Princips der Enteignung, wie der Code civil und das österreichische bürgerliche Gesetzbuch, oder sie kann daneben das Verfahren der Ver- waltungsbehörden bei der Enteignung überhaupt ordnen, wie die Ex- propriationsgesetze Frankreichs, Badens, Bayerns, Sachsens, oder nur einzelne leitende Vorschriften dafür geben, wie das preußische allgemeine Landrecht, oder endlich das Enteignungsrecht nur für einzelne bestimmte Arten der Enteignung ausführen, wie das namentlich für Eisenbahnen in Deutschland vielfach geschehen ist. Wie nun immer das gesetzliche Recht gestaltet sein möge, so ist es gewiß, daß die Regierung ihrerseits das Recht hat, den Mangel der Gesetzgebung durch ihre Verordnung zu ersetzen, so daß Gesetz und Verordnung zusammen das öffentlich geltende Recht der Enteignung bilden. Dieß ist namentlich in Deutsch- land sehr verschieden, und es ist einer der großen Mängel des deutschen Rechtslebens, daß auch hier keine gemeinschaftliche und gleichartige Rechts- bildung stattgefunden hat. Es ist Sache der Wissenschaft, diesen Mangel zu ersetzen.
Während nun auf diese Weise die Grundsätze für die Thätigkeit der Verwaltung zum geltenden Recht werden, erscheint die einzelne Enteignung offenbar als die specielle Anwendung desselben auf den einzelnen Fall. Die Funktion der Behörde dabei ist das Enteignungs- verfahren. Das Enteignungsverfahren besteht daher aus einer Reihe von Verordnungen, Verfügungen und wirklichen Thätigkeiten, deren Inhalt stets die Anwendung des bestehenden geltenden Rechts der Gesetze oder der Verordnungen auf den einzelnen Fall der Enteignung ist; d. h. die wirkliche Enteignung ist und bleibt in jedem einzelnen Falle ein Akt der vollziehenden Gewalt. Die Aufgabe der vollziehen- den Gewalt, beziehungsweise ihrer Organe und Behörden, besteht dann darin, sich in ihrer Aktion den bestehenden Gesetzen conform zu erhalten. Daraus entspringt dann das Recht der wirklichen Enteignung, welches mithin die geltenden Bestimmungen für das Verfahren der Behörde bei der einzelnen Enteignung enthält. Das Recht dieses Verfah- rens ist daher nichts anderes, als die besondere Anwendung des all- gemeinen Princips des verfassungsmäßigen Verwaltungsrechts auf die Thätigkeiten der enteignenden Behörde. Es folgt daraus, daß nach den Principien dieses Rechts in allen den Fällen, wo das Verfahren dieser Behörde mit dem Enteignungsgesetz in Widerspruch steht, von Seiten des Betheiligten die Klage, wo es dagegen mit der Verordnung im Widerspruche steht, die Beschwerde eintritt. Klage und Beschwerde haben hier genau dieselbe Funktion wie immer. Sie dienen dazu, die Uebereinstimmung der Aktion der Verwaltung im einzelnen Fall mit dem allgemein gültigen Rechte herzustellen. Wenn nun, wie in Oesterreich
Stein, die Verwaltungslehre. VII. 21
Princips der Enteignung, wie der Code civil und das öſterreichiſche bürgerliche Geſetzbuch, oder ſie kann daneben das Verfahren der Ver- waltungsbehörden bei der Enteignung überhaupt ordnen, wie die Ex- propriationsgeſetze Frankreichs, Badens, Bayerns, Sachſens, oder nur einzelne leitende Vorſchriften dafür geben, wie das preußiſche allgemeine Landrecht, oder endlich das Enteignungsrecht nur für einzelne beſtimmte Arten der Enteignung ausführen, wie das namentlich für Eiſenbahnen in Deutſchland vielfach geſchehen iſt. Wie nun immer das geſetzliche Recht geſtaltet ſein möge, ſo iſt es gewiß, daß die Regierung ihrerſeits das Recht hat, den Mangel der Geſetzgebung durch ihre Verordnung zu erſetzen, ſo daß Geſetz und Verordnung zuſammen das öffentlich geltende Recht der Enteignung bilden. Dieß iſt namentlich in Deutſch- land ſehr verſchieden, und es iſt einer der großen Mängel des deutſchen Rechtslebens, daß auch hier keine gemeinſchaftliche und gleichartige Rechts- bildung ſtattgefunden hat. Es iſt Sache der Wiſſenſchaft, dieſen Mangel zu erſetzen.
Während nun auf dieſe Weiſe die Grundſätze für die Thätigkeit der Verwaltung zum geltenden Recht werden, erſcheint die einzelne Enteignung offenbar als die ſpecielle Anwendung deſſelben auf den einzelnen Fall. Die Funktion der Behörde dabei iſt das Enteignungs- verfahren. Das Enteignungsverfahren beſteht daher aus einer Reihe von Verordnungen, Verfügungen und wirklichen Thätigkeiten, deren Inhalt ſtets die Anwendung des beſtehenden geltenden Rechts der Geſetze oder der Verordnungen auf den einzelnen Fall der Enteignung iſt; d. h. die wirkliche Enteignung iſt und bleibt in jedem einzelnen Falle ein Akt der vollziehenden Gewalt. Die Aufgabe der vollziehen- den Gewalt, beziehungsweiſe ihrer Organe und Behörden, beſteht dann darin, ſich in ihrer Aktion den beſtehenden Geſetzen conform zu erhalten. Daraus entſpringt dann das Recht der wirklichen Enteignung, welches mithin die geltenden Beſtimmungen für das Verfahren der Behörde bei der einzelnen Enteignung enthält. Das Recht dieſes Verfah- rens iſt daher nichts anderes, als die beſondere Anwendung des all- gemeinen Princips des verfaſſungsmäßigen Verwaltungsrechts auf die Thätigkeiten der enteignenden Behörde. Es folgt daraus, daß nach den Principien dieſes Rechts in allen den Fällen, wo das Verfahren dieſer Behörde mit dem Enteignungsgeſetz in Widerſpruch ſteht, von Seiten des Betheiligten die Klage, wo es dagegen mit der Verordnung im Widerſpruche ſteht, die Beſchwerde eintritt. Klage und Beſchwerde haben hier genau dieſelbe Funktion wie immer. Sie dienen dazu, die Uebereinſtimmung der Aktion der Verwaltung im einzelnen Fall mit dem allgemein gültigen Rechte herzuſtellen. Wenn nun, wie in Oeſterreich
Stein, die Verwaltungslehre. VII. 21
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Princips der Enteignung, wie der Code civil und das öſterreichiſche
bürgerliche Geſetzbuch, oder ſie kann daneben das Verfahren der Ver-
waltungsbehörden bei der Enteignung überhaupt ordnen, wie die Ex-
propriationsgeſetze Frankreichs, Badens, Bayerns, Sachſens, oder nur
einzelne leitende Vorſchriften dafür geben, wie das preußiſche allgemeine
Landrecht, oder endlich das Enteignungsrecht nur für einzelne beſtimmte
Arten der Enteignung ausführen, wie das namentlich für Eiſenbahnen
in Deutſchland vielfach geſchehen iſt. Wie nun immer das geſetzliche
Recht geſtaltet ſein möge, ſo iſt es gewiß, daß die Regierung ihrerſeits
das Recht hat, den Mangel der Geſetzgebung durch ihre Verordnung
zu erſetzen, ſo daß Geſetz und Verordnung zuſammen das öffentlich
geltende Recht der Enteignung bilden. Dieß iſt namentlich in Deutſch-
land ſehr verſchieden, und es iſt einer der großen Mängel des deutſchen
Rechtslebens, daß auch hier keine gemeinſchaftliche und gleichartige Rechts-
bildung ſtattgefunden hat. Es iſt Sache der Wiſſenſchaft, dieſen Mangel
zu erſetzen.
Während nun auf dieſe Weiſe die Grundſätze für die Thätigkeit
der Verwaltung zum geltenden Recht werden, erſcheint die einzelne
Enteignung offenbar als die ſpecielle Anwendung deſſelben auf den
einzelnen Fall. Die Funktion der Behörde dabei iſt das Enteignungs-
verfahren. Das Enteignungsverfahren beſteht daher aus einer Reihe
von Verordnungen, Verfügungen und wirklichen Thätigkeiten, deren
Inhalt ſtets die Anwendung des beſtehenden geltenden Rechts der
Geſetze oder der Verordnungen auf den einzelnen Fall der Enteignung
iſt; d. h. die wirkliche Enteignung iſt und bleibt in jedem einzelnen Falle
ein Akt der vollziehenden Gewalt. Die Aufgabe der vollziehen-
den Gewalt, beziehungsweiſe ihrer Organe und Behörden, beſteht dann
darin, ſich in ihrer Aktion den beſtehenden Geſetzen conform zu erhalten.
Daraus entſpringt dann das Recht der wirklichen Enteignung, welches
mithin die geltenden Beſtimmungen für das Verfahren der
Behörde bei der einzelnen Enteignung enthält. Das Recht dieſes Verfah-
rens iſt daher nichts anderes, als die beſondere Anwendung des all-
gemeinen Princips des verfaſſungsmäßigen Verwaltungsrechts auf die
Thätigkeiten der enteignenden Behörde. Es folgt daraus, daß nach
den Principien dieſes Rechts in allen den Fällen, wo das Verfahren
dieſer Behörde mit dem Enteignungsgeſetz in Widerſpruch ſteht, von
Seiten des Betheiligten die Klage, wo es dagegen mit der Verordnung
im Widerſpruche ſteht, die Beſchwerde eintritt. Klage und Beſchwerde
haben hier genau dieſelbe Funktion wie immer. Sie dienen dazu, die
Uebereinſtimmung der Aktion der Verwaltung im einzelnen Fall mit
dem allgemein gültigen Rechte herzuſtellen. Wenn nun, wie in Oeſterreich
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. 321. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/339>, abgerufen am 16.02.2025.
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