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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868.

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ist "nicht anders auszudrücken, als daß es schon nach der gegenwärtig
üblichen durchaus unentbehrlichen Praxis gar kein absolutes Recht des
Privateigenthums gibt." Die Enteignung ist daher nicht mehr eine ganz
bestimmte Verwaltungsmaßregel, welche eine ganz bestimmte Bedingung
der allgemeinen Entwicklung herstellt, sondern sie ist das höchste Princip
der Volkswirthschaftspflege selbst. In ähnlicher Weise hat Röder, Grund-
züge des Naturrechts (S. 556), den alten römischen Satz "expedit rei-
publicae, ne sua re quis male utatur"
aufgefaßt, und mit weiteren
Beispielen belegt. Er hat nicht gesehen, daß dieser Grundsatz ein Rechts-
princip der Geschlechterordnung ist, und sich daher nur auf den Grund
und Boden bezieht; Fichte aber hat überhaupt das Eigenthum bloß
als den "durch das Recht anerkannten und damit durch die öffentliche
Rechtsmacht geschützten Besitz" aufgefaßt (S. 72 ff.). Es ist klar,
daß wir hier demselben Widerspruch wie bei Lassalle begegnen. Kommt
jenes Recht aus dem Wesen der Persönlichkeit, wie kann es überhaupt
"kein absolutes Recht des Privateigenthums" geben? Es gäbe ja dann
keine Persönlichkeit als die der Gemeinschaft -- ungefähr die Lassalle'sche
Vorstellung, die allerdings den großen Fehler der Hegel'schen Lehre
trifft. Gibt es aber eine solche, wie verhält sich dann ihr Recht zu
dem Gesammtwillen? Und sollte wirklich die ganze Weltgeschichte, die
nie ohne Einzelpersönlichkeit und Eigenthum gewesen ist, so entschieden
alles Wesen beider mißverstanden haben? -- Offenbar läßt sich auf
diese Grundlagen, die das Einzelrecht überhaupt nicht anerkennen,
auch keine Lehre von der Enteignung des Einzelrechts bauen, so wenig
wie aus dem Begriff des Rechts das Recht auf Aufhebung des Rechts
folgt. Bischof (a. a. O. S. 51) hofft, daß sich das Fichte-Princip
"unter einem reifern Geschlecht Bahn brechen werde," während die
Stahl'sche Auffassung an der Persönlichkeit so fest hält, daß sie wieder
die Enteignung an und für sich aufhebt (Philosophie des Rechts,
3. Aufl. Bd. II. §. 15--18). -- Es ist klar, daß keiner dieser Wege
das Wesen derselben zum Verständniß zu bringen vermag.

II. Das Princip des Enteignungsrechts.

Aus diesem Wesen des Enteignungsrechts folgt nun auch das,
was wir das Princip desselben nennen. In dem Enteignungsrechte
nämlich stehen sich die gesellschaftliche Forderung an den Einzelnen, sein
Eigenthum aufzugeben, und das eben so bestimmte Princip der staats-
bürgerlichen Ordnung, daß dem Einzelnen die selbständige Unverletz-
lichkeit erhalten werden solle, einander gegenüber. Das Princip des
Enteignungsrechts ist nun der Grundsatz, der in dieser Beschränkung des

iſt „nicht anders auszudrücken, als daß es ſchon nach der gegenwärtig
üblichen durchaus unentbehrlichen Praxis gar kein abſolutes Recht des
Privateigenthums gibt.“ Die Enteignung iſt daher nicht mehr eine ganz
beſtimmte Verwaltungsmaßregel, welche eine ganz beſtimmte Bedingung
der allgemeinen Entwicklung herſtellt, ſondern ſie iſt das höchſte Princip
der Volkswirthſchaftspflege ſelbſt. In ähnlicher Weiſe hat Röder, Grund-
züge des Naturrechts (S. 556), den alten römiſchen Satz „expedit rei-
publicae, ne sua re quis male utatur“
aufgefaßt, und mit weiteren
Beiſpielen belegt. Er hat nicht geſehen, daß dieſer Grundſatz ein Rechts-
princip der Geſchlechterordnung iſt, und ſich daher nur auf den Grund
und Boden bezieht; Fichte aber hat überhaupt das Eigenthum bloß
als den „durch das Recht anerkannten und damit durch die öffentliche
Rechtsmacht geſchützten Beſitz“ aufgefaßt (S. 72 ff.). Es iſt klar,
daß wir hier demſelben Widerſpruch wie bei Laſſalle begegnen. Kommt
jenes Recht aus dem Weſen der Perſönlichkeit, wie kann es überhaupt
„kein abſolutes Recht des Privateigenthums“ geben? Es gäbe ja dann
keine Perſönlichkeit als die der Gemeinſchaft — ungefähr die Laſſalle’ſche
Vorſtellung, die allerdings den großen Fehler der Hegel’ſchen Lehre
trifft. Gibt es aber eine ſolche, wie verhält ſich dann ihr Recht zu
dem Geſammtwillen? Und ſollte wirklich die ganze Weltgeſchichte, die
nie ohne Einzelperſönlichkeit und Eigenthum geweſen iſt, ſo entſchieden
alles Weſen beider mißverſtanden haben? — Offenbar läßt ſich auf
dieſe Grundlagen, die das Einzelrecht überhaupt nicht anerkennen,
auch keine Lehre von der Enteignung des Einzelrechts bauen, ſo wenig
wie aus dem Begriff des Rechts das Recht auf Aufhebung des Rechts
folgt. Biſchof (a. a. O. S. 51) hofft, daß ſich das Fichte-Princip
„unter einem reifern Geſchlecht Bahn brechen werde,“ während die
Stahl’ſche Auffaſſung an der Perſönlichkeit ſo feſt hält, daß ſie wieder
die Enteignung an und für ſich aufhebt (Philoſophie des Rechts,
3. Aufl. Bd. II. §. 15—18). — Es iſt klar, daß keiner dieſer Wege
das Weſen derſelben zum Verſtändniß zu bringen vermag.

II. Das Princip des Enteignungsrechts.

Aus dieſem Weſen des Enteignungsrechts folgt nun auch das,
was wir das Princip deſſelben nennen. In dem Enteignungsrechte
nämlich ſtehen ſich die geſellſchaftliche Forderung an den Einzelnen, ſein
Eigenthum aufzugeben, und das eben ſo beſtimmte Princip der ſtaats-
bürgerlichen Ordnung, daß dem Einzelnen die ſelbſtändige Unverletz-
lichkeit erhalten werden ſolle, einander gegenüber. Das Princip des
Enteignungsrechts iſt nun der Grundſatz, der in dieſer Beſchränkung des

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[299/0317] iſt „nicht anders auszudrücken, als daß es ſchon nach der gegenwärtig üblichen durchaus unentbehrlichen Praxis gar kein abſolutes Recht des Privateigenthums gibt.“ Die Enteignung iſt daher nicht mehr eine ganz beſtimmte Verwaltungsmaßregel, welche eine ganz beſtimmte Bedingung der allgemeinen Entwicklung herſtellt, ſondern ſie iſt das höchſte Princip der Volkswirthſchaftspflege ſelbſt. In ähnlicher Weiſe hat Röder, Grund- züge des Naturrechts (S. 556), den alten römiſchen Satz „expedit rei- publicae, ne sua re quis male utatur“ aufgefaßt, und mit weiteren Beiſpielen belegt. Er hat nicht geſehen, daß dieſer Grundſatz ein Rechts- princip der Geſchlechterordnung iſt, und ſich daher nur auf den Grund und Boden bezieht; Fichte aber hat überhaupt das Eigenthum bloß als den „durch das Recht anerkannten und damit durch die öffentliche Rechtsmacht geſchützten Beſitz“ aufgefaßt (S. 72 ff.). Es iſt klar, daß wir hier demſelben Widerſpruch wie bei Laſſalle begegnen. Kommt jenes Recht aus dem Weſen der Perſönlichkeit, wie kann es überhaupt „kein abſolutes Recht des Privateigenthums“ geben? Es gäbe ja dann keine Perſönlichkeit als die der Gemeinſchaft — ungefähr die Laſſalle’ſche Vorſtellung, die allerdings den großen Fehler der Hegel’ſchen Lehre trifft. Gibt es aber eine ſolche, wie verhält ſich dann ihr Recht zu dem Geſammtwillen? Und ſollte wirklich die ganze Weltgeſchichte, die nie ohne Einzelperſönlichkeit und Eigenthum geweſen iſt, ſo entſchieden alles Weſen beider mißverſtanden haben? — Offenbar läßt ſich auf dieſe Grundlagen, die das Einzelrecht überhaupt nicht anerkennen, auch keine Lehre von der Enteignung des Einzelrechts bauen, ſo wenig wie aus dem Begriff des Rechts das Recht auf Aufhebung des Rechts folgt. Biſchof (a. a. O. S. 51) hofft, daß ſich das Fichte-Princip „unter einem reifern Geſchlecht Bahn brechen werde,“ während die Stahl’ſche Auffaſſung an der Perſönlichkeit ſo feſt hält, daß ſie wieder die Enteignung an und für ſich aufhebt (Philoſophie des Rechts, 3. Aufl. Bd. II. §. 15—18). — Es iſt klar, daß keiner dieſer Wege das Weſen derſelben zum Verſtändniß zu bringen vermag. II. Das Princip des Enteignungsrechts. Aus dieſem Weſen des Enteignungsrechts folgt nun auch das, was wir das Princip deſſelben nennen. In dem Enteignungsrechte nämlich ſtehen ſich die geſellſchaftliche Forderung an den Einzelnen, ſein Eigenthum aufzugeben, und das eben ſo beſtimmte Princip der ſtaats- bürgerlichen Ordnung, daß dem Einzelnen die ſelbſtändige Unverletz- lichkeit erhalten werden ſolle, einander gegenüber. Das Princip des Enteignungsrechts iſt nun der Grundſatz, der in dieſer Beſchränkung des

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. 299. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/317>, abgerufen am 22.11.2024.