Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868.alle beide nicht. Die Gesetzgebung hat für die Entlastung so tief ver- Die Voraussetzung jedes Fortschrittes für dasselbe scheint es nun I. Der Begriff der Enteignung. Entwicklung aus dem gesellschaftlichen Recht. Es wird auch wohl hier nicht viel nützen, eine formale Definition alle beide nicht. Die Geſetzgebung hat für die Entlaſtung ſo tief ver- Die Vorausſetzung jedes Fortſchrittes für daſſelbe ſcheint es nun I. Der Begriff der Enteignung. Entwicklung aus dem geſellſchaftlichen Recht. Es wird auch wohl hier nicht viel nützen, eine formale Definition <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <p><pb facs="#f0311" n="293"/> alle beide nicht. Die Geſetzgebung hat für die Entlaſtung ſo tief ver-<lb/> ſchiedene Regeln von denjenigen aufzuſtellen, welche für die Enteignung<lb/> gelten müſſen, daß ein Zuſammenbringen beider großen Gruppen von<lb/> Geſetzen nicht wohl denkbar iſt; die Juriſten, von keiner Rechtsphilo-<lb/> ſophie geleitet, halten ſich einfach an die geltenden, ohne Beziehung zu<lb/> einander ſtehenden Beſtimmungen; die Hiſtoriker, auch die der deutſchen<lb/> Reichs- und Rechtsgeſchichte, haben mit der Enteignung ſich überhaupt<lb/> nicht zu befaſſen, weil ſie eben in der Wirklichkeit noch gar nicht exiſtirt,<lb/> und eine Verwaltungslehre, welche in einen organiſchen Gedanken beide<lb/> zuſammengefaßt hätte, gibt es nicht. So war es denn natürlich, daß<lb/> die tiefen Verſchiedenheiten, welche allerdings in Entlaſtung und Ent-<lb/> eignung liegen, die allgemeine Vorſtellung begründeten, daß beide mit<lb/> einander gar nichts zu thun haben. Dazu kam endlich, daß die Ent-<lb/> laſtungslehre, wie wir geſehen, an Geſetzgebung und Literatur durch<lb/> die Zeitverhältniſſe in hohem Grade reichhaltig und praktiſch unendlich<lb/> wichtig ward, während man kaum Anlaß hatte, von der Enteignung<lb/> überhaupt zu reden. So iſt es denn gekommen, daß die ganze Lehre<lb/> von der Enteignung nicht bloß an und für ſich etwas dürftig geblieben<lb/> iſt, ſondern daß ſie weſentlich heimathslos in der ganzen Wiſſenſchaft<lb/> daſteht, von dem bürgerlichen Rechte bei Seite geſchoben, ohne Geſchichte,<lb/> auf die Exegeſe der zum Theilung höchſt unvollkommenen Geſetzgebung<lb/> beſchränkt, ohne Platz in irgend einem Syſtem und damit ohne orga-<lb/> niſche Begründung ihres Inhalts. Das iſt der gegenwärtige Zuſtand<lb/> dieſes ſo wichtigen Gebietes des Verwaltungsrechts.</p><lb/> <p>Die Vorausſetzung jedes Fortſchrittes für daſſelbe ſcheint es nun<lb/> wohl zu ſein, daß wir zunächſt die Gemeinſamkeit des höheren Geſichts-<lb/> punktes deſſelben in dem allgemeinen Begriffe der Entwährung feſthalten,<lb/> und den Satz zur Geltung bringen, daß auch die Enteignung nicht ein<lb/> bürgerliches und nicht ein ſtaatliches, ſondern eben ſo wie die Entlaſtung<lb/> ein <hi rendition="#g">geſellſchaftliches Recht</hi> iſt. Und demgemäß iſt es die Aufgabe<lb/> des Folgenden, dieſen Satz in ſeinem Begriff, ſeiner Rechtsbildung,<lb/> und ſeinen Conſequenzen durchzuführen, und wieder hier die Haupt-<lb/> völker und ihr Enteignungsrecht als die großen Individualiſirungen<lb/> jener Idee in ihrem Enteignungsrechte zu bezeichnen. Damit dürfte<lb/> daſſelbe dasjenige finden, was es am meiſten entbehrt, ſeine organiſche<lb/> Stelle in der Wiſſenſchaft des öffentlichen Rechts.</p><lb/> <div n="6"> <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">I.</hi> Der Begriff der Enteignung. Entwicklung aus dem geſellſchaftlichen Recht.</hi> </head><lb/> <p>Es wird auch wohl hier nicht viel nützen, eine formale Definition<lb/> an die Spitze zu ſtellen. Das Leben der Völker hat die Enteignung<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [293/0311]
alle beide nicht. Die Geſetzgebung hat für die Entlaſtung ſo tief ver-
ſchiedene Regeln von denjenigen aufzuſtellen, welche für die Enteignung
gelten müſſen, daß ein Zuſammenbringen beider großen Gruppen von
Geſetzen nicht wohl denkbar iſt; die Juriſten, von keiner Rechtsphilo-
ſophie geleitet, halten ſich einfach an die geltenden, ohne Beziehung zu
einander ſtehenden Beſtimmungen; die Hiſtoriker, auch die der deutſchen
Reichs- und Rechtsgeſchichte, haben mit der Enteignung ſich überhaupt
nicht zu befaſſen, weil ſie eben in der Wirklichkeit noch gar nicht exiſtirt,
und eine Verwaltungslehre, welche in einen organiſchen Gedanken beide
zuſammengefaßt hätte, gibt es nicht. So war es denn natürlich, daß
die tiefen Verſchiedenheiten, welche allerdings in Entlaſtung und Ent-
eignung liegen, die allgemeine Vorſtellung begründeten, daß beide mit
einander gar nichts zu thun haben. Dazu kam endlich, daß die Ent-
laſtungslehre, wie wir geſehen, an Geſetzgebung und Literatur durch
die Zeitverhältniſſe in hohem Grade reichhaltig und praktiſch unendlich
wichtig ward, während man kaum Anlaß hatte, von der Enteignung
überhaupt zu reden. So iſt es denn gekommen, daß die ganze Lehre
von der Enteignung nicht bloß an und für ſich etwas dürftig geblieben
iſt, ſondern daß ſie weſentlich heimathslos in der ganzen Wiſſenſchaft
daſteht, von dem bürgerlichen Rechte bei Seite geſchoben, ohne Geſchichte,
auf die Exegeſe der zum Theilung höchſt unvollkommenen Geſetzgebung
beſchränkt, ohne Platz in irgend einem Syſtem und damit ohne orga-
niſche Begründung ihres Inhalts. Das iſt der gegenwärtige Zuſtand
dieſes ſo wichtigen Gebietes des Verwaltungsrechts.
Die Vorausſetzung jedes Fortſchrittes für daſſelbe ſcheint es nun
wohl zu ſein, daß wir zunächſt die Gemeinſamkeit des höheren Geſichts-
punktes deſſelben in dem allgemeinen Begriffe der Entwährung feſthalten,
und den Satz zur Geltung bringen, daß auch die Enteignung nicht ein
bürgerliches und nicht ein ſtaatliches, ſondern eben ſo wie die Entlaſtung
ein geſellſchaftliches Recht iſt. Und demgemäß iſt es die Aufgabe
des Folgenden, dieſen Satz in ſeinem Begriff, ſeiner Rechtsbildung,
und ſeinen Conſequenzen durchzuführen, und wieder hier die Haupt-
völker und ihr Enteignungsrecht als die großen Individualiſirungen
jener Idee in ihrem Enteignungsrechte zu bezeichnen. Damit dürfte
daſſelbe dasjenige finden, was es am meiſten entbehrt, ſeine organiſche
Stelle in der Wiſſenſchaft des öffentlichen Rechts.
I. Der Begriff der Enteignung. Entwicklung aus dem geſellſchaftlichen Recht.
Es wird auch wohl hier nicht viel nützen, eine formale Definition
an die Spitze zu ſtellen. Das Leben der Völker hat die Enteignung
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