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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868.

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einschreiten könnte. Eine instanzlose Schätzung wie bei der französischen
Jury hat gleichfalls ihre Bedenken. Wir sehen daher als das unzweifel-
hast beste Mittel das englische System an, das wir der künftigen
Gesetzgebung dringend empfehlen.

b) Schwieriger ist die Frage, nach welchen Regeln dieß Schätzungs-
organ vorzugehen hat. Es ist selbstverständlich, daß jedem Organ die
Elemente und Akten zum Zwecke der Schätzung vorgelegt werden müssen.
Fraglich sind eigentlich nur zwei Punkte. Erstlich handelt es sich
darum, was als Gegenstand der Schätzung aufgenommen werden soll;
namentlich ob das Schätzungsorgan über den Verkehrswerth des
Gutes hinausgehen und als Gegenstand der Entschädigung auch die
Nachtheile, welche die Enteignung indirekt bringt, oder die möglichen künf-
tigen Vortheile gelten dürfen. Es ist nun wohl kaum zweifelhaft, daß
die ersteren nicht ausgeschlossen werden dürfen, während die letzteren
nicht aufgenommen werden können; denn die Schätzung soll den Werth
bestimmen, den das enteignete Gut in seiner Qualität als Theil des
wirthschaftlichen Ganzen nachweisbar
besitzt, dem es angehört.
Auch hier entfällt allerdings die ganze Frage, so wie man zu den Ge-
schwornen greift, und an ihre Stelle tritt die formelle Regel des
Schätzungsverfahrens. Die eingehenden Untersuchungen Häberlins
S. 179 ff. kommen am Ende doch nicht weiter als bis zu dem, von
den deutschen Gesetzgebungen allgemein angenommenen Princip der
"vollen" oder "vollständigen Entschädigung;" die von Treichler zuerst
hervorgehobene Vorstellung von dem "Schaden," den die Enteignung
bringt (a. a. O. 153 ff.), bedeutet im Grunde nichts anderes als den
Werth, den der Rest des Gutes durch die Enteignung des Theiles
verliert, und ist daher der Sache nach richtig, in der Form jedoch ge-
fehlt, weil er nicht berechnet, sondern nur als wirthschaftlich wahrschein-
lich angenommen werden kann, was den juristischen Begriff des Schadens
wieder ausschließt. Wir müssen daher wirthschaftlich an dem obigen
Begriffe des wirthschaftlichen Werthes des Ganzen festhalten, der auch
vollkommen ausreicht, und zuletzt nur die klarste Interpretation der
"vollständigen" Entschädigung enthält. Was nun zweitens die Form
für das Verfahren betrifft, so ist diese allerdings Gegenstand genauer
Vorschriften und mit Recht, da sie es wesentlich ist, in der die Inter-
essen zur Geltung gelangen. Das französische Gesetz (Art. 29 ff.) ist
darüber sehr genau; es ist aber das Verfahren vor den Geschwornen
keiner Appellation fähig, und daher ist der Akt der Schätzung selbst
ohne Vorschriften; die Jury entscheidet geheim unter selbstgewähltem
Präsidenten. Im deutschen Recht dagegen herrscht die Vorstellung von
einem gerichtlichen oder doch amtlichen Verfahren, daher das Princip

einſchreiten könnte. Eine inſtanzloſe Schätzung wie bei der franzöſiſchen
Jury hat gleichfalls ihre Bedenken. Wir ſehen daher als das unzweifel-
haſt beſte Mittel das engliſche Syſtem an, das wir der künftigen
Geſetzgebung dringend empfehlen.

b) Schwieriger iſt die Frage, nach welchen Regeln dieß Schätzungs-
organ vorzugehen hat. Es iſt ſelbſtverſtändlich, daß jedem Organ die
Elemente und Akten zum Zwecke der Schätzung vorgelegt werden müſſen.
Fraglich ſind eigentlich nur zwei Punkte. Erſtlich handelt es ſich
darum, was als Gegenſtand der Schätzung aufgenommen werden ſoll;
namentlich ob das Schätzungsorgan über den Verkehrswerth des
Gutes hinausgehen und als Gegenſtand der Entſchädigung auch die
Nachtheile, welche die Enteignung indirekt bringt, oder die möglichen künf-
tigen Vortheile gelten dürfen. Es iſt nun wohl kaum zweifelhaft, daß
die erſteren nicht ausgeſchloſſen werden dürfen, während die letzteren
nicht aufgenommen werden können; denn die Schätzung ſoll den Werth
beſtimmen, den das enteignete Gut in ſeiner Qualität als Theil des
wirthſchaftlichen Ganzen nachweisbar
beſitzt, dem es angehört.
Auch hier entfällt allerdings die ganze Frage, ſo wie man zu den Ge-
ſchwornen greift, und an ihre Stelle tritt die formelle Regel des
Schätzungsverfahrens. Die eingehenden Unterſuchungen Häberlins
S. 179 ff. kommen am Ende doch nicht weiter als bis zu dem, von
den deutſchen Geſetzgebungen allgemein angenommenen Princip der
„vollen“ oder „vollſtändigen Entſchädigung;“ die von Treichler zuerſt
hervorgehobene Vorſtellung von dem „Schaden,“ den die Enteignung
bringt (a. a. O. 153 ff.), bedeutet im Grunde nichts anderes als den
Werth, den der Reſt des Gutes durch die Enteignung des Theiles
verliert, und iſt daher der Sache nach richtig, in der Form jedoch ge-
fehlt, weil er nicht berechnet, ſondern nur als wirthſchaftlich wahrſchein-
lich angenommen werden kann, was den juriſtiſchen Begriff des Schadens
wieder ausſchließt. Wir müſſen daher wirthſchaftlich an dem obigen
Begriffe des wirthſchaftlichen Werthes des Ganzen feſthalten, der auch
vollkommen ausreicht, und zuletzt nur die klarſte Interpretation der
„vollſtändigen“ Entſchädigung enthält. Was nun zweitens die Form
für das Verfahren betrifft, ſo iſt dieſe allerdings Gegenſtand genauer
Vorſchriften und mit Recht, da ſie es weſentlich iſt, in der die Inter-
eſſen zur Geltung gelangen. Das franzöſiſche Geſetz (Art. 29 ff.) iſt
darüber ſehr genau; es iſt aber das Verfahren vor den Geſchwornen
keiner Appellation fähig, und daher iſt der Akt der Schätzung ſelbſt
ohne Vorſchriften; die Jury entſcheidet geheim unter ſelbſtgewähltem
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einem gerichtlichen oder doch amtlichen Verfahren, daher das Princip

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[339/0357] einſchreiten könnte. Eine inſtanzloſe Schätzung wie bei der franzöſiſchen Jury hat gleichfalls ihre Bedenken. Wir ſehen daher als das unzweifel- haſt beſte Mittel das engliſche Syſtem an, das wir der künftigen Geſetzgebung dringend empfehlen. b) Schwieriger iſt die Frage, nach welchen Regeln dieß Schätzungs- organ vorzugehen hat. Es iſt ſelbſtverſtändlich, daß jedem Organ die Elemente und Akten zum Zwecke der Schätzung vorgelegt werden müſſen. Fraglich ſind eigentlich nur zwei Punkte. Erſtlich handelt es ſich darum, was als Gegenſtand der Schätzung aufgenommen werden ſoll; namentlich ob das Schätzungsorgan über den Verkehrswerth des Gutes hinausgehen und als Gegenſtand der Entſchädigung auch die Nachtheile, welche die Enteignung indirekt bringt, oder die möglichen künf- tigen Vortheile gelten dürfen. Es iſt nun wohl kaum zweifelhaft, daß die erſteren nicht ausgeſchloſſen werden dürfen, während die letzteren nicht aufgenommen werden können; denn die Schätzung ſoll den Werth beſtimmen, den das enteignete Gut in ſeiner Qualität als Theil des wirthſchaftlichen Ganzen nachweisbar beſitzt, dem es angehört. Auch hier entfällt allerdings die ganze Frage, ſo wie man zu den Ge- ſchwornen greift, und an ihre Stelle tritt die formelle Regel des Schätzungsverfahrens. Die eingehenden Unterſuchungen Häberlins S. 179 ff. kommen am Ende doch nicht weiter als bis zu dem, von den deutſchen Geſetzgebungen allgemein angenommenen Princip der „vollen“ oder „vollſtändigen Entſchädigung;“ die von Treichler zuerſt hervorgehobene Vorſtellung von dem „Schaden,“ den die Enteignung bringt (a. a. O. 153 ff.), bedeutet im Grunde nichts anderes als den Werth, den der Reſt des Gutes durch die Enteignung des Theiles verliert, und iſt daher der Sache nach richtig, in der Form jedoch ge- fehlt, weil er nicht berechnet, ſondern nur als wirthſchaftlich wahrſchein- lich angenommen werden kann, was den juriſtiſchen Begriff des Schadens wieder ausſchließt. Wir müſſen daher wirthſchaftlich an dem obigen Begriffe des wirthſchaftlichen Werthes des Ganzen feſthalten, der auch vollkommen ausreicht, und zuletzt nur die klarſte Interpretation der „vollſtändigen“ Entſchädigung enthält. Was nun zweitens die Form für das Verfahren betrifft, ſo iſt dieſe allerdings Gegenſtand genauer Vorſchriften und mit Recht, da ſie es weſentlich iſt, in der die Inter- eſſen zur Geltung gelangen. Das franzöſiſche Geſetz (Art. 29 ff.) iſt darüber ſehr genau; es iſt aber das Verfahren vor den Geſchwornen keiner Appellation fähig, und daher iſt der Akt der Schätzung ſelbſt ohne Vorſchriften; die Jury entſcheidet geheim unter ſelbſtgewähltem Präſidenten. Im deutſchen Recht dagegen herrſcht die Vorſtellung von einem gerichtlichen oder doch amtlichen Verfahren, daher das Princip

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. 339. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/357>, abgerufen am 23.11.2024.