dieß ein juristischer Widerspruch; denn galt die Stimmenmehrheit nicht, so konnte auch die Landespolizei sie nicht herstellen. Allein dem prak- tischen Bedürfniß genügten die obigen Sätze wesentlich auch darum, weil es ungemein schwer war, das Eigenthumsrecht bei den großen zum Theil wüst liegenden Strecken jedesmal nachzuweisen, und der Landes- herr das Recht in Anspruch nehmen konnte, wie es in Bayern und Baden geschah, dieselben als bona vacantia seinerseits zu vertheilen. Diese Standpunkte der Theorie wurden dann auch für die positiven Verwaltungsmaßregeln maßgebend.
Preußens Gesetzgebung ging in dieser Beziehung voran, wenn gleich zum Theil oft mit Willkür. Die erste Verordnung ist das Rescript vom 29. Juli 1763, dem eine Reihe anderer Verordnungen folgten (bei Fischer, Cameral- und Polizeirecht III. §. 902). Den Beamten wurde die möglichste Betreibung der Auftheilung eingeschärft; der König ließ sich zu dem Ende eigene Listen alle drei Monate vor- legen, ertheilte den Gemeinden, "die sich selbst auseinander gesetzt haben," Prämien bis zu 30 Thalern; die Abgaben durften durch die Aufthei- lungen in keiner Weise erhöht werden; zur Beschleunigung der Sache wurden eigene Commissarien mit besonderer Instruktion für den Fall eingesetzt, daß die Gemeinden nicht selbst damit zu Stande kämen; speciell ward vorgeschrieben, daß die Commissarien "mit aller Wachsam- keit jede Unterdrückung und Vervortheilung der gemeinen Bauersleute verhindern" und daß, wo ganze Gutsherrschaften an der Auseinander- setzung Theil genommen haben, die Justizcollegien die Akten sich vor- legen lassen und dieselben genau prüfen sollen (Kabinetsordre vom 19. Mai 1770 und Rescript vom 25. December 1770. Fischer a. a. O. §. 903--905). In ähnlicher Weise betrieb Bayern die Gemeinheits- theilung (Kulturedikt von 1762, Sammlung der bayrischen Generalien von 1771 S. 449, Moser, Landeshoheit in Ansehung Erde und Wassers S. 108), wobei die zweckmäßige Benutzung der überflüssi- gen Weideplätze zu Wiese oder Ackerfeld ausdrücklich vorgeschrieben war; hier ebenso wie in Baden wurde denen, welche solche Verbesserungen vornahmen, gemeiniglich auf mehrere Jahre Zehent- und Schatzungs- freiheit bewilligt (badische Verordnung vom 10. October 1770 und 13. August 1771. Inhalt der badischen Gesetzgebung N. 605. Berg a. a. O. S. 208). In Braunschweig ward die Angelegenheit mit gleichem Eifer betrieben (kurbraunschweigische Verordnung, wie in Landesökonomie-Angelegenheiten zu verfahren vom 22. November 1768. Willich a. a. O. II. 384. Berg a. a. O. 266.) In Oesterreich wurde dagegen, ganz im Sinne der Maßregel, welche den neuen Ka- taster einführen wollte, die Auftheilung der Hutweiden unbedingt
dieß ein juriſtiſcher Widerſpruch; denn galt die Stimmenmehrheit nicht, ſo konnte auch die Landespolizei ſie nicht herſtellen. Allein dem prak- tiſchen Bedürfniß genügten die obigen Sätze weſentlich auch darum, weil es ungemein ſchwer war, das Eigenthumsrecht bei den großen zum Theil wüſt liegenden Strecken jedesmal nachzuweiſen, und der Landes- herr das Recht in Anſpruch nehmen konnte, wie es in Bayern und Baden geſchah, dieſelben als bona vacantia ſeinerſeits zu vertheilen. Dieſe Standpunkte der Theorie wurden dann auch für die poſitiven Verwaltungsmaßregeln maßgebend.
Preußens Geſetzgebung ging in dieſer Beziehung voran, wenn gleich zum Theil oft mit Willkür. Die erſte Verordnung iſt das Reſcript vom 29. Juli 1763, dem eine Reihe anderer Verordnungen folgten (bei Fiſcher, Cameral- und Polizeirecht III. §. 902). Den Beamten wurde die möglichſte Betreibung der Auftheilung eingeſchärft; der König ließ ſich zu dem Ende eigene Liſten alle drei Monate vor- legen, ertheilte den Gemeinden, „die ſich ſelbſt auseinander geſetzt haben,“ Prämien bis zu 30 Thalern; die Abgaben durften durch die Aufthei- lungen in keiner Weiſe erhöht werden; zur Beſchleunigung der Sache wurden eigene Commiſſarien mit beſonderer Inſtruktion für den Fall eingeſetzt, daß die Gemeinden nicht ſelbſt damit zu Stande kämen; ſpeciell ward vorgeſchrieben, daß die Commiſſarien „mit aller Wachſam- keit jede Unterdrückung und Vervortheilung der gemeinen Bauersleute verhindern“ und daß, wo ganze Gutsherrſchaften an der Auseinander- ſetzung Theil genommen haben, die Juſtizcollegien die Akten ſich vor- legen laſſen und dieſelben genau prüfen ſollen (Kabinetsordre vom 19. Mai 1770 und Reſcript vom 25. December 1770. Fiſcher a. a. O. §. 903—905). In ähnlicher Weiſe betrieb Bayern die Gemeinheits- theilung (Kulturedikt von 1762, Sammlung der bayriſchen Generalien von 1771 S. 449, Moſer, Landeshoheit in Anſehung Erde und Waſſers S. 108), wobei die zweckmäßige Benutzung der überflüſſi- gen Weideplätze zu Wieſe oder Ackerfeld ausdrücklich vorgeſchrieben war; hier ebenſo wie in Baden wurde denen, welche ſolche Verbeſſerungen vornahmen, gemeiniglich auf mehrere Jahre Zehent- und Schatzungs- freiheit bewilligt (badiſche Verordnung vom 10. October 1770 und 13. Auguſt 1771. Inhalt der badiſchen Geſetzgebung N. 605. Berg a. a. O. S. 208). In Braunſchweig ward die Angelegenheit mit gleichem Eifer betrieben (kurbraunſchweigiſche Verordnung, wie in Landesökonomie-Angelegenheiten zu verfahren vom 22. November 1768. Willich a. a. O. II. 384. Berg a. a. O. 266.) In Oeſterreich wurde dagegen, ganz im Sinne der Maßregel, welche den neuen Ka- taſter einführen wollte, die Auftheilung der Hutweiden unbedingt
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[284/0302]
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weil es ungemein ſchwer war, das Eigenthumsrecht bei den großen zum
Theil wüſt liegenden Strecken jedesmal nachzuweiſen, und der Landes-
herr das Recht in Anſpruch nehmen konnte, wie es in Bayern und
Baden geſchah, dieſelben als bona vacantia ſeinerſeits zu vertheilen.
Dieſe Standpunkte der Theorie wurden dann auch für die poſitiven
Verwaltungsmaßregeln maßgebend.
Preußens Geſetzgebung ging in dieſer Beziehung voran, wenn
gleich zum Theil oft mit Willkür. Die erſte Verordnung iſt das
Reſcript vom 29. Juli 1763, dem eine Reihe anderer Verordnungen
folgten (bei Fiſcher, Cameral- und Polizeirecht III. §. 902). Den
Beamten wurde die möglichſte Betreibung der Auftheilung eingeſchärft;
der König ließ ſich zu dem Ende eigene Liſten alle drei Monate vor-
legen, ertheilte den Gemeinden, „die ſich ſelbſt auseinander geſetzt haben,“
Prämien bis zu 30 Thalern; die Abgaben durften durch die Aufthei-
lungen in keiner Weiſe erhöht werden; zur Beſchleunigung der Sache
wurden eigene Commiſſarien mit beſonderer Inſtruktion für den Fall
eingeſetzt, daß die Gemeinden nicht ſelbſt damit zu Stande kämen;
ſpeciell ward vorgeſchrieben, daß die Commiſſarien „mit aller Wachſam-
keit jede Unterdrückung und Vervortheilung der gemeinen Bauersleute
verhindern“ und daß, wo ganze Gutsherrſchaften an der Auseinander-
ſetzung Theil genommen haben, die Juſtizcollegien die Akten ſich vor-
legen laſſen und dieſelben genau prüfen ſollen (Kabinetsordre vom
19. Mai 1770 und Reſcript vom 25. December 1770. Fiſcher a. a. O.
§. 903—905). In ähnlicher Weiſe betrieb Bayern die Gemeinheits-
theilung (Kulturedikt von 1762, Sammlung der bayriſchen Generalien
von 1771 S. 449, Moſer, Landeshoheit in Anſehung Erde und
Waſſers S. 108), wobei die zweckmäßige Benutzung der überflüſſi-
gen Weideplätze zu Wieſe oder Ackerfeld ausdrücklich vorgeſchrieben war;
hier ebenſo wie in Baden wurde denen, welche ſolche Verbeſſerungen
vornahmen, gemeiniglich auf mehrere Jahre Zehent- und Schatzungs-
freiheit bewilligt (badiſche Verordnung vom 10. October 1770 und
13. Auguſt 1771. Inhalt der badiſchen Geſetzgebung N. 605. Berg
a. a. O. S. 208). In Braunſchweig ward die Angelegenheit mit
gleichem Eifer betrieben (kurbraunſchweigiſche Verordnung, wie in
Landesökonomie-Angelegenheiten zu verfahren vom 22. November 1768.
Willich a. a. O. II. 384. Berg a. a. O. 266.) In Oeſterreich
wurde dagegen, ganz im Sinne der Maßregel, welche den neuen Ka-
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. 284. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/302>, abgerufen am 27.07.2024.
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