Ständeordnung zurückgeführt haben. Doch ist das, warum es sich hier handelt, nicht die Entwicklungsgeschichte der Gesellschaft. Es ist vielmehr die, der staatsbürgerlichen Gesellschaft entsprechende Staats- idee, welche uns an der Schwelle dieser Zeit entgegentritt. Der Staat, im Königthum vertreten, ist bis zu dieser Epoche auf allen Punkten in der Gewalt der herrschenden gesellschaftlichen Klassen. Daß er als solcher, frei von ihnen, ja ihnen gegenüber, eine auf sich selbst ruhende Existenz haben könne und solle, das fiel niemandem ein. Jetzt aber löst er sich aus dieser Gebundenheit los; er stellt sich selbständig dem Adel, der Geistlichkeit, dem Bürgerstande gegenüber; er nimmt die Rechte und Funktionen, die er bisher allein in ihrem Namen be- sessen und ausgeübt, für sich als sein in Anspruch; er erzeugt sich seine Organe im Beamtenthum, seine Macht im stehenden Heer, seine Symbole im Wappen und Titel, seine Wirthschaft in den Fi- nanzen, ja seine Begriffe in Imperium, potestas und Obrigkeit. Er wird eine Macht für sich, kämpft gegen die gesellschaftlichen Gewalten, reißt sich von ihrem Einfluß los, und beginnt seinen eigenen Weg. Wir haben ihn im Allgemeinen nicht weiter zu verfolgen.
Allein auf diesem Wege muß er mit Einer Erkenntniß beginnen, die alle andern überragt. Die materiellen Mittel seiner Existenz liegen nicht allein in seinem Willen, die materielle Aufgabe seiner Thätig- keit auch nicht allein in seiner eigenen Finanz. Indem er jetzt alle beherrscht, muß er diese Aufgabe für alle erfüllen, diese Mittel von allen nehmen. Und in dem Kampfe der Staaten untereinander wird es bald klar, daß die Macht und der Glanz des einen Staates gegen- über dem andern keineswegs in Würde und Alter bestehe, sondern in der wirthschaftlichen Kraft, in dem Reichthum und Vermögen seiner Angehörigen. Da und nirgends anders ist die Quelle des Wohlseins und der Kraft des jungen Königthums. Und bald zeigen erschöpfende Kriege und verderbliche Hofwirthschaft gleich nachdrücklich, daß darüber kein Zweifel stattfinden könne. Der Staat aber, hoch über jedes einzelne Recht und jedes einzelne Interesse erhaben, erkennt, daß seine Pflicht, für das Wohl seiner Angehörigen zu sorgen, mit seinem speciellen In- teresse identisch sei. Er will dieß thun, weil er es um sein selbst willen thut; er muß es thun, weil die Bedingungen seiner eigenen Macht in den Bedingungen des Wohles seiner Angehörigen liegen. Aber noch ist das Leben der Völker ein einfaches, noch ist auch das Gebiet der Aufgaben des Staats kein vielfach verworrenes, in tausend Gestalten auftretendes; noch ist auch kein Bewußtsein davon lebendig, daß jenes Leben in sich selbst Gesetze trage, die unabänderlich dastehen, wie die Gesetze der Natur. Der junge selbständige Staat
Ständeordnung zurückgeführt haben. Doch iſt das, warum es ſich hier handelt, nicht die Entwicklungsgeſchichte der Geſellſchaft. Es iſt vielmehr die, der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft entſprechende Staats- idee, welche uns an der Schwelle dieſer Zeit entgegentritt. Der Staat, im Königthum vertreten, iſt bis zu dieſer Epoche auf allen Punkten in der Gewalt der herrſchenden geſellſchaftlichen Klaſſen. Daß er als ſolcher, frei von ihnen, ja ihnen gegenüber, eine auf ſich ſelbſt ruhende Exiſtenz haben könne und ſolle, das fiel niemandem ein. Jetzt aber löst er ſich aus dieſer Gebundenheit los; er ſtellt ſich ſelbſtändig dem Adel, der Geiſtlichkeit, dem Bürgerſtande gegenüber; er nimmt die Rechte und Funktionen, die er bisher allein in ihrem Namen be- ſeſſen und ausgeübt, für ſich als ſein in Anſpruch; er erzeugt ſich ſeine Organe im Beamtenthum, ſeine Macht im ſtehenden Heer, ſeine Symbole im Wappen und Titel, ſeine Wirthſchaft in den Fi- nanzen, ja ſeine Begriffe in Imperium, potestas und Obrigkeit. Er wird eine Macht für ſich, kämpft gegen die geſellſchaftlichen Gewalten, reißt ſich von ihrem Einfluß los, und beginnt ſeinen eigenen Weg. Wir haben ihn im Allgemeinen nicht weiter zu verfolgen.
Allein auf dieſem Wege muß er mit Einer Erkenntniß beginnen, die alle andern überragt. Die materiellen Mittel ſeiner Exiſtenz liegen nicht allein in ſeinem Willen, die materielle Aufgabe ſeiner Thätig- keit auch nicht allein in ſeiner eigenen Finanz. Indem er jetzt alle beherrſcht, muß er dieſe Aufgabe für alle erfüllen, dieſe Mittel von allen nehmen. Und in dem Kampfe der Staaten untereinander wird es bald klar, daß die Macht und der Glanz des einen Staates gegen- über dem andern keineswegs in Würde und Alter beſtehe, ſondern in der wirthſchaftlichen Kraft, in dem Reichthum und Vermögen ſeiner Angehörigen. Da und nirgends anders iſt die Quelle des Wohlſeins und der Kraft des jungen Königthums. Und bald zeigen erſchöpfende Kriege und verderbliche Hofwirthſchaft gleich nachdrücklich, daß darüber kein Zweifel ſtattfinden könne. Der Staat aber, hoch über jedes einzelne Recht und jedes einzelne Intereſſe erhaben, erkennt, daß ſeine Pflicht, für das Wohl ſeiner Angehörigen zu ſorgen, mit ſeinem ſpeciellen In- tereſſe identiſch ſei. Er will dieß thun, weil er es um ſein ſelbſt willen thut; er muß es thun, weil die Bedingungen ſeiner eigenen Macht in den Bedingungen des Wohles ſeiner Angehörigen liegen. Aber noch iſt das Leben der Völker ein einfaches, noch iſt auch das Gebiet der Aufgaben des Staats kein vielfach verworrenes, in tauſend Geſtalten auftretendes; noch iſt auch kein Bewußtſein davon lebendig, daß jenes Leben in ſich ſelbſt Geſetze trage, die unabänderlich daſtehen, wie die Geſetze der Natur. Der junge ſelbſtändige Staat
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Ständeordnung zurückgeführt haben. Doch iſt das, warum es ſich
hier handelt, nicht die Entwicklungsgeſchichte der Geſellſchaft. Es iſt
vielmehr die, der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft entſprechende Staats-
idee, welche uns an der Schwelle dieſer Zeit entgegentritt. Der
Staat, im Königthum vertreten, iſt bis zu dieſer Epoche auf allen
Punkten in der Gewalt der herrſchenden geſellſchaftlichen Klaſſen. Daß
er als ſolcher, frei von ihnen, ja ihnen gegenüber, eine auf ſich ſelbſt
ruhende Exiſtenz haben könne und ſolle, das fiel niemandem ein. Jetzt
aber löst er ſich aus dieſer Gebundenheit los; er ſtellt ſich ſelbſtändig
dem Adel, der Geiſtlichkeit, dem Bürgerſtande gegenüber; er nimmt
die Rechte und Funktionen, die er bisher allein in ihrem Namen be-
ſeſſen und ausgeübt, für ſich als ſein in Anſpruch; er erzeugt ſich
ſeine Organe im Beamtenthum, ſeine Macht im ſtehenden Heer,
ſeine Symbole im Wappen und Titel, ſeine Wirthſchaft in den Fi-
nanzen, ja ſeine Begriffe in Imperium, potestas und Obrigkeit. Er
wird eine Macht für ſich, kämpft gegen die geſellſchaftlichen Gewalten,
reißt ſich von ihrem Einfluß los, und beginnt ſeinen eigenen Weg.
Wir haben ihn im Allgemeinen nicht weiter zu verfolgen.
Allein auf dieſem Wege muß er mit Einer Erkenntniß beginnen,
die alle andern überragt. Die materiellen Mittel ſeiner Exiſtenz liegen
nicht allein in ſeinem Willen, die materielle Aufgabe ſeiner Thätig-
keit auch nicht allein in ſeiner eigenen Finanz. Indem er jetzt alle
beherrſcht, muß er dieſe Aufgabe für alle erfüllen, dieſe Mittel von
allen nehmen. Und in dem Kampfe der Staaten untereinander wird
es bald klar, daß die Macht und der Glanz des einen Staates gegen-
über dem andern keineswegs in Würde und Alter beſtehe, ſondern in
der wirthſchaftlichen Kraft, in dem Reichthum und Vermögen ſeiner
Angehörigen. Da und nirgends anders iſt die Quelle des Wohlſeins
und der Kraft des jungen Königthums. Und bald zeigen erſchöpfende
Kriege und verderbliche Hofwirthſchaft gleich nachdrücklich, daß darüber
kein Zweifel ſtattfinden könne. Der Staat aber, hoch über jedes einzelne
Recht und jedes einzelne Intereſſe erhaben, erkennt, daß ſeine Pflicht,
für das Wohl ſeiner Angehörigen zu ſorgen, mit ſeinem ſpeciellen In-
tereſſe identiſch ſei. Er will dieß thun, weil er es um ſein ſelbſt
willen thut; er muß es thun, weil die Bedingungen ſeiner eigenen
Macht in den Bedingungen des Wohles ſeiner Angehörigen liegen.
Aber noch iſt das Leben der Völker ein einfaches, noch iſt auch
das Gebiet der Aufgaben des Staats kein vielfach verworrenes, in
tauſend Geſtalten auftretendes; noch iſt auch kein Bewußtſein davon
lebendig, daß jenes Leben in ſich ſelbſt Geſetze trage, die unabänderlich
daſtehen, wie die Geſetze der Natur. Der junge ſelbſtändige Staat
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/36>, abgerufen am 23.11.2024.
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