und zwar im Allgemeinen von dem Stand- punkte aus, daß die Nationalökonomie die Geſetze lehre und enthalte, welche der Staat anzuerkennen und zu verwirklichen habe. Das iſt der eigentliche Charakter der Epoche der Staatswirthſchaftslehre, die mit dem Anfange dieſes Jahrhunderts beginnt, und deren letzter großer, hoch- bedeutender Vertreter Lotz iſt (Staatswirthſchaftslehre, 2. Aufl. 1838).
Man kann nun wohl im Allgemeinen ſagen, daß gleich anfangs in dieſer Verſchmelzung das Gefühl vollkommen klar iſt, daß im Grunde dennoch Nationalökonomie und Staatswirthſchaft zwei ſehr verſchiedene Dinge ſeien; allein über das wahre Verhältniß iſt man ſich aus einem
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[41/0059]
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Adam Smith imponirte daher dieſer geiſtigen Arbeit der Deutſchen, aber
ſie unterjochte ſie keineswegs. In dem Suchen nach der neuen Staats-
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wöhnung an eine wirkliche, und vielfach ſo höchſt wohlthätige Regierung
eine tiefgewurzelte war. Ein einfaches Annehmen der Auffaſſung von
Adam Smith war daher zwar für ſein nationalökonomiſches Princip
der Arbeit ſehr wohl möglich; ſein verwaltungsrechtliches der individuellen
Ungebundenheit dagegen iſt nicht einmal recht geſehen, viel weniger
angenommen worden. Im Gegentheil ging ſchon mit dem Anfange
dieſes Jahrhunderts die deutſche Wiſſenſchaft vielmehr daran, die Idee
und das Syſtem der Nationalökonomie in die organiſche Idee des
Staats aufzunehmen und mit derſelben wo möglich auf allen Punkten
ſyſtematiſch zu verarbeiten. Das nun war wiederum nur von Einem
Standpunkt aus möglich. Hätte man ſchon damals in der National-
ökonomie gekannt, was ſie wirklich iſt, nicht etwa einen Theil der
Staatslehre, ſondern vielmehr ein ganz ſelbſtändiges Gebiet des Lebens
der Perſönlichkeit, ſo hätte man einen gemeinſamen höheren Begriff
ſuchen müſſen, dem man auch das organiſche Staatsleben als Theil
oder Moment deſſelben hätte unterordnen müſſen. Das aber überließ
man der Philoſophie, und ſo weit ging daher noch die Tradition der
alten Staats- und Rechtslehre, daß man für alle praktiſchen Fragen,
alſo auch für die der Wirthſchaft, den Staatsbegriff an die Spitze
ſtellen zu müſſen glaubte. So entſtand die Vorſtellung von der Staats-
wirthſchaft und ihrer Wiſſenſchaft, der Staatswirthſchaftslehre,
welche die Nationalökonomie in irgend einer Weiſe als Theil der Staats-
wiſſenſchaft, das iſt als ein Moment an der Wiſſenſchaft vom
Staate behandeln wollte, und zwar im Allgemeinen von dem Stand-
punkte aus, daß die Nationalökonomie die Geſetze lehre und enthalte,
welche der Staat anzuerkennen und zu verwirklichen habe. Das iſt der
eigentliche Charakter der Epoche der Staatswirthſchaftslehre, die mit dem
Anfange dieſes Jahrhunderts beginnt, und deren letzter großer, hoch-
bedeutender Vertreter Lotz iſt (Staatswirthſchaftslehre, 2. Aufl. 1838).
Man kann nun wohl im Allgemeinen ſagen, daß gleich anfangs
in dieſer Verſchmelzung das Gefühl vollkommen klar iſt, daß im Grunde
dennoch Nationalökonomie und Staatswirthſchaft zwei ſehr verſchiedene
Dinge ſeien; allein über das wahre Verhältniß iſt man ſich aus einem
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/59>, abgerufen am 27.11.2024.
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