Ordnung und Gesätze für die Wohlfahrt und gemeinen Nutz deß Vatter- landes." (Ander Theil C. VIII.) Allerdings ist der Standpunkt Secken- dorffs charakteristisch. Er spricht nur von Ordnung; die Gesetze sollen Frieden und Ruhe herstellen und namentlich "eine gute Für- sichtige Anstalt und Ordnung über alle Handthierung und Nahrung im Lande" einrichten. Von einem positiven Eingreifen ist eigentlich noch keine Rede; er hat kein eigentlich nationalökonomisches Princip und die Ideen des Merkantilsystems sind ihm offenbar so wenig be- kannt, als die englische Literatur. Sein Buch ist dagegen anzusehen als die Grundlage der späteren Polizeiwissenschaft in ihrer An- wendung auf die Volkswirthschaft; er will auf allen Punkten den negativen Schutz gegen die innere Störung aller Produktionszweige, des Handels, der Gewerbe und auch der Landwirthschaft; der in ihm zuerst klar ausgesprochene, wenn auch nicht philosophisch erfaßte Eudämonismus erscheint noch bloß als Gericht und Polizei, beides aber stets zur "Wohlfahrt und gemeinem Nutz" des Landes. Während nun das philosophische Princip durch Pufendorf und besonders durch Wolff in großartiger Weise entwickelt wird, wartet das volkswirthschaftliche noch ein ganzes Jahrhundert, ehe es sich zu einem wissenschaftlichen System entwickelt, und dieß System ist dann allerdings nichts als eine ausgearbeitete Theorie des Merkantilsystems. Der Hauptvertreter dieser Richtung ist J. G. v. Justi. Seine erste bedeutende Arbeit ist "Staatswirthschaft, oder systematische Abhandlung aller ökonomischen und Cameral-Wissenschaften" (1755, 2 Bde). Dieß Werk, das Kautz ein wenig mit Uebergehung Seckendorffs das "erste systematische Werk über Volks- und Staatswirthschaft in Deutschland" nennt, ist aller- dings die erste systematische Ausführung des Eudämonismus auf der nationalökonomischen Grundlage des Merkantilsystems; allein es ist nicht richtig, es bloß für sich zu betrachten. Denn es ist vielmehr eine Vorarbeit Justi's, die noch einseitig am Merkantilsystem hängt und vielmehr den Schlußpunkt seiner Herrschaft in Deutschland als den Mittelpunkt derselben bildet. Justi selbst ist rasch über denselben hinweg gelangt. Schon fünf Jahre später schrieb er sein Hauptwerk, das erste wissenschaftliche System der innern Verwaltung überhaupt, seine Polizeiwissenschaft (1760--61, 2 Bde. 4.). Allerdings wird in diesem Werke "die Policey die Grundveste der Glückseligkeit der Staaten" (§. 6). Aber hier unterscheidet Justi bereits die "un- beweglichen Güter" von den "beweglichen," und geht so selbst den Physiokraten vorauf, den engen Standpunkt der Merkantilisten zum Theil überwindend. Er sagt schon §. 11: "Die Beschaffenheit der un- beweglichen Güter im Lande muß mit dem gemeinschaftlichen Besten
Ordnung und Geſätze für die Wohlfahrt und gemeinen Nutz deß Vatter- landes.“ (Ander Theil C. VIII.) Allerdings iſt der Standpunkt Secken- dorffs charakteriſtiſch. Er ſpricht nur von Ordnung; die Geſetze ſollen Frieden und Ruhe herſtellen und namentlich „eine gute Für- ſichtige Anſtalt und Ordnung über alle Handthierung und Nahrung im Lande“ einrichten. Von einem poſitiven Eingreifen iſt eigentlich noch keine Rede; er hat kein eigentlich nationalökonomiſches Princip und die Ideen des Merkantilſyſtems ſind ihm offenbar ſo wenig be- kannt, als die engliſche Literatur. Sein Buch iſt dagegen anzuſehen als die Grundlage der ſpäteren Polizeiwiſſenſchaft in ihrer An- wendung auf die Volkswirthſchaft; er will auf allen Punkten den negativen Schutz gegen die innere Störung aller Produktionszweige, des Handels, der Gewerbe und auch der Landwirthſchaft; der in ihm zuerſt klar ausgeſprochene, wenn auch nicht philoſophiſch erfaßte Eudämonismus erſcheint noch bloß als Gericht und Polizei, beides aber ſtets zur „Wohlfahrt und gemeinem Nutz“ des Landes. Während nun das philoſophiſche Princip durch Pufendorf und beſonders durch Wolff in großartiger Weiſe entwickelt wird, wartet das volkswirthſchaftliche noch ein ganzes Jahrhundert, ehe es ſich zu einem wiſſenſchaftlichen Syſtem entwickelt, und dieß Syſtem iſt dann allerdings nichts als eine ausgearbeitete Theorie des Merkantilſyſtems. Der Hauptvertreter dieſer Richtung iſt J. G. v. Juſti. Seine erſte bedeutende Arbeit iſt „Staatswirthſchaft, oder ſyſtematiſche Abhandlung aller ökonomiſchen und Cameral-Wiſſenſchaften“ (1755, 2 Bde). Dieß Werk, das Kautz ein wenig mit Uebergehung Seckendorffs das „erſte ſyſtematiſche Werk über Volks- und Staatswirthſchaft in Deutſchland“ nennt, iſt aller- dings die erſte ſyſtematiſche Ausführung des Eudämonismus auf der nationalökonomiſchen Grundlage des Merkantilſyſtems; allein es iſt nicht richtig, es bloß für ſich zu betrachten. Denn es iſt vielmehr eine Vorarbeit Juſti’s, die noch einſeitig am Merkantilſyſtem hängt und vielmehr den Schlußpunkt ſeiner Herrſchaft in Deutſchland als den Mittelpunkt derſelben bildet. Juſti ſelbſt iſt raſch über denſelben hinweg gelangt. Schon fünf Jahre ſpäter ſchrieb er ſein Hauptwerk, das erſte wiſſenſchaftliche Syſtem der innern Verwaltung überhaupt, ſeine Polizeiwiſſenſchaft (1760—61, 2 Bde. 4.). Allerdings wird in dieſem Werke „die Policey die Grundveſte der Glückſeligkeit der Staaten“ (§. 6). Aber hier unterſcheidet Juſti bereits die „un- beweglichen Güter“ von den „beweglichen,“ und geht ſo ſelbſt den Phyſiokraten vorauf, den engen Standpunkt der Merkantiliſten zum Theil überwindend. Er ſagt ſchon §. 11: „Die Beſchaffenheit der un- beweglichen Güter im Lande muß mit dem gemeinſchaftlichen Beſten
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Ordnung und Geſätze für die Wohlfahrt und gemeinen Nutz deß Vatter-
landes.“ (Ander Theil C. VIII.) Allerdings iſt der Standpunkt Secken-
dorffs charakteriſtiſch. Er ſpricht nur von Ordnung; die Geſetze
ſollen Frieden und Ruhe herſtellen und namentlich „eine gute Für-
ſichtige Anſtalt und Ordnung über alle Handthierung und Nahrung
im Lande“ einrichten. Von einem poſitiven Eingreifen iſt eigentlich
noch keine Rede; er hat kein eigentlich nationalökonomiſches Princip
und die Ideen des Merkantilſyſtems ſind ihm offenbar ſo wenig be-
kannt, als die engliſche Literatur. Sein Buch iſt dagegen anzuſehen
als die Grundlage der ſpäteren Polizeiwiſſenſchaft in ihrer An-
wendung auf die Volkswirthſchaft; er will auf allen Punkten den
negativen Schutz gegen die innere Störung aller Produktionszweige,
des Handels, der Gewerbe und auch der Landwirthſchaft; der in ihm
zuerſt klar ausgeſprochene, wenn auch nicht philoſophiſch erfaßte
Eudämonismus erſcheint noch bloß als Gericht und Polizei, beides aber
ſtets zur „Wohlfahrt und gemeinem Nutz“ des Landes. Während nun
das philoſophiſche Princip durch Pufendorf und beſonders durch Wolff
in großartiger Weiſe entwickelt wird, wartet das volkswirthſchaftliche
noch ein ganzes Jahrhundert, ehe es ſich zu einem wiſſenſchaftlichen
Syſtem entwickelt, und dieß Syſtem iſt dann allerdings nichts als eine
ausgearbeitete Theorie des Merkantilſyſtems. Der Hauptvertreter dieſer
Richtung iſt J. G. v. Juſti. Seine erſte bedeutende Arbeit iſt
„Staatswirthſchaft, oder ſyſtematiſche Abhandlung aller ökonomiſchen
und Cameral-Wiſſenſchaften“ (1755, 2 Bde). Dieß Werk, das Kautz
ein wenig mit Uebergehung Seckendorffs das „erſte ſyſtematiſche Werk
über Volks- und Staatswirthſchaft in Deutſchland“ nennt, iſt aller-
dings die erſte ſyſtematiſche Ausführung des Eudämonismus auf der
nationalökonomiſchen Grundlage des Merkantilſyſtems; allein es iſt
nicht richtig, es bloß für ſich zu betrachten. Denn es iſt vielmehr
eine Vorarbeit Juſti’s, die noch einſeitig am Merkantilſyſtem hängt
und vielmehr den Schlußpunkt ſeiner Herrſchaft in Deutſchland als
den Mittelpunkt derſelben bildet. Juſti ſelbſt iſt raſch über denſelben
hinweg gelangt. Schon fünf Jahre ſpäter ſchrieb er ſein Hauptwerk,
das erſte wiſſenſchaftliche Syſtem der innern Verwaltung überhaupt,
ſeine Polizeiwiſſenſchaft (1760—61, 2 Bde. 4.). Allerdings wird
in dieſem Werke „die Policey die Grundveſte der Glückſeligkeit der
Staaten“ (§. 6). Aber hier unterſcheidet Juſti bereits die „un-
beweglichen Güter“ von den „beweglichen,“ und geht ſo ſelbſt den
Phyſiokraten vorauf, den engen Standpunkt der Merkantiliſten zum
Theil überwindend. Er ſagt ſchon §. 11: „Die Beſchaffenheit der un-
beweglichen Güter im Lande muß mit dem gemeinſchaftlichen Beſten
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/46>, abgerufen am 24.11.2024.
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