unaufhebbares Recht, weil es gar nicht hätte erworben werden können, wenn der Erwerb nicht gesetzlich zugelassen wäre; nun hat das Gesetz den Erwerb zugelassen, unter der stillschweigenden Voraussetzung, ihn wieder aufzuheben; der Grund, warum das Gesetz aber diese mögliche Wieder- aufhebung, die Enteignung, festhält, ist der, daß das Einzeleigenthum wieder aufgehoben werden kann. Das ist ein leerer Kreis. Wir werden daher auch von dieser Seite auf die Quelle aller zeitlichen Rechtsbildung, die Gesellschaftsordnungen, zurückgewiesen. Wie die Geschlechterordnung das gemeinschaftliche Eigenthum des Grundes und Bodens mit gleichem Recht ihrer Mitglieder, die ständische Ordnung das körperschaftliche mit organischer Vertheilung der Benutzung desselben erzeugt, unter Auf- hebung jedes Einzeleigenthums, so erzeugt ihrerseits die staatsbürger- liche Gesellschaftsordnung alle diejenigen Rechtsgrundsätze, welche die volle Freiheit der individuellen Entwicklung zum Inhalt haben. Für sie ist daher die Aufhebung des Einzeleigenthums an Grund und Boden kein Widerspruch, weil das Einzeleigenthum selbst ihre eigne Consequenz ist, und mithin in jedem Falle nur so weit geht, als der Grund es zuläßt, aus dem es selbst hervorgegangen. Tritt es daher in Gegensatz mit jener freien individuellen Entwicklung, so wird es ein- fach durch dieses höhere Princip so weit aufgehoben, als das letztere es fordert, wie es hergestellt ist eben durch seine Forderung selbst. Und dieß ist um so klarer, als in demselben Gedanken auch die Gränze der Enteignung liegt. In der That nämlich bildet das Einzeleigenthum am Werthe niemals einen Gegensatz zu der allgemeinen Entwicklung, sondern ist vielmehr das wahre Gebiet der vollkommen freien individuellen Thätigkeit. Die Enteignung kann daher nie das Eigenthum am Werthe des Gutes aufheben, das heißt der Werth muß dem Eigenthümer in seiner selbständigen Gestalt, als Geld, zurückgegeben, oder es muß der Einzelne entschädigt werden; und darum war es so natürlich, daß die meisten Theoretiker in der Entschädigung dasjenige Moment sahen, das die Enteignung rechtlich möglich mache, obwohl auch sie allerdings, wie die Enteignung selbst, nur eine Consequenz des Wesens des gesell- schaftlichen Rechts einerseits und des Werthes andererseits ist. Es muß endlich die jüngste Ansicht hervorgehoben werden, welche, obwohl sie mit dem specifischen Begriff der Enteignung eigentlich nichts zu thun hat, doch als sittliche Basis derselben, wir möchten sagen halb in Ver- zweiflung über die ganze Frage, aufgestellt worden ist. Am schärfsten hat dieselbe J. H. Fichte in seinem "System der Ethik" (Bd. II. Abth. 2. S. 76. 77) ausgesprochen. Der Staat hat darnach das Recht "den Einzelnen durch Maßregeln der Gesetzgebung und Verwaltung zur höchst möglichen Benützung des Eigenthumes anzutreiben," und dieß Princip
unaufhebbares Recht, weil es gar nicht hätte erworben werden können, wenn der Erwerb nicht geſetzlich zugelaſſen wäre; nun hat das Geſetz den Erwerb zugelaſſen, unter der ſtillſchweigenden Vorausſetzung, ihn wieder aufzuheben; der Grund, warum das Geſetz aber dieſe mögliche Wieder- aufhebung, die Enteignung, feſthält, iſt der, daß das Einzeleigenthum wieder aufgehoben werden kann. Das iſt ein leerer Kreis. Wir werden daher auch von dieſer Seite auf die Quelle aller zeitlichen Rechtsbildung, die Geſellſchaftsordnungen, zurückgewieſen. Wie die Geſchlechterordnung das gemeinſchaftliche Eigenthum des Grundes und Bodens mit gleichem Recht ihrer Mitglieder, die ſtändiſche Ordnung das körperſchaftliche mit organiſcher Vertheilung der Benutzung deſſelben erzeugt, unter Auf- hebung jedes Einzeleigenthums, ſo erzeugt ihrerſeits die ſtaatsbürger- liche Geſellſchaftsordnung alle diejenigen Rechtsgrundſätze, welche die volle Freiheit der individuellen Entwicklung zum Inhalt haben. Für ſie iſt daher die Aufhebung des Einzeleigenthums an Grund und Boden kein Widerſpruch, weil das Einzeleigenthum ſelbſt ihre eigne Conſequenz iſt, und mithin in jedem Falle nur ſo weit geht, als der Grund es zuläßt, aus dem es ſelbſt hervorgegangen. Tritt es daher in Gegenſatz mit jener freien individuellen Entwicklung, ſo wird es ein- fach durch dieſes höhere Princip ſo weit aufgehoben, als das letztere es fordert, wie es hergeſtellt iſt eben durch ſeine Forderung ſelbſt. Und dieß iſt um ſo klarer, als in demſelben Gedanken auch die Gränze der Enteignung liegt. In der That nämlich bildet das Einzeleigenthum am Werthe niemals einen Gegenſatz zu der allgemeinen Entwicklung, ſondern iſt vielmehr das wahre Gebiet der vollkommen freien individuellen Thätigkeit. Die Enteignung kann daher nie das Eigenthum am Werthe des Gutes aufheben, das heißt der Werth muß dem Eigenthümer in ſeiner ſelbſtändigen Geſtalt, als Geld, zurückgegeben, oder es muß der Einzelne entſchädigt werden; und darum war es ſo natürlich, daß die meiſten Theoretiker in der Entſchädigung dasjenige Moment ſahen, das die Enteignung rechtlich möglich mache, obwohl auch ſie allerdings, wie die Enteignung ſelbſt, nur eine Conſequenz des Weſens des geſell- ſchaftlichen Rechts einerſeits und des Werthes andererſeits iſt. Es muß endlich die jüngſte Anſicht hervorgehoben werden, welche, obwohl ſie mit dem ſpecifiſchen Begriff der Enteignung eigentlich nichts zu thun hat, doch als ſittliche Baſis derſelben, wir möchten ſagen halb in Ver- zweiflung über die ganze Frage, aufgeſtellt worden iſt. Am ſchärfſten hat dieſelbe J. H. Fichte in ſeinem „Syſtem der Ethik“ (Bd. II. Abth. 2. S. 76. 77) ausgeſprochen. Der Staat hat darnach das Recht „den Einzelnen durch Maßregeln der Geſetzgebung und Verwaltung zur höchſt möglichen Benützung des Eigenthumes anzutreiben,“ und dieß Princip
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wenn der Erwerb nicht geſetzlich zugelaſſen wäre; nun hat das Geſetz den
Erwerb zugelaſſen, unter der ſtillſchweigenden Vorausſetzung, ihn wieder
aufzuheben; der Grund, warum das Geſetz aber dieſe mögliche Wieder-
aufhebung, die Enteignung, feſthält, iſt der, daß das Einzeleigenthum
wieder aufgehoben werden kann. Das iſt ein leerer Kreis. Wir werden
daher auch von dieſer Seite auf die Quelle aller zeitlichen Rechtsbildung,
die Geſellſchaftsordnungen, zurückgewieſen. Wie die Geſchlechterordnung
das gemeinſchaftliche Eigenthum des Grundes und Bodens mit gleichem
Recht ihrer Mitglieder, die ſtändiſche Ordnung das körperſchaftliche mit
organiſcher Vertheilung der Benutzung deſſelben erzeugt, unter Auf-
hebung jedes Einzeleigenthums, ſo erzeugt ihrerſeits die ſtaatsbürger-
liche Geſellſchaftsordnung alle diejenigen Rechtsgrundſätze, welche die
volle Freiheit der individuellen Entwicklung zum Inhalt haben. Für
ſie iſt daher die Aufhebung des Einzeleigenthums an Grund und
Boden kein Widerſpruch, weil das Einzeleigenthum ſelbſt ihre eigne
Conſequenz iſt, und mithin in jedem Falle nur ſo weit geht, als der
Grund es zuläßt, aus dem es ſelbſt hervorgegangen. Tritt es daher
in Gegenſatz mit jener freien individuellen Entwicklung, ſo wird es ein-
fach durch dieſes höhere Princip ſo weit aufgehoben, als das letztere es
fordert, wie es hergeſtellt iſt eben durch ſeine Forderung ſelbſt. Und
dieß iſt um ſo klarer, als in demſelben Gedanken auch die Gränze der
Enteignung liegt. In der That nämlich bildet das Einzeleigenthum
am Werthe niemals einen Gegenſatz zu der allgemeinen Entwicklung,
ſondern iſt vielmehr das wahre Gebiet der vollkommen freien individuellen
Thätigkeit. Die Enteignung kann daher nie das Eigenthum am Werthe
des Gutes aufheben, das heißt der Werth muß dem Eigenthümer in
ſeiner ſelbſtändigen Geſtalt, als Geld, zurückgegeben, oder es muß der
Einzelne entſchädigt werden; und darum war es ſo natürlich, daß
die meiſten Theoretiker in der Entſchädigung dasjenige Moment ſahen,
das die Enteignung rechtlich möglich mache, obwohl auch ſie allerdings,
wie die Enteignung ſelbſt, nur eine Conſequenz des Weſens des geſell-
ſchaftlichen Rechts einerſeits und des Werthes andererſeits iſt. Es muß
endlich die jüngſte Anſicht hervorgehoben werden, welche, obwohl ſie
mit dem ſpecifiſchen Begriff der Enteignung eigentlich nichts zu thun
hat, doch als ſittliche Baſis derſelben, wir möchten ſagen halb in Ver-
zweiflung über die ganze Frage, aufgeſtellt worden iſt. Am ſchärfſten
hat dieſelbe J. H. Fichte in ſeinem „Syſtem der Ethik“ (Bd. II. Abth. 2.
S. 76. 77) ausgeſprochen. Der Staat hat darnach das Recht „den
Einzelnen durch Maßregeln der Geſetzgebung und Verwaltung zur höchſt
möglichen Benützung des Eigenthumes anzutreiben,“ und dieß Princip
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. 298. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/316>, abgerufen am 22.11.2024.
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