erzeugt nicht bloß ihre, ihr eigenthümlichen Consequenzen für die Ordnung des Grundbesitzes, sondern mit demselben Rechte fordert sie auch, daß der von ihr geschaffene Einzelgrundbesitz seinerseits die Bedingungen herstelle, auf denen sie selber beruht. Und die wahre Rechtsbasis aller Enteignung ist es daher, daß sie als eine Bedingung für das Princip der vollen Entwicklung der staatsbürgerlichen Gesellschaft, den freien individuellen Erwerb, erscheine. Es ist daher gänzlich hoffnungslos, die Enteignung als einen Rechtsbegriff aus dem Wesen von Recht und Staat entwickeln zu wollen; und alle, welche auf diesen Standpunkt stehen, sind daher auch von dem Gefühl durchdrungen, daß, wenn überhaupt die Enteignung aus dem "Recht" entstehen kann, das Recht selbst damit zuletzt zu Grunde gehen müsse, wie das noch neulich Hä- berlin (a. a. O. unten) so lebhaft gezeigt hat. Unfertiger wie Lassalle kann man allerdings kaum sein, der einerseits behauptet, daß bei der Enteignung "von einer Rückwirkung, von irgend welcher Kränkung er- worbener Rechte gar nicht die Rede sein könne" (System der erworbenen Rechte I. S. 198), weil "ja das Individuum sich und Andern nur in so weit und auf so lange Rechte sichern kann, in so weit und in so lange die jederzeit bestehenden Gesetze diesen Rechtsinhalt als einen erlaubten ansehen" (S. 194), und doch wieder den Satz anerkennt, daß es "gegen das Recht kein Recht gibt." Hier ist Alles klar, bis auf das, worauf es ankommt, nämlich das "Recht" selbst, denn dieß Recht liegt dieser Theorie nicht im Wesen der Persönlichkeit, sondern in der Anerkennung durch das Gesetz; die Gültigkeit des Rechts ist mit dem Wesen des Rechts verwechselt. Daher hat Lassalle sich die entscheidende Frage gar nicht gestellt, welcher Natur denn ein erworbenes Recht ist, über welches sich überhaupt ein Gesetz niemals ausgesprochen hat. Denn wenn das Gesetz die Bedingung des Erwerbes des Guts ist, und fehlt, aus welchen Elementen heraus soll man denn das so weder mit noch gegen das Gesetz, sondern einfach ohne dasselbe entstandene Recht erkennen? Ergibt sich aber das Wesen desselben aus der Persönlichkeit, so tritt derselbe Gegensatz auf, der eben die Enteignung so schwierig macht, der Gegensatz zwischen dem persönlichen und dem gesetzlichen Rechtsbegriff; und da genügt es wahrlich nicht, einfach dem Gesetze das Recht der Aufhebung des persönlichen Rechts zuzusprechen, weil "das letztere gar nicht hätte erworben werden können, wenn das spätere Gesetz schon dagewesen wäre." Denn damit würde es zuletzt gar kein gegenwärtiges Recht, auch nicht das aus einem Gesetze fol- gende, geben, weil immer ein anderes Gesetz kommen kann, welches das alte Recht und Gesetz aufhebt. Auf diese Weise dreht sich die Dialektik in einem unauflöslichen Cirkel: Das Einzeleigenthum ist kein
erzeugt nicht bloß ihre, ihr eigenthümlichen Conſequenzen für die Ordnung des Grundbeſitzes, ſondern mit demſelben Rechte fordert ſie auch, daß der von ihr geſchaffene Einzelgrundbeſitz ſeinerſeits die Bedingungen herſtelle, auf denen ſie ſelber beruht. Und die wahre Rechtsbaſis aller Enteignung iſt es daher, daß ſie als eine Bedingung für das Princip der vollen Entwicklung der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft, den freien individuellen Erwerb, erſcheine. Es iſt daher gänzlich hoffnungslos, die Enteignung als einen Rechtsbegriff aus dem Weſen von Recht und Staat entwickeln zu wollen; und alle, welche auf dieſen Standpunkt ſtehen, ſind daher auch von dem Gefühl durchdrungen, daß, wenn überhaupt die Enteignung aus dem „Recht“ entſtehen kann, das Recht ſelbſt damit zuletzt zu Grunde gehen müſſe, wie das noch neulich Hä- berlin (a. a. O. unten) ſo lebhaft gezeigt hat. Unfertiger wie Laſſalle kann man allerdings kaum ſein, der einerſeits behauptet, daß bei der Enteignung „von einer Rückwirkung, von irgend welcher Kränkung er- worbener Rechte gar nicht die Rede ſein könne“ (Syſtem der erworbenen Rechte I. S. 198), weil „ja das Individuum ſich und Andern nur in ſo weit und auf ſo lange Rechte ſichern kann, in ſo weit und in ſo lange die jederzeit beſtehenden Geſetze dieſen Rechtsinhalt als einen erlaubten anſehen“ (S. 194), und doch wieder den Satz anerkennt, daß es „gegen das Recht kein Recht gibt.“ Hier iſt Alles klar, bis auf das, worauf es ankommt, nämlich das „Recht“ ſelbſt, denn dieß Recht liegt dieſer Theorie nicht im Weſen der Perſönlichkeit, ſondern in der Anerkennung durch das Geſetz; die Gültigkeit des Rechts iſt mit dem Weſen des Rechts verwechſelt. Daher hat Laſſalle ſich die entſcheidende Frage gar nicht geſtellt, welcher Natur denn ein erworbenes Recht iſt, über welches ſich überhaupt ein Geſetz niemals ausgeſprochen hat. Denn wenn das Geſetz die Bedingung des Erwerbes des Guts iſt, und fehlt, aus welchen Elementen heraus ſoll man denn das ſo weder mit noch gegen das Geſetz, ſondern einfach ohne daſſelbe entſtandene Recht erkennen? Ergibt ſich aber das Weſen deſſelben aus der Perſönlichkeit, ſo tritt derſelbe Gegenſatz auf, der eben die Enteignung ſo ſchwierig macht, der Gegenſatz zwiſchen dem perſönlichen und dem geſetzlichen Rechtsbegriff; und da genügt es wahrlich nicht, einfach dem Geſetze das Recht der Aufhebung des perſönlichen Rechts zuzuſprechen, weil „das letztere gar nicht hätte erworben werden können, wenn das ſpätere Geſetz ſchon dageweſen wäre.“ Denn damit würde es zuletzt gar kein gegenwärtiges Recht, auch nicht das aus einem Geſetze fol- gende, geben, weil immer ein anderes Geſetz kommen kann, welches das alte Recht und Geſetz aufhebt. Auf dieſe Weiſe dreht ſich die Dialektik in einem unauflöslichen Cirkel: Das Einzeleigenthum iſt kein
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herſtelle, auf denen ſie ſelber beruht. Und die wahre Rechtsbaſis aller
Enteignung iſt es daher, daß ſie als eine Bedingung für das Princip
der vollen Entwicklung der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft, den freien
individuellen Erwerb, erſcheine. Es iſt daher gänzlich hoffnungslos,
die Enteignung als einen Rechtsbegriff aus dem Weſen von Recht und
Staat entwickeln zu wollen; und alle, welche auf dieſen Standpunkt
ſtehen, ſind daher auch von dem Gefühl durchdrungen, daß, wenn
überhaupt die Enteignung aus dem „Recht“ entſtehen kann, das Recht
ſelbſt damit zuletzt zu Grunde gehen müſſe, wie das noch neulich Hä-
berlin (a. a. O. unten) ſo lebhaft gezeigt hat. Unfertiger wie Laſſalle
kann man allerdings kaum ſein, der einerſeits behauptet, daß bei der
Enteignung „von einer Rückwirkung, von irgend welcher Kränkung er-
worbener Rechte gar nicht die Rede ſein könne“ (Syſtem der erworbenen
Rechte I. S. 198), weil „ja das Individuum ſich und Andern nur in
ſo weit und auf ſo lange Rechte ſichern kann, in ſo weit und in ſo
lange die jederzeit beſtehenden Geſetze dieſen Rechtsinhalt als einen
erlaubten anſehen“ (S. 194), und doch wieder den Satz anerkennt, daß
es „gegen das Recht kein Recht gibt.“ Hier iſt Alles klar, bis auf
das, worauf es ankommt, nämlich das „Recht“ ſelbſt, denn dieß Recht
liegt dieſer Theorie nicht im Weſen der Perſönlichkeit, ſondern in der
Anerkennung durch das Geſetz; die Gültigkeit des Rechts iſt mit dem
Weſen des Rechts verwechſelt. Daher hat Laſſalle ſich die entſcheidende
Frage gar nicht geſtellt, welcher Natur denn ein erworbenes Recht iſt,
über welches ſich überhaupt ein Geſetz niemals ausgeſprochen hat.
Denn wenn das Geſetz die Bedingung des Erwerbes des Guts iſt, und
fehlt, aus welchen Elementen heraus ſoll man denn das ſo weder mit
noch gegen das Geſetz, ſondern einfach ohne daſſelbe entſtandene Recht
erkennen? Ergibt ſich aber das Weſen deſſelben aus der Perſönlichkeit,
ſo tritt derſelbe Gegenſatz auf, der eben die Enteignung ſo ſchwierig
macht, der Gegenſatz zwiſchen dem perſönlichen und dem geſetzlichen
Rechtsbegriff; und da genügt es wahrlich nicht, einfach dem Geſetze
das Recht der Aufhebung des perſönlichen Rechts zuzuſprechen, weil
„das letztere gar nicht hätte erworben werden können, wenn das
ſpätere Geſetz ſchon dageweſen wäre.“ Denn damit würde es zuletzt
gar kein gegenwärtiges Recht, auch nicht das aus einem Geſetze fol-
gende, geben, weil immer ein anderes Geſetz kommen kann, welches
das alte Recht und Geſetz aufhebt. Auf dieſe Weiſe dreht ſich die
Dialektik in einem unauflöslichen Cirkel: Das Einzeleigenthum iſt kein
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. 297. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/315>, abgerufen am 22.11.2024.
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