Volkswirthschaftspflege geworden, das allerdings viel großartiger und wir möchten sagen seiner selbst bewußter ist, als das der Merkanti- listen. Und dieß ist im Allgemeinen nicht schwierig zu erkennen.
So heilsam auch Colberts System mit all seiner Einseitigkeit ge- wirkt hatte, so haben dennoch die Kriege und der tyrannische Luxus Ludwigs XIV. sein ganzes Werk vernichtet. Das Elend Frankreichs wuchs von Jahr zu Jahr, und Vauban konnte schon in seiner Deime royale (1698) die furchtbare Rechnung aufstellen: "Von je zehn Fran- zosen ist Einer ein Bettler; von den übrigen sind fünf verarmt und außer Stande, jenen Bettlern ein Almosen zu geben; von den übrigen vier sind drei in sehr ungünstigen Verhältnissen; auf das letzte Zehntel, den Adel, die Geistlichkeit, die Beamteten und den noch wohlhabenden Bürgerstande, kann man kaum 100,000 Familien rechnen, und von diesen wieder nur ein Zehntel als wirklich reich annehmen." (Deime royale. Econ. fr. p. 36. 37.) Die Noth, neben der die Unwirthschaft und die Verschwendung hier wie immer ihre beiden Begleiter, mit gleichem Schritt einhergingen, ließ allmählig die Ueberzeugung entstehen, daß der Merkantilismus nicht ausreiche; sie zwang die Männer, welche ihr Vaterland liebten, zuerst den Thatsachen ins Auge zu sehen, dann über den Ruin der Finanzen nachzudenken, und endlich nach einem ganz andern Ausgangspunkte für die Aufgaben des Staats zu suchen, damit er selber wieder gut mache, was er verdorben hatte. So tritt schon hier auf allen Punkten der Staat in seiner Verwaltung statt der allgemeinen Begriffe und Grundsätze der Nationalökonomie in den Vor- dergrund, und danach gestaltet sich nun die folgende Literatur, die in ihren Principien zwar Nationalökonomie, in ihren Ausführungen jedoch Verwaltungslehre und namentlich Volkswirthschaftspflege ist. Aus dem ersten der obigen Elemente entsprang die erste volkswirthschaftliche Statistik, die aus den obigen Gründen zugleich eine finanzielle war, und damit den Grund einerseits zu einer historischen Betrachtung der volkswirthschaftlichen Verwaltung, andererseits zu einer rationellen Untersuchung des Systems der Finanzen legte, aus dem dann ein halbes Jahrhundert später erst das Steuerprincip Quesnays hervorging. Die beiden Männer, welche hier Bahn brachen, sind Boisguillebert und Vauban. Boisguilleberts beide bekanntesten Arbeiten sind der Detail de la France sous le regne present (L. XIV. 1697) und das Factum de la France, ou moyen tres facile de retablir les finances de l'Etat (1707); für die Geschichte der physiokratischen Schule nicht minder wichtig ist sein Traite de la nature, culture, commerce et interet des Grains, tant par rapport au public qu'a toutes les conditions d'un Etat, in der er zuerst die Freiheit des Kornhandels
Volkswirthſchaftspflege geworden, das allerdings viel großartiger und wir möchten ſagen ſeiner ſelbſt bewußter iſt, als das der Merkanti- liſten. Und dieß iſt im Allgemeinen nicht ſchwierig zu erkennen.
So heilſam auch Colberts Syſtem mit all ſeiner Einſeitigkeit ge- wirkt hatte, ſo haben dennoch die Kriege und der tyranniſche Luxus Ludwigs XIV. ſein ganzes Werk vernichtet. Das Elend Frankreichs wuchs von Jahr zu Jahr, und Vauban konnte ſchon in ſeiner Dîme royale (1698) die furchtbare Rechnung aufſtellen: „Von je zehn Fran- zoſen iſt Einer ein Bettler; von den übrigen ſind fünf verarmt und außer Stande, jenen Bettlern ein Almoſen zu geben; von den übrigen vier ſind drei in ſehr ungünſtigen Verhältniſſen; auf das letzte Zehntel, den Adel, die Geiſtlichkeit, die Beamteten und den noch wohlhabenden Bürgerſtande, kann man kaum 100,000 Familien rechnen, und von dieſen wieder nur ein Zehntel als wirklich reich annehmen.“ (Dîme royale. Écon. fr. p. 36. 37.) Die Noth, neben der die Unwirthſchaft und die Verſchwendung hier wie immer ihre beiden Begleiter, mit gleichem Schritt einhergingen, ließ allmählig die Ueberzeugung entſtehen, daß der Merkantilismus nicht ausreiche; ſie zwang die Männer, welche ihr Vaterland liebten, zuerſt den Thatſachen ins Auge zu ſehen, dann über den Ruin der Finanzen nachzudenken, und endlich nach einem ganz andern Ausgangspunkte für die Aufgaben des Staats zu ſuchen, damit er ſelber wieder gut mache, was er verdorben hatte. So tritt ſchon hier auf allen Punkten der Staat in ſeiner Verwaltung ſtatt der allgemeinen Begriffe und Grundſätze der Nationalökonomie in den Vor- dergrund, und danach geſtaltet ſich nun die folgende Literatur, die in ihren Principien zwar Nationalökonomie, in ihren Ausführungen jedoch Verwaltungslehre und namentlich Volkswirthſchaftspflege iſt. Aus dem erſten der obigen Elemente entſprang die erſte volkswirthſchaftliche Statiſtik, die aus den obigen Gründen zugleich eine finanzielle war, und damit den Grund einerſeits zu einer hiſtoriſchen Betrachtung der volkswirthſchaftlichen Verwaltung, andererſeits zu einer rationellen Unterſuchung des Syſtems der Finanzen legte, aus dem dann ein halbes Jahrhundert ſpäter erſt das Steuerprincip Quesnays hervorging. Die beiden Männer, welche hier Bahn brachen, ſind Boisguillebert und Vauban. Boisguilleberts beide bekannteſten Arbeiten ſind der Détail de la France sous le règne présent (L. XIV. 1697) und das Factum de la France, ou moyen très facile de rétablir les finances de l’État (1707); für die Geſchichte der phyſiokratiſchen Schule nicht minder wichtig iſt ſein Traité de la nature, culture, commerce et intérêt des Grains, tant par rapport au public qu’à toutes les conditions d’un État, in der er zuerſt die Freiheit des Kornhandels
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Volkswirthſchaftspflege geworden, das allerdings viel großartiger und
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liſten. Und dieß iſt im Allgemeinen nicht ſchwierig zu erkennen.
So heilſam auch Colberts Syſtem mit all ſeiner Einſeitigkeit ge-
wirkt hatte, ſo haben dennoch die Kriege und der tyranniſche Luxus
Ludwigs XIV. ſein ganzes Werk vernichtet. Das Elend Frankreichs
wuchs von Jahr zu Jahr, und Vauban konnte ſchon in ſeiner Dîme
royale (1698) die furchtbare Rechnung aufſtellen: „Von je zehn Fran-
zoſen iſt Einer ein Bettler; von den übrigen ſind fünf verarmt und
außer Stande, jenen Bettlern ein Almoſen zu geben; von den übrigen
vier ſind drei in ſehr ungünſtigen Verhältniſſen; auf das letzte Zehntel,
den Adel, die Geiſtlichkeit, die Beamteten und den noch wohlhabenden
Bürgerſtande, kann man kaum 100,000 Familien rechnen, und von
dieſen wieder nur ein Zehntel als wirklich reich annehmen.“ (Dîme
royale. Écon. fr. p. 36. 37.) Die Noth, neben der die Unwirthſchaft
und die Verſchwendung hier wie immer ihre beiden Begleiter, mit
gleichem Schritt einhergingen, ließ allmählig die Ueberzeugung entſtehen,
daß der Merkantilismus nicht ausreiche; ſie zwang die Männer, welche
ihr Vaterland liebten, zuerſt den Thatſachen ins Auge zu ſehen, dann
über den Ruin der Finanzen nachzudenken, und endlich nach einem
ganz andern Ausgangspunkte für die Aufgaben des Staats zu ſuchen,
damit er ſelber wieder gut mache, was er verdorben hatte. So tritt
ſchon hier auf allen Punkten der Staat in ſeiner Verwaltung ſtatt der
allgemeinen Begriffe und Grundſätze der Nationalökonomie in den Vor-
dergrund, und danach geſtaltet ſich nun die folgende Literatur, die in
ihren Principien zwar Nationalökonomie, in ihren Ausführungen jedoch
Verwaltungslehre und namentlich Volkswirthſchaftspflege iſt. Aus dem
erſten der obigen Elemente entſprang die erſte volkswirthſchaftliche
Statiſtik, die aus den obigen Gründen zugleich eine finanzielle war,
und damit den Grund einerſeits zu einer hiſtoriſchen Betrachtung der
volkswirthſchaftlichen Verwaltung, andererſeits zu einer rationellen
Unterſuchung des Syſtems der Finanzen legte, aus dem dann ein
halbes Jahrhundert ſpäter erſt das Steuerprincip Quesnays hervorging.
Die beiden Männer, welche hier Bahn brachen, ſind Boisguillebert
und Vauban. Boisguilleberts beide bekannteſten Arbeiten ſind der
Détail de la France sous le règne présent (L. XIV. 1697) und
das Factum de la France, ou moyen très facile de rétablir les
finances de l’État (1707); für die Geſchichte der phyſiokratiſchen Schule
nicht minder wichtig iſt ſein Traité de la nature, culture, commerce
et intérêt des Grains, tant par rapport au public qu’à toutes les
conditions d’un État, in der er zuerſt die Freiheit des Kornhandels
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/49>, abgerufen am 11.12.2024.
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